Demo gegen Räumungen in Sheikh Jarrah

corina und wulf 20.12.2009 21:01 Themen: Repression Weltweit
Am Freitag, den 18.12. lief eine Demo von West-Jerusalem in den arabisch bewohnten Stadtteil Sheikh Jarrah im Osten der Stadt, um gegen die Räumungen palästinensischer Familien zu protestieren. Die Polizei nahm ca. 30 Leute fest, die ihrerseits keinerlei Gewalt ausgeübt hatten. Am Abend griffen dann rechte Israelis palästinensische Wohnhäuser in Sheikh Jarrah an, was von der Polizei nicht verhindert wurde. Im Folgenden wollen wir über das Geschehene berichten und versuchen es einzuordnen.
Zunächst mal zu uns, wir wohnen beide für ein halbes Jahr in Jerusalem, bzw. Ramallah und haben Kontakte zu Leuten aus dem linken bis linksradikalen Spektrum, den totalen Einblick und Überblick haben wir aber nicht, daher wird es in diesem Text auch einige Leerstellen geben, die andere gern füllen dürfen. Wir sehen Israel als einen wichtigen und nötigen Schutzraum gegen antisemitische Gewalt für Jüdinnen und Juden an, den es zu erhalten gilt. Gleichzeitig lehnen wir aber die israelische Siedlungspolitik in der Westbank und Ost Jerusalem sowie vieles andere, was dieser Staat tut, ab. Dass Israel im Verhalten gegenüber den PalästinenserInnen keine demokratischen Standards einhält, war uns klar. Wir waren allerdings davon überzeugt, dass Israel nach innen, gegenüber seiner jüdischen Bevölkerung rechtsstaatlich agiert.

Die Kontroverse um Sheikh Jarrah
Sheikh Jarrah ist ein hauptsächlich von AraberInnen bewohntes Viertel im Osten Jerusalems, es liegt hinter der Grünen Linie. Bis zum arabisch-israelischen Krieg 1948 war das Viertel auch von Jüdinnen und Juden bewohnt. Diese wurden vertrieben oder flohen, ein Schicksal das auch vielen PalästinenserInnen aus West-Jerusalem und dem heutigen Israel widerfuhr. Schon seit Jahren erheben einige israelische Personen und Organisationen Besitzansprüche auf bestimmte Häuser in Sheikh Jarrah. Der Rechtsstreit ist kompliziert, beide Seiten wedeln da mit jordanischen, bzw. osmanischen Besitztiteln umher, die palästinensische Seite behauptet, die jüdischen Bewohner hätten vor 1948 nur zur Miete in Sheikh Jarrah gewohnt. Israelische Gerichte befanden jedenfalls, dass die arabischen Bewohner aus den Häusern auszuziehen haben. Wir fühlen uns nicht dazu berufen, zu sagen wer im Recht ist. Zu bemerken ist aber, dass israelische Siedlerorganisationen, und um solche handelt es sich hier, in anderen Fällen keine Skrupel hatten illegale Methoden des Landerwerbs anzuwenden. Außerdem mögen die israelischen Gerichte unabhängige Instanzen sein, objektive Urteile bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Israelis und Palästinensern sind von ihnen aber nicht zu erwarten. Ein Beispiel dafür sind phasenweise täglich stattfindende gewalttätige Übergriffe von Siedlern gegenüber PalästinenserInnen in Ost-Jerusalem, die meistens mit der Verhaftung einiger Palästinenser enden.
Der ganze Streit schwebt zudem nicht im luftleeren Raum, sondern ist in Bemühungen von israelischer Seite eingebunden, ganz Jerusalem zur israelischen Hauptstadt zu machen und israelisch zu besiedeln. Den gleichen Zweck haben die großen israelischen Siedlungsblöcke, die Ost-Jerusalem von der Westbank trennen und aus dem gleichen Grund werden PalästinenserInnen in Ost-Jerusalem nur sehr selten Baugenehmigungen erteilt. Sollte es Israel gelingen, die PalästinenserInnen aus Jerusalem zu verdrängen, wäre die Zwei-Staaten-Lösung, laut der Jerusalem Hauptstadt für Israelis und Palästinenser sein soll, endgültig gescheitert.
Seit August 2009 wurden einzelne äuser in Sheikh Jarrah geräumt, umgehend zogen jedes Mal Siederfamilien ein. Die Familie al-Kurd, deren Haus geräumt wurde, entschloss sich dazu, nicht nachzugeben und errichtete eine Art Protestcamp auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig, welches trotz mehrfacher Übergriffe von Soldaten und Siedlern weiter besteht. Die Situation ist angespannt, denn in Sheikh Jarrah wohnt man meist Wand an Wand, so auch die neu eingezogenen Siedler mit ihren palästinensischen Nachbarn.

Das Vorspiel letzte Woche
Seit über einem Monat gibt es nun eine wöchentlich stattfindende Demonstration linker Israelis und einiger Internationals von West-Jerusalem nach Sheikh Jarrah, bis vor das Haus der Familie al-Kurd. Wir selber hatten bis zum letzten Freitag an zwei dieser Demonstrationen teilgenommen. Beide Male waren unter hundert Menschen mitgelaufen, von denen keinerlei Aggression ausging.
Am vorletzten Freitag, dem 11.12., wurde die Demo von der Polizei angegriffen und unter massivem Einsatz von Tränengas aufgelöst. Dabei wurden 21 Menschen verhaftet. Begründung war, DemoteilnehmerInnen hätten versucht, sich Zugang zum von Siedlern bewohnten Gebäude zu verschaffen. Leute, die an der Demo teilgenommen haben und denen wir vertrauen berichteten uns, dass eine Person lediglich auf das Dach des Hauses gestiegen war, um eine der zahlreichen Israel Fahnen zu entwenden. Lediglich nach dem Angriff der Polizei kam es zu vereinzelten Steinwürfen. Die Vermutung liegt nahe, dass der Polizei, bzw. ihren Dienstherren und -Damen diese Demos ein Dorn im Auge sind. Unter den Verhafteten waren nicht so sehr diejenigen, die sich tatsächlich gegen den Angriff der Polizei gewehrt hatten, sondern vor allem bürgerliche DemonstrationsteilnehmerInnen. Offenbar wollte man sowohl mit der Eskalation als auch mit den willkürlichen Verhaftungen bürgerliche Menschen abschrecken, auf die Demo zu kommen.

Die Demo
Diese Strategie ging allerdings nicht auf. Den bisherigen OrganisatorInnen der Demo gelang es größere Organisationen der israelischen Linken wie Peace Now und die Meretz Partei ins Boot zu holen und so erhöhte sich am 18.12. die Teilnehmerzahl auf 250-300. Im Vorfeld hatte man sich unter den teilnehmenden Gruppen auf absolute Gewaltfreiheit geeinigt. Offenbar gab es aber nicht genügend Koordination und auch einige Konflikte unter den Gruppen, jedenfalls zogen mehrere Demozüge nach Sheikh Jarrah. In unseren Demozug, der sich hauptsächlich aus Menschen zusammensetzte, die bereits an den vorherigen Demos teilgenommen hatte, drangen bereits auf halbem Weg nach Sheikh Jarrah sechs Polizisten und Soldaten ein und nahmen die Trommler und einige andere fest, die sie richtigerweise für OrganisatorInnen oder treibende Kräfte hielten. Dieser Übergriff kam überraschend und sehr schnell, aber auch andernfalls hätte es wohl keine ernsthafte Gegenwehr gegeben. Dazu muss erwähnt werden, dass diese Menschen sich nichts zu schulden kommen lassen hatten und auch äßserlich eher hippiesk als gewaltbereit wirkten. Die Demo lief sogar auf Gehwegen statt auf der Straße.
Wir zogen dennoch weiter nach Sheikh Jarrah und stießen dort auf die anderen Züge. Die Polizei versperrte zunächst den Eingang zur Straße, in der die von Siedlern bewohnten Häuser stehen, über Umwege konnte man sie aber dennoch leicht erreichen. Die Leute versammelten sich vor dem Haus und fingen an Parolen zu rufen. Auffällig war, dass im Vergleich zu den Vorwochen mehr Menschen jenseits der 35 und nur sehr wenige Palästinenser teilnahmen.
Nach einiger Zeit sagte die Polizei durch, dass sie bald räumen würde, die Begründung haben wir nicht verstanden, weil sie auf Hebräisch war. In der Folge begann die Polizei damit, einzelne Personen zu verhaften, die in irgendeiner Weise auffällig waren, so traf es vor allem die Clowns, Trommler, sowie diejenigen, die sich auf den Boden setzten und sich gegenseitig einhakten. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wurden immer diejenigen rausgegriffen, die Parolen anstimmten. Die Demo und die Verhafteten wehrten sich nur passiv durch gegenseitiges Festhalten, klammern, etc. Dafür wurden jedesmal wenn jemand rausgezogen wurde unheimlich viele Kameras gezückt. Nach einiger Zeit hatte die Polizei anscheinend ihrem Ermessen nach genügend Festnahmen zu verzeichnen, es wurden nämlich keine Leute mehr mitgenommen, obwohl immer noch Parolen gerufen wurden und die Leute auch vor dem Haus blieben. Gegen 16.30 Uhr entschied sich die Demo zu dem Gefängnis zu ziehen, in dem die Leute festgehalten wurden.
Am nächsten Tag konnte man dann der Presse entnehmen, dass es abends in Sheikh Jarrah zu Ausschreitungen gekommen war. Siedler hatten Häuser mit Steinen beworfen und drei Menschen verletzt. Von einem Polizeieinsatz war dabei nicht die Rede.

Und jetzt?
Israel feiert sich selbst gern als einzige Demokratie des Nahen Ostens. Wir halten eine bürgerliche Demokratie zwar nicht für das Nonplusultra, aber wir wollen an dieser Stelle den Staat an seinem eigenen Maßstab messen. Den Demonstrierenden wurde ihr Demonstrationsrecht genommen (im Falle der Festgenommenen), bzw. es wurde stark eingeschränkt (bei den anderen). Die Aktionen der Polizei waren zumindest teilweise geplant, bei der letzten Demo konnte man das vor allem bei der Festnahme der ersten Gruppe von Drummern sehen. Die Polizisten und Soldaten wussten genau, wen sie haben wollten. Das Kalkül war vermutlich auch, dass sich die verbliebene Gruppe auflösen würde. Es wurde also bewusst das Recht gebrochen. Wir wissen leider nicht, ob es Planungen gibt, juristisch dagegen vorzugehen, in Israel ist es aber generell noch schwerer als zum Beispiel in Deutschland die Polizei und staatliche Instanzen im Allgemeinen zu belangen.
Ansonsten kann man ganz klar die Anwendung von Doppelstandards feststellen, wenn gegen eine friedliche linke Demo derartig vorgegangen wird und die Polizei später nicht willens oder in der Lage ist, Steinwürfe von Siedlern auf bewohnte Häuser zu unterbinden.
Dieser Vorfall macht Israel noch nicht zur Diktatur. Wohlgemerkt sprechen wir hier nur über das Verhalten Israels gegenüber seinen jüdischen Bürgern, was sich in der Westbank und in Ost-Jerusalem abspielt hat mit rechtsstaatlichen Institutionen und Prozedere ohnehin nicht viel zu tun. Wenn nun aber auch jüdischen Bürgern Rechte strittig gemacht werden und diese keine reale legale Möglichkeit haben sich dagegen zur Wehr zu setzen, ist das bedenklich für Israel selbst. Wir wissen natürlich nicht, ob die Polizei und Soldaten Befehlen von weiter oben gehorcht haben oder ob nur ein Kommandeur auf unterer Ebene wild geworden ist. Zu hoffen wäre letzteres, die Leute von der Demo halten ersteres für wahrscheinlicher, da bei der Demo am 11.12. Spezialeinheiten eingesetzt wurden, die es sonst bei Demos dieses Ausmaßes nicht gibt.
Man kann sich fragen, welches Kalkül der Polizeitaktik zugrunde liegt. Man will offenbar verhindern, dass sich diese Demos auf Dauer etablieren, bzw. dass sie das linksliberale Spektrum erreichen. Das ist bisher nicht gelungen, die Teilnehmerzahl ist gestiegen, es bleibt abzuwarten wie sie sich kommenden Freitag entwickelt.
Anzumerken bleibt, dass es wohl keine gute Idee wäre Gewalt anzuwenden, auch wenn das Verhalten der Polizisten und Soldaten durchaus dazu verleitet. Wegen des ungleichen Kräfteverhältnisses wäre da nicht viel zu holen und außerdem würde das die Demonstrierenden vollständig isolieren. Letztlich würde man damit auch genau das tun, was Polizei und Armee wollen. Wir fanden es aber schon ein wenig seltsam, dass bei den Verhaftungen so wenig Solidarität gezeigt wurde. Ein paar Kameras weniger und ein paar mehr Körper, die schützend vor den zur Verhaftung Auserkorenen stehen, wären schon sinnvoll gewesen. Weitere weise Ratschläge an die Demonstrierenden verkneifen wir uns an dieser Stelle als mehr oder weniger Außenstehende mal.
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Ergänzungen

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Videos von der Demo — kkkkkkkkkkkkkkkk