Zwei Demos in Tegucigalpa

Wladek Flakin 14.10.2009 08:52 Themen: Militarismus Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Ein Augenzeugenbericht über die Stärken und Schwächen der Widerstandsbewegung in Honduras
Es war der 107. Tag des Widerstandsbewegung gegen das Putschregime in Honduras: Am Montag organisierte die „Resistencia“ eine Kundgebung im Stadtviertel Kennedy in der Hauptstadt Tegucigalpa. Wegen der massiven Präsenz von PolizistInnen und SoldatInnen waren die rund 400 DemonstrantInnen gezwungen, auf dem Bürgersteig zu bleiben. Aber sie blieben kämpferisch und forderten nicht nur die Wiederkehr des abgesetzten Präsidenten Manuel Zelaya sondern die Einberufung einer konstituierenden Versammlung, um die Verfassung von 1982, auf die sich die PutschistInnen berufen, zu ersetzen.

Der Ausnahmezustand, der am 28. September begann, wurde trotz anders lautender Berichte noch nicht beendet: Zwar hatte der Putschpräsident Roberto Micheletti letzte Woche die Aufhebung des Dekrets bekundet, doch diese Ankündigung wurde nicht in der Regierungsgazette veröffentlicht und bleibt deswegen nicht rechtskräftig – angeblich gibt es anhaltende Druckprobleme. Das im Dekret erhaltene Versammlungsverbot nahm die Polizei als Vorwand, um die Kundgebung im Kennedy um 12 Uhr aufzulösen.

Seit dem Beginn des Ausnahmezustandes konnte die Widerstandsbewegung nicht viel mehr als ihren harten Kern aus ein paar hundert AktivistInnen mobilisieren. In der Bevölkerung, von der bis zu 75% die Diktatur ablehnen, herrscht eine Mischung aus Angst und Ermüdung. Die Führung des Widerstands ruft jeden Tag zu Protesten auf, doch dieser Rhythmus ist für arbeitende Menschen einfach nicht durchzuhalten. Vor allem ist es klar, dass diese täglichen friedlichen Proteste darauf zielen, Druck für die Verhandlungen zwischen Zelaya und den PutschistInnen aufzubauen – wer das Putschregime stürzen will, braucht ganz andere Widerstandsformen.

Vor diesem Hintergrund hat sich der Widerstand auf die Stadtviertel verlagert. Ebenfalls Montag gab es ab 20 Uhr Demonstrationen in den verschiedenen Stadtvierteln. Zum Beispiel in Villa Adela im Westen der Hauptstadt versammelten sich rund 200 Menschen und riefen: „Wenn es keine Lösung gibt, dann gibt es eine Revolution!“ Die Menschen, darunter sehr viele Kinder und Jugendliche, machten viel Lärm mit Trompeten, Töpfen und Plastikflaschen. (Gleichzeitig gab es in verschiedenen anderen Vierteln ebenfalls Demos: in Pedregal z.B. demonstrierten am Abend über 1.000 Menschen. Doch wegen der anhaltenden Zensur ist es sehr schwierig, einen Überblick zu bekommen.)

„Seit einer Woche machen wir jeden Abend eine solche Demonstration“ meinte Berta Dimo, eine Krankenschwester aus dem Viertel. Die Polizei erschien mit Pickup-Trucks und Motorrädern, aber beschränkte sich darauf, hinter der Demonstration herzufahren. „Manchmal schiessen sie in die Luft, aber noch haben sie sich nicht getraut, unsere Aufmärsche anzugreifen“ meinte Jorge Hernández, ein Student. „Aber in anderen Vierteln haben sie in die Menge geschossen. Es ist beeindruckend, dass die Menschen hier keine Angst haben“ fuhr er fort.

Am heutigen Dienstag begann eine weitere Runde im „Guaymara-Dialog“ zwischen dem Putschregime und dem abgesetzten Präsidenten Zelaya. VertreterInnen beider Seiten versicherten, dass 60 oder 70% der Punkte geklärt seien. Aber Juan Barahona, der im Verhandlungsteam von Zelaya sitzt, sich jedoch als Vertreter der „Resistencia“ versteht, kommentierte gegenüber der Presse: „Wir haben noch gar nicht über den wichtigsten Punkt, der Wiedereinsetzung des Präsidenten, gesprochen. Damit ist dieses Dialog immer noch bei null.“

Zelaya hat eine Frist bis zum 15. Oktober, also diesen Donnerstag, für ein Ergebnis des Dialogs gesetzt. Die PutschistInnen spielen nur auf Zeit bis zu ihren Wahlen am 29. November. Noch ist nicht klar, ob beide Seiten eine Verlängerung des Dialogs beschliessen werden oder ob das Dialog für gescheitert erklärt wird und die Parole der DemonstrantInnen in Villa Adela sich in die Realität umsetzt: Wenn die PutschistInnen weiterhin jedes Zugeständnis ablehnen, könnte es dazu kommen, wie im Juli und September bereits geschehen ist, dass wieder Zehntausende auf die Strasse gehen. Denn selbst ein bürgerlicher Politiker und OligarchInnensohn wie Zelaya, der nichts mehr als eine Massenbewegung fürchtet, muss manchmal große Bewegungen der Unterdrückten vom Zaun brechen, um seine eigene Haut zu retten.

Die so genannte "internationale Gemeinschaft" – also die imperialistischen Staaten, die Honduras seit Jahrhunderten beherrschen – und Zelaya wollen umbedingt eine Verhandlungslösung. "Mel" ist zu ziemlich jedem Zugeständnis an die PutschistInnen bereit, um zurück an die Macht zu kommen. Das führt zu Unzufriedenheit unter den AktivistInnen der „Resistencia“, die "nicht eine Minute lang auf die Forderung nach einer konstituierenden Versammlung verzichten werden" (so ihr Sprecher).

Doch leider haben die BasisaktivistInnen keine Strukturen, mit denen sie ihre Forderungen artikulieren können. Die Führung der Widerstandsfront liegt in den Händen von einer Clique von GewerkschaftsbürokratInnen, die Zelaya ziemlich nahe stehen und seine Strategie des "Dialogs" teilen. In dieser Situation hat Zelaya von der brasilianischen Botschaft aus eine unbestrittene Führungsrolle: Die DemonstrantInnen auf der Straße lieben ihn, auch wenn er ihre Proteste zurückhält. Damit sich diese Situation ändert, muss sich der Widerstand über Versammlungen in den Vierteln, Arbeitsplätzen, Schulen und Universitäten organisieren, um eine alternative, demokratische Führung aufzubauen und mit dem Generalstreik die PutschistInnen endlich zu verjagen.

von Wladek Flakin, Tegucigalpa, 12. Oktober 2009 –
unabhängige Jugendorganisation REVOLUTION – www.revolution.de.com


Fotos vom Morgen (Kennedy):
http://www.flickr.com/photos/onesolutionrevolution/sets/72157622454717973/

Fotos vom Abend (Villa Adela):
http://www.flickr.com/photos/onesolutionrevolution/sets/72157622386226255/

zwei kurze Videoclips vom Abend:
http://www.youtube.com/watch?v=p28VCOp1aYc
http://www.youtube.com/watch?v=fzrJQazA5TI
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Ergänzungen

Oscar Arias Sanchez

Fabzgy 14.10.2009 - 20:50
Lustig ist ja vor allem das Oscar Arias, Präsident von Costa Rica und Friedensnobelpreisträger, als Verhandlungspartner ausgehwählt wurde. JedeR in Costa Rica weis, dass Arias selbst versucht hat die Verfassung zu ändern um dich wiederwählen lassen zu können. Das Parlament verweigerte die doch. Er brauchte zwei weitere Anläufe im Verfassungsgericht (Sala IV) um eine Entscheidung zu seinen Gunsten herbeizuführen. Also im Prinzip sollte die Verhandlung zwischen Putschreigierung und geputschtem Präsident von jem. geführt werden der selbst kein illegetimer Präsident ist und sich durch eine Interpretation eines Gerichts eine weitere Amtszeit sicherte. Ironie des Lebens.

Name

Wladek Flakin 16.10.2009 - 04:52
Die Krankenschwester hiess "Brenda Andino" und nicht "Berta Dimo" (das hat mensch davon, wenn mensch auf einer sehr lauten Demonstration jemanden nach seinem Namen fragt!).