Bremen: Mayday-Protest vor Schlecker XL-Markt

Mayday-Aktivist 07.10.2009 16:46 Themen: Soziale Kämpfe
Vor kurzem hat die Drogeriemarktkette Schlecker ihren ersten Schlecker XL-Markt auch in Bremen eröffnet. AktivistInnen des Bremer Mayday-Bündnisses waren mit Flugblättern, Transparenten und Schildern vor Ort, die Resonanz war einmal mehr bemerkenswert...
Hintergrund ist, dass Schlecker bereits seit längerem gegenüber Konkurrenten wie Rossmann, dm & Co. ins Hintertreffen geraten ist. Schlecker hat deshalb begonnen, bundesweit viele seiner kleinen Filialen zu schließen und stattdessen größere und besser ausgestattete Schlecker XL-Märkte zu eröffnen. Das klingt zunächst einmal harmlos, ist es aber nicht. Denn für die Beschäftigten geht dieser Wechsel mit einer massiven Verschlechterung der Arbeitsbedingungen einher. Konkret ist es sogar so, dass die Beschäftigten der alten bzw. geschlossenen Filialen entlassen oder (so denn sie sich juristisch wehren) versetzt werden. Umgekehrt werden für die XL-Märkte neue Beschäftigte angeheuert – allerdings erhalten diese pro Stunde nur noch 6,50 Euro/brutto die Stunde und nicht mehr wie in den anderen Schlecker-Filialen ca. 12 Euro Euro/brutto. Das ist der Grund, weshalb das Bremer Mayday-Bündnis bereits im Rahmen der Krisendemo am 17.09. die von ver.di lancierte Rote-Karten-Aktion unterstützt und zudem ein Interview mit einer Schlecker-Angestellten vor einer Schlecker-Filiale vorgetragen hat:  http://www2.de.indymedia.org/2009/09/261527.shtml Wer mehr zu Schlecker wissen möchte, findet ansonsten auch viele und gute Infos auf der Webseite von Labournet:  http://www.labournet.de/branchen/dienstleistung/eh/schlecker.html

Mittlerweile wurde auch in Bremen der erste Schlecker-XL-Markt eröffnet, und zwar in Gröppelingen, einem der ärmsten Stadteile Bremens. Leute aus dem Bremer Mayday-Bündnis waren ebenfalls vor Ort – einerseits um Flublätter zu verteilen (mit besagtem Interview von der 17.09.-Demo), andererseits um mit KundInnen und Angestellten ins Gespräch zu kommen. Doch bevor es losgehen konnte, rief die ohnehin reichlich gestresste Marktleitung zunächst einmal die Polizei. Diese kam auch, sah jedoch keine Veranlassung, irgendetwas zu unternehmen. Im Gegenteil: sie billigte die (nicht angemeldete) Aktion ausdrücklich, was die Marktleitung einigermaßen entgeisterte, vor allem deshalb, weil die Cops unverhohlen ihre Sympathie für die Aktion zum Ausdruck brachten – so wie noch viele weitere Leute an diesem Tag...

Bemerkenswert war zunächst einmal, dass der neu eröffnete Schlecker-Markt einem geradezu unglaublichen Massenanstrum ausgesetzt war. Schlecker hatte mit Schnäppchenpreisen gelockt (insbesondere für Toilettenpapier), und das wollten sich viele nicht entgehen lassen, was einmal mehr zeigt, inwiefern für viele Leute selbst ein paar gesparte Euro von grundlegender Bedeutung sind (oder wie kann es sonst erklärt werden, dass so manche KundInnen mit ihrem Auto vorgefahren kamen und 10, 20 oder mehr Packungen Klopapier abtransportiert haben...).

Dass es um Geld ging (und um nichts anderes) wurde auch daran deutlich, dass die allermeißten KundInnen ausgesprochen offen auf unsere Flugblätter reagiert haben. Die große Mehrheit hatte bereits aus dem Fernsehen von der Sache gehört und zeigte sich dementsprechend erbost. Letztlich herrschte vor dem Markt eine ähnliche Stimmung wie im Juli, als das Bremer Mayday-Bündnis vor verschiedenen Supermarkt-Filialen Soli-Pfandflaschen für Emmely sowie Unterschriften für die Emmely-Bundestagspetition gesammelt hat. Interessant war im Übrigen auch, dass die Gewerkschaft von diversen Leuten vermisst wurde: Wir hatten zwar die Roten Karten von ver.di dabei, doch ver.di selbst konnte an diesem Tag aus organisatorischen Gründen nicht vor Ort sein – was wir an dieser Stelle ausdrücklich nicht kritisch meinen (erwähnt sei vielmehr, dass sich in Sachen Schlecker in jüngerer Zeit eine durchaus von wechselseitigem Wohlwollen geprägte Kooperation zwischen ver.di und dem Mayday-Bündnis herausgebildet hat).

Und die Angestellten? Nun, die hatten an diesem Tag vor allem einen extremen Knochenjob zu erledigen. Ansonsten waren sie in ihren Äußerungsmöglichkeiten natürlich recht beschränkt, waren doch Markt- und Bezirksleitung die ganze Zeit vor Ort. Dennoch kam es zu so mancher Begegnung: So zeigte sich eine Angestellte eingermaßen erbost über das auf der 17.06.-Demo entstandene Sprechblasen-Schild „Schleck mich am Arsch“. Dieses sei, so die Angestellte, einfach nur primitiv, allerdings entspannte sich die Situation merklich, nachdem wir das Schild durch ein neues ersetzt hatten.

Das Fazit ist eindeutig: So unspektakulär derlei Aktionen sein mögen, sie sind eine gute Gelegenheit, um mit ungewöhnlich vielen Ḿenschen über grundlegende Fragen wie Gerechtigkeit, Erwerbsarbeit Widerstand etc. in Kontakt zu kommen. Und auch ist zum wiederholten Male deutlich geworden, wie einfach es ist, in Sachen 'Einzelhandel' aktiv zu werden – gibt es doch mit den konkreten Geschäften Orte, an denen Protest artikuliert und auf diese Weise die Interessen der im Einzelhandel bzw. in der Zuliefererindustrie Beschäftigten unterstützt werden können.
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Ergänzungen

Interview mit Schlecker-Angestellten

Interviewer 07.10.2009 - 16:56
Frage: Adelheid, du arbeitest bei Schlecker. Lass mich mit einer simplen Frage beginnen: welche Tätigkeiten gehören zu deinem Arbeitstag?

Adelheid: Für den Kunden sieht das in den kleinen Filialen manchmal ganz gemütlich aus. Aber in Wirklichkeit ist das anders, wir müssen alles selber machen, weil wir die meiste Zeit alleine im Laden sind: Warenbestellung, Waren auspacken, Regale einräumen, Verfalllisten prüfen, Laden und Fenster putzen, Kassieren, Papierkram erledigen, Kunden beraten und auch noch Werbung machen. - Und eigentlich sollen wir auch noch Ladendiebe fangen. Aber das mit der Anzeige mach ich nicht. Wenn ich jemanden sehe, seh ich zu, dass ich die Ware wieder kriege – und ferrtig. Ich begebe mich doch nicht selbst in Gefahr, um dann eins auf die Glocke zu kriegen.

Frage: Und - wird das akzeptiert?

Adelheid: Na ja, eigentlich nicht. Manchmal wird auch Druck gemacht, dann heißt es: Strengen Sie sich mal an, das kann ja nicht sein, dass bei Ihnen nichts geklaut wird usw. - Spätestens wenn die Inventur negativ ist, kann es richtig Ärger geben.

Frage: Noch mal zurück zu den Arbeitsbedingungen, das hört sich ganz schön krass an, was macht ihr denn, wenn ihr aufs Klo müsst und allein seid?

Adelheid: Manche trauen sich nicht, auf Toilette zu gehen und den Laden kurz abzuschließen. Ich mache das halt. Aber da gab es auch schon Beschwerden, als ich mal 15 Minuten weg war, weil es mir so richtig elend ging. Und trotzdem sag ich: Wenn ich muss, dann muss ich.

Frage: Das ist ein wichtiges Stichwort: Wenn ihr die ganze Zeit alleine arbeitet, was passiert denn, wenn ihr krank seid?

Adelheid: Alle versuchen, möglichst wenig zu fehlen. Sonst wird der Vertrag vielleicht nicht verlängert.
Einmal hat eine kranke Kollegin morgens um halb sieben den Bezirksleiter angerufen, damit er Ersatz organisieren kann. Der hat sie aber erst mal zusammengestaucht, was ihr einfiele, mitten in der Nacht anzurufen. Dann meinte er: „Gucken Sie, dass Sie hinkommen, um den Laden aufzumachen“. Die Kollegin hat den Laden dann aufgeschlossen. Aber es wurde kein Ersatz geschickt. Der Bezirksleiter ist auch nicht mehr ans Telefon gegangen. Sie hat dann ein Fax geschickt, dass sie in einer halben Stunde den Laden zumachen würde – und ist dann auch gegangen. Menschenwürdig ist das nicht – sagen wir das mal ehrlich.

Frage: Lass uns jetzt mal zu einem anderen Thema kommen: In den letzten 1-2 Jahren ging es viel um Kontrolle, wie ist das bei euch?

Adelheid: Klar, das gibt es auch bei uns. Testkäufe sowieso – und auch Taschenkontrollen.

Frage: wie oft ungefähr?

Adelheid: Zweimal im Monat vielleicht. Sobald du das Geschäft abgeschlossen hast, kommt jemand um die Ecke: Taschenkontrolle. Eigentlich dürfen die das nur machen, wenn es einen konkreten Verdacht gibt, aber das interessiert die nicht. – Noch schlimmer ist, dass sie manchmal versuchen, dir irgendwelche Sachen anzuhängen, wenn sie dich loswerden wollen: Bei uns in den Spinden gibt es kleine Luftschlitze, da können z.B. flache Tütchen reingeschoben werden – zum Beispiel für Make-Up-Masken. Wenn man schlau ist, klebt man die Schlitze zu. Denn wenn es heißt: Spindkontrolle, Frau Müller, und da ist was drin, was nicht abgezeichnet ist, dann Prost Mahlzeit. Oder du wirst in die Mangel genommen, von zwei, drei Vorgesetzten, und dann wird dir etwas in die Mantel-Tasche gesteckt, wenn du schon fix und alle bist. Es gibt viele, die kommen deshalb ohne Taschen zur Arbeit oder nähen ihre Mantel-Taschen zu.

Frage: Was muss jemand tun, damit man sie loswerden will?

Adelheid: Gar nichts! Manchmal reicht es, dass du schon zu lange da bist, oder weil du zu alt bist, weil du zu viel krank warst oder - einfach, weil deine Nase jemandem nicht passt.

Frage: Wer macht den Druck – sind das die Bezirksleiter?

Adelheid: Manchmal die Verkaufsstellenleitung, manchmal der Bezirksleiter. Aber die Bezirksleiter kriegen auch selber Druck. Die werden auch zur Schnecke gemacht und laufen manchmal heulend raus. Wenn Anton und Christa unterwegs sind, dann wird geputzt und gewienert. Alle Überbestände werden weg gebracht, der Laden muss wie gemalt aussehen.

Frage: Jetzt muss ich mal nachfragen: Du nennst das Ehepaar Schlecker Anton und Christa? Da hört sich ja ganz schön persönlich an...

Adelheid: Na ja, in jedem Verkaufsbüro hängt ein Bild von denen. Wenn die in eine Filiale kommen und irgendein Mitarbeiter erkennt die nicht oder die finden etwas, was die stört, dann ist der Teufel los. Das ist absurd– als ob sie Könige wären. Die haben einen Sauberkeitsfimmel, sie geht mit ihrem Finger durch die Regale und prüft, ob Staub da ist.

Frage: Wie, die haben ein Imperium und kommen persönlich zum Kontrollieren?

Adelheid: Ja, klar das ist irgendwie ihr Hobby. Anton versucht zu sparen, wo es nur geht. Uns werden Kugelschreiber zugeteilt, pro Filiale gibt es nur einen Auszeichner und nur ein Kartonmesser.

Frage: Das klingt verrückt, aber lass uns noch mal zu einer anderen Frage kommen: Was für Stellen gibt es überhaupt bei Schlecker?

Adelheid: Vollzeitstellen gibt es kaum noch. Es werden eigentlich nur noch befristete oder 400-Euro-Kräfte eingestellt. Viele arbeiten nur auf Abruf, wenn jemand im Urlaub oder krank ist. Sitzen also zu Hause am Telefon und können auch keinen anderen Job in der Zeit machen. Bezahlten Urlaub oder Lohnfortzahlung bei Krankheit gibt es für sie gar nicht, auch kein Weihnachtsgeld, obwohl sie darauf anteilig Anspruch hätten. Die 400-Euro-Kräfte sind auch für die Überstunden zuständig, das ist billiger, als wenn Festangestellte das machen.

Frage: Wie ist es überhaupt mit Bezahlung?

Adelheid: Die ist mies, 10-12 Euro brutto für Vollzeitkräfte, da kannst du ja ausrechnen, was übrig bleibt. Bei den Schlecker XL-Märkten wird es noch krasser, da sollen die Leute für 6,50 Euro arbeiten. Sie sollen über eine von Schlecker gegründete Leiharbeitsfirma eingestellt werden.

Frage: Wird denn die volle Arbeitszeit bezahlt – oder nur die Zeit, wenn der Laden offen ist?

Adelheid: Kommt drauf an. Laut Tarifvertrag kannst du dir morgens 15 Minuten für Vorbereitungen und 15 Minuten für Kasse-Machen nach Ladenschluss aufschreiben. Aber die meisten machen das nicht. Eigentlich kenne ich nur zwei, die das machen. Jeder hat Angst sich unbeliebt zu machen. Manche sagen auch, dass sie das in den letzten 10 Jahren auch nicht aufgeschrieben hätten, sie sagen, sie bräuchten das nicht.

Frage: Was kann man denn gegen die Verhältnisse bei Schlecker tun? Hast du eine Idee?

Adelheid: Schwer zu sagen. Eigentlich brauchen wir mehr Betriebsräte. Ich sage mal: Es geht um gleiches Recht für alle. Wo keine Betriebsräte existieren, da passiert nichts, da können die schalten und walten, wie sie wollen. Aber die Leute haben Angst, denn wo Kolleginnen versuchen, einen Betriebsrat zu gründen, da gibt’s von Schlecker nur ein Ziel: Verhindern, so gut es geht. Widerstand ist schwierig, die Leute wollen ihre Ruhe haben, die haben auch Angst, dass ihre Gedanken nach oben gegeben werden, sobald sie den Mund aufmachen. Ich hoffe, dass durch Öffentlichkeit mehr Menschen wissen, was passiert, wie mit Leuten umgegangen wird, dass man versucht, uns immer mehr auszupressen, uns immer mehr Rechte und Geld zu nehmen. Ja – durch Öffentlichkeit Druck machen, um Schlecker zu einem anderen Umgang zu bewegen.

Dank: Na ja, dann sind wir ja heute goldrichtig hier. Adelheid, vielen Dank für das Gespräch!

auch in mittelhessen

beate 07.10.2009 - 23:09
auch in kirchhain bei marburg gab es proteste gegen ein schlecker XL - gleiches spiel von schlecker wie in bremen. den von verdi recht zaghaft organisierten protesten schlossen sich auch kurzfrsitig personen aus dem linksradikalen spektrum an. dranbleiben!

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