[Kopenhagen] Reclaim Power - Brutality as Usual

Fiona Krakenbürger 18.12.2009 17:32 Themen: Globalisierung Ökologie
Am Mittwoch wurde eine friedliche Demonstration, die auf eine People's Assembly abzielte erneut gewaltsam gestoppt. Trotz des durchgesetzten Konsens der verschiedenen Aktivisten, keinerlei Gewalt anzuwenden, wurde von der dänischen Polizei auf Tränengas, Pfefferspray und Knüppel, statt auf Deeskalation gesetzt.
Es hat nicht lange gedauert, bis die ersten Videos vom Mittwoch bei Youtube hochgeladen wurden und im weltweiten Netz kursierten. Auf den schockierenden Videos ist deutlich zu sehen, dass die Übergriffe der Polizei unverhältnismäßig brutal waren im Anbetracht der Protestierenden, die keinerlei Gewalt anwendeten. Aber auf die Frage, ob hier Videos oder Fotos geeigneter sind, um die Ungerechtigkeit aufzuzeigen, würde ich trotzdem antworten, dass die Fotos wichtiger sind. Es ist die Qualität des Bildes aber auch das Festhalten von Mimik in den entscheidenden Momenten.
Ich war als Fotografin für den Aktionskalender  http://bewegung.taz.de der tageszeitung in Kopenhagen unterwegs. Ich hatte auch darauf gehofft, einige Bilder an die taz weitergeben zu können, aber schon nach der Großdemo am Samstag wurde mir klar, dass Exklusivität zweitrangig ist, was zählt, ist die Verhältnisse für die Öffentlichkeit festzuhalten und sichtbar zu machen. Auf den Fotos die hier angehangen sind, sind die Aktivisten zu sehen, die keinesfalls dem bequemen, gängigen Schema des schwarzgekleideten, aggresiven Linken entsprechen. Es sind Menschen wie du und ich, die versuchen, ein gerechtes Klimaabkommen für die Welt herbeizuführen.
Die Reclaim Power Demo am Mittwoch war aufgeteilt in verschiedene Blocks. Der Blaue Block lief eine genehmigte Route entlang, während der grüne Block eigene Wege gehen wollte, um in Bezugsgruppen auf das Gelände des Bella Centers zu gelangen. Der Autonomen-, und der Fahrradblock waren ebenfalls selbstständig organisiert. Diese Informationen waren der Polizei frei zugänglich, ebenso wie das Vorhaben, auf das Gelände des Bella Centers zu gelangen, ohne in das Gebäude eindringen zu wollen. Das Ziel war, sich mit Leuten aus dem Bella Center gemeinsam zu einer People's Assembly zusammenzufinden. Vor allem war bekannt, dass sich die Beteiligten darauf geeinigt hatten, lediglich Zivilen Ungehorsam einzusetzen, um das zu erreichen, und dass keinerlei Gewalt von der Demo ausgehen sollte. Aber welche Rolle spielt schon Vertrauen in einem Präventivstaat?
Am Mittwochmorgen allerdings ist die Teilnehmerzahl des Grünen Blocks derart gering, dass sogar einige Bezugsgruppen den Treffpunkt verlassen. Manche vermuten, dass das daran lag, dass Ragnhildsgade, eine Massenunterkunft und Treffpunkt, in der vorigen Nacht von der Polizei gestürmt wurde, was viele erst an diesem Morgen erfuhren. Der blaue Block hatte sich bereits an einem anderen Treffpunkt gesammelt. Trotzdessen wird ein Versuch gestartet, über ein großes Feld der Polizei zu entkommen. Viele durchbrechen auch die erste Blockade, manche werden niedergeknüppelt, der Rest wird aber nach ein paar Hundert Metern geschnappt. Ich werde aufgehalten und mit anderen eingekesselt. Eine Frau weint laut und versucht rauszukommen. Ich frage sie, ob alles ok ist. Sie war nur aus Versehem in den Kessel geraten und hatte wahnsinnige Angst verhaftet zu werden. Die Polizisten lassen sie allerdings nicht heraus. Ich versuche, die Frau zu trösten und ihr gut zuzureden, wir umarmen sie und machen ihr klar, dass sie nichts zu befrüchten hat, da die meisten im Kessel Presseleute sind. „No, nothing is ok, they will arrest us!“ Aber wir sollten Recht behalten. Wir werden in Richtung Bahnhof entlassen, wo ich keineswegs hinwill. Stattdessen laufe ich zum Ende des Feldes, wo sich mir das bekannte Bild bietet: Um die 50 Demonstranten sitzen mit Kabelbindern gefesselt hintereinander im Matsch und werden nacheinander abgeführt.
Ich schließe mich also dem blauen Block an, der geordnet und durch Menschenketten geschützt die Route zum Bella Center entlangläuf. Am Ziel angekommen gibt es lediglich einen Zaun mit Polizei und Hunden dahinter und davor, der die Demonstranten vom Gelände trennt. Die Demonstranten versuchen, den Zaun zu überwinden, was anfangs durchaus möglich schien. Man kann sich kaum vorstellen, dass die Polizei eine derart große Menschenmenge aufhalten kann. Die Protestanten dringen immer weiter vor, bis an einem Punkt scheinbar ein Schalter umgelegt wirde, und die Polizei anfängt, mit Tränengas und Knüppeln gegen die Leute vorzugehen. Der nächste Pulk Menschen, den es zu beseitigen gilt, versucht, den Lautsprecherwagen zu beschützen. Von diesem erfahren wir, dass den Delegierten und Politikern vom Cop15, die sich uns anschließen wollten, mit Verhaftung gedroht wurde, sollten sie sich anschließen. Ein Aufschrei der Empörung ist die Antwort. Wir sind fassungslos. Ich hake mich in der ersten Reihe unter. Erst stehen PolizistInnen in Gelb vor uns, und versuchen uns wegzudrücken. Die Sprecherin auf dem Wagen ruft dazu auf, beieinander zu bleiben und aufeinander Acht zu geben. Als die gelben Polizisten von schwarz gekleideten abgelöst werden, ist allerdings klar – In wenigen Momenten werden die Polizisten uns gewaltsam entfernen. Ein Mann hinter mir tauscht noch schnell die Position mit mir. Dann zücken die Polizisten die Knüppel und schlagen auf uns ein. Es gibt viel Geschrei und keinen Ausweg, da die Polizei von allen Seiten zu kommen scheint. Ich versuche nur meinen Kopf zu schützen und erleide lediglich einige Schläge an den Armen, bevor ich mich aus der Menge lösen kann und anfange, Fotos von den verängstigten Demonstranten zu schießen. Ein Mann umarmt seine Freundin und ruft „You get out of here!“, sie schüttelt den Kopf. Ein anderer Mann schützt die Anderen vor den Schlägen, indem er der Polizei seinen Rücken zuwendet und jede Menge Prügel einsteckt. Es ist Krieg. Neben mir weint eine Frau und schreit, während sie filmt: „I can't believe this is happening!“ . Was sich für manche nach Voyeurismus, Katastrophentourismus und völlig makaber anhört, ist ein Knochenjob. Wir nehmen weiterhin auf, weil uns klar ist, dass das was da gerade passiert dokumentiert werden muss.
Wir werden alle mit den restlichen Demonstranten eingekesselt. Kurz darauf beginnt die Polizei uns nach hinten zu drängen. Die Leute um mich herum sind in Panik, weil sie keinen Platz zum Flüchten haben. Dicht neben meinem Kopf höre ich ein Mädchen schwer atmen, sie ruft: „I can't breathe, I'm scared!“. Ich rufe, dass die Polizisten sie rauslassen sollen, die schubsen allerdings weiter. Irgendwann tut sich der Block ein wenig auf und wir können wieder aufatmen. Mittlerweile trennen 6 Polizeiwagen und zwei Polizeiketten die Demonstranten vom Zaun. Jemand, der auf einen Mast geklettert ist, ruft, dass eine Gruppe von Leuten aus dem Bella Center auf dem Weg zum Zaun ist. Diese sollten allerdings nie zu uns vordringen.
Wir berufen eine spontane people's assembly ein, zu der sich ca. 200 Demonstranten auf die Straße setzen. Der Anblick der Menschen ist schockierend. Nicht wenige haben gequollene Gesichter und weiße Spuren laufen aus ihren Augen. Spuren von Pfefferspray. Einige waschen noch immer ihre Augen aus.
Die Stimmung ist trotz des desaströsen Ausgangs gut. Die Sambatruppe spielt weiter, einige tanzen, die Clowns machen sich über die Polizisten lustig und rufen „Love, Peace and Sex!“. Nach einiger Zeit löst sich der Kessel auf, manche können durchs Gestrüpp zum Bahnhof laufen. Ich schließ mich einigen Freunden an. Der Weg wird von Polizisten begleitet. Einer läuft mir hinterher und ruft „Hey, what's with your girlfriend?“. Ich bin verwirrt, und denke er macht sich über mich lustig. „The woman with the camera? Your girlfriend. Is she ok?“ Er meint die Reporterin am Morgen, die aus Versehen in den Kessel gelangt war. „She wasn't my girlfriend. I didn't know her. I was just trying to comfort her.“. Er schaut mich an. „Well...wow that was friendly!“ . Ich laufe weiter und rufe „Yes, we are friendly“.
Ja, denke ich. Ja, wir sind freundlich. Wir sind gute Menschen, die für eine gute Sache kämpfen. Wir sind friedlich, das versuchen wir euch die ganze Zeit klar zu machen. Wieso prügelt ihr dann auf uns ein?
Es wurden an dem Tag insgesamt etwa 200 Menschen verhaftet. Insgesamt wurden fast 2000 in Gewahrsam genommen, einige sind noch immer in Gefangenschaft. Die Opferzahl des gescheiterten Gipfels wird global allerdings weiter steigen. Pfefferspray und Schlagstöcke als Instrumente der Respression werden bald abgelöst von Hunger, Naturkatastrophen und Klimakriegen. Der Klimagipfel war ein Armutszeugnis der dänischen Exekutive im Kleinen, und der international Staatsoberhäupter im Großen.
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Ergänzungen

Gewalt in der Klimabewegung

Fiona Krakenbürger 23.12.2009 - 22:30
Hallo und danke für eure Kommentare.

Erstmal - eure Meinung kann ich nachvollziehen. Die Frage nach Gewaltanwendung wurde nicht selten auf den Vernetzungstreffen gestellt. Ich persönlich halte Gewalt nie für eine Lösung, auf lange Sicht gesehen. Andererseits ist es natürlich rational gesehen manchmal auch gerechtfertigt, wenn es um teilweise verfassungswidrige Dinge geht und in diesem Fall um die Klimafrage, die das nackte Überleben bestimmt.
Ich muss aber klarstellen, dass ich zum ersten Mal derart intensiv bei einer Demonstration mit Gewalt seitens der Polizei dabei war, und selber wahnsinnig verängstigt war, als ich die Fotos gemacht habe. Auch wenn ihr für euch persönlich feststellen könnt, dass ihr in der Lage seid, über zivilen Ungehorsam oder über reine Meinungsbekundung hinauszugehen, heißt das nicht, dass ein Gros der Gesellschaft dazu in der Lage ist. Ich selber war es auch nicht. Wenn einE PolizistIn mit gezückten Schlagstock vor einem steht, hat man natürlicherweise Angst. Hatte ich auch. Und ich bin weiterhin gegen Gewalt, weil es meiner Meinung nach immer in irgendeiner Form auf einen zurückfällt.
Darüber hinaus muss die Klimabewegung neue Wege finden, um auf dieses wichtige Thema aufmerksam zu machen. Das ist zum großen Teil schon geschehen, aber in der KLimafrage ist eine breite Unterstützung innerhalb der Gesellschaft ganz essentiell, denn nur durch die ökologische Alphabetisierung der Menschen kann auch von ihnen etwas ausgehen. Allerdings erreicht man das doch nicht, wenn man mit Gewalt und aggressiv zur Eskalation beiträgt. Ich glaube eher, dass die Aktivisten international an Ansehen gewonnen haben, eben durch ihr friedliches Verhalten und die trotzdessen gut organisierten Strukturen. Und durch den Kontrast zu den gewalttätigen Polizisten und dem chaotischen Gipfel haben sie viel an Ansehen gewonnen.
Ich denke, eine Revolution und eine Veränderung muss von einer informierten, organisierten und gut vernetzten Bevölkerung ausgehen. Und hoffe, dass Kopenhagen im Nachhinein dazu beiträgt.

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