Zum Angriff auf Berlusconi in Mailand

Contropiano + ROSSO 15.12.2009 01:42 Themen: Antifa Medien Weltweit
Italiens bürgerliche Presse kennt an diesem Montag, den 14.Dezember 2009, innenpolitisch nur ein Thema: den Angriff auf ihren Regierungschef. Kurz nach Abschluss einer Wahlveranstaltung seiner Rechtspartei Popolo della Libertà („Volk der Freiheit“ - PdL) warf am Sonntagnachmittag der unmittelbar danach festgenommene 42jährige, politisch unorganisierte Massimo Tartaglia ein recht massives Souvenir des Mailänder Doms auf den Cavaliere, als dieser auf dem Weg zu seiner Limousine noch schnell ein Paar Hände schüttelte und Anhängern Autogramme gab. Das bekannte überhebliche Siegergrinsen verschwand jedoch abrupt, denn Tartaglia landete buchstäblich einen Volltreffer.
Die Diagnose lautet auf Nasenbeinbruch, Verlust von zwei Zähnen des Oberkiefers, starke Kopfschmerzen und mehrere tiefe Risswunden im Gesicht, die wahrscheinlich auch eine Folge des aus Imagegründen erfolgten Liftings sind. Laut seinem Leibarzt Alberto Zangrillo soll der Medienmagnat, der vor den Kameras gern als Napoleon oder Revolverheld posiert, gar „einen halben Liter Blut verloren“ haben. Das dürfte maßlos übertrieben sein, dennoch muss Berlusconi mindestens noch bis Mittwochmorgen im Krankenhaus San Raffele bleiben, wo er die Konsultationen diverser Spitzenpolitiker (inklusive des Chefs der mitte-linken Demokratischen Partei Pierluigi Bersani) empfängt. Die Öffentlichkeit versucht Berlusconi derweil mit den Worten einzulullen: „Ich will allen nur Gutes, ich will allen nur Gutes. Ich verstehe nicht, warum sie mich so hassen.“ Gleichzeitig droht das „arme Opfer“ allerdings: „Ich mache weiter!“

Der „Attentäter“ Massimo Tartaglia erklärte währenddessen, er habe „aus politischen Motiven gehandelt, weil ich seine Politik hasse“ und wehrte sich damit gegen den Versuch, ihn für verrückt zu erklären, da er angeblich „bereits seit zehn Jahren psychische Probleme hat“, wie die Medien fast unisono verkünden.

Ins Absurde reicht die Dramatisierung des Geschehens. So schreckte Innenminister Roberto Maroni von der rechtsradikalen Lega Nord nicht vor der Behauptung zurück, hier habe es sich quasi um einen Mordanschlag gehandelt: „Gestern lief Berlusconi Gefahr schwer verletzt und getötet zu werden.“ („La Stampa“ online 14.12.2009, 17:23 Uhr)

Doch auch die ganz überwiegende Mehrheit der Mitte-Linken, inklusive der Presseorgane von Berlusconis ewigem Gegenspieler und Multimillionär Carlo de Benedetti („la Repubblica“, „L’espresso“), hat nun offenbar Angst vor unkontrollierten Entwicklungen bekommen und orientiert auf einen zumindest zeitweisen Burgfrieden. Der langjährige „L’espresso“-Kolummnist Giampaolo Pansa, der vor gut einem Jahr zum kleinen „Neue Mitte“-Intellektuellenblatt „Il Riformista“ wechselte, spricht in einem Interview für das Zentralorgan der italienischen Bourgeoisie, den „Corriere della Sera“ vom 14.12.2009 gar von „einem Klima wie in den 70er Jahren. Man riskiert einen neuen Fall Calabresi“.

Zur Erinnerung: der rechtsradikale Chef der Mailänder Politischen Polizei, Luigi Calabresi, wurde am 17.Mai 1972 von Mitgliedern der radikalen Linken erschossen, weil er, neben seinem alltäglichen brutalen Vorgehen, auch der Verwicklung in den von faschistischen Geheimdienstkreisen organisierten Bombenanschlag in der Mailänder Landwirtschaftsbank in der Piazza Fontana Mitte Dezember 1969 mit 16 Toten und über 80 Verletzten und im Anschluss daran auch für den Tod des 41jährigen linken Eisenbahners Giuseppe Pinelli verantwortlich gemacht wird, der während eines Verhörs aus einem Fenster des Polizeipräsidiums stürzte.

Erwähnenswert und höchst lehrreich ist auch die Stellungnahme des Generalsekretärs von Rifondazione Comunista und ehemaligen Sozialministers Paolo Ferrero, der – während die der Demokratischen Partei angehörende linke Christdemokratin Rosy Bindi trocken feststellte: „Der ((Berlusconi)) soll sich nicht zum Opfer machen.“ – „den Gewaltakt gegen Silvio Berlusconi in aller Schärfe verurteilt“, nach er ihn in den letzten Wochen, in ziemlicher Verballhornung der historischen Erfahrungen, diverse Male in Interviews als „Faschist“ bezeichnet hatte, der ein „autoritäres Regime“ errichten wolle. Zwei Statements, die schlecht zueinander passen bzw. ein bezeichnendes Licht auf den neosozialdemokratischen Theaterdonner werfen, mit dem die Neuauflage eines extrabreiten (und für die Linke höchst kontraproduktiven) Volksfrontbündnisses ideologisch abgesichert werden soll, das bis zur christdemokratischen Union der Mitte (UDC) von Berlusconis ehemaligem Regierungspartner Pierferdinando Casini reicht und dessen Folgen noch verheerender sein werden als das Abenteuer der Beteiligung an der Prodi-Regierung von April 2006 bis April 2008.

Eine wohltuende geistige Erfrischung liefert hingegen die folgende erste Stellungnahme der „Contropiano“-Redaktion, das heißt des vierteljährlich erscheinenden Magazins des aus der Autonomia Operaia-Bewegung von 1977 / 78 hervorgegangenen Rete dei Comunisti (Netzwerk der Kommunisten), das nach wie vor einen Eckpfeiler der außerparlamentarischen Bewegungen bildet. Es erschien am 14.12.2009 auf ihrer Website www.contropiano.org


Wer Wind sät, wird Sturm ernten

„Contropiano“-Redaktion

Es hat den Anschein, dass man um das von einem Bürger des Mailänder Hinterlandes geschleuderte Souvenir, das den Ministerpräsidenten Berlusconi verletzte, denselben Wirbel machen will wie um ein echtes Attentat. Während der Blogger- und Facebook-Szene das Trostpflaster gewährt wird, sich im Netz abreagieren zu dürfen, ergreift das beide großen Lager umfassende politische System die Gelegenheit beim Schopf, um eine Episode, die auf der Ebene der politischen Berichterstattung relevant ist, was die materiellen Effekte betrifft aber alles in allem nur sehr begrenzte Auswirkungen hatte, für ihre Zwecke zu nutzen. Ziel ist es, das Geschehen zu benutzen, um alle wieder zur „Ruhe“ zu bringen, die „aufgeheizten Stimmungen“ zu beruhigen, den lauten Worten einen Maulkorb zu verpassen und … den parteiübergreifenden Dialog beziehungsweise das Aushandeln fauler Kompromisse in Bezug auf die ökonomischen und institutionellen Gegenreformen wieder aufzunehmen.

Was das Geschehene anbelangt, verschweigen jedoch alle zwei politisch relevante Faktoren, die während Berlusconis Kundgebung am Sonntagnachmittag deutlich wurden und die mit dem Wurf des Souvenirs auf den Führer der größten Mitte-Rechts-Partei (dies und keine institutionelle Autorität war Berlusconi in diesem Zusammenhang) nichts zu tun haben.

Der erste Faktor ist, dass es kein Bad in der Menge gab, das sich der Cavaliere in „seinem“ Mailand erwartet hatte. Die Berichte sprechen von rund eintausend Fans des Cavaliere, der bei seinen öffentlichen Auftritten üblicherweise ganz andere Menschenmengen gewohnt ist.

Der zweite Faktor ist, dass gegen Berlusconis Kundgebung offen auf der Piazza protestiert wurde. Das ist ein Zeichen für den Verlust jeder öffentlichen und politischen Unterwerfung eines Teils der Gesellschaft unter den politischen Leader, der als äußerst populär und ewiger Sieger dargestellt wurde. Berlusconis unvorhersehbare Verletzung am Ende der Veranstaltung durch Herrn Tartaglia – zumindest, was die Bilder anbelangt, die um die Welt gingen – hat dem ein Gesicht hinzugefügt, das mehr von Bestürzung als von Schmerz gezeichnet war.

Die Rechte entwickelt in diesen Stunden ein Trommelfeuer gegen all jene, die es gewagt haben, Berlusconi, in welcher Form auch immer, zu kritisieren. Das reicht von den Demonstrationen bis zu den Fernsehsendungen, von den Büchern bis zu den Filmen, die praktisch der „externen Beihilfe zu einem Attentat auf den Staatschef“ beschuldigt werden. Die ((mitte-linke)) Demokratische Partei ergeht sich in Verurteilungen der Tat und verflucht den Moment, in dem Herr Tartaglia, anstatt nach Hause zu gehen, beschlossen hat, ein Souvenir des Mailänder Doms auf Berlusconi zu werfen. Der Direktor der Tageszeitung „la Repubblica“ bereut es fast, eine kritische journalistische Kampagne gegen den Ministerpräsidenten geführt zu haben. Die einzigen Ausnahmen bilden im Augenblick ((die linke Christdemokratin)) Rosy Bindi und ((der ehemalige Anti-Korruptionsstaatsanwalt und jetzige Chef der mit 4,4% und 28 Sitzen in der Abgeordnetenkammer vertretenen, mitte-linken Anti-Berlusconi-Partei Italien der Werte – IdV)) Antonio Di Pietro, die den Cavaliere in unterschiedlicher Form aufgefordert haben, sich nicht zum Opfer zu stilisieren.

Der entscheidende Punkt ist allerdings auch dieser: Wer Wind sät, kann nichts anderes als Sturm ernten. Berlusconi hat seinen sozialen Machtblock gerade auf der Ideologie des Klassenhasses errichtet und seine Minister beziehungsweise seine Verbündeten von der Lega Nord zuerst gegen die Immigranten, dann gegen die Lehrer und Öffentlich Bediensteten und schließlich gegen die Gewerkschaften oder die Schüler losgelassen, die ((aus Protest gegen die Bildungsmisere und neue Gegenreformen der Ministerin Gelmini)) Schulen besetzten. Paradoxerweise fand der Cavaliere solange auch unter den vornehmen, liberaldemokratischen Kommentatoren (vom „Corriere della Sera“ über ((das Organ des Industriellenverbandes)) „Il Sole- 24 Ore“ bis zu ((der dem FIAT-Konzern gehörenden)) „La Stampa“) Weggefährten wie die unteren sozialen Schichten Zielscheibe waren. Als man jedoch die Hand gegen Richter, Journalisten und institutionelle Autoritäten erhob und Hasstiraden gegen sie startete (bis dahin, dass man jene „erwürgen“ wollte, die Bücher oder Filme über die Mafia geschrieben bzw. gedreht haben), wurden die Liberalen vorsichtiger, widerwilliger und fast ein bisschen feindselig, aber niemals, wirklich nie, hätten sie daran gedacht, dass irgendjemand in der realen Gesellschaft (und nicht in den Salons oder bei den Ausgleichsverhandlungen hinter verschlossenen Türen) diesen Hass am Ende als einen wechselseitigen empfinden könnte.

Wenn wir uns die erschreckende Entwendung von Reichtum zu Lasten der Arbeiter und zum Wohle der Reichen anschauen, der in den letzten 17 Jahren stattgefunden hat; wenn wir uns an die perversen Auswirkungen der Oligarchisierung der politischen Vertretung erinnern, die durch das ((weitgehende)) Mehrheitswahlrecht 1993 wieder eingeführt wurde; wenn wir einkalkulieren, dass es innerhalb der abstrakten Gesellschaft auch eine reale Gesellschaft gibt, der es durchaus gelingt, zwischen der Verantwortung eines Immigranten und jener eines extrem reichen politischen Leaders für die eigenen alltäglichen Schwierigkeiten ein würdevolles Leben zu führen, zu unterscheiden; dann könnte man das an einem Nachmittag in Mailand Geschehene mit anderen Augen betrachten als es die Heuchler tun.




((Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in doppelten Klammern: * Rosso))

Der Name * Rosso steht jeweils für ein Mitglied des Gewerkschaftsforums Hannover und der ehemaligen Antifa-AG der Uni Hannover, die sich nach mehr als 17jähriger Arbeit Ende Oktober 2006 aufgelöst hat.
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Ergänzungen

Auf Radio Padania

gegen alle faschismus, imperialismus,.. 15.12.2009 - 13:00
Die radio sendung von der Rassisten ,ultraliberalen und ultakatolische Liga Lombarda partei rufte für " schlanger am jungen von soziale zentren für Vorbild sein "

 http://lombardia.indymedia.org/node/24405

Und Jetzt , die Hexenjagd

 http://www.ilmanifesto.it/archivi/commento/anno/2009/mese/12/articolo/1993/

Berlusconi suppoter angreifen gegener

gegen alle faschismus, imperialismus,.. 15.12.2009 - 23:36
Vor Berlusconis Kundgebung waren gegener die protestieren gegen Berlusconi .Anhänger von Berlusconi partei haben angegriefen gegener mit Moralischen Unterstützer von faschisten Rentner die sagte , "Che bello, ich finde mich wie 50 jahren zurück .

 http://toscana.indymedia.org/article/7066

video
angreifen auf gegener Berlusconi vor der ihm angriff wurde

 http://it.peacereporter.net/videogallery/video/12073

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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fliegendes "Souvenir" — richtig so!

gut so — leicht polemischer

dankeschön — Ist deine Ergänzung als einfacher Text oder v

Pinelli war Anarchist — Anarchist

hihi — bastardo

Liebe Mods — ich