Bildungsstreik morgen

Wladek Flakin 16.11.2009 21:59 Themen: Bildung Soziale Kämpfe
Es kommt eher selten vor, dass grenzüberschreitende Protestbewegungen ihren Ursprung in Österreich nehmen. Doch es waren Studierende der Universität Wien, die mit einer Audimax-Besetzung am 22. Oktober den Startschuss gaben. In den folgenden drei Wochen wurden mehr als ein halbes Dutzend Universitäten in Österreich und mehr als zwei Dutzend in Deutschland besetzt ( http://www.bildungsstreik.net/besetzungen-update/). "Wir freuen uns, dass jetzt nicht nur Nachrichten über Rechtsextreme aus Österreich kommen" kommentiert Rawin Taghian von der Uni Wien ihre VorreiterrInnenolle.
Ähnlich wie beim Bildungsstreik im Juni, als mehr als eine Viertelmillion Menschen auf die Straße gingen, zeigen PolitikerInnen viel Verständnis – und verweisen darauf, dass sie nicht zuständig sind. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) etwa forderte ihre Kollegen in den Ländern zu "klaren Signalen" auf, dass es bei den Studienreformen der letzten Jahre "Korrekturen" geben werde.

Schavan sprach sich in der vergangenen Woche für eine "Entschlackung" der Studiengänge aus und sagte damit wohl mehr aus, als sie wollte: Bei den allermeisten Entschlackungsverfahren ist ein medizinischer Vorteil klinisch nicht nachweisbar, weshalb diese Praxis sogenannten AlternativmedizinerInnen vorbehalten bleibt. Auf die Bildungspolitik übertragen heißt das vermutlich, dass es viele Worte und wohlriechenden Rauch, aber keine konkrete Änderungen geben wird.

"Schavan lügt!"

Die meisten Studierenden fordern indes weit mehr als "Korrekturen" beim Bologna-Prozess, der vor zehn Jahren ins Leben gerufen wurde, um die europäischen Hochschulen zu vereinheitlichen. "Die schwarz-gelbe Hochschulpolitik unter der Führung von Annette Schavan steht den Forderungen der Studierenden grundsätzlich entgegen", stellt Friederike Benda vom Linkspartei-Studierendenverband Linke.SDS klar ( http://www.linke-sds.org/index.php?id=3750). Während Studierende eine soziale Öffnung der Unis u.a. durch eine deutliche Erhöhung des BAföGs fordern, setzt Schavan auf mehr Stipendien, die in der Regel Menschen aus reicheren Familien zugute kommen.

"Die neue Bundesregierung schreibt wörtlich in ihrem Koalitionsvertrag, dass die Bologna-Ziele zu größten Teilen erreicht seien", meint Michael Schäfer von der Uni Potsdam. "Doch die Mobilität ist nicht gegeben, wenn bereits andere Modulnamen die Anrechenbarkeit an anderen Hochschulen erschweren." Eigentlich sollte der Austausch innerhalb Europas vereinfacht werden, aber wegen des gestiegenen Leistungsdrucks geht die Zahl der Studierenden, die an Auslandssemestern teilnehmen, kontinuierlich zurück.

Hier setzt auch die Besetzungsbewegung an. In stundenlangen, bisweilen mehrtägigen Diskussionen wurden ausführliche Forderungskataloge erarbeitet. "Aufgrund des großen 'Workloads' hatten wir noch nie einen Raum, um über unsere Probleme zu diskutieren" meinte Florian Weiß vor dem Besetzungsplenum der FU Berlin. Deswegen mussten wir uns diesen Hörsaal nehmen." Die meisten Punkte in diesen Katalogen beziehen sich direkt oder indirekt auf den Bologna-Prozeß: Studienverlaufspläne, die kaum Zeit für ein Sozialleben lassen, ein Studium, das kaum noch Auswahlmöglichkeiten kennt, und die Anwesenheitspflicht mit TeilnehmerInnenlisten, die stark an die Schule erinnern.

Besetzungen gehen weiter!

Von den rund 28 Besetzungen bundesweit sind bisher fünf durch die Polizei beendet worden: am Freitag in den frühen Morgenstunden wurde die Uni in Bielefeld geräumt. Am gleichen Abend kamen Studierende in Duisburg und Essen einer Räumung durch den Abbruch ihrer Aktionen zuvor. Andere RektorInnen hingegen, z.B. an der Uni Potsdam oder der FU Berlin, zeigen sich sehr gesprächsbereit und diskutieren stundenlang mit ihren Studierenden, während sie zumindest für ein paar Tage die Aktionen dulden. Aber auch sie, wie alle anderen VerantwortungsträgerInnen im Bildungssystem, verweisen letztendlich darauf, dass sie selbst nichts entscheiden können.

Der Alltag der Besetzungen kann ziemlich anstrengend sein. "Es ist nicht leicht, hier in einem Schlafsack zu pennen, wenn Leute bis 2 Uhr singen und die ReinigerInnen ab 5 Uhr die Staubsauger anmachen", beschreibt Christian Fischer seine ersten 24 Stunden an der FU Berlin. Doch die müden AktivistInnen malen Transparente, entfernen Werbung aus den Fluren und bilden Arbeitsgruppen zu allen möglichen Themen – und das, während die meisten von ihnen noch Lehrveranstaltungen besuchen. Denn die meisten Aktionen stören keineswegs den Lehrbetrieb – zumindest bis auf die besetzten Räume.

Die meisten Besetzungen beschränken sich inhaltlich auf Probleme an der Uni, ohne die Funktion von Bildung in der Gesellschaft zu thematisieren. Doch es gibt auch (vor allem in linken Gruppen organisierte) Studierende, die dagegen halten. In einem Flugblatt heißt es zum Beispiel: "Proteste der Studierenden allein sind nicht ausreichend, um wirkliche Änderungen am Bildungssystem durchzusetzen: erstens können Studierende wenig sozialen Druck aufbauen. Sie können beispielsweise kaum die Infrastruktur eines Landes lahmlegen, was bei Streiks von ArbeiterInnen sehr viel einfacher ist, wie z.B. beim LokführerInnenstreik Ende 2007 besonders deutlich wurde. Zweitens ist die Uni kein von der Gesamtgesellschaft unabhängiger Raum, sondern unterliegt der gleichen Logik der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, wie die Debatte über Bildungsprivatisierung und Effizienzsteigerung an der Universität zeigt.

In der Universität werden die Strukturen der kapitalistischen Wirtschaft reproduziert: Bildung im Kapitalismus dient in erster Linie den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes, und nur die wenigsten Studierenden werden später leitende Posten übernehmen – die überwiegende Mehrheit wird sich früher oder später in Lohnabhängigkeit begeben müssen, wenn sie es nicht jetzt schon in Nebenjobs tun. Mit den ArbeiterInnen eint uns also nicht nur, dass wir der gleichen kapitalistischen Zwängen unterliegen, sondern auch der Fakt, dass die meisten von uns später selbst ArbeiterInnen sein werden." ( http://www.revolution.de.com/revolution/0911/bildungsstreik/besetzungen2.html) Obwohl mehr oder weniger BesetzerInnen fleißig debattieren, sind solche Inhalte noch nicht mehrheitsfähig.

Bundesweit bilden die morgigen Demonstrationen einen ersten Höhepunkt der Aktionen, bei denen neben den Studierenden auch SchülerInnen und VertreterInnen von Gewerkschaften teilnehmen werden. Ob die Besetzungen danach weitergehen, ist ungewiss. Der Kampf um eine bessere Bildung wird in jedem Fall fortgeführt. Nächster Höhepunkt ist die Blockade der Kultusministerkonferenz in Bonn am 10. Dezember.

Bericht von Wladek Flakin, von der unabhängigen Jugendorganisation REVOLUTION ( http://www.revolution.de.com)

Eine kürzere Version des Artikels erschien in der jungen Welt vom 17. November ( http://www.jungewelt.de/2009/11-17/060.php)
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Ergänzungen

Tübingen redemokratisiert

AHL 17.11.2009 - 09:53
Im Anschluss an eine Studium Generale Vorlesung wurde der HS 25 im Kupferbau der Uni Tübingen redemokratisiert. Rektor Engler, Kanzler Rothfuß und Prorektorin Gropper waren mit ihrem Latein am Ende und sicherten den Studierenden zu, über Nacht unbehelligt bleiben zu dürfen. Wie es jedoch nach dieser Nacht weiter geht, bleibt offen. Die Demokratisierer sicherten zu, Lehrveranstaltungen, die nicht verlegbar sind, im HS 25 zuzulassen, da man ja nicht gegen, sondern für Bildung demonstriere (es handelt sich hiebei um 2 VL). Um 16 Uhr findet dann auf dem Geschwister-Scholl-Platz eine Versammlung zum Bildungsstreik statt.

weitere besetzungen

Klaus Dicke ;-) 17.11.2009 - 17:19
heute nachmittag wurde im anschluss an eine demo der Hörsaal 1 der FSU Jena besetzt und auch in erfurt tut sich was ONE STRUGGLE, ONE FIGHT ... es bleibt dabei EDUCATION IS NOT OR SALE!!!

stimm, heut war demo irgendwie

meinefüße... 17.11.2009 - 19:23
aua, ich sag nur aua, war schon ein hübsch stückchen zum ablatschen. was ansonsten u.a. über das demochen zu sagen wäre, enthält z.b. das seitchen  http://wp.me/psdI6-yp - das übrigens auch zu fotos verlinkt, und zwar ganz direkt.

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