Konzerne sind auch nur Menschen

Tomasz Konicz 26.01.2010 19:40 Themen: Weltweit
Oberstes Gericht der Vereinigten Staaten verleiht Kapitalgesellschaften Menschenrechte – und öffnet die Schleusen für ungehemmten Lobbyismus.
Selten hat eine Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtshofs die amerikanische Öffentlichkeit derartig aufgewühlt, wie das jüngst gefällte Urteil zur Wahlkampffinanzierung, dass selbst US-Präsident Barack Obama aufs Schärfste kritisierte: „Der Oberste Gerichtshof hat grünes Licht für einen neuen Ansturm von Lobbygeldern auf unsere Politik gegeben. Das ist ein großer Sieg für die Ölmultis, die Wall Street, die Versicherungskonzerne, die in Washington täglich ihre Macht einsetzen, um die Stimmen der Amerikaner zu übertönen.“ Er könnte sich „nichts Verheerenderes für das öffentliche Interesse vorstellen“, als das am vergangenen Donnerstag ergangene höchstrichterliche Urteil, das „unsere Demokratie direkt angreift“, warnte Obama in seiner allwöchentlichen Radioansprache.

Was war geschehen? Mit einer knappen Mehrheit von fünf zu vier Stimmen beschloss das oberste Justizorgan der Vereinigten Staaten, jegliche Beschränkungen von Wahlkampfwerbung durch Firmen, Konzerne oder Banken aufzuheben. Künftig dürfen Amerikas Kapitalgesellschaften unbegrenzte Summen zur direkten Finanzierung von Werbekampagnen für „ihre“ Kandidaten aufwenden. Damit folgte die konservative Mehrheit der Bundesrichter der Argumentation der Kläger, die in dem bisherigen Verbot jeglicher direkten Wahlkampfwerbung durch Konzerne eine „Einschränkung der Meinungsfreiheit“ sahen. Konkret wurde vor dem Obersten Gerichtshof das von der US-Bundeswahlkommission während des letzten Wahlkampfes verhängte Verbot der Ausstrahlung eines konservativen Propagandafilms über Hillary Clinton verhandelt. Die klagende konservative Vereinigung „Citizens United“ wurde aber auch von dem US-Unternehmerverband, der „US-Chamber of Commerce“, unterstützt, die als Nebenkläger auftrat.

Dabei verfügen amerikanische Unternehmen bereits jetzt über weit gefächerte Möglichkeiten, auf den politischen Prozess in Washington einzuwirken. Zu den wichtigsten Lobbygruppen gehören die sogenannten Political Action Committees (PAC), vermittelst derer bestimmte Interessengruppen oder Politiker Geldsammlungen organisieren oder Medienkampagnen durchführen. Die PACs dürfen nur bescheidene Beträge direkt an Kandidaten oder Parteien spenden (zwischen 5000 und 15000 US-Dollar jährlich) - dafür können sie aber unbegrenzte Mittel bei Medienkampagnen aufwenden. Auch der Wahlwerbung dieser Lobbygruppen waren bislang gewisse Grenzen gesetzt, da sie Radio- oder Fernsehspots nur zu Sachthemen schalten durften und somit nur indirekt einen Kandidaten unterstützen oder bekämpfen konnten. Auch die individuellen Spenden sind in den USA auf 2300 US-Dollar begrenzt, weswegen in Konzernen oftmals die Praxis des „Bündelns“ von Zuwendungen praktiziert wird, bei der beispielsweise 2007 die Angestellten der Investmentbank Goldman Sachs schon mal hunderttausende von US-Dollar für den damaligen Präsidentschaftsanwärter Barack Obama „sammelten“. Beliebt sind auch „Spendendinner,“ bei denen ein schlabbriger Hot Dog schon mal 100 US-Dollar kosten kann. Der amerikanische Journalist Chris Hedges spricht von einer regelrechten Armee von insgesamt „35000 Lobbyisten in Washington und Tausenden mehr in den Hauptstädten der Bundesländer, die Unternehmensgelder auszahlen, um die Gesetzgebung zu formen und zu schreiben.“

Der demokratische Senator Russell Feingold bemühte sich in einer ersten Stellungnahme, die kommende Geldschwemme abzuschätzen, die nun den politischen Prozess in Washington endgültig zu überschwemmen droht. Demnach haben in 2008 die 500 größten Konzerne Profite in Höhe von 743 Milliarden US-Dollar realisiert, während im Verlauf der Präsidentschaftswahl von allen Kandidaten zwei Milliarden US-Dollar aufgewendet wurden. Dies sei zwar viel Geld, doch sei dies „Nichts“ im Vergleich zu dem, was Konzerne in ihren „Kriegskassen“ führen, so Feingold. Nun könnten beispielsweise „Wall-Street-Banken“ Millionensummen ausgeben, um eine Regulierung des Finanzmarktes zu verhindern. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, mittels derer eine jahrzehntelange Gesetzgebung zur Einschränkung des Wirtschaftslobbyismus ausgehöhlt werde, versetzte die USA laut Feingold zurück in die Ära der kapitalistischen „Räuberbarone im 19. Jahrhundert.“ Dabei habe das Oberste Gericht noch vor sechs Jahren in einem Urteil festgestellt, dass die Verbote der Wahlkampffinanzierung durch Unternehmen und Gewerkschaften „fest in unserem Rechtssystem eingebettet“ seien. „Die einzige Sache, die sich seitdem verändert hat, ist die Zusammensetzung des Gerichts“, konstatierte Feingold.

Tatsächlich kann die Zusammensetzung des Obersten Gerichts als eine Erbschaft der Bush-Ära bezeichnet werden. Zwei der fünf konservativen Bundesrichter, die für die Abschaffung jeglicher Regelungen der Wahlkampffinanzierung stimmten, wurden von dem ehemaligen republikanischen US-Präsidenten ernannt, der sein Amt ohnehin nur einer fragwürdigen Entscheidung des Obersten Gerichts bei den umstrittenen Wahlen in 2000 verdankt. Zudem kommt dieser Richterspruch rechtzeitig vor den am 2. November anstehenden Halbzeitwahlen zum Senat und Repräsentantenhaus. Vertreter der Republikaner – die vor allem von dieser Deregulierung profitieren werden - feierten folglich diesem Richterspruch als eine „monumentale Entscheidung“, dank derer die „Meinungsfreiheit“ wieder hergestellt würde. Die unterlegene Minderheitsfraktion der Obersten Bundesrichter erklärte hingegen, dass dieses Urteil die „Integrität der Institutionen zu unterminiere“.

Im Endeffekt haben die konservativen Scharfmacher im Obersten Gerichtshof den amerikanischen Konzernen Menschenrechte verliehen. Diese hätten „in bizarrer Weise die Wahlkampffinanzierung von Unternehmen mit den fundamentalen Recht auf freie Meinungsäußerung von Individuen vermengt“, stellte die demokratische Abgeordnete Rosa DeLauro fest. Die „lebenden, atmenden Menschen“ zukommenden Rechte seien so auch auf „leblose Interessensvereinigungen“ ausgedehnt worden. Die amerikanischen Konzerne hätten nun „alle Privilegien der Staatsbürgerschaft, aber keine der daraus resultierenden Verantwortlichkeiten“, bemerkte hierzu das progressive Internetportal alternet.org. Der demokratische Kongressabgeordnete Alan Grayson wagte in diesem Zusammenhang schon mal einen Ausblick in die Zukunft: „Du wirst keine Senatoren mehr aus Kansas oder Oregon haben, du wirst Senatoren von Exxon oder Wal Mart haben. Vielleicht werden wir Unternehmens-Logos tragen müssen, wie die Fahrer der Nascar-Rennserie.“

Das Nachrichtenportal Politico berichtete unterdessen, dass die US-Regierung sich bereits bemüht, die verheerenden Auswirkungen dieses höchstrichterlichen Urteils durch eine Reihe von Gesetzesinitiativen zumindest zu begrenzen. Demnach sollen die Aktionäre von spendenwilligen Konzernen jeglicher Wahlkampffinanzierung mehrheitlich zustimmen müssen. Zudem müssten den Planungen zufolge die Unternehmen klar identifizierbar sein, die künftig millionenschwere Werbekampagnen zugunsten „ihrer“ Kandidaten durchführen. Überdies sollen Konzernen, die größere Staatsaufträge erhalten haben, solche Werbekampagnen generell untersagt werden.
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Ergänzungen

menschenrechte für konzerne

b 27.01.2010 - 14:41
schaut mal "the corporation"