[B] Media-Spree-Versenker schwimmen sich frei

Helma Wittstock 07.12.2009 13:04 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe Ökologie
Nach einem Jahr der zähen Verhandlungen hat "Media Spree versenken!" den bezirklichen Sonderausschuss Spreeraum verlassen. Die Delegierten der Initiative hatten schon eine Weile den Eindruck, dort nichts (oder kaum etwas) bewegen zu können. Statt dessen hatte Bürgermeister Franz Schulz den Ausschuss zunehmend dazu genutzt, sich selbst und seine Partei, die Grünen, in Szene zu setzen.
Nach dem "Spreeufer für Alle!"-Bürgerentscheid vom 13.7.08 war er eingeführt worden: Der Sonderausschuss Spreeraum, in dem Friedrichshain-Kreuzberger BVV-Abgeordnete mit Delegierten der AG Spreeufer aus dem Initiativkreis Media Spree versenken! etwa ein Jahr lang immer regelmäßig darüber tagten, wie der Bürgerentscheid umgesetzt werden kann.

Am Mittwoch (2.12.) haben die Initiativen-Delegierten in einer Sitzung des Sonderausschusses die weitere Zusammenarbeit aufgekündigt. Anlass war ein sogenannter Abschlussbericht, den die Bezirksverwaltung - und damit Bürgermeister Franz Schulz (Grüne) - der BVV vorlegte. Die Media-Spree-GegnerInnen der Ini fühlten sich nun darin bestätigt, was ihnen schon seit einer Weile schwante: Im Sonderausschuss war nicht mehr herauszuholen als die BVV-Abgeordneten ohnehin umzusetzen bereit waren: Kleine Korrekturen hier und da, ein paar Baufeld-Verschiebungen um ein paar Meter hier, ein etwas niedriger ausfallendes Gebäude da. Von den Forderungen des Bürgerentscheids, ein 50m breiter unbebauter Uferstreifen, sowie keine neuen Hochhäuser, also die Verhinderung der Media-Spree-Planungen, war man meilenweit entfernt.

"Wer A fordert, bekommt trotzdem B"

Mithilfe von Schildern verdeutlichten AnhängerInnen von Media Spree versenken aus dem Publikum heraus, dass der Sonderausschuss die ganze Zeit nur darauf ausgerichtet gewesen war, jene "Variante B" umzusetzen, die von der BVV zum Bürgerentscheid als Alternativvariante vorgeschlagen worden war, und die im Gegensatz zu "A" keine Mehrheit bekommen hatte: Mit den Grundstückseigentümern freundlich zu verhandeln, ob sie dem Bürgerentscheid nicht ein bisschen entgegenzukommen bereit wären. Und nur das umzusetzen, was keinen Widerspruch bei den Investoren hervorrufen würde, dabei keine eventuellen Entschädigungszahlungen zu riskieren und auch keinen offenen Konflikt mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.

"Senat und Bezirk waren sich darin einig, dass Bürgerwille nix kosten darf."

Während der Sonderausschuss im letzten Jahr fleißig tagte, wurden seine Ziele fortlaufend demontiert. Bebauungspläne wurden erlassen, Baugenehmigungen ausgesprochen, wo eigentlich der freie 50m-Streifen hätte sein sollen. Es gab auch keine neuen Ansätze zur offenen Bürgerbeteiligung bei den Planungen. Media-Spree als sich in den Stadtraum hineinfressendem Investoren-Projekt, wurden keine Grenzen gesetzt. Spreeufer-Grundstücke in öffentlichem Besitz, vor allem beim Berliner Liegenschaftsfonds, wurden weiter meistbietend privatisiert - mit den üblichen Versprechungen, was dort nicht alles gebaut werden könne.

"Der Ausverkauf öffentlicher Grundstücke wurde nicht gestoppt."

Jede kleine Baufeld-Verschiebung um einzelne Meter wurde dagegen begeistert von Franz Schulz und seiner Grünen Partei als riesiger Erfolg gefeiert. Obwohl sie qualitativ keine Veränderung bedeuteten. Was sind 20m Uferweg gegenüber vorher geplanten 10m, wenn die gleichen drögen Investoren-Architekturen direkt daneben gebaut werden und eine entspannte, freie und ungezwungene Nutzung der öffentlichen Flächen schon im Vorhinein unterbinden? Zu einer öffentlichen Fläche, die eine Freiraum sein soll, gehört schließlich auch eine Gestaltung, die zur vielfältigen Nutzung einlädt. Doch jede Brachfläche bietet mehr Möglichkeiten zur Entfaltung als die sterilen Uferwanderweg-Vorstellungen des Bezirks.

"Büro- und Hotel-Misch-Masch mit Pocket-Parks und Uferwanderweg sind KEINE bezahlbaren Wohnräume, KEINE naturräumlichen Erholungsflächen und KEIN Spreeufer für alle!"

Letzten Endes wurde deutlich, dass im Sonderauschuss nie über das Eingemachte gesprochen werden konnte: Was für eine Stadt soll das werden am Spreeufer? Für wen soll sie sein? Für die bisherigen AnwohnerInnen oder für die neue schicke Mittelschicht, die sich in den geplanten Büros und Lofts niederlassen soll?

Alles vergebens?

Nichts desto trotz bleibt ein Stück weit auch der Eindruck, die Investorenplanungen erschwert zu haben. Bürgerbegehren und -entscheid haben die Spreeufer nicht nur wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, sondern auch gezeigt, dass sich hier viel Widerstand regt. Gerade überregional dürfte hängen geblieben sein, dass gerade in Friedrichshain und Kreuzberg die Uhr anders tickt: Dass Investoren dort mit Gegenwind zu rechnen haben. Dass einige Mühlen hier langsamer mahlen. Dass sterile Luxus-Neubauten auch mal mit kaputten Fensterscheiben beantwortet werden. Alles in allem ein Stückchen Verunsicherung, das die eine oder andere Investitionsentscheidung erschwert haben dürfte.

In Bewegung geraten

Und schließlich haben die Kampagne gegen Media Spree und die darum entstandene Bewegung auch eine neue Hinwendung zur Stadtpolitik bewirkt: Von Media Spree versenken! sind die ersten Kiezspziergänge ausgegangen, die auch das Thema der steigenden Mieten auf die Agenda gesetzt haben. Daraus ist schließlich Steigende Mieten stoppen! entstanden. Auf der anderen Seite wurden Nobelkarossen zur neuen Leidenschaft der militant agierenden Linken. Und diese Aktionsform, was man auch immer von ihr sonst halten mag, scheint das Thema der steigenden Mieten ständig am kochen zu halten. Auch die bedrohten Hausprojekte werden heute mehr als vor einigen Jahren noch wieder im Kontext der Kiezentwicklung betrachtet. Und Tempelhof wurde sicherlich auch als Kampagnenfeld ausgewählt, weil Media Spree versenken! zuvor gezeigt hatte, welch breite Wellen so eine stadtentwicklungsbezogene Kampagne schlagen kann.

Es bleibt spannend

Wenn nun kostbare Bewegungsenergie nicht mehr in bezirklichen Ausschüsen verschwendet wird, was kommt als nächstes? Wie sieht es aus, wenn Media Spree versenken! wieder auf die Straße geht? Kommt als nächstes Squat Media Spree? Aber weil Bewegung von Bewegen kommt, kommt eben so viel dabei heraus, wie wir draus machen.


Kleine Presseschau

taz 3.12. "Aktivisten gehen von der Fahne"
taz 4.12. "Politik ist mehr als Aktivismus" (unsäglicher Kommentar)
Berliner Zeitung 4.12. "Lieber demonstrieren als debattieren"
Tagesspiegel 5.12. "Kritiker verlassen Mediaspree-Ausschuss"

Abriss Berlin 2.12. "Sonderabschuss"
MS-versenken "Der Sonderausschuss existiert nicht mehr!"
Infoladen Daneben 4.12. "Politik machen: Sonderausschuss zu MediaSpree aufgelöst"
Grüne 26.11. "Bürgermeister stellt Verhandlungsergebnisse vor"

Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Rolle Sonderausschuss zweifelhaft

Name 07.12.2009 - 15:50
Es ist sicher sinnvoll, dass die Delegierten von MediaSpree versenken- AG Spreeufer jetzt ausgestiegen sind. Allerdings war das Verhalten der Delegierten im Sonderausschuss auch ziemlich schwierig.

War es wirklich notwendig, mit dem Bezirk darüber zu verhandeln, ob bei bestimmten Grundstücken der Uferstreifen nun 16 oder 18 Meter breit sein soll? Waren die Forderungen des Bürger_innen-Begehrens nicht etwas radikaler?

War es wirklich so weit notwendig, sich von den ursprünglichen, gesellschaftskritischen Forderungen von MediaSpree zu verabschieden, dass mensch tatsächlich oder angeblich im Sonderausschuss Positionen vertritt, die, tatsächlich oder angeblich, auch das Wohl der Investoren in voller Grösse berücksichtigen? War es wirklich notwendig, von einer "Win-Win-Situation" zu sprechen, von Lösungen, bei denen angeblich alle profitieren, sowohl die Konzerne als auch die Anwohner_innen?

Und war es wirklich notwendig, sich schriftlich bei den Investoren dafür zu entschuldigen, dass zum Sonderausschuss O2/ Anschutz das Plakat "Weg mit der Scheisshalle - keine Profite für Rechtsklerikale" aufgehängt wurde?

Inwieweit hier von den Delegierten im Sonderausschuss wirklich noch die Meinung vieler Menschen, die Bürger_innen-Begehren und Bürger_innen-Entscheid unterstützt haben, vertreten wurde, ist zumindest zweifelhaft.

MediaSpree versenken und die Gentrifizierung

Name 07.12.2009 - 15:54
Es sollte aber doch nicht vergessen werden, dass die Gruppe MediaSpree versenken sich u.a. an der Frage, wie weit gesellschaftliche Tendenzen thematisiert werden sollen, bzw. wie weit "MediaSPree" als rein architektonisches Problem gesehen wird, gespalten hat (in die AGs Spreeufer und Spreepirat_innen). Jedenfalls legte die AG Spreeufer, die das Bürger_innenbegehren und den Entscheid durchgeführt hat, zeitweise doch großes Interesse an den Tag, nicht mit solchen Themen wie Gentrifizierung, geschweige denn Kapitalismuskritik, in Verbindung gebracht zu werden.

Zu spät

Papa Schulz 07.12.2009 - 22:17
Es überrascht dann schon etwas, dass die Media-Spree-VersenkerInnen erst nach einem Jahr gemerkt haben wollen, dass die Strategie, die Ziele des BürgerInnenbegehrens in einem parlamentarischen Ausschuss umsetzen zu wollen, nicht aufgeht. Vor allem weil ein Bürgerdeputierter von Media-Spree-Versenken schon Anfang 2009 mit eben dieser Begründung aus dem Ausschuss ausgestiegen ist.

Da haben sich manche Leute der Initiative wahrscheinlich eingebildet, sie würden "auf Augenhöhe" mit den wichtigen Politikern verhandeln und würden auch entsprechend ernst genommen. JedeR, der/die das kritisch sah, wurde versucht kaltzustellen bzw. mit blödsinnigen Anschuldigungen überzogen, von einem bislang nicht wirklich aufgearbeiteten Gewaltvorgang mal ganz zu schweigen.

Dass sich Joost und seine Truppe auf den Ausschuss eingelassen haben, war unseriös, der zu späte Ausstieg ist ebenfalls unseriös.

Zum Mr. MSV-Sprecher

N. Amenlos 08.12.2009 - 14:41
In einigen Artikeln wird ja nun wieder Carsten Joost als Sprecher der Initiative zitiert. Das, wo er gerade erst vor zwei Monaten hochkant aus der AG Spreeufer hinausgeworfen worden und all seiner Funktionen enthoben worden ist. Joost stand mehr als alle anderen für den Anbiederungskurs gegenüber Bezirkspolitik und Grundstückseigentümern. In den Jahren zuvor hatte er mehr und mehr in der Initiative an sich gezogen, sich zum Kontrollfreak entwickelt, der es nicht ertragen konnte, wenn jemand anderes als er die Initiative öffentlich vertrat.Körperliche Angriffe auf einzelne Leute, die ihn dafür vehement kritisiert haben, waren dann so etwas wie die Spitze des Eisbergs.

Fragt sich also, warum er nun plötzlich wieder auftauchte und die AG Spreeufer ungebrochen im letzten Sonderausschuss zu vertreten schien. Er mag dort nicht das Hemd des Sprechers angezogen haben, denn alle Delegierten ergriffen das Wort und erklärten die Gründe des Ausstiegs, doch es bleibt an der AG Spreeufer, den Bruch mit vorherigen hierarchischen Strukturen nun glaubhaft in der Öffentlichkeit zu vollziehen.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

Spree bleibt Piratengebiet! — Teltow-Kanal-Pirat