Bremen: "Go in" bei Zeitarbeitsfirma

Kommunist_in 09.12.2009 14:50 Themen: Soziale Kämpfe
Circa 20 sozialpolitische Aktivist_innen aus der (radikalen) Linken führten heute ein "go in" in einer Bremer Zeitarbeitsfirma durch.
Unter den schon unerträglichen Bedingungen von Kapitalismus und Lohnarbeit stellt die Branche der sog. Zeitarbeitsfirmen eine weitere Zumutung dar. Eine zusätzliche Steigerung erfährt diese in Bremen durch die Firma "runtime". Circa 20 sozialpolitische Aktivist_innen aus der (radikalen) Linken führten deswegen heute "go in" in der Filiale von "run time" an der Kreuzung "Osterdeich/Domsheide" mit anschließender spontaner Kundgebung durch. In Redebeiträgen und Flugblättern wurde die Abschaffungswürdigkeit der herrschenden Verhältnisse exemplarisch an den Praktiken der Firma "run time" deutlich gemacht.
Zur Dokumentation das verteilte Flugblatt über "run time" des Bremer Erwerbslosenverbandes - BEV:

"Sie kriegen den Hals nicht voll !
Zeitarbeit ist zur Zeit eine der gängigsten Formen, Menschen rechtlos und mit möglichst niedrigen Löhnen zu beschäftigen.
700 000 Menschen mussten 2008 ihren Lebensunterhalt bei dieser Branche verdienen. Die Löhne beginnen im Westen bei 7,21 Euro (Ost 6 Euro) pro Stunde. Nur wenige Spezialisten können gut verdienen. Für die Meisten viel zu wenig, um ohne ergänzende Leistungen des Arbeitslosengeldes II (Hartz IV) existieren zu können. Zeitarbeiter/innen haben in der Regel – da nur kurzzeitig beschäftigt – keinen Kündigungsschutz und keinen Betriebsrat. Bei gleicher Arbeit verdienen sie im Schnitt 40 Prozent weniger als die fest Beschäftigten.

Die Zeitarbeitsbranche behauptet:
Zeitarbeit bietet feste Beschäftigung bei der Zeitarbeitsfirma.
Zeitarbeit macht Unternehmen flexibel – darum beschäftigen sie bald wieder Zeitarbeiter/innen.
Zeitarbeit ist eine Form des Einstiegs in reguläre Beschäftigung in den Entleih-Betrieben.
Zeitarbeit hat Zukunft.

Die Wahrheit ist:
Kaum hatte die Krise begonnen, waren die ersten Zeitarbeiter/innen arbeitslos.
Die Zahl der Zeitarbeiter/innen steigt nach dem Einbruch in der Krise schon wieder. Aber sie müssen von vorn beginnen und bleiben auf dem Schleudersitz.
Der Einsatz liegt durchschnittlich bei 3 Monaten. Aber selbst nach 1 oder 2 Jahren an der gleichen Arbeitsstelle ist eine Übernahme eher die Ausnahme: denn überall wird „gespart“, unter anderem auf Kosten von Festeinstellungen. Lieber werden die noch Beschäftigten bis aufs Letzte ausgequetscht. Viele Unternehmen gründen deshalb eigene Zeitarbeitsfirmen, um Festeinstellungen zu vermeiden und bestehende Tarife zu unterlaufen.
Zukunft ja – vor allem für die Zeitarbeitsfirmen.

Gierig und trickreich - runtime kassiert „Sonderprofit“
Einen besonderen Trick (Gesetzeslücke) hat sich die Firma „runtime services“ ausgedacht, um die Löhne aufs Niedrigste zu senken.
Obwohl auch runtime services Stuttgart, Mitglied der Zeitarbeitsvereinigung IGZ ist, deren Tarifvertrag 7,31 Euro Mindestlohn vorschreibt, ist zahlreichen Beschäftigten der Firma runtime folgendes widerfahren: Sie haben sich in Bremen auf einen Job beworben und arbeiten auch im Raum Bremen. Bekommen haben sie jedoch einen Arbeitsvertrag der Firma „team runtime“ aus Magdeburg, in dem ein Stundenlohn von 6 Euro pro Stunde vereinbart ist. Dies entspricht dem Osttarifvertrag der Zeitarbeitsvereinigung AMP, abgeschlossen mit dem Christlichen Gewerkschaftsbund.
Team runtime in Magdeburg hat den selben Geschäftssitz und die gleiche Tel. Nr. wie die Niederlassung von runtime services mit Hauptsitz in Bremen: Schilfbreite 2 Tel. 0391/ 684 05 –4. Geschäftsführer von „team runtime“ ist Ivo Lippe, wohnhaft in Bremen und gleichzeitig Gebietsleiter von runtime services in Bremen.
„team runtime“ ist also faktisch nichts anderes als eine Briefkastenfirma – allein zu dem Zweck, die eh schon niedrigen Löhne in der Zeitarbeit noch weiter abzusenken. Pro Stunde und Beschäftigtem werden also noch einmal 1,31 Euro „Sonderprofit“ kassiert. Mensch geht dann nach Vollzeitarbeit mit 950 Euro Brutto nach Hause und hat 750 Euro Netto zum Leben.
Der so eingesackte Profit geht an den Gesellschafter und Geschäftsführer der runtime Gruppe, Birger Topp, mit Wohnsitz im Steuerparadies Schweiz.
Runtime hat sich eine Passage aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zu Nutze gemacht, die vorsieht, dass im Arbeitsvertrag ein Tarifvertrag zur Anwendung kommen muss. Das geschieht bei „team runtime“, indem der Tarifvertrag mit den Christlichen Gewerkschaften - und zwar der Osttarif angewendet wird!
Rechtlich haben MitarbeiterInnen von runtime die Möglichkeit, höhere Löhne auch für die Vergangenheit einzuklagen.

Zum Hintergrund:
In der BRD sind die Bestimmungen zur Zeitarbeit schlechter als im übrigen Europa!

Warum?
Die Richtlinie für Zeitarbeit in der EU schreibt vor, dass Leiharbeiter/innen zu den gleichen Arbeitsbedingungen beschäftigt werden müssen, wie sie in dem Entleih-Betrieb gelten. Vor allem: gleiche Bezahlung und gleiche rechtliche Bestimmungen (Urlaub, Kündigungsschutz usw.).
Das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) lässt die Ausnahme von der Gleichstellung zu, wenn Tarifverträge zur Anwendung kommen. Als erster schloss der „Christliche“ Gewerkschaftsverband, der nur sehr wenige Mitgliederhat, einen solchen Vertrag zu extrem schlechten Bedingungen mit einem Zeitarbeits-Unternehmer­verband (AMP) ab (Das Berliner Arbeitsgericht hat gerade dem Verband der christlichen Gewerkschaften die Tariffähigkeit abgesprochen). Die DGB Gewerkschaften zogen dann jedoch nach und schlossen Tarifverträge ab, die es allen Zeitarbeitsfirmen erlauben, diese anzuwenden und die EU Richtlinie zu unterlaufen.

„Schwarzes Schaf“ runtime?
Nein – „runtime“ ist nicht ein einzelnes „schwarze Schaf“ in einer sauberen Branche: die Schlecker-eigene Leiharbeitsfirma ist nicht zufällig im ostdeutschen Zwickau beheimatet. Ähnliches berichten Leiharbeiter/innen von anderen Zeitarbeitsfirmen.

 Zeitarbeit gehört verboten. Sie drückt Löhne und schränkt Arbeitnehmerrechte unzulässig ein.
 Gleicher Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen für alle !
 Gesetzlicher Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde !

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Ergänzungen

Mehr davon

weg_mit_der_galeere 09.12.2009 - 15:41
Auf dieser Website gibt es Berichte zu einer Menge weiterer Aktion gegen den Sklavenhandel:  http://www.leiharbeit-abschaffen.de/. Gäbe es keine Gewerkschaften, die mit den Verbänden der Sklavenhändler Tarifverträge abschließen, müßte das gesetzlich vorgesehene Equal Pay bezahlt werden. Dem gelben Zusammenschluß der Christen"gewerkschaften" ist eben die Tariffähigkeit höherinstanzlich abgesprochen worden. Wenn die DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit (IG Metall und ver.di) jetzt auch noch darauf verzichten würde, ihren Tarifvertrag für die Sklavenhändler-Branche zu verlängern, müssten alle ZeitarbeiterInnen den gleichen Lohn erhalten wie die KollegInnen in den Entleihbetrieben. Damit wäre die Zeitarbeitsbranche am Ende! Aber leider wird das wohl so ausgehen, dass die DGB-Tarifgemeinschaft die Chance nutzen wird, um ihren Scheißtarif auch auf diejenigen Arbeitgeberverbände auszudehnen, die bislang mit den Christen abgeschlossen haben. Die Dummen wären erneut die ZeitarbeiterInnen, von denen nur ein winziger Teil überhaupt organisiert ist, auf die aber dennoch die Hungertarife mit DGB- oder Christen-Gewerkschaftssegen angewendet werden.

Pressereaktion: Taz

Kommunist_in 09.12.2009 - 22:44
Für einen Euro weniger
Der Personaldienstleister Runtime beschäftigt in Bremen Menschen zu niedrigen Ostlöhnen. Kritiker sprechen von "Sklavenarbeit" und demonstrieren dagegen. VON JAN ZIER
Frau M. ist Zeitarbeiterin. In Bremen. Genauer gesagt: Als Angestellte der Bremer Niederlassung des Personaldienstleisters Runtime. Wobei - genau da fängt das Problem schon an: Ihren Arbeitsvertrag mit dem hiesigen "Team Runtime" hat Frau M. formal mit einem Firmenteil abgeschlossen, der in Magdeburg ansässig ist. Und also lediglich niedrigere Ostlöhne zahlt. Zunächst sechs Euro pro Stunde - das ist der Tarif für eine "Hilfsarbeiterin ohne nähere Tätigkeitsangabe", zum 1. Juli 2009 aufgestockt auf 6,15 Euro. Im Westen müsste Frau M. heute laut Tarifvertrag zumindest 7,31 Euro pro Stunde bekommen. Macht einen Lohnunterschied von mindestens 160 Euro brutto pro Monat.
"Pro Stunde und Beschäftigtem wird also noch einmal ein Euro "Sonderprofit" kassiert", kritisiert Herbert Thomsen vom Bremer Erwerbslosen Verband (BEV). "Feist, gierig und trickreich" sei das Zeitarbeitsunternehmen, sagt Thomsen. In Bremen unterhalte Runtime "faktisch nichts anderes als eine Briefkastenfirma". Rein rechtlich sei daran kaum etwas auszusetzen, sagt Thomsen, auch gebe es dazu kaum Rechtssprechung. In der Regel würden Urteile vermieden: "Die erledigen das durch Zahlung". Runtime beschäftigt nach eigenen Angaben bundesweit über 5.000 Leute.
Gestern versammelten sich etwa 30 Aktivisten des BEV sowie des Mayday-Bündnisses vor und in einer Filiale auf der Martinistraße, um dort gegen die "Sklavenarbeit" bei Runtime zu protestieren. Eine Mitarbeiterin weist die Vorwürfe pauschal als "falsch" zurück, lässt sich aber auf keine Diskussion ein und verweist die DemonstrantInnen des Hauses. Als wenig später die Polizei eintrifft, ist die Kundgebung bereits aufgelöst. Anzeige wird nicht erstattet. Rainer Anthony, Chef von Runtime in Bremen, war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Offiziell darf Frau M. gar nicht über ihr Gehalt sprechen - mit ihrem Vertrag hat sie unterschrieben, darüber "Stillschweigen zu bewahren". Ein Verstoß ist mit einer Vertragsstrafe von einem Monatslohn belegt. Das sind, arbeitet man Vollzeit, etwa 950 Euro brutto, rechnet der BEV vor. Netto blieben davon dann etwa 750 Euro übrig.
Verhandelt hat diesen Tariflohn für Frau M. die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP). Und die ist - das hat das Landesarbeitsgericht Berlin am Montag entschieden - "nicht tariffähig". Wird das Urteil rechtskräftig, könnten bundesweit 280.000 LeiharbeitnehmerInnen rückwirkend einen Ausgleich für Löhne verlangen, die von der CGZP ausgehandelt wurden und unter den Branchenstandards liegen. In letzter Instanz entscheidet darüber das Bundesarbeitsgericht - das kann aber bis 2011 dauern.
Bundesweit waren nach Angaben des Bundesverbandes Zeitarbeit im Oktober rund 598.000 ZeitarbeitnehmerInnen beschäftigt, 81.000 mehr als noch im Mai. In Bremen sind es laut der Hans-Böckler-Stiftung überdurchschnittlich viele: Ihr Anteil an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt bei 3,52 Prozent, im Bundeschnitt sind es nur 2,5 Prozent.
Das Prinzip, im Westen nur den niedrigeren Ostlohn zu zahlen machen sich dabei auch andere zu nutze: So sind auch die Bremer VerkäuferInnen der neuen XL-Filialen des Drogerie-Discounters Schlecker bei der Meniar-Zeitarbeits GmbH in Zwickau angestellt.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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