Hartz IV: Stützt Christoph Butterwegge familienfeindliche Propaganda von Welt & Co.?

Brigitte Vallenthin 09.11.2009 15:37 Themen: Soziale Kämpfe
Armutsforscher Christoph Butterwegge leugnet weiterhin, dass es am 20. Oktober vor dem Bundesverfassungsgericht um den Eckregelsatz, also grundsätzlich um das zu geringe Hartz IV ging. Und auf diese schallende Ohrfeige für millionen Betroffene setzt er noch eins drauf: Statt einer Richtigstellung beschimpft er obendrein den Kläger vorm Bundesverfassungsgericht, er könne wohl nicht lesen und solle zum Augenarzt gehen.
Offener Brief an Christoph Butterwegge von Thomas Kallay, Hartz-IV-Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht und Brigitte Vallenthin, Hartz4-Plattform Sprecherin:


Sehr geehrter Prof. Dr. Butterwegge,

am 3. November schrieben Sie auf  http://www.nachdenkseiten.de/?p=4309 im Rahmen eines Beitra-ges zum Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung (im 9. Absatz) folgendes:

„Ungefähr zur selben Zeit, als das Bundesverfassungsgericht am 20. Oktober 2009 darüber verhandelte, ob die Bedürfnisse der in landläufig „Hartz-IV-Haushalten“ genannten SGB-II-Bedarfsgemeinschaften lebenden Kinder bei der Regelsatzbemessung angemessen berück-sichtigt wurden oder zumindest die Kinderregelsätze das Sozialstaatsgebot des Grundge-setz verletzen ...“

Am 4. November schrieb der Hauptkläger vor dem Bundesverfassungsgericht, Thomas Kallay, der NachDenkSeiten-Redaktion; „Bitte korrigieren Sie Ihre falsche Berichterstattung“ und begründete dies wie folgt:

„Ich bin derjenige Kläger in Hartz-IV-Angelegenheiten vor dem Bundesverfassungsgericht, der am 20.10. 2009 dort anwesend war, selbst vortrug, und bei dessen und seiner Familie Klage es vor dem Bundesverfassungsgericht eben nicht nur um die Verfassungswidrigkeit der Hartz-IV-Re-gelsätze für Kinder, sondern auch um die Verfassungswidrigkeit der Hartz-IV-Regelsätze für Er-wachsene geht, also nicht nur § 28 SGB II, sondern auch § 20 SGB II. Vielmehr sogar hatte das Bundesverfassungsgericht am 20.10. 2009 unser Verfahren mit dem dortigen Aktenzeichen 1 BvL 1/09 (Vorverfahren HessLSG L 6 AS 336/07) zum grundlegenden Verfahren im Rahmen der Prüfung der Verfassungswidrigkeit der §§ 20 und 28 SGB II gemacht.“

Link dazu:
 http://www.tacheles-sozialhilfe.de/aktuelles/2009/Verfassungsgericht_Stellungnahme_Kallay.aspx

Selbst Mainstream-Medien konnten, nachdem die Bundesverfassungsrichter dem zentralen Ver-fahren um den Hartz-IV-Eckregelsatz mehr als drei Stunden der knapp fünfstündigen Verhandlungsdauer eingeräumt hatten, danach nicht mehr um-hin, wahrheitsgemäß zu berichten.

Sie nahmen überwiegend Abstand von der vorausgegangenen Meinungsmache mit propagandis-tischen Interessen der Bundesregierung. Es sei ihnen nachgesehen, dass sie dies mit einer „über-raschenden Wende während der Verhandlung“ entschuldigten.


Dass nun gerade Sie, sehr geehrter Prof. Dr. Butterwegge, noch zwei Wochen nach der Verhand-lung vor dem Bundesverfassungsgericht erneut in die regierungskonforme, familienfeindliche Falsch-Berichterstattung zurück fallen, erschreckt uns.

Wir haben in Ihnen bislang einen kritischen, sachorientierten Wissenschaftler gesehen, der sich nicht interessengebundenen Kampagnen der öffentlichen Meinungsbeeinflussung beugt. Einen der Mutigen, der kollektive Vorurteile eher aufdeckt als sie zu befördern.

Nicht also als einen vom Schlage Missfelder, Sarrazin, Buschkowsky & Co., die alle Hartz IV-Eltern pauschal zu lebens- und erziehungsunfähigen Säufern erklären und ihnen am liebsten nur noch Almosen-Gutscheine zubilligen würden, statt Geld zum Leben.

Wir waren bislang der Annahme, dass auch Sie es im Sinne eines gerechten gesellschaftlichen Miteinanders nicht für eine gesunde Entwicklung halten, wenn Hartz IV-Eltern ihre Kinder in sog. Archen schicken müssen, weil sie ihnen nicht genug zu essen auf den Tisch stellen können – während sie selber sich verschämt in Suppenküchen eine warme Mahlzeit holen müssen.

Dass dies ein unerträglicher gesellschaftlicher Skandal in unserem reichen Lande ist, bekundeten jüngst sogar 48% unserer Mitbürger, die für eine Hartz IV-Regelsatz-Erhöhung plädierten.

Wollen Sie, sehr geehrter Prof. Dr. Butterwegge, wirklich die Familien zerreißende Politik der Bundesregierung stützen, wenn Sie in einer Rechtfertigung an die NachDenkSeiten-Redaktion schreiben: „In der öffentlichen Berichterstattung standen übrigens AUSSCHLIEßLICH die Kinder im Fokus ...“ Und ansonsten den Kläger zum „Augenarzt“ schicken mit der Begründung: „Können die Leute nicht lesen?“

Wir fragen uns besorgt, wie weit entfernt Ihre so bekundete Meinung noch von der jüngst, z.B. in "Die Welt" nachzulesenden, verschärften Linie eines "familienpolitischen" Auslese-Gedankens ist, wo als „eine folgenschwere Entwicklung bezeichnet wird“, dass „Elterngeld – eine Fortpflanzungsprämie für die Unterschicht“ sei:

 http://www.welt.de/politik/deutschland/article5061827/Elterngeld-Fortpflanzungspraemie-fuer-Unterschicht.html

Gleichwohl hoffen wir zuversichtlich auf einen klärenden Dialog mit Ihnen, der uns derartige Be-fürchtungen nimmt.

Und wir hoffen, dass Sie schließlich doch noch auf den Vorschlag der NachDenkSeiten-Redaktion eingehen: „... wir nehmen den "Augenarzt" und die Richtigstellung zum Klageinhalt einfach in ein Corrigenda bei den Hinweisen. Einverstanden?“ und sich mit der angebotenen Korrektur einverstanden erklären.

Mit kritischen, aber freundlichen Grüßen nach Köln,

Eschwege, 09. November 2009 Wiesbaden, 09. November 2009

Thomas Kallay Brigitte Vallenthin
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