Bln: Nach der Besetzung ist vor der Besetzung

nachwuchsautonomer 03.01.2010 16:32 Themen: Freiräume
In der Silvesternacht wurde das leerstehende Gebäude am Stralauer Platz 29-31 von ca. 30 ehemaligen BewohnerInnen der Brunnenstrasse 183 und SympathisantInnen besetzt. Während der Räumung, die etwa 4 Stunden nach der Besetzung und 1,5 Stunden nach der Veröffentlichung einer Presseerklärung (siehe unten Anhang1) der BesetzerInnen begann, gelang es einer Hundertschaft der Polizei (Dir 5) 15 Personen festzunehmen und deren Personalien zu überprüfen. Es könnten Ermittlungen wegen Hausfriedensbruch folgen. Weiteren Personen, die sich in dem Gebäude aufgehalten hatten, gelang es sich dem Polizeizugriff zu entziehen ;)
Mit dieser Besetzung, zum Ende des Aktionsmonats anlässlich der Räumung der Brunnenstrasse 183 vom 24.11.2009, wurde den EntscheidungsträgerInnen deutlich gemacht, dass das letzte Kapitel der Brunnen183-Geschichte noch nicht geschrieben wurde. Bereits einen Tag zuvor veröffentlichten die BesetzerInnen einen "Offenen Brief" (siehe unten Anhang2) an Wowereit, den Senat und den Liegenschaftsfond, in dem sie ein Ersatzobjekt für das geräumte Haus fordern. Die Adressaten waren gut gewählt, denn diese EntscheidungsträgerInnen haben nicht nur die Macht und die Möglichkeit die Forderung nach einem anderen ungenutzten Haus oder einer Brache zu erfüllen, sondern sind auch veranwortlich dafür, dass es zu keiner anderen Einigung kam. Durch das hin- und hergeschiebe von Verantwortungen zwischen Senat und dem Liegenschaftsfond, der Blockadehaltung, gegenüber der Bezirksverordnetenversammlung Mitte, die sich für eine Ersatzobjekt stark machte, sind sie nun in der Pflicht, die soziale Härte die mit einer Räumung insbesondere in der kalten Jahreszeit einhergeht, durch Verhandlungsbereitschaft die Schärfe zu nehmen.

Für die BewohnerInnen steht fest: "Wir stehen mit dem Rücken an der Wand. Wir sehen anch vorne." Angespornt durch die tatkräftigen Solidarität von vielen Einzelpersonen und Gruppen in Berlin, Hamburg, Dresden, Erfurt und weiteren deutschen Städten und überwältigt von einem Aktionsmonat der die bisherigen Aktionstage und Wochen bei weitem an Qualität und Quantität übertraf, ist das letzte der Brunnen183-Kollektive nicht bereit die geschaffenen Fakten, der rechtlich umstrittenen Räumung zu akzeptieren. Sie werden weiter machen und so lange Häuser und Brachen besetzen, bis es zu einer vernunftorientierten Lösung kommt. Sie sind frei und radikal und haben keine andere Wahl.

Wenn nach reiner Verwertungslogik gehandelt würde, dann gäbe es bereits jetzt keine andere Alternative, denn die Kosten der Polizeieinsätze übersteigen bereits jetzt den Wert des verlorenen Hauses um ein vielfaches. Das herbeifabulierte "Terrornest" a la Springerpresse kann ebenso getrost als manipulative Propagandafarce abgehakt werden. Was die FunktionsträgerInnen in Wahrheit motiviert ist einfacher Selbstschutz. Schutz vor den engagierten BewohnerInnen dieser Stadt, die nicht in Herdenmentälität verfallen sind und irrsinnige Entscheidungen der Lakaien des Profits akzeptieren. Schutz vor Menschen die diese wohlwissentlich unsozialen Machenschaften offen kritisieren und sich zusammenschliessen um gemeinsam Gegenkonzepte zu erstellen und Alternativen vorzuleben. Schutz vor Menschen, für die Menschenfreundlichkeit mehr bedeutetet als das verteilen von Trinkgeldern.

Gegen 06:00 Uhr war die Besetzung beendet und die letzten Polizeikräfte verliessen den Ort der aufkeimenden sozialen Unruhe, bis zu ihrem nächsten Einsatz, denn, so sagte eine AktivistIn "Wir bestimmen den Preis und den Zeitpunkt und den Einsatz." und "Nach der Räumung haben wir einen Monat lang reagiert, jetzt ist die Zeit reif die Handlungsinitiative zu ergreifen und zu agieren!".


Presseartikel:

TAZ: Besetzt ins neue Jahr
 http://www.taz.de/regional/berlin/aktuell/artikel/1/besetzt-ins-neue-jahr/

Tagesspiegel: Polizisten mit Steinen beworfen
 http://www.tagesspiegel.de/berlin/Polizei-Justiz-Linksextremismus-Extremismus-Kriminalitaet-Mitte;art126,2989942

Indymedia: PM zur Aneignung des Haus am Stralauer Platz
 http://de.indymedia.org/2009/12/270190.shtml

Die Welt: CSU kritisiert Wowereit wegen linksextremistischer Gewalt
 http://www.focus.de/politik/deutschland/extremismus-berliner-linksextreme-greifen-polizei-an_aid_467227.html

Focus: Berliner Linksextreme greifen Polizei an
 http://www.focus.de/politik/deutschland/extremismus-berliner-linksextreme-greifen-polizei-an_aid_467227.html


Anhang1: Presseerklärung zur Hausbesetzung

Presseerklärung zur Aneignung des Haus am Stralauer Platz, Nr. 29-31

Wir haben uns das Haus am Stralauer Platz, Nr. 29-31, angeeignet und halten
dieses zur Stunde besetzt. Mit unserer Aktion wollen wir auf mannigfaltige
Missstände in unserer Stadt aufmerksam machen und dagegen protestieren. Die
Wurzeln der gewaltfreien Aktionsform “Hausbesetzung”, lässt sich bis zur
ersten Besetzung des Georg von Rauch Hauses im Jahr 1971 zurückverfolgen
und ist seither Teil des Lebensgefühls dieser Stadt geworden. Im raschen
Wechsel der Jugendgenerationen wurde dieses immaterielle Kulturerbe
mündlich, schriftlich und erlebbar weitergegeben. Nach der Räumung der
Brunnenstrasse 183, sind nun die Liebig14, die Rigaer94 und der Schwarze
Kanal bedroht. Und das sind keine “linken Terrornester” wie es in
Hetzartikeln der Presse zu lesen war, sondern kreative Inseln, soziale
Zentren und experimetelle Gemeinschaften eben dieser Jugendkultur die es
zu schützen und nicht zu vertreiben gilt.

Die Mieten in Kreuzberg und anderen Stadtteilen steigen für
Einkommensschwache ins Unbezahlbare. BezieherInnen von Leistungen nach dem
SGB II sind von Zwangsumzügen bedroht. Die Folge ist ein schleichender
Austausch der angestammten BewohnerInnen gegen BesserverdienerInnen, eine
Entwicklung die im Prenzlauer Berg bereits abgeschlossen und in
Friedrichhain in vollem Gange ist. Durch die kommerzorientierte Umstrukturierung ganzer Kieze
werden Mitmenschen immer weiter verdrängt, raus aus dem inneren des
S-Bahn-Rings.

Während allein im Bezirk Mitte 3,3 Mio. Euro eingespart werden sollen, was
das Ende eines Großteils der Jugend- und Sozialkultur bedeutet, wird die
Decke der Lindenoper für 4-5 Mio. Euro um 4m angehoben, um die Akustik zu
verbessern. Wenn Jugendclubs geschlossen werden und stattdessen
Kulturgenuss für wenige Besserverdienende finanziert wird, dann macht uns
das berechtigter Weise wütend.

Media-Spree, Mauerpark oder Ex-Flughafen Tempelhof die Filetstücke der
Stadt werden privatisiert, verkauft und der Nutzung der Allgemeinheit
entzogen. Eine Mitsprache und Beteiligung von BürgerInnen wird blockiert,
nicht zugelassen und findet höchstens als Lippenbekenntnis eine Erwähnung
in Presseerklärungen.

Eine unrühmliche Rolle spielt der privatwirtschaftlich organisierte
Liegenschaftsfond, der dennoch zu 100% Berlin gehört und die Grundstücke
unserer Stadt an InvestorInnen verkauft. Dabei werden sogar die Wünsche
der Bezirke oftmals nicht mehr berücksichtig. Verantwortungen werden
zwischen Liegenschaftsfond und Senat hin und her geschoben und den BürgerInnen weder
Transparenz noch Mitsprache gewährt.

Obwohl ein Hafttag in Berlin 80 Euro kostet, sitzen in der JVA Plötzensee
über 30% der rund 500 Inhaftierten wegen der Erschleichung von Leistungen.
Das bedeutet Berlin gibt etwa 15.000 Euro pro Tag aus, um die Interessen
der Bahn AG und der BVG zu schützen. Diese Unternehmen hingegen tun alles
um ihren Profit zu maximieren, auch auf Kosten der Sicherheit ihrer
Fahrgäste. Die ehemals “öffentlichen” Verkehrsmittel sind von
BezieherInnen von Leistungen nach dem SGB II (Hartz4) nicht mehr
bezahlbar, obwohl es ein Grundrecht auf Mobilität gibt.

Und wer auf Grund seiner Kleidung in der linken Szene verortet wird, läuft
Gefahr monatelang ohne Grundlage, Beweise oder Zeugen in Untersuchungshaft
genommen zu werden. So geschehen bei Yunus, Rigo, Alex und zuletzt Tobias
die nach Monaten der Inhaftierung entlassen wurden, um den Trümmerhaufen
ihres Lebensfadens wieder aufzunehmen. In Kreuzberg und Friedrichshain ist
der totalitäre Polizeistaat zum Alltag geworden. Im Minutentakt
patrouillieren Polizeifahrzeuge und an jeder zweiten Ecke sind Zivilbeamte
auf der sogenannten “Brandstreife”, um Menschen zu jagen, die aus Protest
Sachschäden durch das Anzünden von Autos verursachen.
Durch diese Gewalt gegen Sachen wurde bislang kein Mensch verletzt. Durch das erfolglose und
widerrechtliche “durchgreifen” der Polizei wurde bereits ein Jugendlicher
gefährlich durch den Schuss aus einer Dienstpistole verletzt. Es ist nur
eine Frage der Zeit, bis ein Jugendlicher durch einen Polizisten ermordet
wird und das wäre nicht nur unverhältnismässig. Die angespannte Lage in den Kiezen würde sich schlagartig verschärfen. Diese Gewalt gegen Sachen ist Ausdruck der sozialen Spannungen die im kommenden Jahrzehnt deutlich zunehmen werden, wenn kein Umdenken der Veranwortlichen, hin zu einer “sozialen Stadtentwicklung” eintritt.

Wir veruteilen die Gleichsetzung von Rechter und Linker Politik durch
Innensenator Körting. Der elementarste Unterschied ist, dass
Rechtsradikale menschenverachtende Ansätze vertreten, linke Politik jedoch grundsätzlich immer
Änderungen zum Wohle der Menschen herbeiführen will. Auch die lancierte
Medienhetze gegen Linke und Alternative mit Pressetiteln wie “Räumt
endlich die linken Terrornester”, die zur Vorbereitung der rechtlich
Umstrittenen Räumung der Brunnenstrasse 183 dienten, verurteilen wir. Für
solche Unterstellungen gab und gibt es keinerlei Grundlage.
47 Frauen, Männer und Kinder wurden am 24.11.2009 vertrieben und ihr Haus unbewohnbar
gemacht. Dabei handelte es sich um sozial engagierte MitbürgerInnen die
unter anderem den weithin bekannten Umsonstladen betrieben, in dem
Menschen Kleidung, Bücher, Elektroartikel und in den letzten Monaten,
unterstützt durch den Berliner Tafel e.V. auch Lebensmittel kostenlos an
Bedürftige abgegeben haben. Sind das die “brandgefährlichen Terrornester”
vor denen unser Innensenator warnte? Daneben gab es in diesem Hausprojekt
ein kostenlose Fahradwerkstatt, kostenlose Konzerte, Vorträge,
Bandproberäume und noch viel mehr. Wir fordern ein Ersatzobjekt für das
Brunnen183-Kollektiv. Der Oberbürgermeister Wowereit, der Senat und der
Liegenschaftsfond sind verantwortlich dafür, dass keine andere Lösung
erreicht werden konnte und nun in der Pflicht den obdachlos gewordenen
Menschen eine anderes ungenutztes Haus oder eine ungenutzte Brache zur
Zwischennutzung zu überlassen.

Mit der Bitte um Veröffentlichung

Die HausbesetzerInnen Berlins


Anhang2: Offener Brief an Wowereit, den Senat, den Liegenschaftsfond und die Presse


Das war ein kaltes Weihnachtsfest,

für 47 Frauen, Männer und Kinder, die ehemals in der Brunnenstraße 183 in
Berlins Mitte lebten. Nach der rechtlich umstrittenen Räumung durch ein
Großaufgebot der Berliner Polizei wurde unser Lebensraum unbewohnbar
gemacht. Das Wenige, was wir besaßen, musste zurückgelassen werden. Doch
unser Traum ist nicht aus.

Unser Traum von einem hierarchiefreien, kollektiven Zusammenleben, in dem
nicht Leistungsdruck und Konkurrenz, sondern Gemeinschaft und Toleranz
die Basis bilden. Der Ausdruck eines Lebensgefühls, so berlinerisch wie es
nur sein kann. Ein Lebensgefühl welches seit den ersten besetzten Häusern,
dem Georg von Rauch und dem Tommy Weisbecker Haus, in dieser besonderen
Stadt kultiviert wurde. Ein gemeischaftliches Lebensgefühl, welches weit
über die Enge der angeeigneten Mauern hinaus und in die Kieze hinein
wirkte.

In diesem Geist entstand der erste, weit über die Grenzen der Stadt
bekannte Umsonstladen, der eine begreifbare Alternative zur herrschenden
Verwertungslogik und direkte Hilfe für Menschen in Notlagen darstellte.
Neben einem Umweltpreis und den wohlwollenden Worten des regierenden
Oberbürgermeisters Wowereit, gab es für die ehrenamtlichen BetreiberInnen
viel positives Feedback von Menschen, die Waren, welche andere nicht mehr
benötigten und in den Umsonstladen gebracht hatten, umsonst mitnehmen
konnten. Bis zum 23. November wurde das Angebot auch durch den Berliner
Tafel e.V. durch Lebensmittel bereichert. Für viele Einkommensschwache
außerhalb des Hauses war die vorerst letzte Häuserräumung in der
Hauptstadt daher ein existenzieller Verlust.

Für uns alle war dieses Weihnachtsfest keine Zeit der Besinnung, sondern
eine Zeit des täglichen Überlebenskampfes. Lebensmittel und warme
Schlafmöglichkeiten mussten und müssen täglich neu beschafft werden. Wir,
die 47 BewohnerInnen der Brunnen183 stehen mit dem Rücken an der Wand und
das bedeutet: Wir schauen nach vorne! Wir haben uns nicht mit dem
vermeidbaren Schicksal abgefunden, sondern nehmen unser Leben selbst in
die Hand und wollen auch das Leben unserer Mitmenschen bereichern.
Soziales Engagement war und ist ein Grundpfeiler der Berliner
HausbesetzerInnen-Kultur. Ein immaterielles Kulturerbe, welches im raschem
Wechsel der Jugendgenerationen mündlich, schriftlich und erlebbar
weitergegeben wurde.

Die stabilisierende und sogar entspannende Wirkung von Hausprojekten,
insbesondere in den sozial angespannten Kiezen wurde vom Senat erkannt und
daher Baugruppen als förderungswürdig eingestuft. Doch gleichzeitig wird
der Ursprung der sozialen Ideen, die lebendige Kultur in den besetzten
oder ehemals besetzten Häusern immer weiter zurückgedrängt. Wohin soll das
führen? Sollen die Pulsadern dieser Stadt veröden und außerhalb der
Geschäftszeiten menschenentleert und verloren wirken, so wie dies in
vielen Metropolen weltweit erfahrbar ist? So gespenstisch und leer wie die
Brunnenstrasse 183 jetzt aussieht?

Gestärkt durch die Solidarität vieler Menschen, Gruppen und
PolitikerInnen, wollen wir erneut das Unmögliche möglich machen und unsere
ganze Kraft für die Erschaffung neuen Lebensraumes einsetzen. Leerstand
und ungenutzte Brachen sind unsozial, wenn in die Obdachlosigkeit
getriebene, sozial engagierte Menschen diese zum Wohle vieler nutzen wollen.

Wir denken, dass es nur im Sinne eines weltoffenen und toleranten Berlins,
wie man es weltweit liebt und schätzt, sein kann, alternative Lebenskultur
in ihrer gesamten Bandbreite zu fördern und ihr die Freiräume zu geben und
zu lassen, die ihr als unersetzbarem Teil dieser Stadt zustehen. Es gibt
nicht wenige Menschen, die bereit sind, sich der ansteigenden Repression
entgegenzustellen und wir hoffen ernsthaft, dass nicht erst eine/r von uns
durch die Hand einer PolizistIn sterben muss, damit die
EntscheidungsträgerInnen verhandlungsbereit werden.

Wir stehen mit dem Rücken an der Wand, also schauen wir nach vorne!

Hochachtungsvoll

das Brunnen183-Kollektiv und UnterstützerInnen
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