Polizei-Märchenstunde am Lüneburger Gericht

k.o.b.r.a.__antirepressionsplattform____ 22.10.2009 22:04 Themen: Repression

Es war und ist ein Prozess mit klassischem Hintergrund. Polizei übt Gewalt aus und zeigt daraufhin das Opfer an. Dieses wird in einem, traditionellen Mustern folgenden Ablauf mit einer Anzeige und dann staatsanwaltschaftlichen sogenannten Ermittlungen überzogen, anschließend per Strafbefehl (vor-)verurteilt. Dann setzt das Gericht (nach entsprechendem Widerspruch) die Hauptverhandlung an und lädt nur den Cop, der sich beleidigt fühlte – obwohl es mehrere weitere AugenzeugInnen gibt. Das Urteilen am Fließband kann beginnen ...

Für Gerichte ist solches Alltag. Entsprechend wenig vorbereitet werden solche Prozesse aneinander gereiht. 45min Zeit sollten reichen bei dem Prozess am Mittwoch, 21.10. am Amtsgericht Lüneburg. Doch so leicht sollte es nicht laufen. Einzig geladen war Polizeibeamter Wefer. Vorher schon machte der Angeklagte eine klare Aussage:* Das zivile Polizeiauto, in dem der vermeintlich Beleidigte saß, hatte – rückwärtsfahrend – den Angeklagten an- und fast überfahren. Der Aufprall auf der Heckscheibe wurde von der Polizei im Fahrzeug als versuchte Sachbeschädigung gewertet und deshalb das Fast-Opfer durchgeknallter Uniformierter angegangen. Als der Beamte Wefer auch nach der Information, dass hier fast jemand überfahren worden wäre, vorwurfsvoll die Personalien des Opfers einforderte, wurde er – völlig passend oder gar untertrieben – gefragt, ob er einen an der Waffel hätte, sich so zu verhalten. Nützt natürlich wenig, Polizei hat in der eigenen und in der Wahrnehmung von Staatsanwaltschaften und Gerichten immer recht. Selbst wenn sie grad fast jemanden überfahren hätten.

Das Verfahren hätte es aber wahrscheinlich nicht gegeben, wenn in der Polizei nicht die Angst bestanden hätte, wegen dem Fast-Überfahren Probleme zu bekommen. Also wurde eine Anzeige gefertigt, um den Fahrer zu schützen. Ziel war, mit einer seltsamen Story eines plötzlich vor das Auto Springenden, der dann auf das Auto schlägt oder tritt (wusste der tolle Zeuge gar nicht genau zu sagen), den Fahrer zu schützen.

So verlief dann auch der Prozess. Die im schnellen Aburteilen geübten RobenträgerInnen gerieten schon nach wenigen Minuten des Verhörs des Zeugen in Ungeduld. Nachdem die Staatsanwältin (wie üblich) gar keine Fragen hatte, versuchte der Angeklagte, durch präzise Fragen das tatsächliche Geschehen aufzurollen. Der Zeuge war aber standhaft und blieb bei seinen Märchen zum Schutzes des Fahrers. Belustigung rief immer wieder ein seltsamer Wechsel hervor: Wenn es für sein Lügengebilde passte, hatte Wefer präzise Erinnerung an die Abläufe und konnte selbst durch Sitze und Menschen hindurchgucken. Bei Informationen, die seinen Fahrer belasten könnten, konnte er sich plötzlich an nichts mehr erinnern. Er beschrieb den Fahrer in seinem Vermerk als „umsichtigen“ Fahrer. Als der Angeklagte ihn fragte, was das genau bedeuten würde, verbot der Richter die Frage. Als der Angeklagte dann fragte, wie die weitere Fahrt verlief, konnte sich der Zeuge plötzlich nicht einmal mehr erinnern, ob er überhaupt mitgefahren ist. Das wird noch eine Rolle spielen, denn es liegt ein Papier der Polizeiinspektion vor, dass das Fahrzeug mehrere Verkehrsschilder und die geltenden Geschwindigkeitsregeln nicht beachtet hatte, das aber für Polizisten erlaubt sei.

Nach den eingeplanten 45min musste der Prozess unterbrochen werden, um die nächste Person am Fließband des Strafens abzufertigen. Danach gab es weitere Pausen wegen Befangenheitsanträgen, denn der Richter hatte begonnen, das Fragerecht immer mehr einzuschränken. Als er es dann als „Geduld“ bezeichnete, die bisherigen Fragen zugelassen zu haben, aber gerade die Frage nach dem Namen weiterer Polizeizeugen vor Ort abwürgen wollte, war es dann erst mal um das Verfahren geschehen. Die Befangenheitsanträge müssen nun bearbeitet werden, damit es weitergehen kann. Noch sind keine weiteren Beweisanträge gestellt worden. Es steht Aussage gegen Aussage. Für die MitarbeiterInnen der Urteilsfabriken sicherlich genug, denn Uniform = Glaubwürdig – egal wie seltsame Erinnerungslücken an auffälligen Stellen ...

Der Angeklagte aber hat noch einiges vor. Wer dabei sein will bei der Fortsetzung der immer gleichen Leier „Polizei zeigt ihre Opfer an“, kann zum nächsten Verhandlungstag kommen. Der ist angesetzt auf Freitag, 6.11. um 10 Uhr im Amtsgericht Lüneburg, voraussichtlich Saal 8.

 

*Wichtige Anmerkung: Aussagen zu machen, sollte auch vor Gericht die Ausnahme und gut überlegt sein. Außerhalb des Gerichtssaales macht es gar keinen Sinn, weil alles, was mensch zur Sache sagt, verwertet werden kann oder zumindest den Verfolgungsbehörden die Arbeit erleichtert, wenn Verdächtige ausgeschieden werden können. Im konkreten Fall war den Akten aber keinerlei Hinweis darauf zu entnehmen, dass das Polizeiauto den Angeklagten vorher an- und fast überfahren hätte. Der Angeklagte hielt es für nötig, diese Tatsache zu benennen, um erstmal eine Aussage-gegen-Aussage-Situation zu erzeugen.

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