Zu Verena Becker

Redaktion des Gefangenen Imfos 25.12.2009 12:37 Themen: Repression
Zur Freilassung von Verena Becker
Am 23.12. ist Verena Becker aus dem Knast entlassen worden. Im März soll der Prozess gegen sie beginnen. Wir veröffentlichen einen Artikel aus den n Ausgaben des Gefangenen Info 350 und 351, der die Hintergründe ihrer Festnahme beleuchtet.
Zur Freilassung von Verena Becker
Am 23.12. ist Verena Becker aus dem Knast entlassen worden. Im März soll der Prozess gegen sie beginnen. Wir veröffentlichen einen Artikel aus den n Ausgaben des Gefangenen Info 350 und 351, der die Hintergründe ihrer Festnahme beleuchtet.
Zur Verhaftung von Verena Becker
Am 28. August 2009 wurde sie wegen angeblicher Beteiligung an der Aktion der RAF aus dem Jahre 1977 gegen Buback erneut verhaftet. Dieser Artikel will ein bißchen die Hintergründe beleuchten, die in der herrschenden und teilweise auch in den linken Medien rausfallen.
Verena Becker wurde am 3. Mai 1977 (kurz nach der Erschießung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback am 7. April) zusammen mit Günter Sonnenberg als Mitglied der RAF in Siegen verhaftet. Da sie sich bei der Festnahme mit Waffen wehrten, wurden beide später wegen "mehrfachen Mordversuchs" an Polizeibeamten zu "lebenslänglich" verurteilt.
Die Aktionen der RAF im Jahre 1977 zielten vor allem auf die Befreiung der Gefangenen aus der RAF ab.
Um diesen, in den Medien oft verzerrt dargestellten Sachverhalt, in den entsprechenden Kontext zu stellen, möchten wir im Folgenden zumindest einige Zusammenhänge klarstellen:
Die Haftbedingungen, denen die Gefangenen aus der RAF ausgesetzt waren, werden gerne ausgeblendet. Zum einen, weil sie nicht in das "demokratische" Image der kriegführenden BRD passen, zum anderen, weil sie weiter angewendet werden, wie z. B. gegen türkische Gefangene, die wegen § 129b inhaftiert sind.
Von Anfang an wurden die Gefangenen aus der RAF drakonischen Maßnahmen ausgesetzt, die auch als "weiße Folter" bezeichnet werden, weil sie keine sichtbaren physischen Spuren am Körper hinterlassen. Selbst die UNO hat die Isolationshaft als Folter geächtet. Sie dient der sensorischen Deprivation und sozialen Isolation, die auf das Aushungern der Seh-, Hör-, Riech-, Geschmacks- und Tastorgane zielt und dadurch zu lebensgefährlichen Zuständen führen kann. Diese Sonderhaftbedingungen gehen an keinem der Gefangenen spurlos vorbei, so dass die Betroffenen noch nach Haftende von den Langzeitfolgen betroffen sind.
Die Isolation zielte also auf die Vernichtung dieser Inhaftierten ab. Die Gefangenen aus der RAF versuchten, sich mit kollektiven Hungerstreiks zu wehren und eine Zusammenlegung in Gruppen zu erkämpfen. Diese sollte auch einen besseren Schutz vor Übergriffen bieten. Deshalb hat es insgesamt 10 kollektive Hungerstreiks von Gefangenen aus der RAF gegeben. 9 politische Gefangene haben in den Jahren 1974 bis 1981 den Knast nicht überlebt.
Schon 1977 waren vier Gefangene an den direkten oder indirekten Folgen der Isolationshaft umgekommen:
- Im September 1974 starb Holger Meins bei seinem dritten Hungerstreik nach 8 Wochen infolge der Zwangsernährung.
- Bei der Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm, die der Befreiung der noch überlebenden isolierten Gefangenen dienen sollte, erlitt Siegfried Hausner schwere Verletzungen.
Trotz Warnung der schwedischen Ärzte verfügte die Bundesregierung einen Transport nach Stammheim, wo die Verletzung nicht behandelt werden konnte, so dass Siegfried ihr einige Tage später, im Mai 1975, zwangsläufig erlag.
Katharina Hammerschmidt stirbt 1975 in einem Krankenhaus in Westberlin an einem Tumor. Ihr war in der Untersuchungshaft die rechtzeitige Behandlung verweigert worden.
- Im Frühjahr 1975 begann der Prozess gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe in Stuttgart-Stammheim. Noch vor Prozessende wurde Ulrike Meinhof am 9. Mai 1976 erhängt in ihrer Zelle aufgefunden. Ihr Tod wurde von offizieller Seite als "Selbstmord" dargestellt, obwohl eine eine unabhängige internationale Untersuchungskommision zu einem gegenteiligen Ergebnis kam.
Soweit der Vorlauf bis 1977. Der gesamte Justizapparat, der dem Nationalsozialismus gedient hatte, war nahtlos von der BRD übernommen worden. Auch Siegfried Buback war Mitglied der NSDAP gewesen. In seiner Amtszeit als höchster Ankläger der Republik wurden die Gesetze und die Haftbedingungen verschärft, so dass er für den Tod der ersten vier Gefangenen aus der RAF eine starke Verantwortung trug. Vor diesem Hintergrund versuchten die Illegalen aus der RAF auch, das Gebäude der Bundesanwaltschaft anzugreifen sowie den Vorsitzenden der Dresdner Bank Jürgen Ponto zu entführen und kidnappten schließlich den "Boss der Bosse" Hanns Martin Schleyer.
Bei der Verhaftung von Verena Becker und Günter Sonnenberg wurde letzterer lebensgefährlich am Kopf verletzt und dadurch in den Stand eines Kleinkindes zurückgeworfen. Unter Knastbedingungen musste er elementare Dinge wie Schreiben und Lesen wieder erlernen. Bedingt durch die Hirnverletzung litt er unter epileptischen Anfällen. Trotz seiner Verhandlungsunfähigkeit wurde er am 26.4. 1978 zu "lebenslänglich" verurteilt und trotz seiner Haftunfähigkeitweiter insgesamt 15 Jahre eingesperrt.
Der damalige Ankläger, Bundesanwalt Lampe, hatte sich für "Isolation bis zur Vergasung" ausgesprochen. Über 30 Jahre später gab er zu, dass auf Grund seines Gesundheitszustandes gegen Günter damals nur 2 - 3 Stunden am Stück verhandelt werden konnte.
VerenaBecker war seit Anfang der achtziger Jahre nicht mehr Mitglied des Kollektivs der Gefangenen aus der RAF. 1989 wurde sie dann von dem damaligen Bundespräsidenten begnadigt.
Am 28. August 2009 wurde sie wegen angeblicher Beteiligung an der Aktion gegen Buback erneut verhaftet.
Die Verhaftung wurde von den Medien geradezu herbeigeschrieben, womit sie ihrer Rolle als Fahndungs- und Polizeiblätter mal wieder gerecht wurden. Die Bild spürte Verena Becker auf und fotografierte sie samt ihrem Wohnort. Focus schrieb noch in der Woche vor ihrer Verhaftung: "Wann packt sie aus...? Aus Angst vor einer erneuten Verurteilung [könnte sie] ihr Wissen über den Buback-Mord preisgeben […] schon damals galt sie als haftempfindlich".
Damit wird zugeben, dass sie wahrscheinlich auf Grund der harten Haftbedingungen Anfang der achtziger Jahre das Gefangenenkollektiv verließ. Gleichzeitig werden mit Hilfe des Kronzeugen Book weitere Festnahmen gefordert, wie in Bild vom 1.9.2009: "Wird jetzt auch Stefan Wiesniewski verhaftet?" Präsentiert wird ein aktuelles Foto samt Film, der Stefan Wiesniewski beim Einkaufen zeigt, der ins Netz gestellt wurde. Es werden aber noch weitere Namen für Festnahmen präsentiert von ehemaligen Militanten aus der Guerilla, die alle 15 Jahre und länger hinter Gittern waren.
Obwohl sich die RAF 1998 aufgelöst hat, ist es Konsens bei vielen ehemaligen Gefangenen aus der RAF, nichts zu sagen, d. h. dazu zu schweigen, wer an Aktionen beteiligt war und wie. So fremd ist dieses Verhalten auch für die heutige Linke nicht, denn auch "Anna und Arthur halten das Maul" gegenüber Polizei und Justiz. In Stasiakten soll stehen, dass Verena Becker schon Anfang der siebziger Jahre mit westdeutschen Geheimdiensten zusammengearbeitet haben soll. Viele Medien stürzten sich auf diese Meldung, um zu unterstellen, dass die RAF von diversen Geheimdiensten unterwandert war. Was bedeuten würde, dass sie keine authentische Bewegung gewesen ist, sondern nur ein Spielball staatlicher Mächte. In diesem Sinne äußern sich jedenfalls Regina Igel und Markus Klöckner in der Jungen Welt oder Christoph Villinger in der Jungle World. In der Jungen Welt gibt es neben auch vielen guten justizkritischen Artikeln aber leider häufig auch verschwörungstheoretische, die alles, was links von ihrer Linie ist, diffamieren. So wurde ein Artikel, der z. B. G. Feldbauers Hypothese, die Roten Brigaden seien von diversen Geheimdiensten unterwandert, widersprach, nicht abgedruckt. Dabei handelt es sich um ein Interview von Maurizio Ferrai, der in den siebziger Jahren in den Roten Brigaden organisiert war, was in unserem Gefangenen Info Nr. 340 abgedruckt wurde. Neben Desinformation zu linken und militanten Bewegungen können solche JournalistInnen auch ganz gut von solchen Verschwörungstheorien leben.
Einige Linke fragen, warum nach 32 Jahren immer noch ein staatlicher Verurteilungswille besteht. Die Gazetten äußern sich dementsprechend, z. B. das Hamburger Abendblatt: "Nach 32 Jahren soll sie büßen" oder die FAZ: "Nicht erledigt". Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Die Klassenjustiz hat noch nach über 50 Jahren z.B. Erich Mielke wegen einer "Polizistenerschießung" festgenommen. Sie können die politische Dimension aus solchen Fällen herausfiltern, mit der Begründung, "Mord" verjähre nie. Verfolgung findet natürlich nur bei Aktionen gegen die bestehende Ordnung statt.
Die Angriffe der RAF stellten das staatliche Gewaltmonopol für die Bourgeosie in Frage. Viele Menschen aus linken Zusammenhängen identifizierten sich mit der RAF, wie eine unveröffentlichte Umfrage aus dem Jahre 1972 zeigte. Nach (offiziellen) Meinungsumfragen erklärten fast 20 Prozent der Erwachsenen, sie würden strafrechtliche Verfolgung in Kauf nehmen, um einen aus der RAF für eine Nacht bei sich zu verstecken. 1973 ergab eine Schülerumfrage, dass 15 Prozent der Schüler sich mit den Aktionen der RAF identifizieren.
Selbst noch nach der Erschießung von Buback freuten sich viele Linke nicht nur klammheimlich, wie die Jungle World am 3.9.2009 berichtete: "In einem Jugendheim in der schwäbischen Provinz floss Freibier."
Einige Linke reduzieren die RAF auf militärische Aktionen, was aber einfach nicht stimmt. Denn die RAF verkörperte für viele damals so etwas wie Befreiung, was nicht heißt, dass alle ihre Mittel gebilligt wurden, aber durch ihre Konsequenz und ihren Mut verkörperten sie Aufrichtigkeit und damit Anziehungskraft. Oder wie es Christoph Villinger in dem schon erwähnten widersprüchlichen Artikel in der Jungle World beschreibt: "Im kollektiven Gedächtnis der BRD haftet dieser rebellische Moment der RAF bis heute. Wer kennt die Politiker von 1977? Fast alle Jugendlichen aber kennen Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Gudrun Ensslin."
Dies ist auch heute spürbar, wenn bedauert wird, dass es die RAF nicht mehr gibt.
Redaktion
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Ergänzungen

Haftbedingungen der RAF Gefangenen

pjotr 25.12.2009 - 14:07
Brief von Ulrike Meinhof aus dem Toten Trakt
 http://www.scribd.com/doc/23333482/Brief-von-Ulrike-Meinhof-aus-dem-Toten-Trakt

Der Kopf fängt an zu dröhnen - Beschreibung einer Zwangsernährung von Karl-Heinz Dellwo
 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14326611.html

Widerspruch

Roland Ionas Bialke 26.12.2009 - 04:32
"(...) ist es Konsens bei vielen ehemaligen Gefangenen aus der RAF (...)"

Da ist sich der Autor oder die Autorin aber unsicher.

Dass ein Konsens über Aussageverweigerung überhaupt nicht bestehen kann, nach so einer langen Zeit, sollte jeden und jeder klar sein. Mag sein, dass die meisten nicht direkt mit der Polizei reden, aber wie konnten Wir so viel über die RAF erfahren, wenn es keine Publikationen von ehemaligen Gefangenen gegeben hätte. Die indirekte Aussage ist eine Aussage - Und das ist nicht einmal böse gemeint. Um eine Bewegung in Gang zu kriegen bedarf es solcher Publikationen und ehemaliger Aktivisten und Aktivistinnen, die etwas von ihrem Kampf erzählen. Es ist notwendig die Erfahrung an unerfahrene Menschen weiterzugeben.

Erklärung 16.10.1993

authentisch 26.12.2009 - 09:54
für die vielen, die die widersprüche zwischen gefangenen für abgehobene ideologische schlachten halten, seien hier ein paar informationen vorangestellt. daß die genannte sicht sich verbreitet, dafür sprechen reaktionen aus den letzten tagen, worin der ton angeschlagen wird: eigentlich wollen doch alle weiterhin das gleiche.seit mai dieses jahr versucht sich karl- heinz dellwo bzw. die celler gefangenen in der abwicklung der gefangenen und gleich auch der illegalen mit. in bezug auf die letzteren seit ihrer verhaftung mit der zustimmung von birgit hogefeld. alle anderen gefangenen haben erst vor wenigen wochen das erste mal von dieser sache erfahren. eine mittelsperson ist von dellwo zu mercedes-benz-reuter und zu ignaz bubis geschickt worden, die vorschläge für einen deal zu schnarrenberger, kohl und schäuble tragen sollten und das auch getan haben. eine "gesamtlösung" wird vorgeschlagen, die so aussehen soll: für die illegalen zugestandenes exil oder kurzer knast und anschließende legalisierung - zuvor solle jedoch geklärt sein, was aus den gefangenen werde. die "verhandlungslinie" entwirft dellwo, indem er sich staatliche ordnungssorge aufsetzt und die vorzüge einer "repolitisierung des staatsverhältnisses" ausmalt. die rolle stärkster initiative für die "gesamtlösung" wird bei den deutschen wirtschaftseliten vermutet und erwartungsvoll beschworen. kohl wird das angebot angedient, daß dieser so doch vor den nächsten wahlen als derjenige glänzen könnte, der "das problem" erfolgreich beendet hätte.dies ist also die sache zusammengefaßt. so weit, so gute operette.ich meine, auch übertragen in das licht der häuser, wo das menschenglück in chips und spielkarten ausgegeben wird, wäre das die trennung. an den tischen sitzt ein staatsschutzapparat, dessen niveau repressiver wissenschaften höher entwickelt ist als das niveau politischen bewußtseins der gegenübersitzenden. sie schätzen ja zumindest in bezug auf die ein, die heute draußen als raf agieren, daß ihre ideologische selbstentwaffnung ihnen absehbar den strategischen atem rauben wird, der für den revolutionären krieg existentiell ist.

Geheimdienstliche Unterwanderung

nicht vorhanden 26.12.2009 - 11:34
Weil es keine nennenswerten Verbindungen zwischen Becker und deutschem Inlandsgeheimdienst gibt liegen ja auch alle Akten zu den Kontakten Becker-VS schon quasi seit immer offen. Nee is klar.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Quelle — JolliJumper