Sozialismus?-Veranstaltung an der FU Berlin

Antifaschistische Linke Liste an der FU :all: 11.11.2009 16:13 Themen: Antifa Bildung Soziale Kämpfe
Vor über 250 ZuhörerInnen diskutierten am gestrigen Dienstag an der Freien Universität Berlin linke WissenschaftlerInnen über Sozialismus und co.. Zur Podiumsdiskussion mit dem Titel „Sozialismus? - Von der Aktualität einer Utopie“ hatten die PROKLA – Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, der AStA der FU und die Antifaschistische Linke Liste an der FU ::[all]:: eingeladen.
Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall wird allerorten Feierstimmung verbreitet. Mit dem Ende der sozialistischen Experimente wie etwa in der DDR soll auch jede Debatte über grundsätzliche gesellschaftliche Alternativen erledigt sein. Doch die Politik der Erinnerung kann kaum verdrängen, was allzu offensichtlich ist: In der größten Wirtschaftskrise seit 1929 ist die Frage nach Systemalternative wieder aktuell geworden. AutorInnen der »PROKLA – Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft« (Ralf Hoffrogge, Renate Hürtgen, Raul Zelik, Christian Siefkes und Alex Demirovic) diskutierten ihre Thesen zu Sozialismus & Co.


Der Historiker RALF HOFFROGGE leitete den Abend mit einem historischen Überblick über sozialistische Utopien ein. Er spannte den Bogen, ausgehend von autoritären früh sozialistischen Utopien à la Thomas Morus bis zu den rein an einer Negation der bestehenden kapitalistischen Verhältnissen ausgerichteten marxistischen Sozialismus-Vorstellungen. Als eine auch heute noch vorbildliche historische Sozialismus-Konzeption bezeichnete Hoffrogge das Modell der Rätebewegung in der Zeit der Novemberrevolution in Deutschland (1918/19). Zwei Fehler anderer Sozialismus-Konzepte seien in diesem Ansatz nicht gemacht worden. Erstens wurde nicht auf ein autoritäres Modell „von Oben“ gesetzt und zweitens habe man erkannt, dass sich Sozialismus nicht in der bloßen Verwirklichung bürgerliche Freiheitsrechte erschöpfen dürfe.

Als zweites folgte ein Beitrag der Historikerin RENATE HÜRTGEN. Diese war Teil der linken Opposition in der DDR und setzt sich auch nach deren Ende weiter kritisch mit dem untergegangenen Realsozialismus auseinander. Ihre Hauptkritik am Sozialismus in der DDR berührte die Frage der Eigentumsverhältnisse. Formaljuristisch, so die Kritik Hürtgens, seien die Produktionsmittel in sogenannten Volks eigenen Betrieben (VEB) durchaus in den Händen der Bevölkerung gewesen. Aber faktisch sei damit keine höhere Qualität der Vergesellschaftung der Reichtumsproduktion verbunden gewesen. Hierin sei der Hautgrund für das Scheitern der DDR zu suchen. Nicht schlechte Führung oder mangelnde Planung sei das Problem gewesen, sondern die Tatsache, dass wie in kapitalistischen Gesellschaften der Produktionsprozess herrschaftlich organisiert war und nicht in den Händen der Bevölkerung lag.

Der Autor und Politikwissenschaftler RAUL ZELIK begann seinen Beitrag mit der Feststellung, dass wir „wieder in einem Zeitalter der Utopien leben“. Eine grundsätzlich andere Gesellschaft sei jederzeit möglich. Man müsse aber aus dem Scheitern es Realsozialismus lernen und dürfe seine Fehler nicht wiederholen. Es sei wieder an der Zeit, über eine gesellschaftliche Steuerung von Arbeit, Produktion und Konsum nachdenken. Klar sei aber auch, dass jede Form einer solchen Utopie auf Widerstand der herrschenden Klassen stoßen werde. Deshalb sei es heute die Aufgabe der Linken, eine gesellschaftliche Gegenmacht zu den bestehenden kapitalistischen Verhältnissen zu organisieren. Ein mögliches Vorgehen sei eine linke Politik, die auf die Forderung nach der schrittweisen Ausweitung gesellschaftlicher Kontrolle über die Ökonomie setzt. Als mögliches Beispiel nannte Zelik einen weltweiten Kampf um kostenlosen Zugang zu Trinkwasser zu entfachen.

CHRISTIAN SIEFKES stellte seinem Vortrag die Feststellung voran, eine sozialistische/kommunistische Gesellschaft werde nicht vom Himmel fallen. Vielmehr müsse eine post-kapitalistische Gesellschaft zwangsläufig aus eben jenem Kapitalismus erwachsen. Deshalb empfehle es sich, den Blick auf Stellen im Kapitalismus zu werfen, in denen bereits etwas neues entsteht. Siefkes glaubt dieses Potential im Internet bei der Produktion Freier Software zu erkannt zu haben. Diese werde gemeinschaftlich hergestellt und zwar nicht für den Markt, aber auch ohne staatliche Planung. Auch eine Ausweitung dieses Prinzips der Produktion auf andere (materielle) Bereich sei bereits festzustellen (z.B. Baupläne). Dieses Modell des herrschaftsfreien Produzierens berge deshalb das Potential für eine neue Produktionsweise.

Im letzten Beitrag des Abend forderte der Politikwissenschaftler ALEX DEMIROVIC, die Trennung von Politik und Ökonomie in der bürgerlichen Gesellschaft zu überwinden. Mit den Institutionen der bürgerlichen Demokratie, könne auf die gesellschaftlichen Grundentscheidungen gar kein Einfluss genommen werden. Nicht zuletzt müsse deshalb die Frage nach den Eigentumsverhältnissen wieder neu gestellt werden.

Im Anschluss an die Beiträge des Podiums gab es eine rege Diskussion über Staatssozialismus, den (noch) real existierenden Kapitalismus und das sozialistische Danach. Es hat sich an diesem Abend in Berlin-Dahlem gezeigt, dass die Linke wieder ernsthaft über Gesellschaftsmodelle nach der kapitalistischen Tristesse nachdenken will.


Zum weiter lesen empfehlen wir einerseits den Band 155 der PROKLA -Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft mit dem Titel „Sozialismus?“ in dem sich u.a. auch Texte von allen auf der Veranstaltung vertretenen Autoren finden. (Zu bestellen unter:  http://www.prokla.de).

Eine weitere Leseempfehlung ist das neue Buch von Elmar Altvater und Raul Zelik mit dem Titel „Die Vermessung der Utopie: Ein Gespräch über Mythen des Kapitalismus und die kommende Gesellschaft“ (Blumenbar-Verlag). Dieses Buch kann dank einer Creative-Commons Lizenz kostenlos und legal im Internet heruntergeladen werden ( http://www.vermessung-der-utopie.de/). Die genannte Homepage lädt darüber hinaus auch alle Interessierten zur gemeinsamen Diskussion über Sozialismus und co. ein.

Schon mal zum vormerken: Vom 10.-14.01.2010 sind Stupa-Wahlen an der FU Berlin. Dann natürlich Antifaschistische Linke Liste an der FU Berlin ::[all]:: wählen!
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Ergänzungen

FU Besetzt

Mensch aus 1A 11.11.2009 - 17:39
Der Hörsaal 1A an der FU ist seit heute Mittag besetzt.
Kommt zum 20h Plenum, gibt auch lecker VoKü.

Kritische Bildung im Neoliberalismus

AKP 11.11.2009 - 19:41
Weiterdiskutieren!

Veranstaltung am Montag, 16.11.2009, 19:30 Uhr im „Max und Moritz“, Oranienstraße 162, Berlin-Kreuzberg, U-Bhf. Moritzplatz: "Wer braucht hier welche Bildung? Politische und kritisch-psychologische Perspektiven zum neoliberalen Bildungsdiskurs"

Der kritischen Bildung und Wissenschaft bläst in Zeiten der neoliberalen Umgestaltung ganzer Gesellschaftsbereiche ein harter Wind entgegen. Bildungsinstitutionen werden in funktionalistische Qualifizierungsagenturen überführt und Lernprogramme nach arbeitsmarktbezogenen Verwertungskriterien konzeptualisiert. Der neoliberale Bildungsdiskurs macht sich dabei ehemals kritische Begriffe wie ‚Autonomie‘ und ‚Selbstbestimmung‘ zu eigen, entledigt sie aber ihrer gesellschaftsverändernden Implikationen. Vor diesem Hintergrund ist nach politischen Perspektiven kritischer Bildung und nach kritischen-psychologischen Ansätzen von emanzipatorischen Lernverhältnissen zu fragen, die nicht das Handeln unter bestehenden Bedingungen trainieren, sondern auf Selbstverständigungsprozesse zur Überwindung von Fremdbestimmung und Handlungsbehinderungen zielen.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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hm. — mhh.

@Mensch aus 1A — Zyniker

@Peter — Rot und rüstig ;)

Peter's Nachschlag — Peter Lustig