[Chile] Repression nach der Katastrophe

Companer@ 02.03.2010 16:38 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit Ökologie
In weiten Teilen Chiles bricht das öffentliche Leben zusammen und zum ersten mal seit Jahrzehnten herrscht Ausnahmezustand und Ausgangssperre in den südlichen Regionen Bio Bio und Maule.
Was in chilenischen Mainstreammedien (und auch in den deutschen und internationalen) als "Plünderungen", "Ausschreitungen" und "Chaos" denunziert wurde, ist der verzweifelte Kampf der nun grösstenteils mittel- und obdachlosen Bevölkerung, Nahrung zum Überleben zu sichern, während die Regierung in Untätigkeit verharrt.
Eine genaue Auflistung der Ereignisse seit dem schrecklichen Beben mit Stärke von 8,8 auf der Richterskala erscheint unmöglich. Mittlerweile hat die chilenische Marine, seit geraumer Zeit an der Küste der jetzt betroffenen Regionen um Bio Bio stationiert, teils mit der Begründung, die Aktivitäten aufständiger Mapuche-AktivistInnen zu observieren, ihren Fehler bei der Entwarnung bzgl. des Zunamis eingeräumt. Samstags hatten Offizielle die BewohnerInnen der Küstensstädte dazu aufgefordert, in ihre Häuser zurückzukehren, da es keine Hinweise auf eine Bedrohung durch einen Zunami gebe. Viele Menschen sahen jedoch, wie sich das Wasser zurückzog (nur um dann in Form mehrerer gewaltiger Wellen das Land zu fluten), und widersetzten sich den Anordnungen, indem sie auf nahe gelegene Hügel und Anhöhen flüchteten.

Selbst in den weiter nördlich gelegenen Gebieten um die Hauptstadt Santiago und die Küstenstadt Valparaiso sind grosse Teile der Städte nun ohne Strom und Gas, die Wasserversorgung ist mangelhaft. Dabei hatte das Erdbeben besagte Gebiete noch einigermaßen verschont. Selbstverständlich trifft das nicht auf die kommerzialisierten Innenstadtbereiche und besser situierten Viertel Valparaisos und Santiagos zu. Nun wundern sich Politiker und Medien, wo sie alle herkommen, die Armen und Mittellosen, die alles verloren haben und auf die Strasse gehen. Das in Südamerika von der ansässigen Oberschicht gerne emporgehaltene "Chilenische Modell", dessen Brachialneoliberalismus mittels der faschistischen Pinochet-Diktatur initiiert, und weiterhin von rechten Sozialdemokraten und Christkonservativen in der nationalen Einheitsregierung "Concertacion" über die letzten Jahrzehnte aufrecht erhalten wurde, zeigt deutliche Risse.

Als in den am meisten Betroffenen Gebieten um Chiles zweitgrösste Stadt Concepcion und Talcahuano unmittelbar nach dem Beben sämtliche grosse Supermarktketten ihre Türen verschlossen oder strikte Obergrenzen für den Nahrungsmitteleinkauf veranlassten, erhöhten die verbliebenen Händler die Preise um unerhöhrte Weise. Apotheken, Krankenhäuser, Märkte wurden geschlossen oder sind zerstört.

In dieser Situation fanden erste organisierte Vergesellschaftungen von Waren aus den Grosssupermärkten (beispielsweise der Kette "Lider", die zum Global-Player Wal-Mart gehört) statt. Augenzeugenberichten zufolge geschah dies überwiegend in geordneter Weise, Menschen stellten sich sogar in Reihe. Während Noch-Präsidentin Bachelet und der designierte christdemokratische Präsident Pinera per Helikopter über das verwüstete Gebiet flogen, setzte sich am Boden die Bürgermeisterin Concepcions, Jacqueline van Rysselberghe (laut indymedia Chile.Sur ihrerseits Tochter eines aus Deutschland geflohenen Nazikollaborateurs ->  http://chilesur.indymedia.org/es/2010/03/4985.shtml) mit Representanten des Großhandels zusammen, um über die Sicherung deren Privateigentums zu beratschlagen. Als Konsequenz wurden nun tausende Militärs auf die Straßen geschickt, um "für Recht und Ordnung" zu sorgen.

Während die Regierung am 3. Tag nach dem Erdbeben weiterhin untätig bleibt und sich offizielle aus Politik und Militär gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben, gab es den ersten (bestätigten) Toten durch Repression - erschossen, als wieder einmal eine "Plünderung" verhindert werden sollte. Es gab bislang 160 Verhaftungen. Und das in einem Land, dessen Bevölkerung durch die Militärdiktatur, welche kaum im Ansatz aufgearbeitet ist (die Bürgermeisterin Concepcions war ihrerseits beispielsweise glühende Anhängerin der Diktatur), noch immer tief traumatisiert ist. Zu allem Überfluss das Epizentrum der Katastrophe in einer Region, die von wiederholten Menschenrechtsverletzungen und rücksichtsloser Repression gegen Aktive der Mapuche-Bewegung und ihre UnterstützerInnen über die letzten Jahrzehnte geprägt ist - auch unter der sozialdemokratischen Präsidentin Bachelet.

Doch es gibt auch Stimmen, die sich nun melden, und die Katasrtophe als Möglichkeit begreifen, etwas fundamental an der sozial und wirtschaftlich polarisierten Gesellschaft zu verändern. Es wird befunden, dass der Umgang mit und die Folgen des Erdbebens kapitale Schwächen der chilenischen Energie- und Infrastruktur-Wirtschaft offenbart (welche grösstenteils in privater Hand ist), und auch die staatlichen Einrichtungen versagt hätten - eine dezentrale, autonome Perspektive der Energie- und Nahrungsversorung als Ausweg für die Zukunft diskutiert.

Das soll nur ein kleiner Überblick sein, Ergänzungen und Korrekturen erwünscht!!!

Links:

Spanisch
 http://chilesur.indymedia.org/es/2010/03/4985.shtml
 http://chilesur.indymedia.org/es/2010/03/4982.shtml
 http://www.lahaine.org/index.php?p=43732

 http://diario.elmercurio.com/2010/03/02/_portada/index.htm

Deutsch:
 http://www.tagesschau.de/ausland/chileerdbeben132.html
 http://www.tagesschau.de/ausland/chileerdbeben126.html
 http://taz.de/1/politik/amerika/artikel/1/nach-den-beben-kommt-das-militaer/

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Ergänzungen

video

hoho 03.03.2010 - 10:12
 http://www.tagesschau.de/ausland/chile200.html

einigermassen kritisch diesmal von der ts...

Aus Chile

In Chile 03.03.2010 - 13:36
Berichte über Gewalt der Polizei und Militär gibt es auf den Schlagseiten der Zeitungen.
Die Bevölkerung ist selber sehr kritisch und weiß was mit den Mapuches passiert.
Allerdings wird im Fernsehen nur der Teil der großzügigen Regierung gezeigt und das von früh morgens bis spät abends.
Die Polizei in Chile ist auch in normaler Form um einiges brutaler als die in Deutschland. In aller öffentlichkeit werden festgenommene erstmal zu Boden geschmissen etwas getreten und danach Handschallen sowie einen Sack über den Kopf.

Carabinieros

imexil 05.03.2010 - 03:45
Es sollte zum Verständnis vielleicht erwähnt werden, dass die Polizist_innen, die hier auf den Photos zu sehen sind Carabinieros sind.

Es gibt in Chile zwei Arten von Polizei. Zum einen gibt es die Kriminalpolizei (Policia de Investigaciones), die zivil ist, zum anderen die Carabinieros, die die vierte Waffengattung des Militärs darstellen (und auch an Putsch und Junta beteiligt waren). In Chile wird also sogar der Straßenverkehr von Angehörigen des Militärs geregelt.

Soviel zum Thema Überwindung der Militärdiktatur...

Fotos

chaquiste 06.03.2010 - 00:08
Weitere Fotos von Santiago.indymedia.org.

Verarbeitung

In Chile 07.03.2010 - 00:52
Die Aufarbeitung der Militär diktatur in Chile ist gleich 0. Es gibt noch viel zu viele Anhänger Pinochets. Die Instutionen sind immernoch die gleichen.
Die Regierung nutzt zurzeit auch die Katastrophe um neuen Patriotismus zu schaffen. Auf einer Dauer Sendung im Fernsehen soll die von der Katastrophen betroffenen unterstützen. Allerdings geht das ganz auf Sprüche wie "Fuerza Chile" und "Chile ayuda Chile". An Autos sind neit neuem die gleichen Parolen zu lesen. In jeder Stadt sind große Lastwagen aufgestellt von denen aus Musik abgespielt wird mit dem Motto "Chile ayuda Chile". Die paar Bilder die ehemals im Fernsehen von Militär zu sehen waren sind glänzlich verschwunden.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke die folgenden 2 Kommentare

greetings

me 02.03.2010 - 17:32
...to companer@ from nbg. Good report!
:-)

Sippenhaft,

Jaguar 03.03.2010 - 19:45
ein bewährtes Mittel der Faschisten.