100 Tage Drogenbeauftragte Dyckmans

max 26.02.2010 18:42 Themen: Blogwire Militarismus Repression
Am 19. November 2009 ernannte Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Roesler die Abgeordnete Mechthild Dyckmans (beide FDP) zur Drogenbeauftragten. Viele dachten nach der Moralapostelin der Nation, Sabine Bätzing, kann es nur noch besser werden ebenso bestand die Hoffnung innerhalb der FDP könnte sich eine Liberale finden, der Eigenverantwortung und Wahlversprechen zu Cannabis als Medizin wichtig sind. Nun sind 100 Tage vergangen und… ja, was eigentlich? Nicht viel wäre noch euphemistisch.
Einzig im Bereich Alkoholpolitik war Dyckmans zu hören, mit dem FDP üblichen wirtschaftliberalen Mantra: Selbstverpflichtung des Handels, keine verschärften Gesetze — verkündet wird so was im besten Mövenpickstil auf einer Pressekonferenz des Bundesverbandes der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure (BSI). Nachdem Dyckmans bei der Abstimmung um die Diamorphinabgabe
in der letzten Legislaturperiode eine der beiden zwei FDP Bundestagsabgeordnete war, die nicht dafür stimmte, besuchte sie nun einmal brav Frankfurt und nickte die bestehende Regierungspolitik ab… Man kann über ihre Vorgängerin Bätzing ja sagen was man will, aber hier war selbst die SPDlerin progressiver und engagierter.

Abgeordnetenwatch ist watching Dyckmans

Beim Onlineportal Abgeordnetenwatch wurden Dyckmans zahlreiche Fragen gestellt und ihr Gelegenheit gegeben ihre realtiätverzerrten Ansichten zu verbreiten: Bei Fragen zu einer möglichen Cannabislegalisierung unterstellt sie den Fragestellerinnen pauschal sie würden die Droge verharmlosen: “[...] und Sie darüber informiert, dass die oft behauptete völlige Unbedenklichkeit des
Cannabiskonsums nicht den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht.” Eine Kriminalisierung von Kiffern sei auch kaum vorhanden, denn “der weitaus größte Teil der Verfahren gegen Cannabiskonsumenten wird entsprechend dieser Vorschrift eingestellt, wenn die genannten Voraussetzungen zutreffen.” Führerscheinentzug bei Cannabiskonsumentinnen? Da gibt’s doch schon Urteile dagegen.. Ja, aber die werden nicht umgesetzt, Frau Juristin!


Ferner kämpft sie wacker für “wirkungsvolle und qualitätsgesicherte [Cannabis-]Arzneimittel [...], die nicht die “‘unerwünschte Rauschwirkung”‘ hervorrufen”, natürlich von der Pharmaindustrie und nicht aus dem eigenen Garten, den “vor einem Selbstanbau von Cannabis zur Selbsttherapie kann ich nur warnen. Wer Cannabis selbst anbaut, setzt sich dem Risiko einer Strafverfolgung aus.”. Der Cannabisrausch ist für sie etwas gar Gruseliges, denn “eine Cannabisintoxikation führt nach anfänglicher Euphorie zu Müdigkeit, motorischen Störungen, beeinträchtigt Konzentration, Reaktionszeit und Gedächtnis, Wahrnehmungsstörungen, Gleichgültigkeit, Panikreaktionen, manchmal auch zu psychotischen Reaktionen, Verwirrtheit, Gedächtnisverlust und Halluzinationen.” Die Millionen Kiffer Deutschlands sind also in Wirklichkeit panikattackengeplagte Zombies, von Euphorie keine Spur… bei mir auch nicht, aber nur im Bezug auf die Drogenbeauftragte.

Zu den hohen Kosten einer Behandlung mit natürlichem Cannabis aus der Apotheke erklärt die Parteikollegin Westerwelles lapidar: “Da Cannabinoide in Deutschland nicht als Medikament zugelassen sind, besteht grundsätzlich auch keine Verpflichtung der Krankenkassen, für die Behandlungskosten mit Cannabinoiden aufzukommen. Wenn Sie sich die Behandlungskosten nicht leisten können, haben Sie leider nur die Möglichkeit, mit Ihrem behandelnden Arzt zusammen nach Therapiealternativen mit zugelassenen Medikamenten zu suchen.” — So sieht die Umsetzung des Wahlversprechens “Außerdem setzen sich die Liberalen dafür ein, Cannabis in der medizinischen Verwendung zur Schmerzlinderung zuzulassen.” in der Realität aus!

Diagnose: Merkbefreit

Merkbefreit immer heiter weiter, heißt die Devise, egal ob da Professoren vom Schildower Kreis, einem Netzwerk von Experten aus Wissenschaft und Praxis im Bereich Drogen, erklären dass es “notwendig ist, Schaden und Nutzen der Drogenpolitik ideologiefrei wissenschaftlich zu überprüfen.” oder ein Polizeipräsident die Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten fordert — von den zahlreichen Ereignissen im Ausland einmal ganz abgesehen. In der Schweiz hat die Politik keine Lust mehr auf Strafverfolgung von Kifferinnen, die tschechische Regierung entkriminalisiert den Besitz von zahlreichen Drogen sowie den Anbau von Cannabis und Zauberpilzen und wird als die neuen Niederlande gefeiert, in den USA befürwortet eine Mehrheit der Amerikaner die Legalisierung von Cannabis, in Seattle lässt ein neu gewählter Staatsanwalt die Verfolgung von Cannabisbesitzern ganz sein, in Kalifornien stimmt der Parlamentsausschuss für öffentliche Sicherheit gar dem Antrag AB390 zu, der vorsieht Cannabis für Erwachsene zu legalisieren und zu besteuern.

Während Deutschland in anderen Bereichen den Anspruch hat in der internationalen Politik global mitzuwirken, ist im Bereich internationale Drogenpolitik ebenfalls nichts zu hören. In Mexiko tobt einer brutaler Drogenkrieg, die Opiumfrage bleibt trotz ihrer enormen Bedeutung für Afghanistan unbeantwortet und die europäische & globale Reformstimmung, die echte Änderungen in der Drogenpolitik — und sei es nur Entkriminaliserung & Harm Reduction weltweit — möglich machen könnte, zieht an der deutschen Regierung vorbei.

Der Status Quo = Verfolgung & Leid & Tod

Das wäre ja alles nicht so schlimm, würden nicht Menschen wegen der Untätigkeit der Drogenbeauftragten leiden, schwerste Verletzungen erledigen oder gar sterben. Stichwort Gestrecktes Cannabis “In einigen Regionen gibt es kaum noch sauberes Marihuana. Millionen Deutsche rauchen Kunststoff, Zucker und Schlimmeres”. schreibt der Deutsche Hanfverband, oder Cannabis als Medizin: “Die generelle Situation ist aber weiterhin dramatisch, so Dr. Franjo Grotenhermen, Vorsitzender der “Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin” (ACM). Ferner geht die Kriminalisierung von Ärzten, die Methadon abgegeben, weiter und der Erfolg der Heroinabgabe wird noch immer durch restriktive Regelungen gehemmt, die Suchtprävention und Drogenarbeit wird bundesweit kaputt gespart und beim Thema problematischer Alkoholkonsum ist auch nichts substanziell neues zu hören.

#100tage #dyckmans #fail

Geschrieben von (Max) in Grüne Wiese am 26. Februar 2010
Blog der Grünen Jugend
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Den Artikel gibt es noch auch auf Englisch

Maximilian Plenert 07.03.2010 - 10:08
Drug Policy in Germany: 100 Days of Standstill & Lobbying

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke die folgenden 2 Kommentare

in holland...

coffeeshop 26.02.2010 - 23:07
...wurde die beinahe-legalisierung (also straffreiheit, abgabe in coffeeshops etc.) nicht durch wahlen
herbeigefuehrt, sondern durch die coffeeshop-bewegung erkaempft und durchgesetzt.
in deutschland gab es schon mal rot-gruen - hat auch nichts veraendert.
anstelle also auf "die drogenbeauftragte" zu schielen lieber mal was fuer die legalisierung tun:
guerilla-gardening (hanf-anbau auf oeffentlichen plaetzen)
eigenanbau und verteiler-kreis an freunde
alternative strukturen zu den mafia-strukturen schaffen


euphemistisch?

Akadämlicher 27.02.2010 - 02:03
Heisst das mit dem euphemistisch jetzt, dass die schon 100 Tage oder mehr volle Kanüle auf Ephedrin ist?

Gönne ich ihr ja gerne