Prozess wegen Flugblattverteilen in München

Herr Jux 07.10.2009 19:35 Themen: Repression Ökologie
Am 05.10.2009 fand am Münchener Amtsgericht ein Prozess gegen eine Tierbefreiungsaktivistin wegen „Belästigung der Allgemeinheit“ §118 OWiG statt.
Hintergrund:

Seit ca. 1,5 Jahren finden regelmäßig Flugblattaktionen vor den Escadafilialen in München statt ( http://antifur-campaign.org/reports.php?lang=de) und regelmäßig kommt es zu Diffamierungen durch die Geschäftbetreiber_innen. Neben einer Verurteilung wegen einer angeblichen Beleidigung ( http://de.indymedia.org/2009/06/252869.shtml) wurden mehrere Aktivist_innen zum Teil mehrfach nach § 118 OWiG angezeigt und mit Bußgeldern zwischen 25 und 125 Euro belegt. Nachdem die Betroffenen gegen die Bescheide Einspruch eingelegt hatten kam es aus unterschiedlichen Gründen (Fristversäumnis, Einstellung nach § 47 OWiG etc…) zur Einstellung einiger Verfahren.
Ein nicht unerheblicher Teil der Verfahren aber wurde weiter verfolgt und so musste sich eine Aktivistin diesbezüglich am Montag vor dem Münchner Amtsgericht verantworten .
Für die Tierbefreiungsaktivist_innen hatte dieser Prozess, obwohl es „nur“ um 50 Euro Bußgeld ging, einen sehr hohen Stellenwert:
bei einer potenziellen Verurteilung wäre die Ausgangslage in den folgenden Prozessen sehr schlecht und auf längere Sicht sei mit weiteren Diffamierungen von Seiten Escadas und der Polizei zu rechnen, wodurch die sowieso schon sehr begrenzen Möglichkeiten des Protestes noch weiter eingeschränkt würden.

Zum eigentlichen Vorwurf:

Am 29.05.2008 hätte die angeklagte Aktivistin Flugzettel verteilt und dabei Pasant_innen den Weg versperrt, diese gegen deren Willen in Gespräche verwickelt und ihnen nachgestellt. Grundlage der Anschuldigungen war die Aussage des Escadafilialleiters D. vor dessen Geschäft in der Theatinerstraße in München die Flugzettel verteilt wurden. Als weiterer Zeuge war ein Polizist der PI11 geladen.



Nach Absprache mit ihrer Anwältin L. äußerte sich die Beschuldigte zu den Vorwürfen wie folgt:
sie könne sich leider nicht konkret an den besagten Tag erinnern aber sie könne schildern, wie das Flugblattverteilen generell abliefe.
Es würde sich nicht den Passant_innen in den Weg gestellt und diese würden auch nicht verfolgt, vielmehr ginge es darum die Menschen zu informieren und nicht zu behindern. Flugzettel würden nur auf Nachfrage und bei Interesse vergeben, das Verteilen an sich fände in keiner Weise in aggressiver Form statt. Die Reaktionen der Passant_innen fielen unterschiedlich aus, einige würden sich gestört fühlen, es gebe aber auch äußerst positive Rückmeldungen.
Regelmäßig würden Escadamitarbeiter_innen die Polizei rufen, diese würde aber nicht einschreiten, da das Flugzettelverteilen durch den kommunikativen Gemeingebrauch gedeckt sei.
Mit den Escadamitarbeitern hätte es kein Gespräch in Form von einem Dialog gegeben. Der Filialleiter sei wohl nicht sehr erfreut darüber, dass die Aktivist_innen regelmäßig vor seinem Laden stehen. Obwohl er darüber informiert wurde, dass sich der Protest nicht gegen ihn sondern den Echtpelzverkauf der Escada AG richte, hätte er den Aktivist_innen mit der Polizei gedroht und sie mehrmals beleidigt.

Nun wurde Escadafilialleiter D. in den Zeugenstand gerufen.
Erste Unsicherheiten traten bereits am Anfang auf, als der Zeuge nach seiner Adresse gefragt wurde. Daraufhin räumte Richter Preißig dem Filialleiter D. ein, dass es genüge, wenn dieser die Geschäftsadresse angebe.
Scheinbar hatte D. aus der letzten Verhandlung gelernt, damals hatte er bei einer Gegenüberstellung obwohl sich seiner zu 100 Prozent sicher, die falsche Person als „Täterin“ identifiziert ( http://de.indymedia.org/2009/06/252869.shtml) und so blieb seine Aussage bezüglich der Beschuldigten diesmal sehr vage.
Ja, er würde sie kennen, könne sich aber nicht genau erinnern ob es an besagtem Tag genau sie war, es sei ja auch schon lange her.
Zu Beginn seiner eigentlichen Aussage gab D. zu verstehen, dass er die Demokratie ja gut fände und auch die Pelzgegner_innen respektiere, aber das jetzt schon seit zwei Jahren vor dem Geschäft demonstriert wird, das würde die Kund_innen verunsichern und diese wollten doch nur was kaufen.
Das Traurige an der Meinungsfreiheit sei eben, dass alle Leute belästigt werden.
Besonders die anmaßende Art und Weise der Pelzgegner_innen mache ihm zu schaffen, die Meinung sei ins Fanatische umgeschlagen und es herrsche vor dem Geschäft immer so ein Durcheinander und es würden bei den Demonstrationen Parolen gerufen wie Escada mache Profit auf Kosten der Tiere.
Dabei sei der Konzern doch Bankrott und die Mitarbeiter_innen seien fertig, da sie Charakter und Moral besäßen.

Nun wurde der Zeuge vom Richter unterbrochen und er teilte diesem mit, dass er zwar über Inhalte berichtet hätte, es würde aber die Art des Auftretens entscheidend sein.

Herr D. teilte daraufhin mit, dass die Kund_innen bis zum Ordeonsplatz verfolgt würden und die Pelzgegner_innen hätten mit ihrer militanten Art das Ziel erreicht, da viele ältere Kund_innen nicht mehr einkaufen würden. Es würde kein Respekt vor der Gegenpartei bestehen und sobald eine Kundin mit Escadatüte das Geschäft verlässt sei sie gebrandmarkt, würde durch die Pelzgegner_innen belehrt und dann durch die Stadt verfolgt.

Zeuge reagiert auf Nachfragen des Richters zunehmend unhöflich und vergleicht Escada mit den Opfern des Naziregimes


Auf die Frage des Vorsitzenden Richters ob dies konkret die angeschuldigte Dame gewesen sei antwortete D. , dass er im Gerichtssaal keine Damen sehen würde. Als der Richter auf die Angeklagte zeigte entgegnete D. auch sie meinen diese Person!
Nein, er wüsste nicht, ob es S. gewesen sei, er würde ja auch kein Tagebuch schreiben, da sie wirklich andere Probleme hätten: den Demonstrant_innen gehe es darum Escada und die Arbeitsplätze zu vernichten!
„Wir machen Escada Pelzfrei!“, das sei für Escada wir vor 40 Jahren (!) wir machen Deutschland Judenfrei.
Diese Aussage sorgte für massive Aufregung und Verteidigung als auch der Richter verurteilten diesen Vergleich aufs Schärfste.
Die abschließende Frage der Verteidigung ob der Filialleiter Beleidigungen gegen die Beschuldigte ausgesprochen hätte verneinte dieser entschieden.
Nein, das kann nicht sein, Sie sind ja immer ganz zurückhaltend! Entgegnete Anwältin L. darauf, was bei den Prozessbeobachter_innen zur allgemeinen Erheiterung beitrug.

Der nächste Zeuge der Polizist F. konnte zum Tatablauf ebenfalls nichts schildern, da er an besagtem Tag nicht anwesend war und sein Kollege S. Dienst hatte.

Im Plädoyer sprach sich Anwältin L. für einen Freispruch aus. Die Anklage würde einzig und allein auf die Aussage des Escada Filialleiter D. aufgebaut sein und selbst dieser könne nichts konkretes gegen S. vorbringen, außerdem müsse seine Aussage in Frage gestellt werden, da er die wirtschaftlichen Interessen seines Konzerns vertrete.
Als weiteren Punkt führte L. an, dass selbst wenn einem Menschen eine Flugzettel vor das Gesicht gehalten würde dies keinen Tatbestand im Sinne des §118 OWiG sei, da dieses Verhalten ein Akt der Freien Meinungsäußerung sei und in einer Demokratie akzeptiert werden müsse.

FREISPRUCH!

Das Urteil lautete dann auch auf Freispruch. Wobei sich der Richter auf die Tatsache berief, dass sich im Zuge der Verhandlung keine konkreten Beweise gegen S. ergeben hätten.
Generell wäre aber §118 OWiG gegeben, wenn eine Person gezwungen wäre Flugbattverteiler_innen auszuweichen oder von diesen den Weg versperrt bekommen würde.
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