Demonstrieren im Regen und Tränengas

Solidarisieren! 07.02.2010 02:15 Themen: Antirassismus Militarismus Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Auch am Freitag, 5. Februar 2010 gab es wieder in einigen Orten und Regionen Palästinas Demonstrationen gegen die palästinensisches Land annektierende Mauer, gegen die rassistische Siedlungspraxis und gegen die Vertreibung von arabischen Familien aus ihren Häusern in Ostjerusalem.
Das kalte und stürmische Wetter hat die Leute in An Nabi Salih nicht davon abgehalten, zu der Freitagsdemonstration gegen ihre Vertreibung von ihrem Land auf die Straße zu gehen. Wie einer der OrganisatorInnen es ausdrückte: "Ich mag den Regen lieber als das Tränengas." Am Ende bekam er jedoch beides.
Wie in den vergangenen Wochen wurde das kleine Dorf, das durch die illegale Siedlung in seiner Nähe von einem seiner Trinkwasserbrunnen abgeschnitten wurde, auch diesmal wieder von vielen UnterstützerInnen von außerhalb aufgesucht. So liefen z.B. mehrere Dutzend Jugendlicher aus Beit Rima über fünf Kilometer durch den heftigen Regen, um an der Demonstration teilzunehmen.
Die wöchentliche Demonstration führte wie seit Monaten zum Gemeindeland in der Nähe der jüdischen Siedlung von Halamish. Im Gegensatz zu letzter Woche umstellten die israelischen Soldaten diesmal nicht das ganze Dorf vor der Demonstration, und für einen Moment sah es so aus, als könnte der Marsch zu den Gemeindeländereien gelingen. Jedoch kurz nach dem Start auf das Tal zu erschienen einige Armee-Jeeps auf der Zufahrtsstraße zum Dorf und die Armee fingen an, Tränengas zu schießen. Und sie hörten vier Stunden lang nicht auf damit. Zusätzlich wurden Gummi- und Kunststoffummantelte Stahlgeschosse in die Menge der DemonstrantInnen geschossen.
Dutzende von Verletzungen mussten die DemonstrantInnen hinnehmen, hauptsächlich verursacht durch Plastikummantelte Geschosse und Tränengaspatronen, die direkt auf die DemonstrantInnen abgefeuert wurden. Ein junger Mann, der durch zwei sog. nichttödliche Geschosse sein Gefühl in seiner Wade verlor, musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Er erholte sich bald und sagte, dass er nächste Woche sicher wiederkommen würde, um zu demonstrieren.

Bei der wöchentlichen Demonstration in Ma'asara kamen rund 25 palästinensische, israelische und internationale AktivistInnen zusammen, um gegen den Bau der Apartheit-Mauer zu demonstrieren. Aufgrund des Regens und der Kälte fuhren die AktivistInnen per Auto zur Militärblockade am Ortseingang und trafen dort auf eine Einheit von ReservistInnen in Kombination mit regulären Truppen der israelischen Armee und sieben Militärjeeps, die die Demonstration lächelnd empfingen. Als gesungen wurde und die politischen Wortbeiträge in Arabisch und Hebräisch kamen, hoben die Soldaten wie zur Unterstützung die Finger zu Peace-Zeichen. Die Demonstration hier endete friedlich nach einer halben Stunde.

Knapp unter 20 Israelis und zehn InternationalistInnen nahmen an der von einigen PalästinenserInnen organisierten Demonstration gegen die Land-annektierende Mauer in Bil'in teil, die nun schon seit fünf Jahren dort jeden Freitag stattfindet, und wo inzwischen über 10 Prozent der Bevölkerung aufgrund ihrer politischen Betätigung ins Gefängnis gesteckt wurden. Ihr Vergehen: sie nehmen den Raub ihres Agrarlandes durch jüdische Siedler und durch die israelische Regierung nicht einfach still hin. Abdallah Abu Rahman, einer der OrganisatorInnen der Freitagsdemonstrationen und prominenter Vertreter des Popular Comittee in Bil'in wurde im Herbst 2009 unter dem Vorwurf eingesperrt, Waffen zu besitzen. Was er „besaß“, waren von der israelischen Armee zu Hunderten verschossene leere (!) Tränengasgranaten, die er sammelte und in einer Art Kunstausstellung präsentierte. Er sitzt seither in Administrationshaft, einer willkürlichen juristischen Konstruktion, unter der der israelische Staat bzw. das Militär unbegrenzt PalästinenserInnen einsperren darf. Noch im Oktober 2008 nahm er gemeinsam mit einer Aktivistin der Anarchists Against The Wall für das Popular Comittee von Bil'in die Carl-von-Ossietzky-Medaille für Menschenrechte in Berlin in Empfang.
Aber zurück zur Demo: Es hörte auf zu regnen, die Wolken ließen ein paar Sonnenstrahlen durch, und die Mandelbäume standen in voller Blüte, soweit der optimistisch stimmende Teil. Als die Demonstration das Zaungatter der Sperranlage erreichte, verschoss die Armee Tränengasgranaten, und die örtliche Jugend versuchte daraufhin, die Armee mit Steinwürfen auf Distanz zu halten. Bald darauf wurde die Demonstration für beendet erklärt. Nur kurz nachdem die Jugendlichen in Richtung des Dorfes zurückgingen, entschied die Armee, in das Dorf einzudringen, nur um zu zeigen, dass sie dazu in der Lage waren. Eine Machtdemonstration. Im Dorf wurden Tränengas- und Blendschockgranaten direkt vor die Füße der DemonstrantInnen geschossen, welche zusätzlich von einzelnen SoldatInnen als „Nazis“ beschimpft wurden. Es wirkte, als ob selbst einige SoldatInnen merken würden, wie dümmlich die Befehle ihres Commanders waren, zumindest kam es einigen optimistisch gestimmten DemonstrantInnen so vor.

In einer ungewöhnlich kleinen Freitagsdemonstration in Ni'lin gingen über 50 Leute den schlammigen Feldweg zur Mauer und riefen Slogans gegen den Mauerbau und gegen die Verhaftung Dutzender Jugendliche durch die israelische Militärjustiz in den letzten Monaten. Als die DemonstrantInnen das schwere Tor in der Sperranlage schlossen, begannen die SoldatInnen, Tränengas- und Blendschockgranaten zu verschießen. Einige der örtlichen Jugendlichen antworteten mit Steinwürfen, und die Konfrontationen liefen eine halbe Stunde weiter, bis die Demonstration endete.

Im Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah, einer arabischen Nachbarschaft, in dem im letzten halben Jahr zahlreiche palästinensische Familien aus ihren Häusern durch jüdische Siedler – mit Unterstützung der Polizei, Justiz und Stadtverwaltung – vertrieben wurden, konnten die FreitagsdemonstrantInnen sich von ihrer Regendichten Kleidung überzeugen. Hunderte von ihnen kamen diesmal in dem Park nahe der Nachbarschaft zusammen und sangen und trommelten im strömenden Regen und in der Jerusalemer Kälte. In der zweiten Woche infolge war die Polizei hier besonnen und es erfolgten auch dieses Mal keine Verhaftungen oder Provokationen gegen die DemonstrantInnen – wohl eine Folge der letzten Wochen, als sich aufgrund der übertriebenen polizeilichen Repression auch gegen prominente MenschenrechtsaktivistInnen der Protest stark verbreiterte. Gleichwohl war auch diesmal nur jüdischen Siedlern der Zugang zur bis vor wenigen Wochen rein arabischen Nachbarschaft gewährt worden, und eine kleine Gruppe von Kindern und Ballons tragenden Clowns wurden von dem improvisierten Checkpoint der Riot-Polizei zurückgedrängt. Die DemonstrantInnen behielten ihre gute Laune, tanzten herum und beendeten die Demonstration, um abends zu einer den Kampf in Cheikh Jarrah unterstützenden Solidaritätsparty in einem Westjerusalemer Stadtteil zu gehen.

Quelle: Anarchists Against The Walls,  http://www.awalls.org - 05/02/2010


Anmerkung:
Sowohl die Dörfer An Nabi Salih, Ma'asara, Bil'in und Ni'lin in der Westbank als auch der Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah sind 1967 entgegen allen UNO-Beschlüssen und entgegen anderer völkerrechtlich wirksamer Bestimmungen von Israel besetzt worden. Die illegale Okkupation dieser Gebiete hält bis heute an und wird z.B. durch den Mauerbau oder durch den Bau von Straßen verschärft, die nur jüdische Siedler oder israelische StaatsbürgerInnen benutzen dürfen, nicht aber arabische Menschen, obwohl sie durch ihr Land führen und sie von ihrem Agrarland, ihrer Lebensgrundlage, abschneiden. 70 Prozent des von den PalästinenserInnen genutzten Agrarlandes in der Westbank liegt in der sog. Zone C und steht damit unter direkter israelischer Kontrolle. Ihr Überleben wird – auch durch immer mehr illegale jüdische Siedlungen und deren militärischen Schutz - zunehmend erschwert. Ihnen ist gemäß der Losung des Ex-Premiers Israels, Moshe Dayan: „Entweder Ihr verschwindet, oder Ihr lebt wie die Hunde!“, das Leben dermaßen verunmöglicht worden, dass es in den besetzten Gebieten kaum Entwicklung gibt. Und trotz heftigster Repression gibt es diesen gewaltfreien, graswurzelförmigen Widerstand der Popular Comittees in einigen Dörfern und Nachbarschaften. Dies erfordert eine unglaubliche Disziplin, und leider eine langfristige Hilfe von außen.
Israel kann die PalästinenserInnen nur solange dermaßen extrem unterdrücken, wie die israelische Regierung keine Kritik zu fürchten braucht und entsprechend wenig unter internationalen Druck gerät. Daher ist es umso wichtiger, die unhaltbaren Zustände in der Westbank, auf dem Golan, in Ostjerusalem und im Gaza-Streifen öffentlich zu machen in der Hoffnung, dass sich weltweit Protest und Widerstand regt und Israel dazu gezwungen wird, den PalästinenserInnen einen lebensfähigen Teil ihres Landes zurückzugeben und sie in Würde und Frieden leben zu lassen. Solidarität mit den unterdrückten Menschen und den progressiven Kräften in Palästina und Israel!
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Ergänzungen

Interessante Links

Informieren! 07.02.2010 - 02:45
Anarchists against the wall:  http://awalls.org/
Kollektiv von FotografInnen-AktivistInnen:  http://activestills.org/
Berichte von Demos und Aktionen:  http://popularstruggle.org/
Ta'ayush - "Gemeinsam leben":  http://taayush.org/
Menschenrechtsorganisation:  http://btselem.org/

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 19 Kommentare an

mauer? — egal

Good Night zionism pride — Anti anti d

@ anti anti d — fdk

@egal — fight ignorance

Lieber "egal"... — Bücher lesen!

Another brick in the Wall — PA doesn`t need any education?

@mods — fight ignorance

huhuu — ick muss hier erstma ga nix ausfüllen

@PA doesn`t need any education? — Am (anti-)deutschen Wesen soll die Welt...

@ egal — der wahre egal

der — mandel

könnt — ihr

anmerkung — kuckuck

@ kuckuck — uhu

@alle — fuck (anti-)deutsche linke

Noch andersrum — N.N.