Aachen: 1. Prozesstag gegen Heinrich Boere

AK Kein Vergessen! 28.10.2009 17:44 Themen: Antifa Militarismus
Prozess gegen Heinrich Boere beginnt ohne Anklageverlesung +++ Neonazis werden im Gerichtssaal geduldet
Heute morgen um zehn Uhr wurde der Prozess gegen Heinrich Boere vor dem Landgericht Aachen eröffnet. Der erste Eklat ereignete sich allerdings schon vor dem Gerichtsgebäude. Durch die Polizei wurde zwei Neonazis der Kameradschaft Aachener Land und der NPD der Zutritt zum Gericht ermöglicht. Mitglieder des AK Kein Vergessen und weitere AntifaschistInnen hatten ihnen den Weg versperrt und wurden sofort von mehreren Polizeibeamten unter Anwendung körperlicher Gewalt zurückgedrängt. Die Begründung, mit der die Polizei den Neonazis den Weg freimachte und damit auch Teun de Groot, Sohn eines Opfers Boeres der Konfrontation mit Neonazis aussetzten, ist erschreckend und gleichsam bezeichnend für das deutsche Rechtsverständnis der vergangenen Jahrzehnte: Es sei „Menschenrecht“ der Nazis, dem Prozess beizuwohnen. Sie sähen keine Rechtsgrundlage ihnen dies zu verwehren. Auf die Bitte, doch mal seinen Menschenverstand einzuschalten, erwiderte einer der Beamten: „Mit gesundem Menschenverstand hat das nichts zu tun. Ich mache hier meine Arbeit.“ Und das übliche: Sonst sei er ja ganz anders. Da wundert auch die Fortsetzung im Gericht dann beinahe nicht mehr. Die Nebenklage forderte zu Beginn den Ausschluss der beiden Neonazis aufgrund ihrer T-Shirts. Die Aufschrift beim einen vorne „Kameradschaft Aachener Land“. Hinten beim anderen gut zu lesen: „Ehre dem, dem Ehre gebührt“ und das Truppenkennzeichen der Division Windhund. Der Vorsitzende Richter Nohl allerdings konnte darin keine im Gericht unzulässige politische Willensbekundung erkennen. Anstatt die Neonazis des Gerichtsaals zu verweisen, ermahnte er die ZuschauerInnen, welche dem Antrag auf Ausschluss applaudiert hatten. Diese hätten bei einer erneuten Willensbekundung mit „Maßnahmen“ zu rechnen.

Und so begann der heutige Prozesstag.
Zu einer Verlesung der Anklageschrift kam es allerdings nicht. Die Verteidigung Boeres stellte zunächst einen Antrag auf Befangenheit des leitenden Staatsanwaltes Maaß. Dieser habe in einem Interview im niederländischen Fernsehen eine Verurteilung Boeres prognostiziert. Dies komme einer Vorverurteilung gleich. Zudem wurde Maaß aufgefordert zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen. Dass es der Verteidigung darum geht, den Prozess gegen den 88jährigen Boere in die Länge zu ziehen, liegt auf der Hand. Dass Maaß, der durchaus mitverantwortlich dafür ist, dass der Prozess erst jetzt, nach über 60 Jahren stattfindet, die Anklage in dem Maße schwächt, ist mehr als eitel. Selbstkritisch sollten VertreterInnen der deutschen Justiz reflektieren, warum es erst jetzt zu diesem Prozess kommt. Erst jetzt, nachdem die Vollstreckung eines niederländischen Urteils gegen Boere aus dem Jahre 1949 in Deutschland durchgesetzt werden könnte, indem neues europäisches Recht Deutschland zum Handeln zwingt, eröffnet Maaß das Verfahren. Da ist wohl eher internationaler Druck ausschlaggebend denn juristisches Engagement.
Am nächsten Verhandlungstag, am kommenden Montag wird Maaß zu den Vorwürfen möglicherweise Stellung beziehen und es wird – wenn nichts dazwischen kommt – die Anklage verlesen.
Im Anschluss an den ersten Prozesstag erlaubte sich die Polizei den letzten Coup.
Drei Neonazis, teils bewaffnet wurden auf eine Kundgebung des AK Kein Vergessen vor dem Aachener Landgericht gelassen. Trotz Protest war die Polizei nicht bereit, die Neonazis vom Veranstaltungsort zu entfernen. Jede und jeder, der weiß, dass es schier unmöglich zu sein scheint, auch nur in die Nähe von Neonazi-Kundgebungen zu kommen, wird dieses Vorgehen als das bezeichnen was es ist: Als Provokation. So besorgt scheint die Aachener Polizei um die Rechte von Nazis zu sein, dass sie diese bewaffnet auf antifaschistische Kundgebungen lässt, um deren Bewegungsfreiheit nicht einzuschränken.
Die Begründung: Nicht eine Störung der angemeldeten Kundgebung, erst eine Störung der Polizei würde diese zum Einschreiten bewegen.


 http://akantifaac.blogsport.de/kein-vergessen/
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Heinrich Booere soll was genau getan haben?

Hoffmann 28.10.2009 - 18:21
Was wird Booere denn zur Last gelegt? Wäre cool wenn ihr das noch schreibt

weshalb boere angeklagt ist

dein name 28.10.2009 - 19:54
wikipedia schreibt dazu: "Das Oberlandesgericht Köln entschied in der Berufungsverhandlung am 7. Juli 2009, dass Boeres Gesundheitszustand sich verbessert habe, wodurch er verhandlungsfähig sei und wegen Mordes an drei niederländischen Bürgern angeklagt werden könne"
Boere mordete mit der NSDAP für das "Kommando Silbertanne" und hat dies auch freiwilig und gerne getan. "Focus Online" hat auch letztens einen Artikel über ihn und sein "Leben danach" geschrieben.

Unglaublich, wie Bullen und Justiz heute wieder aufgetreten sein müssen. Solidarische Grüße.

Vorwurf der Anklage

antifascist 28.10.2009 - 20:31
Boere ist keineswegs der einzige NS-Täter, der bisher nicht zur Verantwortung gezogen wurde und der bis heute auf der Liste des niederländischen Justizministers steht. Neben ihm sind das Siert Bruins (Breckerfeld bei Hagen) und Klaas Faber (Ingolstadt), die noch heute straffrei in Deutschland leben. Sie gehören zu der Gruppe der 30.000 Niederländer, die für Deutschland in der SS kämpften oder sich als Angehörige der niederländischen Nazipartei NSB aktiv an der brutalen Zerschlagung des Widerstandes und an den Deportationen der Jüdinnen und Juden beteiligten.
Viele der Erschießungen, Folterungen und Razzien gingen auf das Konto dieser holländischen Nazis. Tausende niederländische SS-Angehörige und Kollaborateure flüchteten 1945 nach Deutschland und entzogen sich so der niederländischen Justiz. In Deutschland lebten sie meist straffrei und unbehelligt. Noch über 300 standen 1980 auf den Fahndungslisten der Niederlanden. Auslieferungsgesuche wurden von Deutschland in der Regel zurückgewiesen.
Sieben SS-Angehörige, u.a Klass Faber aus Ingolstadt, die in den Niederlande wegen Mordes in Haft saßen, wurden Weihnachten 1952 sogar von einem deutsch-niederländischen Netzwerk aus dem Gefängnis in Breda befreit und – auch das ist in Deutschland nahezu unbekannt – im Grenzgebiet von FDP-Funktionären wie dem damaligen Aachener FDP-Geschäftsführer Otto Graf Lambsdorff empfangen, versteckt und schließlich an die Parteiprominenz in Bonn weitergereicht. Die FDP mit dem Ritterkreuzträger Erich Mende an der Spitze forderte gar in aller Öffentlichkeit die Straffreiheit der vom BKA gesuchten NS-Verbrecher.


geklaut von AK Antifa Aachen

taz artikel

antifa 28.10.2009 - 20:32
NS-Kriegsverbrecher vor Gericht
Anklage wegen SS-Morden

Staatsanwaltschaft Dortmund will 86-jährigen mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher wegen einer "Vergeltungsaktion" 1944 in den Niederlanden vor Gericht bringen.

DORTMUND dpa/afp Die Dortmunder Staatsanwaltschaft will noch diese Woche Anklage gegen einen mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher erheben. Der 86-jährige Heinrich B., dessen Nationalität nicht einwandfrei geklärt ist, soll zwischen Juli und September 1944 drei Niederländer erschossen haben, berichtete gestern Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß. Er leitet die "Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen".

Der mutmaßliche Täter soll Mitglied des Sonderkommandos "Feldmejer" gewesen sein, das mit der Durchführung der Aktion "Silbertanne" beauftragt war. Im Rahmen dieser Vergeltungsmaßnahme wurden niederländische Bürger erschossen. Bereits 1949 war der in den Niederlanden geborene B. vom Sondergerichtshof in Amsterdam in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Doch er hielt sich zunächst in den Niederlanden verborgen, 1954 kam er nach Deutschland.
Die Niederlande beantragten 1980 seine Auslieferung, die das Oberlandesgericht Köln jedoch ablehnte. Es sei nicht auszuschließen gewesen, dass der Mann mittlerweile Deutscher sei. Ein weiterer Antrag auf lebenslange Haftstrafe in Deutschland wurde nicht vollstreckt, nachdem das OLG 2007 einer Beschwerde des Mannes stattgab. Er sei 1949 vor dem Sondergerichtshof nicht verteidigt worden.

Nun strebt die Dortmunder Staatsanwaltschaft einen Prozess am Landgericht Aachen an. Maaß ermittelt seit August 2007. Es gebe zwar nur noch einen Zeugen, aber diverse Akten. Ob es zum Prozess kommt, muss nach einer Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft das Gericht entscheiden. Dabei wird auch die gesundheitliche Verfassung des mutmaßlichen NS-Verbrechers eine Rolle spielen. Der Mann lebt mittlerweile in einem Altenheim am Rande der Eifel.

von:
hXXp://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/anklage-wegen-ss-morden/

TV-Bericht vom WDR

Aktuelle Stunde 29.10.2009 - 00:37
Alter SS-Mann vor Gericht - MEDIATHEK regional - WDR.de

Nach langem Hin und Her muss er sich von heute an ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher für seine Greueltaten verantworten: Er wird beschuldigt als Mitglied der SS drei Menschen in den Niederlanden getötet zu haben.

Bericht vom WDR

ttt 29.10.2009 - 00:39
Nebenkläger: "Ich will endlich wissen, ob er bereut"
Prozess gegen SS-Mann vertagt

Von Lars Hering

Nach nur eineinhalb Stunden vertagte das Landgericht Aachen am Mittwoch (28.10.09) den Prozess gegen einen mutmaßlichen SS-Mörder. Die Verteidiger stellten einen Befangenheitsantrag gegen Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß.


weiterlesen:

Weitere Berichte

ttt 29.10.2009 - 00:53
www.express.de

www.bild.de

www.focus.de

www.derwesten.de

www.az-web.de

Unfair

ich 29.10.2009 - 01:05
Liebe AK-Leute, ich halte es für unfair, den Staatsanwalt Ulrich Maaß anzugreifen. Der Mann kann nichts dafür, wenn nicht nur Ermittlungen schleppend laufen. Dafür ist das Deutsche Parlament Dank ungenügender Gesetze verantwortlich.

Maaß ist vielmehr von niederländischen Stellen für seine Bemühungen (er leitet die viel länger bestehende Staatsanwaltschaft zur Ermittlung von NS-Verbrechen seit "erst" elf Jahren) in der Verfolgung von Nazi-Verbrecher(r)n dort in den Niederlanden öffentlich belobigt worden - und das will was heißen.

Er sagte mal sinngemäß in einem Interview: "Bei allen anderen Prozessen wird versucht, die Wahrheit im Gerichtssaal herauszufinden, wobei der Ankläger seine Sicht darlegt. Nicht so bei Prozessen, in denen es um Nazi-Verbrechen geht. Da müssen wir von der Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft für NS-Verbrechen in Dortmund stets lückenlos unter Hinzuziehung von sonstwo beheimateten ZeugInnen bis ins kleinste Detail und unwiderlegbar nachweisen, was der Sachverhalt ist. Ein Fehlschlag würde die Arbeit der Staatsanwaltschaft in Frage stellen und den leider vorhandenen Kräften in der Deutschen Justiz, denen unsere Tätigkeit ein Dorn im Auge ist, willkommene Handhabe - bis hin zur Lächerlichmachung - gegen die Tätigkeit unserer Stelle liefern." Wie gesagt: sinngemäß.

Trotzdem musste diese Staatsanwaltschaft schon Niederlagen hinnehmen: vergl. z.B. Stichwort Lothar Weirauch in Wikipedia. Kaum zu glauben.

Mega unfair!

Mir 29.10.2009 - 15:41
Ja du, die Staatsanwaltschaft in Dortmund existiert schon sehr viel länger. Und geriet immer wieder in die Schlagzeilen. Nicht nur, weil sie bis 1972 mit NS-Juristen besetzt war. Einen kleinen Einblick in die deutsche Justizgeschichte bekommst du beispielsweise hier:

 http://www.freitag.de/politik/0918-schuld-ohne-suehne
 http://www.freitag.de/politik/0848-50-jahre-justizgeschichte
und zur Frage nach Boere, der Justiz und ihrer Verschleppung ist gerade auch noch in der als sehr seriös geltenden niederländischen Zeitung NRC ein Artikel erschienen:
 http://www.nrc.nl/international/Features/article2398518.ece/Last_Dutch_WWII_war_criminal_goes_on_trial_in_Germany

Seien wir ehrlich: Das gestrige Manöver der Anwälte Gordon Christiansen und Dr. Matthias Rahmlow, welche H. Boere in diesem Prozess vertreten, war ja nicht wirklich überraschend. Durch das Stellen von Anträgen können Prozesse verzögert werden und diese Taktik ist bei einem 88-jährigen Angeklagten mit fragilem Gesundheitszustand evtl. so effektiv, dass diesem die Haftstrafe erspart bleibt.
Aber unabhängig von der Taktiererei der Verteidigung muss festgestellt werden, dass Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß durch sein Auftreten gegenüber der Presse ihnen die perfekte Vorlage für einen Befangenheitsantrag geliefert hat.
Eines der Interviews, auf dessen Grundlage der Befangenheitsantrag gegen Maaß gestellt wurde, findet sich unter der url  http://www.eenvandaag.nl/ (Titel des Beitrages: „Oud-SS'er Heinrich Boere voor de rechter“). Es mag ja sein, dass sich Ulrich Maaß in der Pose des von allen geliebten Nazi-Jägers gut gefällt. Er, der die letzten die Übrig sind noch zur Strecke bringen will. Ein einsamer Staatsanwalt, der nach Jahren des „zu wenig, zu milde, zu spät“ es endlich ernst mein.
Nur leider steht dieses Image, welches er so gerne vor laufenden Kammeras pflegt, nicht seiner Rolle als Oberstaatsanwalt. Eine solche Außenwahrnehmung seiner Person mag seinem Ego schmeicheln, bei einem Ausschluss aus dem Verfahren wird er jedoch die Anklage schwächen. Den Angehörigen von Boeres Opfern nutzt Maaß Nazi-Jäger-Image leider mal so gar nix. Im Gegenteil. Der gute Herr Maaß hätte den Schaden, den er durch seine selbstgefällige Ego-Tour anrichten kann, durchaus in Betracht ziehen müssen.

Beim Thema Verzögerung stellen sich jedoch auch noch einige andere Fragen: Wieso braucht Herr Maaß für das Erstellen einer Anklage, bei der die Fakten schon in zwei vorhergehenden Ermittlungsverfahren (Sondergerichtshof Amsterdam 1949 und Dortmund 1983/84) geklärt wurden, vier Jahre (Antrag auf Übertragung der Haftstrafe durch die Niederlande 2003 bis zur Anklageerhebung in Deutschland 2007)? Wieso braucht es überhaupt einen Antrag der Niederlande, damit hier die Ermittlungen ans Laufen kommen?! Wieso erst jetzt also?!
Wären in Deutschland nach dem Antrag der Niederlande auf Übertragung der Haftstrafe keine Ermittlungen gegen Boere aufgenommen worden, so hätte er nach EU-Recht an die Niederlande überstellt werden müssen. Aber dies hätte wohl kaum sechs Jahre in Anspruch genommen. Zum Glück ist Boere zäh, sonst hätte er nicht mehr erleben können, dass tatsächlich noch ein Prozess in Deutschland gegen ihn eröffnet wird. Danke, Herr Maaß.

Hintergrundinfos

Ergänzer_in 29.10.2009 - 16:41
Es sei auf die folgenden Artikel verwiesen:

SS-Mörder Heinrich Boere vor Gericht
 http://de.indymedia.org/2009/09/262272.shtml

BVerfG: Boere ist verhandlungsfähig
 http://de.indymedia.org/2009/10/264222.shtml

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

der lustige — beamte