Zahltag - Beginn neuer Erwerbslosenproteste?

lesender arbeiter 09.10.2009 02:06 Themen: Soziale Kämpfe
Am Mittwochabend diskutierten im Berliner Stadtteilladen Zielona Gora im Rahmen des Roten Abends der Internationalen KommunstInnen AktivistInnen von Erwerbslosenbewegung über neue Aktionsformen.
Zahltag heißt eine Aktionsform von Erwerbslosen, die von Köln aus in verschiedenen Städten Interesse gefunden hat. Erwerbslose schließen sich zusammen, und fordern in den Jobcentern und Arbeitsagenturen ihre Rechte ein. Das können bisher zurück gehaltene Anträge ebenso sein, wie die Auszahlung von Bargeld in besonderen Notlagen oder die Rücknahme von Sanktionen. Ein in den nächsten Tagen im Unrast erscheinendes Buch mit dem Titel „Zahltag - Zwang und Widerstand: Erwerbslose in Hartz IV“ stellt die Aktionsform in den Kontext der Erwerbslosenproteste der letzten Jahre.
Der Herausgeber des Buches Peter Nowak zeigte auf, dass schon 2004 neben den spontanen Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV von organisierten Erwerbslosen und sozialen Gruppen Aktion, wie den Agenturschluss vorbereitet wurden, die das Jobcenter in den Mittelpunkt der Aktionen stellten. In den nächsten Monaten und Jahren fanden viele kleine Aktionen statt, mit denen die neue Situation unter Hartz IV erkundet wurde. Als Beispiel wurden Spaziergänge zu Ein-Eurojobeinrichtungen genannt oder die Aktion Schwarze Schafe, auf denen Erwerbslose ihre Erfahrungen mit den Ämtern darlegen konnten. Die Aktion Zahltag und die individuellere Variante „Keine/r muss allein zum Amt“, bei der sich Erwerbslose individuell zu ihren Terminen zum Jobcenter begleiten lassen, tragen dazu bei, dass sich die Betroffenen wieder selbstbewusster bewegen können. Solche Selbstermächtigungsprozesse können bei solchen Aktionen eher als bei manchen Demonstrationen folgen.


Mehr als linke Sozialarbeit
Das bestätigte auch Daniel von der Berliner Initiative „Keine/r muss allein zum Amt“, die sich vor einigen Monaten gegründet hat. Menschen, die begleiten werden wollen oder Begleitung anbieten, können über die Emailadresse  solidarisch-begleiten@riseup.net ihr Anliegen vortragen und Kontakte suchen. Daniel berichtete, dass es bisher fast immer gelungen ist, eine Begleitung zu organisieren. Einmal im Monat gibt es ein öffentliches Frühstück, wo sich BegleiterInnen und Begleitete austauchen können. Natürlich besteht dabei auch das Ziel, dass Erwerbslose, die sich haben begleiten lassen, nun andere Erwerbslosen begleiten. So könne auch verhindert werden, dass die Begleitung zur linken Sozialarbeit wird. Diese Befürchtungen wurden aus den Publikum geäußert. Es wurde aber darauf verwiesen, dass schon durch die Betonung auf die Selbstorganisation ein solcher sozialarbeiterischer Einschlag, zwar nicht ganz ausgeschlossen, aber weitgehend zurückgedrängt werden kann.

Verbindung zu anderen Kämpfen

Anne Seeck, die lange Jahre in der Erwerbslosenbewegung aktiv ist, obwohl sie das Wort selber nicht mag, zog zunächst einen kritischen Rückblick auf die Aktivitäten der letzten Jahre. So seien viele Erwerbslosen durch ständige Termine unter dem Hartz IV-Regime, durch Ein-Euro- und MAE-Jobs oft eine . kontinuierliche Arbeit erschwert. Gleichzeitig machte Seeck beispielhaft deutlich, wie sich Kämpfe von Erwerbslosen mit anderen sozialen Initiativen verbinden kann. So beteiligt sich der Erwerbslosentreff in der Lunte an der Kampagne gegen ein Quartiersmanagement im Schillerkiez. In den letzten Monaten gab es auch schon Kontakte zu den Initiativen „Tempelhof für Alle“. Hier wir ganz im Sinne der Zahltag-Idee Erwerbslosigkeit nicht als abgekoppeltes Problem verstanden sondern als Teil emanzipatorischer Kämpfe. Solche Initiativen gab es auch im Köln beispielsweise beim Zahltag XXL, wo neben Jobcentern auch der Kampf um Nulltarif im Nahverkehr, Kampf gegen Gentrifizierung etc. auf der Tagesordnung stand. Ein wichtiger Teil war auch der Kampf gegen die Beschäftigungsindustrie, in der Zehntausende Erwerbslose in Maßnahmen stecken. Holger Marcks ist in seinem Beitrag darauf eingegangen. Er zeigte auf, wie große Beträge zwischen den unterschiedlichen Beschäftigungsträgern aufgeteilt werden, die wiederum auch Einfluss und Lobbyarbeit auf kommunaler Ebene und auch gegenüber den Jobcentern ausüben. Im Buchzahltag hat Holger die Zusammenhänge gut dargestellt.
Nach der Diskussion beteiligten sich die TeilnehmerInnen nicht nur mit Nachfragen sondern auch mit konzeptionellen Vorschlägen an der Debatte. Dazu gehörte ein berlinweites Treffen der unterschiedlichen Gruppen und Initiativen, die in der Erwerbslosenbewegung aktiv sind. Denn die Zersplitterung in der Erwerbslosenszene wird als großes Problem angesehen. Ziel eines solchen Treffens könnte die Verständigung auf gemeinsame Aktionen mit gemeinsamen Forderungen sein. Dazu könnte u.a. als Minimalforderung die sofortige Abschaffung der Sanktionen bei Hartz IV gehören. Eine Initiative hat ein Sanktionsmoratorium in die Diskussion gebracht, dass auch von PolitikerInnen und GewerkschafterInnen unterschrieben wurde. Es wäre sicher möglich, damit zu arbeiten. Ein anderes Feld wären eine verstärkte Kooperation zwischen Erwerbslosen und Prekär Beschäftigten. So könnten letztere Zahltagaktionen unterstützen, wären Erwerbslose Kämpfe von prekär Beschäftigten unterstützt. Damit wird auch der Tatsache Rechnung getragen, dass die Grenze zwischen beiden Gruppen fließend ist und viele Prekäre als Aufstockung Hartz IV beziehen.

Fazit: Viele gute Diskussionen und weiterführende Konzepte und der Eindruck, dass die Aktion Zahltag und „Keine/r muss allein zum Amt eine „Graswurzelchenbewegung“ sein kann, wie es eine Teilnehmerin ausdrückte.
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Ergänzungen

Zahltag-Buch - Inhaltsverzeichnis

Peter Nowak 09.10.2009 - 14:45

Für Interessierte des in den nächsten Tagen erscheinenden Buches: Zahltag einige Kurzinfos

Inhaltsverzeichnis:


- Vorwort:
- Von den Montagsdemonstrationen zum Agenturschluss
- Vom Agenturschluss zum Zahltag
- Tatort Jobcenter
- Armee der Erwerbslosen (Bundeswehr im Jobcenter)
- Gegen die Vertafelung der Gesellschaft
- Kein Umzug unter dieser Nummer - Kampagnen gegen Zwangsumzüge
- Kettenhunde der Jobcenter – die Beschäftigungsindustrie
- Schluss und nützliche Links



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Peter Nowak
Zahltag
Zwang und Widerstand: Erwerbslose in Hartz IV.


ISBN: 978-3-89771-103-7
Ausstattung: br., 80 Seiten
Preis: 7.80 Euro


Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Leser 09.10.2009 - 15:36
Ich lese hier zwar viel über Arbeitsamt, Jobcenter, usw..
Aber nichts über einen Kampf gegen die Regierung oder gar den Kapitalismus.

Gehts nur gegen die Arbeitslosigkeit ?
Vollbeschäftigung reicht? Innerhalb (!) des Kapitalismus?

Klingt ja wie "dieLinke".

Rapidshare-Link zu Zahltag-Buch?

Melanie 09.10.2009 - 20:17
Kann das mal jemand einscannen und zum Download freigeben?
Ich möchte das gerne lesen, werde aber bestimmt kein Geld dafür ausgeben.

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