Sanktionen bei Hartz IV

Horst W. 13.10.2009 18:12 Themen: Freiräume Kultur Repression Soziale Kämpfe
Hier geht es um eine kurze Darstellung der negativen Auswirkungen des Sanktionsparagraphen für Leistungsbezieher von Hartz IV (§31 SGBII) sowie um aktuelle Petitionen, in denen eine Abschaffung des selbigen gefordert wird. Außerdem finden sich einige Links zum Thema Bedingungsloses Grundeinkommen.
Durch den Sanktionsparagraphen werden hilfebedürftige Menschen, durch die Androhung von Kürzungen und in wiederholtem Fall sogar des Wegfalls ihres Existenzminimums, gewaltvoll dazu gezwungen unter anderem:

- häufig sinnlose Tätigkeiten auszuüben (die im übrigen eine große finanzielle Belastung des Staates mit sich bringen, der Träger einer solchen "Beschäftigungsmaßnahme" erhält in der Regel mehr als 1000€ pro Monat/beschäftigtem Hartz 4 Empfänger - wesentlich mehr als der Hartz 4 Anspruch selbst ausmacht)

- ihre Arbeitskraft zu Billigstlöhnen oder unbezahlt zur Verfügung zu stellen (wodurch weitere Arbeitsplätze gefährdet werden bzw. verloren gehen, Stichwort Lohndumping)

- Massen an aussichtslosen Bewerbungen auf nicht vorhandene Jobs zu versenden

- ihren Briefkasten täglich zu leeren und bei Abwesenheit vom Wohnort ca. 2 Wochen vorher beim Jobcenter "Urlaub" zu beantragen von dem lediglich 3 Wochen pro Jahr gewährt werden können.

Mehr dazu und zu den Gesetzestexten zu den Sanktionen auf der Seite von Ralph Boes (Bürgerinitiative für Bedingungsloses Grundeinkommen Berlin) unter folgendem Link:

 http://www.buergerinitiative-grundeinkommen.de/sheets/aktuelles/petition2.htm


Diese Dinge haben nichts mehr mit Arbeitsanreizen zu tun, sondern vielmehr mit Arbeitszwang, moderner Sklaverei und offenem Strafvollzug (mit der Option auf Obdachlosigkeit und Hunger). Eine Entwicklung hin zu wirklicher Selbständigkeit der Empfänger wird durch oben beschriebene Maßnahmen (und dies ist nur ein Auszug) nicht wie von den Unterstützern vertreten gefördert, sondern blockiert. Unter Existenzangst und Zwangsmaßnahmen leidende Menschen, haben es unbestritten schwerer, ihr Potential entfalten zu können und ihren Weg zu finden, um einen wirklich nützlichen und für sie passenden(!) Beitrag zur Gesellschaft leisten zu können.

Mir ist bewusst, dass es zahlreiche Meinungen zu diesem Thema gibt, allerdings sollte man dabei nicht vergessen, es vor dem Hintergrund einer zwangsläufigen, weiteren Beschäftigungsabnahme und einer zukünftigen Zunahme der Arbeitslosenzahl zu betrachten. Vollbeschäftigung im Sinne von bezahlten Vollzeitjobs für alle ist kein realistisches Ziel, auch wenn dies in der politischen Szene noch gerne so dargestellt wird. Wie auch im Film "Kulturimpuls Grundeinkommen"*** dargestellt, war es niemals die Aufgabe der Wirtschaft Arbeitsplätze zu schaffen, sondern Arbeitsabläufe und Kosten zu optimieren und Gewinne zu erzielen. Die zunehmende Zahl von Menschen, die nun durch diese Paradigmen "von der Arbeit freigestellt" wird, mit Sanktionen zu belegen und zu irgend etwas zu zwingen ist eine menschenverachtende und realitätsfremde Praxis.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen in einer Höhe die nicht nur existenzsichernd ist sondern auch gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe ermöglicht, wäre hier vermutlich ein schöner Weg, um mit diesen Entwicklungen umzugehen und den betroffenen Menschen ihre unantastbare Würde zurückzugeben. Da es aber noch Zeit zu brauchen scheint, bis diese Idee in den Köpfen und Herzen einer breiten Öffentlichkeit angekommen ist, ist ein sanktionsfreies Hartz 4 sicher ein wichtiger Schritt in der gesellschaftlichen Weiterentwicklung.

Jeder Mensch hat das Recht auf Existenz (auch im materiellen Sinn) und auf freie Entfaltung und ein selbstbestimmtes Leben!

Deshalb die dringende Bitte, den untenstehenden Links zu folgen, mitzuzeichnen und die Nachricht zu verbreiten!


Die Online Petition beim Deutschen Bundestag von Ralph Boes kann aufgrund ihrer kurzen Laufzeit nur noch bis zum 28.10. mitgezeichnet werden. Es sind erst 5505 Stimmen und sollten bis dahin 50.000 werden. Der Link:

 https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=6785


Deshalb ist es auch wichtig die Petition von Andreas Niehaus zu unterzeichnen, die längerfristig angelegt ist und für die bisher etwa 3000 (von 50.000) Stimmen gesammelt wurden. Auf seiner Seite kann man sich eine Liste ausdrucken, unterzeichnen, idealerweise noch ein paar "Mitzeichner" finden und diese an den Initiator zurücksenden. Hier der Link:

 http://sanktionen-weg.de/


Außerdem gibt es noch die Möglichkeit Bündnis für ein Sanktionsmoratorim (derzeit etwa 11.000 Stimmen) online mitzuzeichnen unter:

 http://www.sanktionsmoratorium.de



*** Der Film "Kulturimpuls Grundeinkommen" in voller Länge und kostenlos zum Online-Sehen oder Download unter:

 http://www.kultkino.ch/kultkino/besonderes/grundeinkommen

Weiterführende Informationen hierzu auch auf:

 http://www.grundeinkommen.de/
 http://www.fuer-grundeinkommen.de
 http://www.archiv-grundeinkommen.de
 http://www.endlich-grundeinkommen.de/heute.html
 http://www.youtube.com/watch?v=NV2MWCQQGNQ
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Ergänzungen

...weitere Gedanken zum Thema...

Horst W. 14.10.2009 - 09:06
Die Ergänzungen zum Artikel driften hier auf eine ziemlich persönlich Ebene ab und ich finde es deshalb sinnvoll selber nochmal ein paar Anmerkungen hinzuzufügen.

Im Artikel werden Auswirkungen der momentanen Sanktionspraxis beschrieben, die natürlich
auf Individuen zutreffen, das aber in zahlreichen und zunehmenden Fällen.

Es handelt sich dabei lediglich um einen Auszug, gesamtgesellschaftlich betrachtet sind
die Auswirkungen solcher Maßnahmen noch wesentlich tiefgreifender, denn auch die "arbeitende Bevölkerung" (soll heißen, Menschen die (zur Zeit noch) in bezahlten Beschäftigungsverhältnissen stecken) werden durch die entwürdigenden Praktiken in ihrem Arbeitsumfeld erpressbar, schließlich sind auch sie abhängig vom Lohn und wissen, was sie erwartet, wenn dieser aus welchen Gründen auch immer wegfällt.

Das zur Zeit verwendete Instrumentarium arbeitet also mit Verängstigung, Kontrolle, Zwang,
Entwürdigung, Fremdbestimmung und damit allem, was das Individuum (in Lohnarbeit oder nicht) klein macht und hält.

Dies führt zwangsläufig u.a. zu schlechteren Arbeitsbedingungen, längeren Arbeitszeiten und Lohnkürzungen.

Die Aufhebung des Sanktionsparagraphen ist demnach für alle ein wichtiger Schritt, ganz gleich auf welcher Seite der sich durch Lohnabhängigkeit zunehmend spaltenden Gesellschaft man sich gerade befindet.

Grundsätzlich geht es deshalb mit der erwähnten Idee eines Bedingungslosen(!) Grundeinkommens auch um eine Entkoppelung von Arbeit und Einkommen. Zumindest auf einer existenzsichernden und auch für gesellschaftliche/kulturelle Teilhabe ausreichenden Basis.

Es handelt sich dabei nicht bloß um eine Umverteilung nach dem Motto "die Reichen für die Armen" sondern um eine Gleichstellung, im Sinne von "jeder hat aufgrund seiner Existenz ein Recht auf ein angemessenes Einkommen" das von allen und für alle getragen wird.

Dies kommt natürlich, wenn man es konsequent verfolgt, nicht ausschließlich (momentan)
Bedürftigen zugute sondern auch (momentan) Lohnbeschäftigten, da es vor allem auch Augenhöhe in Verhandlungen über Bedingungen, Entlohnung und Sinn der Arbeit mit dem Arbeitgeber verleiht und aus zur Zeit vorherrschenden Abhängigkeiten befreit.

Hier wären mögliche Auswirkungen Mitbestimmung, Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, Sinn- und Wertewandel (u.a. Neudefinition des Begriffes sinnvolle Arbeit), Gleichberechtigung, gleiche Augenhöhe und wechselseitiger Respekt (zwischen Menschen, egal ob Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Arbeitsloser)



Ps: Zu den vorher abgegebenen Kommentaren: den Therapeuten nehme ich in seiner selbst ernannten Funktion als solchen nicht ernst. Die von no name vorgeschlagenen Bemühungen um Solidarität außerhalb des staatlichen Regelwerks finde ich interessant. Ich glaube aber, dass es auch um (notwendige) grundlegende Veränderungen geht, die eine menschenwürdige Grundlage für jeden schaffen können. Solche Patenschaften, würden außerdem vielleicht noch eine Spaltung zwischen Arbeitnehmer/Arbeitslosen verstärken, da der Bedürftige hier zum Bittsteller wird während der Arbeitnehmer in eine Position des edelmütigen Spenders erhoben wird. Außerdem sind dann beide davon abhängig, dass dieser seinen Arbeitsplatz auch behält, was die oben beschriebene systemimmanente Problematik unter Umständen noch verschärft.

Tja, gibts doch alles bald

Turbo 14.10.2009 - 09:14
So wie es sich anhört plädiert die FDP doch für genau sowas:
Abschaffung von HartzIV, Bürgergeld, etc.
;)

Der wesentliche Unterschied zwischen so einem Modell und dem im Artikel wird die Höhe des Geldes sein. Das ist nähmlich der zentrale Hebel, der darüber entscheidet wie das Ganze funktioniert.
Wenn dann nur noch darüber gestritten wird, dann hat auf jeden Fall schonmal der böse Kapitalismus gewonnen, weil die Marktwirtschaft und Ökonomie dann auf jeden Fall die Regeln in diesem Spiel bestimmen.

BGE ist kein Bürgergeld!

Horst W. 14.10.2009 - 10:01
Hallo Turbo,

Bedingungsloses Grundeinkommen ist mit dem von der FDP vorgeschlagenen Bürgergeld nicht zu verwechseln.

Es gibt zwei wesentliche Unterschiede:

Der erste und ganz wichtige ist die Bedinungslosigkeit. Von allen für alle. Anerkennung wird jedem aufgrund seiner Existenz und nicht seiner Leistung entgegengebracht. Natürlich wird auch Leistung weiterhin anerkannt, dies aber zusätzlich zum bedingungslosen Grundeinkommen.

Und zum zweiten spielt die Höhe eine ganz bedeutende Rolle in dieser Überlegung. Wenn es nämlich hoch genug ist, so dass man wirklich frei ist zu entscheiden, ob man unter welchen Bedingungen auch immer bereit ist zu arbeiten, kann man von wirklichem Mitspracherecht reden, dass es erlaubt, diese Bedingungen frei zu verhandeln. Sie können dann nicht mehr einseitig diktiert werden. Das kann, wenn man seine Arbeit als besonders sinnvoll und erfüllend betrachtet auch mal ehrenamtlich sein, oder aber Arbeiten, die viel Kraft kosten, müssen dementsprechend entlohnt und erleichter werden sonst macht sie nämlich niemand mehr. Schließlich ist man nicht auf den Lohn angewiesen um ein menschenwürdiges Leben zu führen.

In beiden Punkten weicht das Bürgergeld von diesen Idealen ab und kann somit als weiterer sozialer Einschnitt verstanden werden.

Ist die Höhe nämlich nicht ausreichend zur Sicherung der Existenz und gesellschaftlicher Teilhabe, entsteht faktisch Arbeitszwang und es ist somit ein Deckmantel unter dem versucht werden, soziale Ungerechtigkeiten und Kürzungen als positive Entwicklung zu verkaufen.


sanktionsfreies Hartz IV

Horst W. 14.10.2009 - 14:24
Die Petitionen sind alle für die Abschaffung des Sanktionsparagraphen §31 SGB II für Hartz IV Leistungsbezieher.

Sie treten damit für ein sanktionsfreies Hartz IV ein.

Eine Mitzeichnung sollte also nicht davon abhängen, ob man bedingungsloses Grundeinkommen für realistisch und/oder sinnvoll hält, sondern ob man dafür eintreten möchte, dass die aktuelle Sanktionspraxis ein Ende findet.

Sämtliche Ausführungen zum Thema BGE sind als perspektivische Ergänzung zur Problematik gedacht und sollen somit weitere mögliche Lösungsansätze und Denkanstöße darstellen.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 6 Kommentare an

Therapeuten — no name

das grundeinkommen kommt — aber nicht bedingungslos

UTOPIE versus REALITÄT? — demagogin

@demagogin — franke

Maschinen — liberte