[Bremen] Antirepressionsarbeit nach dem 13.12

13.12.08 11.02.2010 17:30 Themen: Repression Soziale Kämpfe
In Bremen fand am 13.12.2008 eine Antirepressionsdemonstration unter dem Motto “We still stand together” statt. Das Stadtamt Bremen hatte diese Demo verboten und wurde darin vom Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht bestätigt. Spontan versammelten sich ca. 300 Menschen in der Bremer Innenstadt um gegen dieses Verbot zu demonstrieren. Im Verlauf der Spontandemonstration kam es zu ca. 170 Ingewahrsamnahmen durch die Polizei. Die von den Repressionen betroffenen Menschen sollen sich ordnungswidrig versammelt haben und 73,45€ Bußgeld bezahlen. Ca.70 Personen legten Einspruch ein und das mit großem Erfolg...
Was war da los?

Am 13. Dezember 2008 planten verschiedene linke Gruppen in Bremen unter dem Motto „We Still Stand Together“ und im Rahmen des bundesweiten Aktionstages aus Solidarität mit den Betroffenen der mg-Prozesse (militante gruppe) eine Demonstration gegen staatliche Repression. Das Stadtamt Bremen hatte diese Demo verboten und wurde darin vom Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht bestätigt.
Am frühen Nachmittag des 13. Dezember sammelten sich knapp 200 Menschen in der Innenstadt um in einer Spontandemonstration gegen das Demo-Verbot zu demonstrieren. Ort und Zeit der Spontandemo waren komplett andere, als die der ursprünglich geplanten Demonstration.
Die TeilnehmerInnen gingen am Weihnachtsmarkt vorbei die Obernstraße hinunter und wurden nach etwa 400 Metern auf Höhe "Kurze Wallfahrt", gegen 15 Uhr von der Polizei eingekesselt. Nach teilweise stundenlangem Warten in der Kälte erfolgte die Verbringung in unterschiedliche Wachen in denen sie, in mitunter überfüllten Sammelzellen, bis 23 Uhr ausharren mussten. Unter ihnen waren auch eine ganze Reihe Minderjähriger.
Der Versuch die Spontandemonstration anzumelden wurde von der Polizei nicht zugelassen und unterbunden.

Demoverbot

Begründet wurde das Demonstrationsverbot mit verschiedenen, sich zum Teil widersprechenden und haarsträubenden Argumenten: Dass es nicht genug Polizeikräfte gäbe, wurde schnell revidiert. Stattdessen hieß es dann, dass die Freisprüche im Verfahren zum Tod von Oury Jalloh (der gefesselt in einer Zelle des Polizeireviers in Dessau verbrannte) und Laye Conde (der in Bremen nach der Zufuhr von Brechmitteln und Wasser durch einen Polizeiarzt starb) und die polizeiliche Ermordung eines 15-Jährigen in Griechenland die Stimmung zu sehr aufheizen würde. Dass es aber eine Woche vorher schon Demonstrationen zu eben jenen Anlässen gegeben hatte, wurde dabei wohlwollend ignoriert.
Die Polizei fürchtete anreisende „Gewaltbereite“ aus Hamburg, da dort an diesem Tag keine gleichnamige Demonstration angemeldet war.
Es ist lächerlich und absurd, dass die Frage nach einer Demo in Bremen davon abhängig gemacht wird, ob in anderen Städten ebenfalls demonstriert wird oder nicht.
Weiterhin wurde gemutmaßt, dass zum Bundesligaspiel angereiste „gewaltbereite Fußballfans“ sich ebenfalls der Demo anschließen und so noch viel mehr Polizeikräfte benötigt werden würden. Dass die Fußballfans dann aber nicht mehr gleichzeitig am Stadion Polizeikräfte binden können, zumal sich Demo und Fußballspiel zeitlich überschnitten, haben die Verantwortlichen in der Justiz ignoriert.
Das Vorweihnachtsgeschäft und die Besucher des Weihnachtsmarktes, denen eine Demonstration nicht recht ins Bild des Konsumrauschs passen könnte, sind weitere Gründe für ein Verbot. So argumentierte das Stadtamt mehrfach und anerkannt mit hohem Besucheraufkommen und räumlicher Enge in der City wegen Shopping Nacht und Weihnachtsmarkt.
Nach dieser Logik werden die Interessen der Einzelhändler einen hohen Umsatz zu machen vor die Grundrechte der freien Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit gestellt.
Wenn die Polizei repressives Handeln mit Gefahrenprognosen begründet, hat sie auch ein Interesse daran, dass diese Prognosen Realität werden. Stellt sie fest, die Leute sind gar nicht gewaltbereit, versucht sie durch ihr Verhalten vor Ort ihre eigene Prophezeiung wahr werden zu lassen. Dummerweise musste sie am Ende dann doch eingestehen, dass die Demonstration friedlich verlaufen ist.

Innensenator macht Falschaussagen

Im taz-Interview (16.01.2009) sicherte Innensenator Mäurer noch zu, dass keine „Personenbezogenen Daten“, die nach dem Polizeikessel aufgenommen wurden, gespeichert werden würden.2 Inzwischen ist aber klar, dass dies sehr wohl geschehen ist. Willkürlich wurden Anhörungsbögen und Bußgeldbescheide über 73,45€ verschickt. Über 70 Leute legten Einspruch gegen die Bußgeldbescheide ein. Mindestens einem Menschen ist auf Grund der Ingewahrsamnahme und der Eintragung in (darüber lässt sich nur mutmaßen) Polizeidatenbanken, beim Nato-Gipfel im April die Einreise nach Frankreich verwehrt worden.
Polizeiexperimente in Zeiten der Krise
Das repressive Vorgehen gegenüber der Antirepressions-Demo reiht sich nahtlos in eine Kette von behördlichen Anmaßungen ein. Stadtamt und die Polizei probieren sich in letzter Zeit vermehrt aus, wie weit sie widerspruchslos gehen können. Sei es im Rahmen von Fußballspielen (z.B. die präventive Ingewahrsamnahme von mehr als 230 Frankfurter Fußballfans am 29.11.2008) oder eben auch auf linken Demonstrationen. In Zeiten der (wirtschaftlichen) Krise mit zu erwartenden steigenden Unsicherheiten und eventuellen 'sozialen Unruhen' trägt der Staat sein autoritäres Wesen - ganz ohne sozialpartnerschaftlichen und integrativen Anstrich - offen zur Schau. So ist es nicht verwunderlich, wenn auch staatliche Organe wie Polizei und Innensenat deutlich unterstreichen, dass gerade jetzt „Recht und Ordnung“ über Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht zu herrschen habe. Doch autoritäre Befriedung löst weder Ängste und Unsicherheiten, noch soziale Konflikte.


The morning after the night before...

Die anschließende Antirepressionsarbeit lief schleppend bis gar nicht an. Es gab keine wirkliche Auswertung des Bremer Aktionstages und die von den Repressionen betroffenen Menschen taten sich schwer eine funktionierende Soli-Gruppe auf die Beine zu stellen. Erst als im Frühsommer 2009 einige Bußgeldbescheide verschickt wurden, gründete sich die Soli-Gruppe “13.12”.
In Zusammenarbeit mit dem Ermittlungsausschuss (EA) Bremen und der Roten Hilfe Ortsgruppe Bremen legten über 70 Betroffene Einsprüche/Widersprüche gegen ihre Bußgeldbescheide ein. Hier konnten wir die ersten kleinen Teilerfolge feiern. Mehr und mehr Nachrichten über Einstellungen der Verfahren erreichten die Soli-Gruppe. Aber die Bremer Justiz ließ sich dennoch nicht Lumpen ein paar Genoss_Innen vor Gericht zu zerren. Aber auch hier konnten sie keine Erfolge erzielen.
Mit zwei Einstellungen und ca. 50 Unterstützer_Innen im Saal ließ sich der Tag beim Amtsgericht für uns dann doch ganz gut ertragen. Ein fader Beigeschmack bleibt dennoch.
Bei Freisprüchen ist es so, dass der Staat in jedem Fall die Kosten trägt, das wäre politisch auch ein Erfolg gewesen. Bei einer Einstellung werden die Verfahrenskosten zwar von der Staatskasse getragen, die eigenen Auslagen (Anwaltskosten etc.) sind aber bis auf Ausnahmefälle selbst zu tragen.
Selbstkritisch muss festgestellt werden, dass wir es nicht schafften, eine vernünftig laufende Kampagne aus dem Thema zu machen. Ein relativ großes öffentliches Interesse war vorhanden, doch der Kontakt zur Presse wurde so gut wie gar nicht gesucht. Ein Interview kurz nach der Demo, so wie ein kurzer Prozessbericht wurde in der “Taz” abgedruckt. Ebenfalls wurden massiv Flyer und Plakate in Bremen und umzu verteilt, doch dies reichte natürlich nicht aus.

Soli Party 30.01

Am 30.01 wurde zur Begleichung der Kosten von Mobi-Material und Anwält_Innen eine Soli Party im Sielwallhaus in Bremen veranstaltet. Diese war so gut besucht, dass wir Hoffnung haben, alle Kosten decken zu können. Die Rote Hilfe hat für einen eingereichten Unterstützungsantrag schon 50% der Kosten für Rechtsbeistand übernommen. Wir sind guter Dinge...


Blick nach vorn

Doch der 13.12.2008 ist noch nicht endgültig gegessen. Es sind immer noch nicht alle Verfahren endgültig eingestellt worden. In einem Fall lässt ein Staatsanwalt die Akten noch einmal nach ermitteln. Außerdem sind Feststellungsklagen gegen die Stadt Bremen eingereicht worden, um sich gegen die Ingewahrsamnahmen zur Wehr zu setzen.
Es hat sich auch der Generationswechsel im Bremer Stadtamt bemerkbar gemacht. Für uns hat sich dieser leider zum negativen gewendet. Das Stadtamt hat bis jetzt leider zu wenig politischen Druck erfahren müssen. Es kann also davon ausgegangen werden, dass in Zukunft mit weiteren Absurditäten und Auflagen gerechnet werden kann.
Auch eine Verschärfung des Versammlungsrechts schlummert noch in Bremens Schubladen. In Bremen werden 2010 einige Großveranstaltungen wie z.B. die Einheitsfeierlichkeiten zum 03.10 stattfinden. Hier wäre es wichtig sich frühzeitig für Gegenaktivitäten zu vernetzen und organisieren.
Doch das Thema Antirepression sollte verstärkt Aufmerksamkeit bekommen. Polizei und Justiz werden immer dreister und bekommen womöglich bald gesetzliche Rückendeckung.
Take care !

Soli-Gruppe “13.12”
Februar 2010

www.antirep1312.blogsport.de




Weitere Links:

Indymedia Artikel
 http://de.indymedia.org/2008/12/236013.shtml?c=on#c543625l

Kein Bußgeld nach Demo
 http://www.taz.de/1/nord/bremen/artikel/?dig=2009%2F08%2F18%2Fa0153&cHash=1aa6c48913

Vormodernes Staatsverständnis
 http://www.taz.de/1/nord/bremen/artikel/?dig=2008%2F12%2F13%2Fa0039&cHash=118115ca03

Möglicher Unfriede
 http://www.taz.de/1/nord/bremen/artikel/1/moeglicher-unfriede/

Polizeipresse
 http://www.presseportal.de/polizeipresse/pm/35235/1320316/polizei_bremen

Aktionstag
 http://einstellung.so36.net/de/1167
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Ergänzungen

Repressionsarbeit beginnt nie nach der Aktion

Roland Ionas Bialke 11.02.2010 - 18:50
"Die anschließende Antirepressionsarbeit lief schleppend bis gar nicht an."

Repressionsarbeit muss immer vor der Aktion/Demonstration organisiert und finanziert sein! In der Situation nun, das ist echt mies, werden wohl die meisten von Repression betroffenen in den sauren Apfel beissen. Wichtig ist, dass genug von ihnen zusammenbleiben und nicht die nächsten AktivistInnen/DemonstrantInnen (vorher unorganisiert) in die nächste Aktion/Demonstration laufen lassen.

Es kann sogar passieren, dass jemand durch eine Aktion/Demonstration mehrere Jahre ins Gefängnis kommt. Auch darauf solltet Ihr vorbereitet sein, und wenn sich Menschen bereiterklären die von Repression betroffenen Menschen zu helfen, dann müssen sie damit rechnen mehrere Jahre zu helfen. Etwas anderes ist nicht konsequent und führt dazu, dass die von Repression betroffenen allein gelassen werden.

Rolle der BSAG

schlonk 12.02.2010 - 11:00
Es sollte auch die Rolle der BSAG bei der rechtswidrigen Repression nicht unerwähnt bleiben.
Die BSAG stellte Busse und Fahrer zum Abtransport der Gefangenen bereit. Seit wann in der BRD Fuhrunternehmen berechtigt sind, Polizeiaufgaben durchzuführen entzieht sich meiner Kenntniss.
Die Busse wurden zudem rechtswidrig mit deutlich mehr Personen beladen als es der Zulassung der Busse entspricht.
Unklar ist, wie viel Sold die BSAG für diesen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr bekommen hat.
Die damals Verantwortlichen der BSAG und die beteiligten FahrerInnen müssen vollumfänglich zur Rechenschaft gezogen werden.

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