5.Todestag von Oury Jalloh 07.01.09

infothek_Verlinker 31.12.2009 17:42 Themen: Antifa Antirassismus

…vor fünf Jahren verbrannt in einer Polizeizelle



In Dessau-Roßlau wird des Todes von Oury Jalloh gedacht // Debatte um angemessene Form des Gedenkens // Bundesgerichtshof entscheidet am selben Tag über Revision des Falles


Am 07. Januar 2010 jährt sich der Todestag des Asylbewerbers Oury Jalloh, der qualvoll in einer Gewahrsamszelle des Dessauer Polizeireviers verstarb, zum fünften Mal. An diesem Tag finden dazu mehrere Gedenkveranstaltungen statt. Während in Dessau-Roßlau die Stadt und zivilgesellschaftliche Akteure um die angemessene Form und den Ort des Gedenkens wetteifern, entscheidet an diesem Tag der Bundesgerichtshof in Karlsruhe über die Revision im Fall des Todes von Oury Jalloh.

Der aus Sierra Leone stammende Oury Jalloh ist in den Morgenstunden des 07. Januar 2005 im Dessauer Stadtgebiet von der Polizei aufgegriffen worden, weil er alkoholisiert Frauen belästigt haben soll als er diese nach einem Handy gefragt habe. Wenige Stunden später verstarb Jalloh an den Folgen eines Hitzeschocks, nachdem in der gefliesten Polizeizelle in der er an Händen und Füßen gefesselt auf einer feuerfesten Matratze lag ein Feuer ausbrach. Mehr als zwei Jahre später ist im März 2007 vor dem Dessau-Roßlauer Landgericht zu dem Todesfall erst der Prozess eröffnet worden.

Begleitet von vielfachem Protest und teils internationaler medialer Resonanz musste das Gericht im Verlauf der insgesamt 59 Verhandlungstage feststellen, „Polizeibeamte, die in einem besonderen Maße dem Rechtsstaat verpflichtet waren, haben eine Aufklärung verunmöglicht.“ „Es ist schon erschreckend, in welchen Maße hier schlicht und ergreifend falsch ausgesagt wurde“, konstatierte der vorsitzende Richter Manfred Steinhoff in der Urteilsbegründung am 08. Dezember 2008 und stellte klar: „Ein richtiges Verfahren, mit Erkenntnissen und mit einem Urteil war das nicht.“ Zudem sei „der weitere Verlauf der Ermittlungen … durch Pleiten, Pech, Pannen und Unvermögen gekennzeichnet“ gewesen (mehr dazu hier...).


Richtertisch im Saal 18 des Landgerichtes Dessau-Roßlau am 08. Dezember 2008

Der angeklagte Dienstgruppenleiter Andreas S., der den Feueralarm im Polizeirevier am 07. Januar 2005 ignoriert haben soll und der Polizeibeamte Hans-Ulrich M., der ein Feuerzeug bei der Durchsuchung von Oury Jalloh übersehen haben soll, wurden in diesem Verfahren freigesprochen, was derzeit für Tumulte im Gerichtssaal sorgte. Mehrere Initiativen kritisierten vehement, dass das Gericht und die Staatsanwaltschaft in diesem Verfahren ausschließlich der These folgten, dass Oury Jalloh die Matratze auf der er lag selbst entzündet haben soll. Durch die Nebenklage wurde im Verfahren mehrfach diskriminierendes Verhalten von Ämtern und Polizeibeamten gegenüber Migranten und anderen Randgruppen in der Gesellschaft thematisiert.


Proteste vor dem Landgericht nach dem Freispruch am 08. Dezember 2008

Sowohl Staatsanwaltschaft als auch die Nebenklage legten nach der Verhandlung Revision gegen das Urteil ein. Am 16. Dezember 2009 verkündete der Vorsitzende Tepperwien am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, dass er deutliche Zweifel am Freispruch eines der beiden Polizisten habe. Am 07. Januar 2010 wird der BGH darüber entscheiden, ob das Verfahren neu aufgerollt werden muss.

In Dessau-Roßlau ruft für diesen Tag der Oberbürgermeister der Stadt Klemens Koschig zur Gedenkveranstaltung an der Friedensglocke neben dem Rathaus um 9.00 Uhr auf. Zum vierten Todestag Oury Jallohs im Januar 2009 veranstaltete die Stadt erstmals selbst eine Gedenkveranstaltung an der Friedensglocke, welche von unterschiedlichen Akteuren in ihrer Form und dem gewählten Ort kritisch beurteilt worden war (mehr dazu hier…). Als nicht orts- und anlassbezogen war das Gedenken an der Friedensglocke empfunden worden. In diesem Jahr wurde Kritik von unterschiedlichen Akteuren schon im Vorfeld geübt, da diese nicht in die Entscheidungs- und Planungsphase der Veranstaltung involviert worden seien.


Gedenken an Oury Jalloh zum dritten Todestag am 07. Januar 2007 auf der Treppe des Polizeireviers

Das Multikulturelle Zentrum und die dort ansässige Beratungsstelle für Opfer rechter Straf- und Gewalttaten organisieren daher für den 07. Januar 2010 um 9.30 Uhr eine Gedenkveranstaltung an der Treppe des Dessau-Roßlauer Polizeireviers in der Wolfgangstraße und rufen auf, bei Teilnahme Blumen und Kerzen mitzubringen. „Ich wünsche mir eine Gedenktafel für Oury Jalloh am Haupteingang des Dessauer Polizeireviers“, so die Forderung des Leiters des Multikulturellen Zentrums Razak Minhel in der Ankündigung. Den Veranstaltern ist hierbei besonders wichtig, dem Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh an jenem Ort zu gedenken, wo dieser sein Leben lassen musste.


Demonstration zum vierten Todestag am 07. Januar 2009 in Dessau-Roßlau

Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh (mehr dazu hier…) kündigt für den 07. Januar 2010, ab 14.00 Uhr eine Demonstration mit Treffpunkt am Dessau-Roßlauer Hauptbahnhof an. Unter dem Motto: „Oury Jalloh – das war Mord! Gedenkdemonstration zum 5. Jahrestag“ planen die Veranstalter ihren Unmut über den Tod, die mangelnde Aufklärung und staatlichen Rassismus auf den Straßen Dessau-Roßlaus Ausdruck zu verleihen.verantwortlich für den Artikel:
siehe auch auf Gegenpart
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Ergänzungen

Tod in der Zelle

pjotr 31.12.2009 - 19:25
Tod in der Zelle - Warum starb Oury Jalloh?
Ein Film von
Marcel Kolvenbach und Pagonis Pagonakis; Redaktion: Sonia Mikich

Dessau, ein kalter Morgen im Januar. Ein Mensch, offensichtlich unter Alkohol, wird von der Polizei aufgegriffen, in eine Zelle gesperrt und mit Handschellen an Händen und Füßen gefesselt, „fixiert, wie es im Polizeijargon hei?t. Er wird durchsucht, ihm wird Blut entnommen. Gegen Mittag schlägt der Rauchmelder in der Zelle zweimal Alarm. Hilferufe durch eine Gegensprechanlage werden ignoriert.
Oury Jalloh, ein Asylbewerber aus Westafrika, stirbt im Polizeigewahrsam. Offizielle Todesursache: Tod durch Hitzeschock, keine Fremdeinwirkung. Das Opfer habe die Matratze in der Zelle mit einem Feuerzeug angezündet, dann selbst Feuer gefangen und sei verbrannt. Schon bald kommen Zweifel an der offiziellen Version des Tathergangs auf.
die Story: Tod in der Zelle rekonstruiert den Fall, prüft die offizielle Version der Selbsttötung. Ein Jahr lang haben die Autoren Marcel Kolvenbach und Pagonis Pagonakis Fakten, Obduktionsberichte und Ermittlungsunterlagen recherchiert, mit Zeugen gesprochen und beobachtet, wie man in Dessau mit dem Tod Oury Jallohs umgeht.
Sie haben die Familie in Westafrika aufgesucht: Dort ist Oury Jalloh nur knapp dem grausamen Bürgerkrieg in Sierra Leone entkommen. Dass er ausgerechnet in einer Polizeizelle in Deutschland verbrannt ist, kann die Familie nicht fassen.
„Oury ist dreimal gestorben, sagt ein Freund: „Im Bürgerkrieg in Sierra Leone starb seine Vergangenheit, im Asylbewerberheim in Rosslau bei Dessau starb seine Zukunft und in der Zelle kam er ums Leben.

 http://www.youtube.com/watch?v=Y-zJANM0Yo0
 http://www.youtube.com/watch?v=NPBYszJ1adk
 http://www.youtube.com/watch?v=Adx0r3J77JE
 http://www.youtube.com/watch?v=ZA-5V1YR-z0
 http://www.youtube.com/watch?v=LCdwjh9S9E8

Revisionsverfahren vor Bundesgerichtshof

X 31.12.2009 - 23:12
Revisionsverfahren vor Bundesgerichtshof zu Tod von Oury Jalloh:
Radio Dreyeckland
Kommt es doch noch zu einer Verurteilung? Vor dem Bundesgerichtshof findet der Revisionsprozess um den Tod des Flüchtlings Oury Jalloh in einer Polizeizelle statt. Vor einem Jahr hatte das Landgericht Dessau die verantwortlichen Polizeibeamten freigesprochen. Ein völliger Umschwung ist allerdings auch jetzt nicht zu erwarten. Mehr dazu in einem Interview mit dem Anwalt der Nebenklage (30.12.2009). Hier der Link:

 http://www.rdl.de//index.php?option=com_content&task=view&id=4705&Itemid=321

Dessau lernt nicht!

ich 01.01.2010 - 11:24
Der Sylvestertag ist in Dessau für alternative und linke Jugendliche nicht gut verlaufen. Erst wurde eine junge Frau im Rathauscenter von einem ca. 40 Jährigen als "Assi" und "Scheiß Zecke" beschimpft und dann später durch Schläge ins Gesicht zu Boden geschlagen. Sie musste mit Kiefer- und Kopfverletzungen im Krankenhaus behandelt werden. Dann gegen Mitternacht wurden zwei junge Punker von einer Gruppe von ca. 20 Nazis am Theater angegriffen und verprügelt, obwohl dort über hunderte von Menschen feierten. Erst nach mehrmaligen Aufforderungen der jungen Punks um Hilfe der umstehenden Passanten halfen diese und griffen ein. Dies zeigt einmal mehr wie die Bevölkerung von Dessau mit rechten Ereignissen um geht. Am besten nicht hingucken, dann gibt es wohl auch kein Ärger..... Tja ob die Leute noch lernen??

@ich

... 01.01.2010 - 13:13
schafft ihr/du es vielleicht euch wegen der Angriffe zu Sylvester an die Opferberatungsstelle in Dessau zu wenden?  http://opferberatung-dessau.de/ einfach eine Mail mit Kontaktmöglichkeit schicken oder anrufen ...

Um die Problematik rechter Dominanz und Gewalt auch darstellen zu können ist es enorm wichtig die Fälle auch zusammenzutragen. Weiterhin erfahrt ihr hier natürlich auch entsprechende Unterstützung bei Bedarf. Die Thematisierung neonazistischer Gewalt und Strukturen in der Öffentlichkeit steht und fällt oft auch mit der Zuarbeit und dem Bekanntwerden der Fälle bei den entsprechenden Beratungsprojekten. Jede/r Betroffene bestimmt quasi mit seinem/ihrem Handeln die gesamt Debatte auch mit.

optional könnt ihr euch sicher auch an die Kontaktadressen von  http://infothek-dessau.de oder  http://projektgegenpart.org/ wenden.

Kampf um Aufklärung wird von Polizei gestört

Beobachter 03.01.2010 - 17:07
Der Kampf um Aufklärung im Fall Oury Jalloh wird von der Dessauer Polizei behindert.

Hier ein Beitrag dazu auf Youtube:

 http://www.youtube.com/watch?v=TTvMmkId1Cw


Verhandlung zum Fall Oury Jalloh?!

Radio Corax 03.01.2010 - 17:39
Wird das Verfahren gegen die Dessauer Polizeibeamten zum Tod Oury Jallohs erneut verhandelt?

Mark von der Initiative für die Wiederaufnahme des Verfahrens erzählt von seinen Eindrücken der Verhandlung am Bundesgerichtshof in Karlsruhe - Interview auf:
 http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=31255

Revision im Falle Oury Jalloh's

itchy 09.01.2010 - 00:30
Die Revision wurde am 7. Januar (also am 5 "Jahrestag" von Oury Jalloh's Tod) genehmigt. Damit wurde auch der Freispruch des Hauptangeklagten Bullen aufgehoben und es sollen die "Umstände" des Todes erneut untersucht werden.Vor allem soll untersucht werden, ob "Misshandlungen mit Todesfolge" seitens der Polizei geschah. Der Gerichtsstand wurde nach Magdeburg verlegt was eine größer "Distanz"(wie auch immer gemeint) zum Fall erzielen soll. Fraglich ist zwar wie die Ermittlungen angegangen werden und ob die Verlegeung des Gerichtsstandes etwas nützen wird. Sogar in den bürgerlichen Pressen kam es zu Andeutungen die die "Missstände" der Ermittlungen hinterfragen. Trotzdem wurden durch unkooperiertes Verhalten seitens der Polizei die Ermittlungen schon anfangs stark behindert. Dadurch ist fraglich ob die Neubearbeitung des Falles mehr Ergebnisse bringen wird, jedoch bleibt es spannend da mensch sowieso stark daran zweifelte, dass einer Revision überhaupt zugestimmt wird.

Zeigt Solidarität mit den Angehörigen ÜBERALL.
MACHT DRUCK UND MACHT LÄRM.


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