1. Berliner Karneval der Galerien

MvH 09.11.2009 03:11 Themen: Freiräume Kultur Soziale Kämpfe
„Zieht euch warm an. Wir freuen uns wenn Ihr dabei seid!“ sagt Anett Lau (Foto), die Mitorganisatorin der Künstlerdemonstration am kommenden Mittwoch um 11.11 Uhr von Berlins Mitte zum Wedding. Die Demonstration versteht sich vor dem Hintergrund der Gentrifizierung als Auszug der Kunst aus Altmitte in den Wedding. „Künstler helfen die Stadt zu sanieren und können sich die schönen teuren Läden am Ende selber nicht mehr leisten.“ Also „Come to where no action is - selber schuld!” und “Sorry Wedding!”
Ein Interview über Hintergründe, Betroffenheit und Selbstverständnis mit Anett Lau.
Wann ist die Idee für den Karneval der Galerien in welchem Zusammenhang entstanden?
Die Idee entstand nach unserem kürzesten Festivals der Saison „HELTER SKELTER- ICH BREMSE AUCH FÜR KÜNSTLER“ im Mai 2009. Henrik Jacob, Künstler und Mitbewohner unseres Hauses, sowie Mitinitiator unseres Vereins mit der Galerie KULTURPALAST WEDDING INTERNATIONAL brütete sie aus. Das Festival hatte sich weit bis über die Stadtbezirksgrenzen herumgesprochen, es kamen fast vierhundert Gäste. Der gute Geist unseres Hauskollektivs ist seitdem so beflügelt, dass die Idee von Henrik zu dieser Demonstration begeistert aufgenommen wurde und wir seit August an der Umsetzung arbeiten.

Wie viele Künstler habt ihr bisher zusammenbringen können?
Unser Künstleraufruf ging vorrangig an Galerien. Bis jetzt haben 19 fest zugesagt. Kurz vor Beginn entscheiden sich in der Regel noch viele für eine Teilnahme. Ich rechne mit 500 Teilnehmern/innen.

Welche Aktivitäten sind geplant
„Litekultur“ wird „im Namen der Liebe“ einen Einkaufswagen dekorieren, der Kulturpalast selbst bringt drei Fahrzeuge: Kopacs Postbus, Hausfreund Romanowskis Schlitten und eine Seifenkiste von Andreas Kotulla. Inna Artemova kommt selbst als laufendes Bild, der Bundesvorsitzende der Kulturpartei, Malte Brant, wird eine Rede halten und die Directorslounge zeigt zur Abschlussveranstaltung einen screen. Ganz besonders freuen wir uns über den Zusammenschluss mit den 50 in weiß gekleideten Aktivisten des Kulturhauses Peter Edel und Wallywoods. Deren Demonstration startet schon um 10.00Uhr in Weißensee und richtet sich gegen die geplante Schließung ihres Kulturhauses.

Gibt es für Euch eine aktuelle Betroffenheit ?
Das Haus, in dem wir hier als Gemeinschaft leben, wurde vor ca. einem Jahr an die Blackbird Immobilien GmbH verkauft.. Da ging gerade die Finanzkrise los und wir mutmaßten Kapitalanlage gegen Finanzverlust, seitens der Käufer. Wir haben gehört, das diese Gesellschaft Häuser kauft und wartet, bis deren Wert so weit gestiegen ist, dass sich ein Wiederverkauf lohnt.
Viele von uns wurden aus Stadtteilen wie Prenzlauer Berg und Frierichshain vertrieben. Wir lebten da schon lange vor der Wende bzw. sind dort aufgewachsen. Und daher kennen wir Symptome und Vorzeichen solcher Stadteilkapitalisierungen. Die Wohnungen des Hauses in der schon viel zitierten Ausgehmeile Kastanienallee in Mitte zum Beispiel, in der ich vor 5 Jahren wohnte, wurden in Eigentumswohnungen umgewandelt. So eine Art der Vertreibung habe ich jetzt schon drei mal erlebt.
Damals tauchten auf der Kastanienallee ständig Filmteams auf. Bereits mehrmals waren Filmteams auch bei uns in der Freienwalder Strasse, denn hier gibt es noch so eine urtümliche Berliner Atmosphäre. Das macht uns stutzig.

Wie entstand eure Mietergemeinschaft?
In 2004 Jahren standen hier viele Wohnungen leer. Ein paar Leute von uns haben das mitbekommen und dann den Freundeskreis zusammengetrommelt. Wir sind uns mit der Hausverwaltung schnell einig geworden, haben das Haus auf eigene Kosten instandgesetzt und zahlen dafür einen geringen Quadratmeter-Preis. Zwölf von insgesamt neunzehn Mietparteien zählen zu diesem Projekt. Wir sind Künstler, Musiker, Architekten und Fotografen. Daraus hat sich dann das Kunstprojekt „Kulturpalast Wedding International“ herausgebildet. Im Erdgeschoss betreiben wir eine Galerie mit häufig wechselnden Ausstellungen. Wir haben uns dann der Kolonie Wedding angeschlossen, die einmal im Monat seit Jahren im ganzen Kiez Kunstveranstaltungen auf die Beine stellen. Drei Galerien von der Kolonie sind bei den Vorbereitungen mit dabei. Es tut gut hier im Kiez vernetzt zu sein.

Wie erlebst du die Ausgehmeile Kastanienallee heute im Rückblick?
Dort ist es nicht nur wegen der steigenden Mieten nicht mehr auszuhalten. Das neue Bildungsbürgertum spazierte damals sonntags im Schlafanzug zum Bäcker, weil das so unspießig ist. Es wimmelt nur so vor jung - dynamisch - erfolgreichen Töchtern und Söhnen, die dort ihre elternfinanzierten Projekte durchführen. Dieser Stadtbezirk ist völlig übersaniert. Man trifft keine alten Leute mehr auf der Strasse. Es ist nichts mehr von der ursprünglichen Geschichte zu spüren, wegen der es die Leute nach der Wende auf den Berg zog. Aus diesem Grund war ich 2005 froh, in ein altersdurchmischtes Stadtgebiet zu ziehen, hier in den Soldiner Kiez. Als Ex-Ossi bemerke ich dazu gern mit einem Augenzwinkern: ich wohne jetzt das erste mal im kapitalistischen Ausland.
Interview MvH


Weitere Informationen unter
www.karneval-der-galerien.com

www.kulturpalastwedding.com

 http://www.wallywoods.com/
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Ergänzungen

Narrentanz der Gentrfikation

black sheep 10.11.2009 - 12:51
Folgender Termin wurde am 10.11.2009 - 12:34 in das Termin-Formular im Internet-Stressfaktor ( http://stressfaktor.squat.net/terminator.php) eingetragen und abgeschickt:

11.11.2009
11.10 - Start in: Anklamer Strasse/ Ecke Brunnenstrasse
Dieser Aufruf aus dem Stressi kommt der Sache wohl schon näher, wenn man bedenkt dass ausgerechnet die demonstrieren wollen die von der ganzen gentrifuck profitieren. Lets rock the carneval....

Karneval der Galerien
Demo gegen Gentrifizierung:

Nur: diese Demo ist von Künstlerinnen aus der Kolonie Wedding angekündigt, als Karnevalsumzug...

Die Künstler haben Vergünstigungsverträge mit der Degewo ausgehandelt, die es ihnen erst ermöglicht sich dort anzusiedeln.
Die Hofnarren der Degewo, die als herausragende Instanz für die Gentrifizierung im Wedding anzusehen ist, rufen zur Demo. Diejenigen die als Speerspitze der Gentrification im Wedding arbeiten wollen, wie sie es nennen, eine ernstgemeinte ANTIGENTRFICATIONDEMO veranstalten...

Das ist in etwa so wie wenn die FDP zum Sozialismus aufruft :)

An alle echten Demonstranten: nutz diese Veranstaltung um eine wirkliche Demo gegen die sog. "Aufwertungspolitik in Stadtteilen" zu veranstalten!!!

Die Veranstalter rufen zur Kostümierung auf, haltet euch daran ;)))))

Eintritt: frei



black sheeps and the mother of intervention

den bock zum gärtner gemacht

black sheep 10.11.2009 - 18:29
Also irgendwie ist das schon komisch wenn von einem ernsten politischen thema gesprochen wird und das ganze ist als ein riesenzirkus angekündigt. gegen gentrifizierung in affenkostümen?
Weiss nicht, aber das ganze riecht mir eher nach einer schönen künstlerischen inszenierung des eigen kulturgeltugsbedürftnisses, nicht aber nach einer wirklichen auseinandersetzung mit dem thema und der damit verbundenen repressionspraxis. (wir erinnern uns an andere, zum beispiel andrej holm, der wegen seiner aufklärungsarbeit auf dem feld eingelocht wurde!)

wenn künstlerinnen, die eindeutig von der gentrifizierung profitieren zu einer vermeintlich kritischen aktion aufrufen schwingt eher egozentrische selbstdarstellung der künstlerinnen mit, als reale kritik an politischen verhältnissen. In der fachsprache würde man dazu system-affirmative kritik sagen. kritisch ja aber nur "im rahmen der freiheitlich demokratischen grundordnung - versteht sich" (zitat degenhardt)

wenn die kritik als medienspektakel inszeniert wird, bringt das ausser publicity für die teilnehmenden künstlerinnen wenig, die migranten und sozial marinalisierten haben davon wenig wenn sie den stiefel von den wohnungsbaugesellschaften in den arsch getreten bekommen!

entlarvend für rein selbstgefällige interessen ist auch der folgende satz, der auf der homepage der kolonie wedding steht:
(www.koloniewedding.de/orten.php?ort=Kulturpalast_Wedding_International&aktuel&PHPSESSID=c50eea726b913893a18f4df4e884a310)
"Wie Künstler helfen die Stadt zu sanieren und sich die schönen teuren Läden am Ende selber nicht mehr leisten können."
der satz stimmt zwar, aber bezieht sich eben nur auf reines eigeninteresse der veranstaltenden galerien und gruppen,frei nach dem motto, ach wir armen opfer der bösen gentrifizierung, heul!

Das einzige projekt, das sich in die richtung basisarbeit im kiez, mit den marginalisierten bewohnern bewegt hat,war ansatzweise das tupac amaru. jedoch gibt es dieses nicht mehr, warum weiss ich allerdings auch nicht.

harlekineske züge hat es an sich wenn diejenigen die von der DEGEWO gefördert werden, der hand die sie füttert einen biss versetzen, der sich auch als handkuss lesen lässt, im grunde genommen fehlt nur noch das logo der degewo auf dem demoflyer als sponsor!

"sie meinen es ernst" wird behauptet, ernst um auf sich aufmerksam zu machen? ernsthaft eine party feiern um missstände zu beleuchten? für mich hört sich das ein bisschen so an wie: "saufen gegen drogenhandel"

nunja wie dem auch sei guy debords wird sich im grabe umdrehen wenn er noch nicht vollständig verwest ist, und ich hoffe dass auch wirkliche anti gentrifikation demonstranten am start sind.

in diesem sinne künstlerspektakel gegen soziokulturelle diktatur, na dann viel spaß dabei!



black sheep and the mother of intervention

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