Karfreit-Kaserne: Verbrechen und Tradition

AutorIn des Beitrags 17.10.2009 10:27 Themen: Antifa Militarismus
Die Karfreit-Kaserne im oberbayerischen Brannenburg wurde von den Nazis erbaut und ist nach einem Kriegsverbrechen (Giftgaseinsatz) im Ersten Weltkrieg benannt. Die während des II. Weltkriegs stationierten Gebirgsjäger waren ebenfalls an zahlreichen Kriegsverbrechen beteiligt. 2010 soll die mörderische Tradition in Brannenburg nun enden, die Kaserne wird aufgelöst und die Gebirgspioniere nach Ingolstadt verlegt. Die Verbrechen müssen nach Ansicht von linken Gruppen jedoch thematisiert werden.
Brannenburg (Oberbayern) Auf ihre Karfreit-Kaserne in Brannenburg sind Bundeswehr und Soldaten noch heute stolz: Im einzigen Gebirgspionierstandort der Bundeswehr ist eine Elite-Truppe in landschaftlich schönster Lage stationiert und pflegt ein optimales Verhältnis zur Zivilbevölkerung. Der Name der Kaserne erinnert an unglaubliche militärische Großtaten des deutschen Alpenkorps im Ersten Weltkrieg und an die Leistungen deutscher Gebirgsjäger im Zweiten. Sie ist Stein gewordenes Symbol für den deutsch-österreichischen Sieg über Italien. Die Schließung der Kaserne macht die Soldaten wehmütig und lässt die Zivilbevölkerung wirtschaftliche Probleme erwarten. So jedenfalls ist es oft zu hören.
Diese dicke Schicht reaktionärer Geschichtsverdrehung und militaristischer Lobhudelei soll die Stimmen derjenigen übertönen, die über die Verbrechen der Gebirgstruppe und ihre antidemokratische und kriegsverherrlichende Traditionspflege nicht schweigen wollen. Sie soll sich wie ein Deckel über das Grab legen, in das auch Brannenburger Gebirgsjäger halb Europa im Zweiten Weltkrieg verwandelten. Mit dem Verweis auf die angeblich unangreifbare Tradition der Gebirgstruppe (Ex-Ministerpräsident Stoiber) soll die Auseinandersetzung mit den Kriegseinsätzen der Bundeswehr und eben dieser Tradition unterdrückt werden.
Nachdem die Nationalsozialisten beschlossen hatten, einen Raub- und Vernichtungskrieg in Ost- und Südost-Europa zu führen, ließen sie entlang des Alpen-Nordrands in strategisch vorteilhaften Lagen jene Truppenstandorte errichten, von denen aus der Krieg über die Alpen Richtung Italien, Jugoslawien und Griechenland getragen werden sollte: Sonthofen, Füssen, Oberammergau, Garmisch, Mittenwald, Lenggries, Traunstein, Reichenhall, Berchtesgarden und eben Brannenburg. Im Oktober 1936 war die neue Brannenburger Kaserne fertig. Ihr Name, „Karfreit-Kaserne“, war nicht nur eine Maßnahme der psychologischen Mobilmachung des Nationalsozialismus, sondern auch Programm für die Kriegsführung der dort stationierten Gebirgsjäger.
Der Name „Karfreit“ bezieht sich auf den Ersten Weltkrieg und steht für Gaskrieg und Gebirgsjäger. Am 24. Oktober 1917 griffen österreichische und deutsche Truppen am Isonzo die italienischen Truppen an. Die Italiener galten den Deutschen als Verräter, denn sie waren ursprünglich Verbündete gewesen, stellten sich 1915 jedoch auf die Seite der Engländer und Franzosen. Dieser Wechsel war eine der Ursachen für die Gründung der ersten deutschen Gebirgstruppe, des Alpenkorps, gewesen. Nun, am 24. Oktober 1917, deckte das Alpenkorps die italienischen Soldaten mit einem stundenlangen Hagel von Giftgas-Granaten ein, wodurch mindestens 500 bis 600 Italiener getötet wurden. Nach diesem verheerenden Giftgas-Angriff, dem die Italiener völlig schutzlos ausgesetzt waren, hatten die deutschen Gebirgsjäger leichtes Spiel, die Schlacht gegen die zahlenmäßig überlegenen italienischen Truppen zu ihren Gunsten zu entscheiden. Sie ging als „Wunder von Karfreit“ in die Heldenerzählungen des deutschen Militärs ein.
Soldaten, die nicht ganz vernebelt waren, zeichneten ein ganz anderes Bild der auch von der Bundeswehr so geschätzten zeitlosen soldatischen Tugenden: „In dem Granattrichter stand dieser scheußliche, mit Leichenteilen wie Handfleischfetzen, Därmen, Schädeln, Rippen und halbverwesten Menschenfleischstücken untermischte Morast oft mannstief. Wenn sich dann, besonders nachts, ein Schwerverletzter mit dem letzten Rest von Kraft zum Hilfeplatz schleppen wollte, fiel er so in den Teich, der wie eine Fallgrube wirkte, und ersoff elendiglich.“
In diesem industrialisierten Tötungsgeschäft taten sich besonders die Elite-Soldaten des bayerischen Leib-Regiments hervor, z. B. Ferdinand Schörner, der später als „Bluthund von Lemberg“ berüchtigt wurde, Franz Ritter von Epp und Eduard Dietl. Alle drei und viele andere mit ihnen gehörten nach dem Krieg zum Freikorps Oberland, nahmen mit ihm an der Niederschlagung der Münchener Räterepublik teil, bekämpften 1920 die Rote Ruhrarmee und bauten in den 1920er Jahren aus dem Leib-Regiment den Kern der Wehrmachts-Gebirgstruppe auf – das Gebirgsjäger-Regiment 100. Dessen erster Kommandeur wurde Rudolf Konrad, ein antisemitischer Schlächter im Vernichtungskrieg auf der Krim. Er war einer der Gründer des Kameradenkreises der Gebirgstruppe.
Die erste Wehrmachtstruppe in der Brannenburger Kaserne war das I. Bataillon des Gebirgsjäger-Regiments 100. Das Regiment gehörte ursprünglich zur 1. Gebirgs-Division, der unzählige Kriegsverbrechen nachgewiesen wurden, u. a. das Massaker in Kephallonia, bei dem ca. 3000 gefangene und entwaffnete italienische Soldaten ermordet wurden. Einer, gegen den deswegen zur Zeit in Italien ermittelt wird (das Verfahren wird Anfang November 2009 in Rom fortgesetzt) ist Anton Wimmer, am 24. Mai 1919 in Rosenheim geboren.
In Rosenheim wurde 1938 durch Josef Remold die Ersatzeinheit des Regiments aufgestellt. Auch Remold war ein Kamerad aus dem Freikorps Oberland. 1943 kommandierte er die Erschießung von etlichen gefangen genommenen Italienern auf der Insel Korfu. Für dieses (und auch nicht für andere) Verbrechen verurteilt wurde er nie, stattdessen wurde er der erste Präsident der Bayerischen Bereitschaftspolizei.
Eine andere Truppe, die in Brannenburg stationiert war, war der Stab der 157. Gebirgs-Division. Sie führte ab Ende 1942 einen mörderischen Krieg gegen die französischen Partisanen im Raum Grenoble, Gap, Lyon und beging dabei etliche Kriegsverbrechen. Kameradenkreis-Präsident Benkel nennt das schönfärberisch: „die besetzten Gebiete ... besser unter Kontrolle zu bekommen“.
Schließlich war ein Teil des Gebirgs-Artillerie-Regiments 95 1941/42 in Brannenburg stationiert. Dieses Regiment erholte sich dort von der Anstrengung, Griechenland und Kreta erobert zu haben, wobei von der 5. Gebirgs-Division, zu der das Regiment gehörte, vor allem auf Kreta etliche Kriegsverbrechen verübt worden waren. Auf Kreta wurde das „Axiom von der Kollektivhaftung der Bevölkerung“ zum ersten Mal angewandt. Es kostete 2000 Menschen das Leben, wobei die Zerstörung von Kandanos am 25./26. Mai 1941 das bekannteste Kriegsverbrechen ist.
Ab Ende 1956 wurden erstmals Pioniere in Brannenburg stationiert, als dort die Gebirgspioniertruppe der Bundeswehr aufgebaut wurde – unter maßgeblicher Beteiligung ehemaliger Wehrmachtsangehöriger. Einer von ihnen ist Friedrich Gallmann, Veteran des Gebirgs-Pionier-Bataillons 94 und damit der 4. Gebirgs-Division. Diese war Ende Juni 1941 bei der Eroberung Lembergs dabei, dessen jüdische Bevölkerung unter Beteiligung von Gebirgsjägern massakriert wurde. Aus der russischen Gefangenschaft zurückgekehrt, gehörte er vorübergehend dem Bundesgrenzschutz an, um dann den Aufbau der Bundeswehrtruppe in Brannenburg mit zu gestalten.
Der Name „Karfreit-Kaserne“ blieb erhalten, trotz Protesten in den 1980er und 1990er Jahren. Es wurde sogar ein Traditionsraum eingerichtet, in dem die Schlacht bei Karfreit verherrlichend dargestellt wurde. Im „Traditionsraum“ werden der Giftgas-Einsatz mit den „humanitären Hilfseinsätzen“ der Gebirgspioniere im Iran, in Somalia, Italien Bosnien-Herzegowina und Kosovo auf engstem Raum zusammen dargestellt, wodurch er unwillkürlich zusammenbringt, was zusammengehört: Wehrmacht, Bundeswehr und ihr Traditionsverständnis. Die „Truppenkameradschaft der Brannenburger Gebirgspioniere“ im Kameradenkreis der Gebirgstruppe sorgt dafür, dass Mentalität, Wertevorstellungen, Elitebewusstsein und Korpsgeist bruchlos von der Wehrmacht in die Bundeswehr tradiert wurden und werden.
1976 wurde von der Kameradschaft an der Kaserne ein Gedenkstein für das I./GebJgRgt 100 errichtet. und am 1988 wurde in der Karfreit-Kaserne ein Gedenkstein für alle Gebirgspioniere des II. Weltkriegs enthüllt.
Die Geschichte der Kafreit-Kaserne wurde bisher jedoch in Brannenburg selbst nie kritisch aufgearbeitet. Dies soll sich nun ändern. Laut linke Gruppen kündigen für kommenden Mittwoch (21.10.09) im Gasthof Kürmeier (Dapferstr. 5,) ein Vortrag unter dem Motto „Verbrechen und Tradition“ an. Die Veranstaltung beginnt um 20:00 Uhr, der Eintritt ist frei.
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Ergänzungen

Infoabend zur Geschichte der Brannenburger K

Friedensbündnis Rosenheim 17.10.2009 - 10:48
Am Mi 21.10.09 findet in Brannenburg ein Infoabend zur Geschichte der Brannenburger Kaserne statt. Unter dem Motto “Karfreit-Kaserne: Verbrechen und Tradition“ wird sich ein geschichtswissenschaftlicher Vortrag sowohl die Schlacht um Karfreit, als auch die Verbrechen der Gebirgsjäger im II Weltkrieg thematisieren. Die Veranstaltung im Brannenburger Gasthof Kürmeier (Dapferstr. 5,) beginnt um 20:00 Uhr, der Eintritt ist frei. Organisiert wird der Infoabend von dem Friedensbündnis Rosenheim in Kooperation mit der Petra Kelly Stiftung.

lokale Kritik an der Kaserne

Brannenburg aktuell 17.10.2009 - 10:54
Der lokale internetblog Brannenburg aktuell  http://brannenburg.blogsport.de/
berichteter mehrfach kritisch über die Kaserne:
so war z.B. der als „Selbsthilfegruppe von Kriegsverbrechern“ bezeichnete „Kameradenkreis der Gebirgstruppe“ (Mittenwald) auf einem Tag der offenen Türe.
 http://brannenburg.blogsport.de/2009/07/14/umstrittener-kameradenkreis-in-kaserne-4/

oder es wurden Extrem rechte Accessoire in Brannenburger Kaserne verkauft:
 http://brannenburg.blogsport.de/2009/07/11/extrem-rechte-accessoire-in-brannenburger-kaserne/

öffentliches gelöbnis am 12.11.09

Dein Name 17.10.2009 - 11:00
Am Donnerstag, den 12.11.09, wird die Bundeswehr noch ein öffentliches Gelöbnis in Brannenburg durchführen. Wird es Proteste in Brannenburg geben?

Kritik an solchen Veranstaltungen gibt es regelmäßig. Dabei regt sich der Widerstand nicht nur in Großstädten, sondern zuletzt auch in Darching (Gemeinde Valley). Ob es auch In Brannenburg Proteste gibt ist noch nicht bekannt.
Proteste gegen das Gelöbnis in München. Bildquelle: indymedia
Die Gelöbnistradition geht auf die absolutistischen Söldnerheere zurück. Die Soldaten mußten damals auf den Kriegsherrn und die Kriegsartikel die Treue schwören. Mit der Einführung der Wehrpflicht änderte sich auch der Charakter des Eides. Während bei den Sölnderheeren der Eid noch den Charakter eines „freiwilligen“ Arbeitsvertrages hatte, wurde der Eid mit der Wehrpflicht zur Untertanenpflicht, indem der Soldat dem Landesherrn und dem „Vaterland“ ewige Treue schwor. In der Weimarer Republik leisteten deutsche Soldaten erstmals ihren Schwur auf die demokratische Verfassung. Nach der Machtübernahme der Nazis wurde der Fahneneid schon bald geändert. In der Eidesformel fehlte wieder der Bezug zur Verfassung, an dessen Stelle die Begriffe Volk und Vaterland traten und nach dem Tod Hindenburgs verpflichtete der Eid zum unbedingten Gehorsam gegenüber Adolf Hitler. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges schwören die Soldaten nicht etwa auf das Grundgesetz sondern in nationalistischer Tradition auf die „Bundesrepublik Deutschland“.
Nach Ende des Nazi-Regiems gab es in Deutschland vorübergehend keine öffentlichen Gelöbnisse mehr. Bis in die 1980er Jahre fanden diese fast ausschließlich in den Kasernen statt. Seit 1996 führt das Bundesministerium der Verteidigung vermehrt öffentliche Gelöbnisse durch. „Selbst in Preußen haben Gelöbnisse und Vereidigungen im Kasernenhof stattgefunden,“ sagte Jürgen Trittin 1996 anlässlich des ersten öffentlichen Gelöbnis seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Berlin und weiter: „

Es hat nur eine Zeit in Deutschland gegeben, wo öffentlich gelobt und vereidigt wurde, und das waren nicht die Zeiten der Demokratie, sondern des blanken faschistischen Terrors (…)“

Seit 1998 der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe eine „Offensive öffentlicher Gelöbnisse“ ausrief, welche die Rekruten bei ihrem Gelöbnis bewusst in die Öffentlichkeit stellen sollte, finden jährlich 100-150 solcher Gelöbnisse statt. Oft kommt es dabei zu Protesten durch Kriegsgegner_innen. So kritisierte das „Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus“ und andere linke Gruppen ein Gelöbnis auf dem Marienplatz im Juli diesen Jahres als „weiteren Schritt zur Militarisierung öffentlicher Räume“ . Die „Zurschaustellung des militärischen Gewaltapparates in der ‚Guten Stube‘ Münchens“, so die Antikriegs-Aktivist_innen, „soll die Öffentlichkeit daran gewöhnen, dass die Bundeswehr und ihre weltweiten Kriegseinsätze alltäglich sind, und damit ’salonfähig‘ werden.“
Die Antimilitarist_innen kritisieren insbesondere, dass die Bundeswehr ihre Neuausrichtung immer aggressiver in der Öffentlichkeit bewirbt. Das Militär habe „in Schulen, in Arbeitsagenturen oder auf dem Marienplatz so wenig zu suchen wie in Afghanistan oder am Horn von Afrika“, heißt es in dem Aufruf.
Auch die Gewerkschaft ver.di, befürchtet dass „die Bevölkerung an das Auftreten der Bundeswehr in der Öffentlichkeit und letztlich an den Einsatz militärischer Mittel zu gewöhnt werden soll“. Sie protestierte mit einer Kundgebung und einem langen Transparent mit der Aufschrift „Jubel über militärische Schauspiele ist eine Reklame für den nächsten Krieg. Kurt Tucholsky, 1927″ gegen das Gelöbnis.
Neben Gewerkschafter_innen und Friedensaktivist_innen riefen vereinzelt sogar Soldaten zum Protest auf. Der Oberstleutnant Jürgen Rose (seit 31 Jahren Soldat) kritisiert (laut Abendzeitung), dass die einstige Friedensarmee inzwischen eine weltweit eingesetzte Interventionstruppe ist. Neben Friedensaktivist_innen sprachen sich zahlreiche Personen des öffentlichen Lebens wie Konstantin Wecker , Ecco Meineke (Mitglied des Lach- und Schieß-Ensembles), Gert Heidenreich (Schriftsteller) und sogar Dr. Klaus Hahnzog (Bürgermeister a.D. & Verfassungsrichter) gegen ein öffentliches Gelöbnis aus. Der Regisseur Michael Verhoeven meinte treffend: „Den Hippokratischen Eid schwören die Medizinstudenten nicht auf dem Marienplatz, sondern in der Uni“