[Gö]Universitätsrede gesprengt

Streik 05.12.2009 00:15 Themen: Bildung Soziale Kämpfe
Am Donnerstag den 3. Dezember sollte die Göttinger Universitätsrede stattfinden. Dieses vorhaben wurde jedoch von ca. 30 AktivistInnen so gestört, dass die Veranstaltung nach 50 Minuten von Uni-Präsident Kurt von Figura abgebrochen werden musste.
Bereits am Mittag wurden die "BesetzerInnen" im "besetzten" Verfügungsgebäude der Uni Göttingen von Vizepräsident Wolfgang Lücke aufgesucht, der ihnen eine Redezeit von 5 Minuten zugestehen wollte. Dieses Angebot steht im Zusammenhang mit der Mobilisierung zur Universitätsrede von Seiten der AktivistInnen. Die öffentliche Mobilisierung, der nur wenige gefolgt sind, hat wohl dafür gesorgt, dass die Universitätsleitung angst vor unkoordinierten Störungsaktionen gekriegt hat und so gehofft hatte, die Studierenden zu einem Kompromiss zu bewegen, der die Veranstaltung wie geplant hätte ablaufen lassen. Noch am Abend antworteten die AktivistInnen mit einer Mail auf dieses Angebot, in dem sie mindestens 10 Minuten Redezeit forderten. Zu Anfang der Veranstaltung bezog sich Kurt von Figura jedoch nicht auf diese Mail, sondern sagte lediglich er hätte "keine Antwort erhalten". Dennoch gestand er den Studierenden die Rede zu. Diese ging auf die entdemokratisierung der Hochschulen, die bornierte Haltung vieler Profs, die soziale Auslese vor dem Studium durch Studiengebühren, die miserablen Studienbedingungen im Bachelor/Master und die schlechten Arbeitsbedingungen der Niedriglohnangestellten an der Uni Göttingen ein. Insbesondere wurde sich mit den Arbeitskämpfen in der Gastronomie des Uni-Klinikums solidarisiert ( http://www.respekt-im-uniklinikum.de/).

Nach dieser kurzen Rede, sollte die Veranstaltung wie geplant ablaufen, was jedoch von Anwesenden mit Zwischenrufen, anhaltendem Klatschen, Tröten und anderen Störungen verhindert wurde. Die Universitätsleitung hatte bereits im Vorfeld "Konsequenzen" angedroht, die die AktivistInnen "selber zu tragen" hätten. Relativ unbeeindruckt von der wiederholten Drohung während der Veranstaltung, gingen die Störungen weiter, bis sich Kurt von Figura schließlich dazu entscheiden musste, die Veranstaltung abzubrechen.

Die Störungsaktion war eine der wenigen tatsächlichen Proteste, die in letzter Zeit in Göttingen stattgefunden haben. Insofern zeigt sich an den geringen TeilnehmerInnenzahlen, wie desolat der "Bildungsstreik" in Göttingen ist. Auch aus anderen Städten ist eine vergleichbare Kritik zu hören und das lässt Rückschlüsse auf den Bewusstseinsstand der Studierenden in der BRD zu. Einerseits schaut man fetischisiert nach Frankreich und will so "Cool" sein wie da, andererseits scheut man sich davor selbstbewusst in Stellung zu gehen gegen die Autoritäten und Strukturen.

Bemerkenswert darüberhinaus waren einzelne Situationen, die im folgenden genannt werden.

(1) Was nicht überraschen dürfte ist, dass den AktivistInnen eine "Anti-Demokratische" haltung vorgeworfen wurde. Schließlich ginge es ja in einer Demokratie darum, gemeinsam zu reden und einander zuzuhören. Es schien fast so, als hätten die Anwesenden ZuhörerInnen keine Vergangenheit gehabt und erst recht kein Geschichtsbewusstsein, wenn sie konsequent ausblenden was für eine Veranstaltung dort gestört wurde und, dass Störungen zum gängigen Repertoire basisdemokratischer und sozialer Bewegungen gehören.
So war dies eine Veranstaltung der Stiftungsuniversität Göttingen, die einen Stiftungspreis an ein ehemaliges Stiftungsratsmitglied verleihen wollte. Diese selbstbeweihräucherung (selbst gemessen an den formaldemokratischen Kriterien) undemokratischer FunktionärInnen war keineswegs legitimiert. Auch der hinweis darauf, dass die Mehrheit der Anwesenden der Rede von Frau Limbach zuhören wollte, wollte nicht so recht überzeugen. Schließlich ist es ja keine Überraschung, dass die Mehrheit derer, die zu einer Veranstaltung kommen, diese auch hören wollen. Hier muss am formaldemokratischen Verständnis der Anwesenden gezweifelt werden.
(2) Wurden die AktivistInnen mehrfach als "Faschisten" beschimpft (so u.A. von anwesenden Universitätsangestellten). Diese schlichte Relativierung des Faschismus aus dem bloßen Tatbestand des Protestes, der über die vorgesehenen Bahnen hinausgeht, grenzt an Regression des Bewusstseins, die es an sich schon verbieten würde, einen geforderten "konstruktiven Dialog" einzugehen.
(3) Wurde mehrfach betont, man sei zu einem "konstruktiven Dialog" bereit. Dabei ist die Forderung nach einem konstruktiven Dialog in einer kapitalistischen Gesellschaft eine Scheinforderung, die die strukturellen Macht- und Herrschaftsbeziehungen ausblendet und letztlich dazu führt, dass die autoritätsgläubigen Teile der Bewegung in ein Scheingespräch integriert werden. Vielmehr kann ein Dialog mit den FunktionärInnen auf "Augenhöhe" erst stattfinden, wenn alle Beteiligten bereit sind die grundlegenden Prinzipien der Bildungspolitik in Frage zu stellen und vor dem Hintergrund dieser Kritik an einem grundsätzlich neuen Bildungsbegriff zu arbeiten. Bis dies nicht der Fall ist, verbittet sich ein inhatliches Zusammenkommen zwischen Protest und Funktion. Vielmehr sollten diese Veranstaltungen von Studierenden als strategische Arenen begriffen werden, in denen Druck aufgebaut und Autoritäten in Frage gestellt werden können.
(4) Haben sich PhysikstudentInnen nicht erblöden lassen als Kanonenfutter der bürgerlichen Legitimationsstrategie zu agieren und für die FunktionärInnen in die Bresche zu springen. Als SympathisantInnen mit dem Bildungsstreik haben sie sich bezeichnet, im gleichen Schritt aber die Solidarität in einer entscheidenden Situation zurückgenommen. Dabei darf jedoch nicht überraschen, dass sie dies taten, hatten sie doch selber ihren Elite-Part in der Veranstaltung.

Hier scheint durch womit ein tatsächlicher Protest, der sich nicht an die Bahnen des Bitten und Nicken hält, konfrontiert ist. Das Banner der Demokratie wird in jenen Momenten hochgehalten, wo er seinen nutzen zur Exklusion hat. Die inhaltlichen Forderungen, die im Wesen demokratischer Natur sind in dem Sinne, dass sie die Individuen gegen die gesellschaftlichen Autoritäten stärken soll, werden der Form halber als undemokratisch diffammiert. Eine stärkung des Individuums und die "Erziehung zur Mündigkeit" im Sinne Adornos wären jedoch notwendige Voraussetzung für eine tatsächliche Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen. Gegen diesen Exklusionswillen (der im übrigen kein neues Phänomen ist) müssen sich Bewegungen immer wehren. Oft genug wurde der fehler gemacht sich dann als "die besseren Demokraten" zu inszenieren. Aus diesem Fehler müssen endlich die notwendigen Konsequenzen gezogen werden und zwar nicht von einigen wenigen, sondern von der breite Masse der "Bildungsstreikenden".
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Ergänzungen

erläuterungen zum bericht

streik 05.12.2009 - 18:51
alle deine fragen ergeben sich aus dem text:
zu 1: in dem redebeitrag wurde auf die konkrete kritik am bildungssystem hingewiesen, welche auch hier kurz angerissen aber nur bedingt dargestellt werden sollte. dass es eine veranstaltung der stiftungsuni für die stiftungsuni war, spielt dabei nur eine aber nicht die einzige rolle.

zu 2: Eine Rede halten ist was anderes als einen "konstruktiven Dialog" zu führen wie er immer wieder von formaldemokratInnen gefordert wird. deswegen ist das nicht widersprüchlich...

Köln: Bildungsstreik-Besetzungen gehen weiter

Name 06.12.2009 - 00:34
Köln: Bildungsstreik-Besetzungen gehen weiter

Auch im Dezember geht der Kölner Bildungstreik, wie in vielen anderen Städten Europas, mit Hochschul-Besetzungen und Protestaktionen weiter. Seit der Rektor der Uni Köln die Aula I am 20.11.2009 nach drei Tagen Besetzung polizeilich räumen ließ, werden zwei weitere Räume von Studierenden besetzt gehalten.

Mit später erfolgter Duldung der Fakultät nutzen sie nun seit dem 24.11. den Raum 301 der Fachhochschule in der Mainzer Str. 5, wo sie auch Solidaritätsbesuche von lokaler Medienprominenz bekamen (Frank Schätzing, Wilfried Schmickler, Jürgen Becker). Neben täglichen Plena, Arbeitsgruppen und Vollversammlungen finden dort auch Podiumsdiskussionen, alternative Vorlesungen, Sport, und Konzerte statt. Auch Protestaktionen, wie Flashmobs in der Innenstadt werden organisiert.

Auch die Aula der Humanwisenschaftlichen Fakultät der Uni Köln in der Gronewaldstr. 2 wird seit dem 24.11. von Studierenden besetzt gehalten, was das Dekanat derzeit duldet. Nicht ganz so geduldig war Uni-Rektor Freimuth als er anlässlich der erneuten Besetzung einer Aula im Hauptgebäudes am Albertus-Magnus-Platz den Studierenden wegen ihrer allgemeinpolitischen Forderungen jegliche Gesprächsbereitschaft absprach. Hintergrund des Streits war die geplante Manager-Veranstaltung der CEMS (Community of European Management Schools and International Companies) am folgenden Wochenende, für die der Raum benötigt wurde. Nachdem der Rektor wieder einmal die Polizei gerufen hatte, um die Besetzer/innen aus der Uni tragen zu lassen, fand die Staatsmacht den Saal nur noch leer vor.

Währenddessen gehen die Veranstaltungen und Proteste in den beiden anderen besetzten Hörsäälen munter weiter. Spaßiger Höhepunkt ist definitiv die Entführung des Uni-Weihnachtsbaums durch Bildungsstreikende das "Kommando Knecht Ruprecht" ( http://www.youtube.com/watch?v=WSn2lkzrJkw). Für den 10.12. ist außerdem eine überrgionale Demonstration gegen die Kultusministerkonferenz in Bonn geplant, die um 13 Uhr am Bahnhof Bad Godesberg startet und gegen 16 Uhr am Wissenschaftszentrum enden soll ( http://www.stifterverband.info/veranstaltungen/wissenschaftszentrum_bonn/anfahrt/index.html).

N.N.,
Anarchosyndikat Köln/Bonn,
 http://anarchosyndikalismus.org

Hintergrundbericht zum Kölner Bildungsstreik:
 http://anarchosyndikalismus.org/bildung/bildungsstreik-nov2009/index.html

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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guter text — pepper

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07.12. 18h Demo — Situationist