Maulkorbprozess in Saarbrücken: 30 Sekunden

horst errr. 07.12.2009 18:03 Themen: Biopolitik Repression Ökologie

Uwe Schrader, Chef des Gentechnik-Lobbyverbandes InnoPlanta, hatte noch gar nicht Platz genommen, da war schon alles vorbei. Der Anwalt des Beklagten hatte einen Befangenheitsantrag vorgelegt und stichhaltig begründet, dass das Gericht die Sachaufklärung fortgesetzt behindere. Konkreter Anlass war die inzwischen drei Monate andauernde Weigerung, eine Frist zur Hauptsachklage zu stellen. Nur im Hauptsacheverfahren aber wäre eine präzise Aufklärung möglich. Das aber schien das Gericht nicht zu wollen - und so der Befangenheitsantrag. Der muss nun erst einmal bearbeitet werden.

Die Sach' mit der Hauptsach'

Hinter dem schnellen Ende am heutigen Tag steht das komplizierte Zivilrecht. Was in Saarbrücken zur Zeit - und absurderweise seit Monaten - läuft, ist das Eilverfahren. Dieses ist dem Hauptsachverfahren vorgeschaltet, soweit die Hauptsache dann überhaupt stattfindet. Im Eilverfahren geht es um eine einstweilige Verfügung, d.h. das Gericht kann ohne Prüfung bereits das Gewünschte auf Antrag einer Seite anordnen und muss dann, wenn Widerspruch erfolgt, in einer Eilverhandlung die beiden Seiten anhören, aber dann in der Regel ohne genau Prüfung von Quellen und Beweismitteln urteilen. Während das so läuft, kann die beklagte Person verlangen, dass Hauptsachklage erhoben wird (Indymediabericht dazu). Die würde dann zu einem präziseren Verfahren führen - mit genauer Klärung der ganzen Sachen, mit ZeugInnen, Sachverständigen, Beweismitteln aller Art. Dazu schreibt die beklagte Person an das Gericht und verlangt, dass dieses den Klägern eine Frist stellt, die Hauptsachklage zu erheben. Tun die das dann nicht, ist alles erledigt und für die Kläger verloren.

So geschah es nun auch. Nachdem am 20.8. die einstweilige Verfügung kam mit dem ersten Maulkorb gegen den Gentechnikkritiker und Autor der Broschüre "Organisierte Unverantwortlichkeit", Jörg Bergstedt, schickte dessen Anwalt Tronje Döhmer am 4.9. den Widerspruch samt Antrag auf Fristsetzung zur Hauptsachklage. Schließlich sollte der Beklagte ja einen Maulkorb bekommen, die Kritik an den Gentechnik-Seilschaften oder zumindest der Rolle von Kerstin Schmidt und Uwe Schrader nicht mehr äußern zu dürfen. Ihm ging es darum, genau nachzuweisen, dass alles gut recherchiert ist und - so erschreckend es auch ist - stimmt. Es gäbe tatsächlich einen krassen Filz zwischen Behörden, Geldgebern, Konzernen, Lobbyverbänden (wie von Uwe Schrader) und genfeldbetreibenden Kleinstfirmen (wie rund um das AgroBioTechnikum und die BioTechFarm Firmen von Kerstin Schmidt). Allerdings bestand wenig Hoffnung, mit diesem Gericht so etwas durchführen zu können. Vielmehr entstand der Eindruck, dass der Ziehvater der sachsen-anhaltinischen Gentechnikseilschaften, Horst Rehberger (Ex-Wirtschaftsminister dort), hier seine Finger im Spiel hatte. Er kommt aus Saarbrücken, war auch im Saarland schon einmal Wirtschaftsminister und ist weiterhin Namensgeber einer Rechtsanwaltskanzlei in der Stadt. Verfügte er über gute Kontakte zu den RichterInnen, dass hier vorab gekungelt wurde, dass zwar ein Maulkorb verhängt, aber darüber nicht verhandelt werden sollte?

 

Kurzer Prozess

Der Anwalt des Beklagten legte folglich einen Befangenheitsantrag vor, weil das Gericht die Gegenseite nicht zur Erhebung der Hauptsachklage veranlasst hatte und somit eine Sachaufklärung nicht möglich sei. Das Gericht guckte sich den kurz an, der Anwalt der Gegenseite nöhlte, dass er vorher nicht informiert wurde ("Das hätte mir doch geholfen" - Antwort Anwalt Döhmer: "Wir sind nicht hier, um Ihnen zu helfen") und - schwupp, wurde die Sache vertagt. Angesichts der Wirrungen des Zivilprozessrechts war für Außenstehende schwer erkennbar, was hier eigentlich grad ablief, weshalb der Beklagte Jörg B. noch im Gerichtssaal die Hintergründe erläuterte.

Gut vertreten waren etliche Medien von Rundfunk über Zeitungen bis zu Presseagenturen - das wird für die politische Dimension von Bedeutung sein, wie das Geschehen dort bewertet wird. Uwe Schrader versuchte nach dem Prozess in seinen Erklärungen, den Spieß umzudrehen und behauptete, dass der Befangenheitsantrag die Aufklärung verhindern solle. Dass die Behinderung von Aufklärung Gegenstand des Antrags war, erwähnte er nicht.

Klar dürfte aber sein, dass die Gegenseite den Plan hatte, den Maulkorb schnell und geräuschlos zu verhängen. Ohne die Intervention des Oberlandesgerichtes gegen die rechtswidrigen Ablehnungen der Prozesskostenhilfe durch das Landgericht (mit Nachtreten) wäre der Plan vielleicht sogar aufgegangen. Nun aber wirkte das Gericht überrascht, dass Gegenwehr kam und zog deshalb wohl auch schnell die Reißleine. Jetzt dürfte dort hinter den dicken Mauern des Gerichts und vielleicht auch in den Seilschaften der Gentechnik neu geprüft, ob dieser Prozess überhaupt gut für die sein wird. So einfach durchwinken lässt sich dieses Begehren der Gentechniklobby an das Saarbrücker Gericht offenbar nicht mehr ...

Nach dem Prozess führten viele Anwesende noch einige Diskussionen vor dem Gebäude - auch mit den anwesenden JournalistInnen. Horst Rehberger signierte sein Buch "Unterwegs", in dem er davon träumte, dass Europa weiter mit seiner Technik die Welt beglücken solle (wie bisher schon?) und mitteilte, dass er mit Uwe Schrader die "Leidenschaft" für die grüne Gentechnik teile ...

 

Viel Unterstützung ...

Attac Saar, die Aktion 3. Welt Saar, Nabu und andere hatten sich mit dem Beklagten solidarisch erklärt und rund um den Prozess auch eigene Aktivitäten gestartet, z.B. am Abend vorher eine Veranstaltung zum Thema "Wie die Gentechnik in Deutschland mit Filz & Lobbying durchgesetzt wird" organisierte. Zudem fand ein Pressegespräch am Vormittags statt. ProzessbeobachterInnen waren im Gerichtssaal. Zudem waren UnterstützerInnen aus Saarbrücken, Umland, Aachen und noch entfernteren Städten angereist - mit bunten und aussagekräftigen Transparenten. Auch wenn es die Anreise ja kaum lohnte: Dass hier Menschen Position bezogen, war wichtig. Denn es war offensichtlich, dass hier alles schnell und leise abgehakt werden sollte. Das Gericht hatte spürbar nicht mit einem öffentlichen Interesse gerechnet - ein Indiz mehr, dass es hier einen Gefälligkeitsdienst erledigen wollte und sich mit der Sache nicht beschäftigt hatte. Anwalt und Beklagter jedenfalls waren dankbar über die Unterstützung und hoffen darauf, dass bei Folgeterminen auch wieder ein bunter Protest sichtbar würde. Auch wenn der Prozess, wie im Zivilrecht üblich, in der Phase des Eilverfahrens noch nicht viel hergeben würde. Anders wäre dass, wenn eine Hauptsachklage käme. "Wir werden sehen, ob Schrader und Schmidt das wagen", fragte sich der Beklagte am Ende der kurzen Verhandlung: "Die wollten es unter dem Tisch regeln - die Öffentlichkeit mögen die GentechniklobbyistInnen und -macherInnen meist nicht so ..."

 

Parallelwelten

Absurderweise läuft parallel auch schon eine Auseinandersetzung um die erste Sanktion, die dem Beklagten verhängt wurde, weil Schrader und Schmidt behaupten, er würde die Kritik weiter verbreiten. Dafür haben sie dem Gericht keinen Beleg vorgelegt, dieses hat aber trotzdem den Beschluss gefasst, dass der Beklagte bestraft werden muss. Das hat nun erstmal Bestand, obwohl das Gericht möglicherweise befangen war und ist - und obwohl das Gericht offenbar die Sache nie überprüft, sondern Schrader/Schmidt treudoof geglaubt hat. Damit das nicht auffällt, werden sie nun behaupten, korrekt gehandelt zu haben - und damit ist plötzlich etwas existent, was nie irgendwo bewiesen wurde ...

 

Und weiter???

Nun muss erstmal einiges innerhalb der Gerichte geklärt werden. Wer den Vortrag über die Gentechnik-Seilschaften sehen und hören will, hat demnächst Gelegenheit in Bayern und am Bodensee (und Umgebung) dazu:

  • Donnerstag, 10.12.09 20 Uhr im Gasthof Maxlwirt, Viehweide, 84149 Velden (südlich Landshut) ++ Veranstalter AbL Bayern u. Zivilcourage Landshut
  • Freitag, 11.12.09 19.30 Uhr im Gasthof Huber, Oberndorf, 85560 Ebersberg ++ Veranstalter BN AK Gentechnik
  • Samstag, 12.12.09 20 Uhr in Öko & Fair Umweltpädagogisches Informationszentrum, Berengariastr. 5, 82131 Gauting
  • Sonntag, 13.12.09 10.30 Uhr "Revoluzzerfrühstück" im Öko & Fair Infozentrum Gauting
  • Sonntag, 13.12.09 19 Uhr im Ruderhaus, Edelmaierstr. 14, 94469 Deggendorf ++ Veranstalter Zivilcourage Deggendorf
  • Montag, 14.12.09 20 Uhr im Gasthof "Zum Mautner", Hainberg 10, 94424 Arnstorf ++ Veranstalter Zivilcorage DGF-LAN u. Rottal - Inn
  • Dienstag, 15.12.09 19.30 Uhr Gasthaus Kriechbaumer, Mitraching, 83043 Bad Aibling ++ Veranstalter Gentechnikfreies Mangfalltal
  • Mi. 16.12.2009, 20 Uhr in Konstanz (Radioraum im DGB-Haus am Zähringerplatz, Beyerlestraße 1)
  • Do, 17.12.2009, 20 Uhr in Ravensburg, Kulturladen Rhizom
  • Do. 18.12.2009 in Freiburg

    Und: Sonntag, 27.12., 18 Uhr auf dem JUKss in Elmshorn

    Wer für 2010 die Veranstaltung gerne zu sich einladen möchte, kann sich melden (www.vortragsangebote.de.vu). Wäre schön, wenn vor dem nächsten Termin in Saarbrücken dann auch in den umgebenden Orten die Veranstaltung laufen könnte ...

Außerdem will ein HerausgeberInnenkreis die Broschüre "Organisierte Unverantwortlichkeit" neu auflegen. Dafür sind wieder Spenden für die Druckkosten erwünscht auf das Konto "Förderverein", Nr. 92881806, bei der Volksbank Mittelhessen (BLZ 51390000). Wenig verteilt wurde die Broschüre bisher über die Verteiler von Umwelt- und Landbauverbänden. Die scheinen oft Angst zu haben. Wer da mal ein bisschen Mut machen könnte, kann mal anregen, dass die dritte Auflage dann auch die etwas etablierteren Protestströmungen erreicht.

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Ergänzungen

Neues Lexikon des Filzes

feldbefreierInnen 07.12.2009 - 20:14
Na - das ist eine nette Überraschung: Passend zum Prozesstag hat das Gen-ethische Netzwerk ein Lexikon der Personen und Organisationen im Gentechnikfilz ins Netz gestellt:  http://gen-ethisches-netzwerk.de/lexikon. Auch der Informationsdienst Gentechnik berichtete am Tag des Prozesses ausführlich:  http://www.keine-gentechnik.de/news-gentechnik/news/de/21073.html

Worum geht es eigentlich

nameless 08.12.2009 - 12:11
Der Beitrag setzt beim Leser viel Vorwissen über den konkreten Fall voraus, ohne welches er weitestgehend unverständlich bleibt. Es wird viel über juristische Feinheiten und Possen berichtet, jedoch wenig über den eigentlichen Kern der Angelegenheit. Wäre eine Ergänzung möglich?

Weitere Berichte

feldbefreierInnen 09.12.2009 - 18:08
Saarbrücker Zeitung:  http://www.saarbruecker-zeitung.de/aufmacher/lokalnews/Gericht-Oeko-Aktivist-Maulkorb-Gentechnikkritiker-Zivilprozess;art27857,3126572

Aufmacher beim Informationsdienst Gentechnik:  http://www.keine-gentechnik.de

Saarländischer Rundfunk ( http://www.sr-online.de/nachrichten/30/997103-print.html):
Saarbrücken: Verfahren gegen Genkritiker vertagt
Der Prozess um den Widerspruch des Gentechnikkritikers Bergstedt aus Reiskirchen gegen eine Unterlassungsverfügung des Landgerichts Saarbrücken ist auf unbestimmte Zeit vertagt worden.
Bergstedt hatte ein Befangenheitsantrag gegen die Zusammensetzung des Gerichts gestellt. In dem Verfahren geht es um eine Broschüre über angebliche Verflechtungen der Gentechnikindustrie.
Die Zivilkammer hatte Bergstedt im August zur Unterlassung mehrerer in der Broschüre getätigter Aussagen aufgefordert. Über eine eingelegte Beschwerde ist noch nicht entschieden.

Terminänderungen für Vorträge in Bayern!!!

feldbefreierInnen 09.12.2009 - 21:01
Achtung - da haben doch einige kalte Füße. Sehr schade, wie die Gentechnik-Seilschaften selbst indirekt schon die KritikerInnen einschüchtern. Daher aber:

- Der Vortrag am Donnerstag, 10.12. fällt ersatzlos aus

- Statt dem angegebenen Vortrag am Montag, 14.12., finden in München im und am besetzen Audimax der Uni gleich zwei Veranstaltungen mit dem Referenten statt!

16 Uhr im Audimax: Kurzvortrag "Gekaufte Forschung - wie Staat und Konzerne mit Drittmitteln die Uni auf neoliberalen Kurs trimmen" (anschl. Diskussion)

20 Uhr im oder nahe beim Audimax (Ort wird dort bekanntgegeben oder vorher auf  http://gentechfilz.blogsport.de): Der Vortrag "Monsanto auf Deutsch - Seilschaften ..."

Gericht stellt Schrader/Schmidt Klagefrist

feldbefreierInnen 12.12.2009 - 17:02
Na also, geht doch! Das Gericht hat auf den Befangenheitsantrag, die Aufklärung zu behindern, reagiert und nun den beiden Klägern, Kerstin Schmidt und Uwe Schrader, eine Frist für die Erhebung der Hauptsachklage gestellt. Die müssen sich jetzt also entscheiden: Ein Hauptsacheverfahren, bei dem dann allerdings die Punkte detailliert überprüft werden, oder den Kopf einziehen und die Hauptsachklage nicht erheben. Dann ist allerdings das Eilverfahren, was am 7.12. anlief, auch automatisch verloren. Es wird sich also zeigen, ob die Gentechnikseilschaften sich lieber wegducken, wo sie den Prozess sichtbar nicht mehr still und heimlich durchziehen können ...

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