[Bln] Kunger-Kiez gegen Mieterhöhungen

Voltairine de Cleyre 28.02.2010 22:47 Themen: Soziale Kämpfe
Im Karl-Kunger-Kiez in Alt-Treptow haben hunderte Mieter_innen Mieterhöhungsschreiben der Wohnungsbaugesellschaft "Stadt und Land" erhalten. Auf einer Mieterversammlung wurde beschlossen, gemeinsam gegen die steigenden Mieten vorzugehen.

Einst ruhig – jetzt bewegt?

Für viele stadtpolitisch interessierte Berliner_innen ist der Kunger-Kiez in Alt-Treptow lange Jahre höchstens durch seinen Wagenplatz »Lohmühle« aufgefallen, der am Treptower Ufer des Landwehrkanals, gegenüber dem Görlitzer Park, liegt. Dann kam die Baugruppe »KarLoh«, benannt nach der Straßenkreuzung Lohmühlen- und Karl-Kunger-Straße, erwarb ein Garagengrundstück und plante dort den Bau von Eigentumswohnungen. Hiergegen organisierte sich wiederum die Stadtteilinitiative »Karla Pappel« – für den Neubau sollte auch eine Reihe von Pappeln gefällt werden. Spätestens seit der offensiven Kritik der Karla-Pappel-Ini an dem auf privatem Einzeleigentum basierenden Baugruppenkonzept, das auch von Leuten aus der radikalen Linken (hier: FelS) zunehmend genutzt wird, dürfte der Kunger-Kiez unter aktiven Linken deutlich bekannter geworden sein. Es fällt auf, dass nun häufiger Graffiti und Plakate im Kiez auftauchen, die sich gegen den Stadtteil aufwertende Neubauten und daraus resultierende Mieterhöhungen richten.

Der ganz legale Rausschmiss aus dem Kiez

Auf die Karla-Pappel-Ini, die durch die zahlreichen Veranstaltungen im Kiez bekannt geworden war, kamen kürzlich einige besorgte Mieter_innen zu – sie brachten Mieterhöhungsschreiben der stadteigenen Wohnungsbaugesellschaft »Stadt und Land« mit. Nicht nur, dass das Unternehmen regelmäßig die Miete erhöhte, ohne dabei den Wohnungsbestand qualitativ zu verbessern, die alarmierten Mieter_innen waren auch besorgt, die steigenden Mieten nicht mehr zahlen zu können und daher den Kiez verlassen zu müssen.

So organisierte »Karla Pappel« für den 22. Februar eine Mieter_innenversammlung im Veranstaltungsraum des Loesje e.V., konnte hierzu auch eine kompetente Rechtsanwältin und einen Vertreter der Berliner Mietergemeinschaft gewinnen, und steckte Einladungen in die Briefkästen der insgesamt 920 Wohnungen der »Stadt und Land« in Alt-Treptow. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, wieviele Häuser und Wohnungen von den Mieterhöhungen überhaupt betroffen waren.

40 Mieter_innen aus 16 Häusern füllten schließlich das Ladenlokal, darunter vor allem Rentner_innen, Geringverdiener_innen und Hartz4-Bezieher_innen. Sie hatten Schreiben der »Stadt und Land« erhalten, die das Akzeptieren von Mieterhöhungen zwischen neun und 19 Prozent forderten – das bedeutete oft einen monatlichen Aufschlag von 50 Euro. Häufig war es auch nicht die erste Mieterhöhung der letzten Jahre, sondern reihte sich ein in regelmäßige Forderungen, die jeweils Erhöhungen im Rahmen des Mietspiegels zum Inhalt hatten. Aber was hilft ein Mietspiegel-Durchschnittswert schon, wenn die Betroffenen selbst über weit unterdurchschnittliche Einkommen verfügen?

Gemeinsam gegen steigende Mieten

Mittlerweile – so schreibt jedenfalls das Neue Deutschland – ist bekannt, dass zur Zeit 332 Wohnungen der »Stadt und Land« allein in Alt-Treptow von neuen Mieterhöhungen betroffen sind. Die Karla-Pappel-Ini schlug den betroffenen Mieter_innen vor, gemeinsam eine zweigleisige Strategie zu verfolgen. Erstens sollten möglichst viele Mieter_innen ihr Mieterhöhungsschreiben von einer kompetenten Anwält_in überprüfen lassen, um es eventuell zurückweisen oder die Erhöhung reduzieren zu können. Da die Frist zur Zustimmung der Mieter_innen bis zum 1. April geht, ist hier Eile geboten, um schnell möglichst viele Nachbar_innen anzusprechen. Zweitens sollen die Mieterhöhungen gemeinsam öffentlich angeprangert werden.

Immerhin handelt es sich bei der »Stadt und Land« um eine Wohnungsgesellschaft in städtischem Besitz. Die Verantwortung für unsoziales Handeln trägt damit der Berliner Senat, der sich in letzter Zeit immer wieder über Lippenbekenntnisse zum Thema steigender Mieten zu profilieren versucht, aber nichts an seiner Stadtpolitik ändern mag – hier scheint es vor allem um die Interessen der Unternehmen und der Mittelschicht zu gehen, für die die Innenstadtbezirke schick gemacht werden sollen. Einkommensschwache Mieter_innen kommen in dieser neoliberalen Politik jedenfalls nicht vor, oder allenfalls als Verschiebemasse, die Platz machen soll für Besserverdienende.

Städtische Aufwertungspolitiken

So ist es kein Zufall, dass der selbe rot-rote Senat gerade die links-alternativen Baugruppen als neue Zielgruppe entdeckt hat, die öffentlichkeitswirksam hofiert wird. Sie sind Musterbeispiele einer neuen urbanen Mittelschicht, wirken tatkräftig an der Aufwertung von Vierteln mit, in denen noch vor kurzem vor allem Geringverdiener_innen lebten, und setzen auf Eigentum statt auf Miete, haben also im Aufwertungsprozess eine vollkommen andere Interessenslage: Statt mit steigenden Mieten zu kämpfen, steigt hier der Wert des Privatbesitzes. Vor dem Hintergrund eines Gentrifizierungsprozesses, bei dem nicht nur Mittelschichten von einem Viertel Besitz ergreifen, sondern auch der Tauschwert von Grund und Boden steigt, werden eigentumsorientierte Baugruppen zu einem lukrativen Anlagevermögen.

Von den Baugruppen-Akteur_innen kann der Senat also ebenso wie von Immobilienunternehmen erwarten, dass sie die Aufwertung und soziale Umstrukturierung der Innenstadtviertel konstruktiv vorantreiben. Gleichzeitig sonnt sich der Senat, allen voran Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer, in einem sozialen Anschein der Baugruppen. So werden diese gemeinschaftlichen Neubauvorhaben abwechselnd als Wiedergeburt besetzter Häuser oder des sozialen Wohnungsbaus gefeiert, obwohl sie damit – abgesehen von der intern kollektiven Organisierung oder der Zuschreibung »sozial« – nichts gemeinsam haben, und vor allem keine soziale Motivation, geschweige denn eine soziale Offenheit, beruhen Baugruppen doch vor allem auf einer hohen sozialen Geschlossenheit.

Es zieht und kneift an allen Ecken und Enden

Im Kunger-Kiez bemerken die auf günstige Mietwohnungen angewiesenen Anwohner_innen nun, dass Baugruppen und Neubauprojekte, Modernisierung von Mietwohnungen und Umwandlung in Eigentum, die soziokulturelle Inbesitznahme des Straßenraums durch Mittelschicht-Lebensweisen und die fortlaufenden Mietererhöhungen, auch in städtischen Wohnungsbeständen, verschiedene Anzeichen einer zusammenhängenden Entwicklung sind, die die Verdrängung der Geringverdiener_innen aus dem Stadtteil zur Folge hat.

Der Senat treibt die Aufwertung der innerstädtischen Viertel voran – die Mieterhöhungen resultieren aber ganz wesentlich – darauf machte der Vertreter der Berliner Mietergemeinschaft aufmerksam – auch daraus, dass seit vielen Jahren kein geförderter und damit sozial gebundener Wohnungsbau mehr in der Stadt existiert. Er wurde im Zuge der Neoliberalisierung der Stadtpolitik abgeschafft, die der profitablen Verwertung der Stadt unter privatwirtschaftlichen Bedingungen nach und nach die alten sozialstaatlichen Zügel genommen hat.

Heute erleben wir, dass Wohnungen nur noch in einem »gehobenen« Segment gebaut werden, vorwiegend im Bereich von Eigentumswohnungen. Dabei wird so wenig neu gebaut, dass der Wohnungsbestand immer knapper wird. Eine Knappheit, die sich zuerst in den gefragtesten Segmenten des Wohnungsmarkts zeigt, also in den attraktiven Innenstadtbezirken und bei den kleinen und günstigen Wohnungen. Die Auseinandersetzungen um die Aufwertungsgebiete, um Gentrifizierung und brennende Luxusautos sind damit nur die Spitze eines wohnungspolitischen Eisberges, der mittel- oder langfristig eine fatale neue Wohnungsnot bringen könnte.

Von der antikapitalistischen Utopie...

Ändern können wir dies nur, wenn sich Betroffene der steigenden Mieten, der Verdrängung aus den Vierteln, zusammentun und gemeinsam zur Wehr setzen. Anhand der verschiedenen Phänomene, die die Aufwertung der Viertel spiegeln und weiter vorantreiben, kann das Problem skandalisiert werden, denn hier wird es sichtbar. Ziel sollte aber stets sein, die stadtpolitische Stimmung zu drehen und eine Wohnungsversorgung möglich zu machen, die nicht die Profite von Immobilienunternehmen und die Interessen der einflussreichen Klassen und Schichten (auf Kosten der weniger einflussreichen) im Blick hat, sondern die Bedürfnisse Aller, und damit eine solidarische Stadt ohne Verdrängung und Vertreibung, die über das kapitalistische Gesellschaftssystem hinaus weist, hin zu einer gerechteren Welt.

...zur ganz konkreten Solidarität vor Ort

Na gut, was kann jetzt aber im Kunger-Kiez passieren, ohne einfach nur auf die Revolution zu warten, sondern durch solidarisches Verhalten und eine gemeinsame Strategie? Die Karla-Pappel-Ini ruft zum Beispiel nicht nur diejenigen Mieter_innen auf, sich gegen Mieterhöhungen zu wehren, die sich am Ende der finanziellen Fahnenstange sehen. Solidarisches Verhalten heißt nämlich, dass sich auf besser gestellte Mieter_innen weigern, die höhere Miete zu akzeptieren. Was aus der beabsichtigten Skandalisierung der Mieterhöhungen wird... – darauf können wir wohl nur gespannt sein.

Am Dienstag (2. März) ist das nächste Treffen der Stadt&Land-Mieter_innen mit der Karla-Pappel-Ini, um 19 Uhr im Loesje, Karl-Kunger-Straße 55. Dort soll unter anderem eine öffentliche Protest-Note formuliert und das weitere Vorgehen besprochen werden.

Ein Wunschtraum: Revolutionärer Flächenbrand, made in Alt-Treptow

Beeindruckend ist auf jeden Fall, dass im Kunger-Kiez nun ganz verschiedene Akteur_innen mit unterschiedlichsten Erfahrungen zusammen kommen, weil sie ein gemeinsames Interesse entdecken. Was die Karla-Pappel-Ini angeschoben hat und von den »Stadt&Land«-Mieter_innen aufgegriffen wird, ist der Versuch, sich über Milieugrenzen hinweg zu vernetzen und der neoliberalen Stadt, ganz konkret und vor Ort, einen Widerstand entgegen zu setzen.

Großartig wäre, wenn sich diese kleine, lokale Bewegung verbreitern würde, wenn sich auch in den benachbarten Kiezen, rund um den Weichsel- und Wildenbruchplatz in Neukölln oder im Reichenberger Kiez in Kreuzberg, ähnliche Inis gründeten, und wenn sich auch anderswo Mieter_innen von »Stadt und Land« gegen Mieterhöhungen zusammenschlössen, um zusammen den Druck auf das Unternehmen zu verstärken.

Dabei sollte mensch sich nicht zu sehr von den Gegen- und Repressionsmaßnahmen »der anderen Seite« abschrecken lassen: Im Kunger-Kiez waren dies die äußerst gut vernetzten Baugruppen, die sich über Medien wie die taz, Tagesspiegel oder den rbb in Hülle und Fülle, und ohne den Druck kritischer Fragen, bestens ins Licht setzen und den Protest als gemein, hinterhältig und verbohrt darstellen konnten. Aber auch die Berliner Polizei und andere, die versucht haben, Druck auf lokale Initiativen auszuüben, damit diese nicht länger mit Karla Pappel zusammen arbeiten oder Infrastruktur zur Verfügung stellen. Immerhin: Offensichtlich hat der Versuch, die Stadtteil-Ini politisch zu isolieren, nicht geklappt, das zeigt die Resonanz unter den Mieter_innen der »Stadt und Land«.

Nichts ohne meine Anwält_in

Wenn Mieter_innen unangenehme Post von der Vermieter_in erhalten, sollten sie damit unbedingt eine mietrechtliche Beratung aufsuchen. Das geht am besten als Mitglied in einer Mieterorganisation, deren Rechtschutzversicherung dann im Zweifelsfall auch die juristischen Kosten übernimmt. Die Berliner Mietergemeinschaft bietet seit kurzem im Kunger-Kiez eine wöchentliche Beratung an: freitags 16:30-17:30 Uhr im Loesje, Karl-Kunger-Straße 55. Die nächste offene Mieterberatung gibt es im Kreuzberger Stadtteilzentrum Lausitzer Straße 8, montags und mittwochs 16:00-17:30 Uhr. Wertvolle Tipps zum Mietrecht finden sich auch hier und hier auf den Seiten der Mietergemeinschaft.


Zu den Fotos: Zwei Fotos vom Bauplatz der Baugruppe Schmollerplatz, nachdem dort alle Bäume gefällt wurden. Ein Foto mit Graffiti am zugefrorenen Landwehrkanal.

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Ergänzungen

Sarrazin empfiehlt Hartz-4lern kaltes Duschen

News Heute 01.03.2010 - 12:13
"Sarrazin empfiehlt Hartz-IV-Empfängern kaltes Duschen

(...) Zugleich verteidigte Sarrazin, der selbst für provokante Thesen über Hartz-IV bekannt ist, die geltenden Sätze als ausreichend. Letztlich sei es keine Geldfrage, sondern eine Frage der Mentalität, des Wollens und der Einstellung, sagte er der "Süddeutschen Zeitung". "Wo diese fehlt, hilft auch kein Geld, und wo diese da ist, ist das Geld gar nicht so wichtig." Als Sparmöglichkeit nannte Sarrazin das Duschen: "Kalt duschen ist doch eh viel gesünder. Ein Warmduscher ist noch nie weit gekommen im Leben."
Die Landesschiedskommission der Berliner SPD berät am Montagnachmittag über einen möglichen Parteiausschluss Sarrazins. Dies hatten zwei Kreisverbände beantragt. Sie werfen dem früheren Berliner Finanzsenator parteischädigendes Verhalten vor. Auf der Grundlage eines Gutachtens stufen sie Äußerungen Sarrazins über Ausländer in einem Interview als eindeutig rassistisch ein. "

 http://www.ftd.de/politik/deutschland/:antwort-auf-westerwelle-sarrazin-empfiehlt-hartz-iv-empfaengern-kaltes-duschen/50082037.html

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