Vergesse Kämpfe aus dem Herbst 89

diesenstaatkeinenmenschundkeinengroschen 06.11.2009 02:06 Themen: Antirassismus Soziale Kämpfe
Aktivisten aus den politischen und sozialen Aufbruch in Polen und Deutschland berichteten am 4.11.09 über ihre Ziele und setzten damit einen Contrapunkt zur offiziellen Erzählung über die Wende.
Sie kommen in der offiziellen Erzählung der Wendegeschichte nicht vor, und doch haben sie im Herbst 1989 in der DDR Geschichte geschrieben. Thomas Klein und Bernd Gehrke waren Mitbegründer der Gruppe Vereinigte Linke (VL). Ihr Ziel war eine demokratische, sozialistische Opposition unter Einbeziehung der linken Kräfte in der SED. „Wir sind mit unseren Vorhaben gescheitert“, erklärte Thomas Klein unumwunden am Mittwochabend auf einer gut besuchten Veranstaltung im Stadtteilladen Zielona Gora in Berlin-Friedrichshain. Dort waren die DDR-Oppositionellen auf einer Veranstaltung im Rahmen des Berliner Bündnisses gegen die Wendefeierlichkeiten eingeladen. „Es ging uns darum, deutlich zu machen, dass der soziale und politische Aufbruch im Herbst 89 in der DDR nicht automatisch im Anschluss an die BRD enden musste“ erklärte ein Vertreter des Bündnisses. Auch von verloren gegangenen Kämpfen könne man lernen, solange man sie nicht ganz verschweigt. Es waren Ereignisse, die in dem aktuellen Wendediskurs nicht vorkommen, über die Gehrke und Klein berichteten. So nahmen an einer von der VL organisierten Demonstration gegen den Besuch des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl Ende November in Berlin ca. 40000 Menschen teil, die gegen den Ausverkauf der DDR demonstrierten. Die Aktion ist heute ebenso weitgehend vergessen, wie die vielen Aktionen in den Betrieben der DDR, mit denen die Belegschaft für eine Demokratisierung kämpfte. Die Forderungen gingen oft in Richtung Selbstverwaltung und Kontrolle der Produktion, meinte Gehrke.

Wende in der Wende

Ausführlich gingen Klein und Gehrke auf die seit Dezember 1989 spürbaren Stimmungsumschwung in der Bevölkerung der DDR ein. Zunehmend wurden die Demonstrationen von großen Deutschlandfahnen geprägt, die oft genug aus der BRD importiert wurden. Ebenso die von der CDU gesponserten Plakate mit der Losung „Wir sind ein Volk“. Der Westimport sei damals leicht zu erkennen gewesen. Die Wiedervereinigungsbefürworter in der DDR skandierten die Parole „Deutschland einig Vaterland“, die auch in der DDR-Hymne enthalten war, aber seit Ende der 50er Jahre nicht mehr gesungen wurde. Die Aktivisten berichteten auch über die real existierenden Schwierigkeiten, beim Kampf für eine unabhängige DDR. Der Kampf hätte nur Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn es gelungen wäre, einen Teil der SED-PDS-Basis für diese Forderungen zu mobilisieren. So gab es gerade im Nordosten der DDR größere Vorbehalte gegen den Anschluss an die BRD. Dort hatte die SED mit ihrer Agrarpolitik, der Zerschlagung der Großagrarier unter der Losung „Junkerland in Bauernhand“ durchaus auch noch 1989 eine Basis. In dieser Gegend gab es auch größere Demonstrationen gegen den BRD-Anschluss, beispielsweise in Rostock. Aber zu einer größeren Zusammenarbeit mit den linken DDR-Oppositionellen ist es in dieser Zeit nicht gekommen.

Beispiel Polen

Nicht nur in Deutschland wurde der soziale Aufbruch schnell nach rechts kanalisiert. Am Beispiel von Polen berichtete Kamil Majchrzak von der polnischen Ausgabe der Le Monde Diplomatique, wie eine Bewegung, die sich Ende der 70er Jahre aus den Kämpfen um Arbeiterselbstverwaltung entwickelte, in den 90er Jahren das neoliberale Schockprogramm befürwortete. Einige kämpferische Gewerkschaften in Polen berufen sich aktuell genau auf diese Zeit. Ob es auch in Deutschland im Zeichen der Krise nicht an der Zeit wäre, wieder an den sozialen Aufbruch im Herbst 1989 anzuknüpfen, fragte ein Mann aus dem Publikum.


Terminhinweis:
Berlin:
Zu Scheitern und Zukunft des Kommunismus
20.15 Uhr | HU Berlin (Audimax) | Unter den Linden 6


Berlin, Checkpoint Charly
7.11. 16 Uhr
Bundesweite antinationale Demonstration vom Berliner Bündnis gegen die Wendefeierlichkeiten
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Ausnahmeerscheinung!

wirbrauchenmehrdavon 06.11.2009 - 10:56
Die Veranstaltung war und ist eine echte Ausnahmeerscheinung im allgemeinen und vor allem einseitigen Blödsinn, den Mensch sonst zum Thema Wende und Revolution in der DDR 1989 erzählt bekommt.

Die selbstkritische,und so gar nicht mit linksdogmatischen Worthülsen gefüllte Art, sich von links mit den damaligen und heutigen Gegebenheiten sowie Entwicklungen auseinander zu setzen und darin eigenes Handeln, dessen Erfolg und Niederlage zu reflektieren und in einen Zusammenhang mit Entwicklungen in ganz Europa zu bringen war beeindruckend. Geschichtsaufarbeitung, - deutung und Erkenntnisgewinn von links, wie sie uns leider aktuell all zu oft fehlt.

Gern möchte ich in diesem Zusammenhang auch auf die Quartalszeitschrift "Telegraph" (ursprünglich Umweltblätter) hinweisen. Die genannten Vertreter der damaligen Initiative der Vereinigten Linken und andere setzen unter anderem hier ihre Arbeit fort. In der aktuellen Ausgabe geht es unter anderem um die gescheiterte Revolution in der DDR, Kurras und 1968, Kapitalismuskrise, Terrorismusbekämpfung etc.

Im Zusammenhang mit den linken Oppositionellen wird hier auch eine Rede von Erika Drees vor Gericht von 2002 abgedruckt. Diese ist ein bezeichnendes Dokument für das Verständnis und die Geschichte linker Opposition in der DDR, die , wenn sie konsequent in der BRD weiter dafür einstanden und einstehen, wiederum zu Repression seitens des Staates führt, der sich doch so gern mit den Oppositionellen von damals schmückt.

Die Veranstaltung zeigte unter anderem auch, das im Dezember 1989 bei einer repräsentativen Umfrage durch Westmedien in der DDR - Bevölkerung noch über 70% vor allem eine neue andere DDR wollten und so etwas wie die Vereinigung mit der BRD gar nicht das Thema war. Dies änderte sich von der Maueröffnung an über die Übergangsregierung bis zur ersten freien Volkskammerwahl im März erheblich. Die Einflussnahme der Konservativ-bürgerlichen Kräfte aus der BRD einerseits (Plakate, Medien, Veranstaltungen, Bestechung...) und die Angst der SED-Kader und DDR-bevorteilten vor einer Machtübernahme durch die Opposition anderseits, waren mit dafür verantwortlich, dass die eigentlich Revolution in der Bevölkerung zum Stocken kam und diese dann eher in eine Konterrevolutionäre umschlug. Die organisierte DDR - Opposition war, nach allem was heute zugänglich ist, nicht nur einer der Intellektuellen und sogenannt bürgerliche, sondern eben auch eine vor allem auch linke und von Arbeitern und kleinen Angestellten 1989 getragene, die nicht den Kapitalismus als Ziel hatte, sondern einen Sozialismus, der den Namen auch gerecht wird. Die Fehler und die Fehleinschätzungen der ostdeutschen und westdeutschen linken Opposition usw. die ebenfalls zu dem bekannten anderen Ergebnis führten, gilt es aufzuarbeiten, zu verstehen und in eine Gesamteuropäische Linke einfließen zu lassen.

tip

tagesschauer 06.11.2009 - 11:48
Wer einen Einblick in die Manipulation der Wahrnehmung während der Wende und in der Wende der Wende durch die BRD - Politik und deren Medien bekommen will, dem sei die Tagesschau von vor 20 Jahren empfohlen. In laufe der Wochen ändert sich die Art deren Berichterstattung von anfangs erstaunter, dann verstärkender und fordernder hin zu klarer Einflussnahme in die Diskussion über das Wohin in der DDR.

Wer die Zeit selbst auf der Straße erlebt hat, dem/ der wird es irgendwann ganz komisch... von den ursprünglichen Forderungen und der Kritik der in der DDR - bleibenden, blieb am Ende nicht mehr viel übrig. In fast allen Programmen und Gründungsschriften der verschiedenen Oppositionsgruppen/ -später auch Parteien sind Forderungen nach einer (basis-)demokratischen, sozial gerechten und ganz besonders stark ausgeprägt: ökologisch orientierten Neuausrichtung der DDR die Rede. Die Abschaffung von Geheimdiensten, der Armee usw. sind klar formulierte Ziele. Das alles wird zu Beginn im Oktober '89 von den DemonstrantInnen mitgetragen. Insbesondere in den Ballungsgebieten/ Industriegebieten im Süden der DDR und deren Mitte unterhalb von Magdeburg sind in den meisten Kleinstädten prozentual viel mehr Menschen auf der Straße, als in den Großstädten. Die Leute riefen - als Drohung an die DDR - Oberen: "Wir bleiben hier!!!" Sprich wir werden nicht abhauen, sondern wir wollen hier leben, hier was verändern.

Die CDU der BRD schaffte sich über den Winter 89/90 immer bessere Einflussmöglichkeiten: mit der Maueröffnung kam zudem die Bildzeitung, die (Schwarz-)HändlerInnen, die GeschäftemacherInnen... und die Angst vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch wurde immer größer... - "warum selber ein neues Ufer suchen, selber schwimmen, wenn doch andere schon eines für einen bereit halten und dich ins eigene Boot mitnehmen"... die Revolution endete im Anschluss an die BRD zu ihren Bedingungen. Selbst die im Grundgesetz festgeschriebene Klausel, dass es bei einer Wiedervereinigung zu einer von der Gesamtbevölkerung abzustimmenden Verfassung kommen sollte, wurde einfach gestrichen. Die echte Freiheit endete noch bevor sie wirklich begann im bürokratischen Verramschen der DDR, in der kapitalistischen Verwertungslogik, in den Machtzentralen der Parteien... es gab sogenannte UnterhändlerInnen (z.B. Peter Michael Diestel) - die im Nahmen der DDR-Bevölkerung, alles zu Grabe trugen, was in der Phase des Herbstes '89 Bestandteil der Forderungen war und in der Folge konnte die sogenannte Treuhand über die VEB - Betriebe, Wohnungsgenossenschaften, FDGB-Ferienlager, Grundstücke, Häuser usw. herrschen, wie sie wollte. (Fast) alles wurde privatisiert. Nichts blieb. Keine Experimente.

...

... 06.11.2009 - 13:21
Ich gehörte damals zu denjenigen, die mit auf die Straße gingen, erst "Zuführung" riskierten, dann recht euphorisch waren, denen dann aber - trotz des Wunsches nach Einheit - dieses plötzliche "Wir sind ein Volk"- "Helmut, Helmut"-Geschreie, die schnelle Währungsunion und die Wiedervereinigungsfeierei ziemlich auf den Nerv ging. Zugleich komme ich nicht umhin, die Notwendigkeit für plausibel zu halten, jedenfalls plausibler als irgendwelche Ideen eines anderen Weges, erst recht gar "kommunistische". Auch habe ich leise Zweifel, inwiefern Gegenströmungen wie die genannten nicht instrumentalisierbar waren oder gar deren Propheten sehr eigene Absichten pfleg(t)en. Immerhin fällt auf, dass die "NASI" (Nachfolger der Stasi in der Wendezeit, von dem kaum mehr einer spricht...) im November/Dezember und noch weit ins Jahr 1990 hinein genau und m.W. nur die bedrohten, die sich von der Staatslinken, der SED/PDS verabschiedeten, aber immer noch an eine Alternative zum raschen Anschluss glaubten, und nicht die Befürworter eines schnellen Anschlusses. Anscheinend beherrscht es "der Deutsche" noch besser als Andere, Wandel zu wollen und sich dann von den Mächtigen instrumentalisieren zu lassen (siehe Napoleon, 1871...).
Versteht mich recht: die Zeit, mögliche Alternativen dürfen nicht wie es jetzt gerne geschieht, unter den Tisch geschoben werden. Mir ist das "Keine-Experimente"-Gewäsch der CDU zuwider. Andererseits lässt die Politik als Gestaltung des Miteinanders von Tausenden/Millionen nun einmal wenig Experimentierspielräume wegen der Unvorhersehbarkeit zu.

sorry, html-Link wurde verschluckt

Entdinglichung 06.11.2009 - 13:24
Texte der Vereinigten Linken (VL) hier:  http://www.ddr89.de/ddr89/inhalt/ddr_vl.html ... liebe Mods, mein vorheriges Posting bitte löschen

politisiert bis heute

vergessen in der BRD 06.11.2009 - 14:07
vor, mit und nach 1989 politisierten sich junge Menschen nicht nur nach rechts - gerade aus dem Umfeld der Ev. Jungen Gemeinden der ehm. DDR ging es rasant nach links, aber nicht nur da. Wir wurden zwischendrin teilweise fehlgeleitet durch DDR-CDUler in den Kirchen, merkten es aber meist bald, das das nicht unser Ding war, nicht unsere Werte, nicht das, wofür wir uns interessierten... - Wir waren antimilitaristisch, für globale Gerechtigkeit, gegen Ausbeutung der Natur, gegen Bullen, Geheimdienste und Staat. Viele von uns trafen sich in den '90ern bei der antifaschistischen Arbeit, bei Häuserbesetzungen und noch mehr bei Antiatomaktionen, Flüchtlings- und Friedensinitiativen und der entstehenden Antiglobalisierungsbewegung wieder. Es gibt Leute, die würden sich als '89er bezeichnen und meinen damit eine linke Politisierung, die in der BRD nie wahrgenommen wurde. Wer hört sich schon gern an, dass mit gleichen Argumenten die Ähnlichkeit dessen, was Herrscht benannt und verglichen wird, weil wir es in Relation zu unseren Erlebnissen und Erfahrungen tun können.

Die DDR war scheiße, leider hat es mit einem dritten Weg nicht geklappt, die BRD ist nicht minder beschissen bei aller "Rede-,Presse-, trallafreiheit" sie ist langweilig, dumm, verdummend, verlogen und selbstherrlich. Aber wir sind ja eh schon jenseits von Gut und Böse. Der Abgrund ist zu sehen: ökologisch, sozial und ökonomisch. Der global agierende Kapitalismus rafft das Leben hin - früher oder später.

Heute sind wir meist weit über 30 und es gibt nicht wenige, die in diesem scheiß Kapitalismus nie angekommen sind, bis heute nicht wollen, was ihnen hier dargeboten wird. Wir wollen was anderes, wir wollten was anderes und wir kämpfen dafür - jede und jeder auf seine Weise und hoffentlich auch gemeinsam mit den vielen anderen zusammen! So denn!!!

Ergänzende Fotos

telegraphist 06.11.2009 - 19:01
Ganz im Gegensatz zu den überwiegend verlogenen Diskussionen zum Thema „Herbst 89“ in den etablierten Medien, finde ich die Beiträge hier sehr ehrlich und erfrischend. Dass es in der DDR eine aktive linke Opposition jenseits der SED gab, belegen vielleicht auch diese Fotos aus www.ostblog.de.

Fotos und Artikel:
 http://www.ostblog.de/2009/10/die_gescheiterte_revolution.php
 http://www.ostblog.de/2009/11/der_4_november_1989.php

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 2 Kommentare an

@ spartakist — ...