Prozess nach NATO-Gipfel Strasbourg am19.10.

breakout 05.10.2009 13:31
Am 19.10.09 findet in Colmar (Frankreich) der 2. Prozesstag im
Berufungsverfahren eines Aktivisten statt, der im Vorfeld des
NATO-Gipfels Anfang April in Strasbourg festgenommen und im
Schnellverfahren zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt worden war. Nach
ersten Verhandlungstag am 5.8.09, nachdem der Gefangene bereits 4 Monate im Gefängnis verbringen musste, wurde er vorläufig freigelassen und die Entscheidung vertagt, weil
das Gericht die belastenden Polizeizeugen nun doch persönlich verhören
will - bisher hatte eine einzige schriftliche Aussage vor Gericht "ausgereicht". Der Staatanwalt hatte mit einem Vortrag über die Geschichte des Black Block geglänzt und als "Überraschungsjoker" mit angeblich bei den Angeklagten gefundenen, angeblich antisemitischen Schriften.

Am 19.10. ist nach der Zeugenanhörung mit einer Entscheidung des
Gerichts zu rechnen. Die Verteidigung und Unterstützer_innen fordern
den Freispruch des Angeklagten.
Presseerklärung zum Prozess am 19.10.09

Dem 25-jährigen Studenten aus Berlin wird ein Steinwurf auf Polizisten
vorgeworfen. Als Beweis reichte im Schnellverfahren in der ersten
Instanz eine schriftliche Zeugenaussage, bestehend aus einer DIN A4
Seite, die von einem Polizisten unterschrieben war. Von zwei weiteren
Polizisten wurden lediglich die Namen genannt.

Das Landgericht Strasbourg verurteilte den Angeklagten nach einer
15minütigen Verhandlung zu 6 Monaten Haft mit sofortigem Vollzug. Am
selben und am folgenden Tag wurden zahlreiche weitere Aktivisten mit
ähnlich harten Strafen belegt, nachdem Präsident Sarkozy am Vortag
öffentlich gefordert hatte, die "Schuldigen" an den Ausschreitungen mit
aller Härte zu bestrafen. Während das Schnellverfahren bereits 4 Tage
nach der Verhaftung stattgefunden hatte, ließen sich die Behörden mit
der Berufungsverhandlung Zeit: erst nach exakt 4 Monaten fand diese
statt - zu einem Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte mit Haftverkürzungen
schon hätte frei sein können, wenn er das erstinstanzliche Urteil
akzeptiert hätte.

Die Staatsanwaltschaft erläuterte im Berufungsverfahren in ihrem Plädoyer die Geschichte des
"Black Block" seit 1980 laut Wikipedia - mangels konkreter Beweise
musste eine angebliche Organisiertheit und das Phantom der
"terroristischen Vereinigung" "Black Block" herangezogen werden.

In diesem und dem Verfahren eines weiteren Berliners hatte sich die
Staatsanwaltschaft noch etwas besonderes ausgedacht: Ohne dass es vorher
in der Akte gewesen wäre, legte sie angebliche antisemitische Schriften
vor, die in der Zelle der Angeklagten gefunden worden wären. Bei den
Schriften handelte es sich jedoch im Gegenteil um antifaschistische
Texte über Antizionismus, die die Angeklagten obendrein noch nie gesehen
hatten. Am 5.8. lehnte das Gericht diese Texte als Beweismittel ab, weil
sie nicht rechtzeitig in der Akte waren - zum kommenden Prozesstag
könnten sie jedoch eingebracht werden.

Zwei weiteren Anti-Nato-Aktivisten aus Berlin und Dresden ging es
ähnlich. Der Dresdner wurde nach 4 Monaten Haft freigesprochen und hat
somit Anspruch auf Entschädigungszahlungen. Jedoch ist die
Staatsanwaltschaft in Revision gegangen und das Verfahren daher wieder
offen. Im Fall des Berliners wurde sein Urteil von ebenfalls 6 Monaten
in der Berufungsverhandlung bestätigt, das darüber hinaus verhängte
Frankreichverbot und eine Geldstrafe sogar verlängert bzw. erhöht. Den
Vorsitz führte in diesem Fall jedoch ein Richter, der als rechter
Hardliner bekannt ist.

"Nachdem es sich bei den Schnellverfahren eindeutig um politische
Gesinnungsjustiz gehandelt hat, haben wir die Hoffnung noch nicht ganz
aufgegeben, dass uns das Gericht am 19.10. mit einer größeren
Unabhängigkeit und einer kritischeren Sicht auf das Agieren der Polizei
beim Gipfel überrascht", äußert sich eine Unterstützerin.

Während des NATO-Gipfels war das gesamte Zentrum von Strasbourg tagelang
gesperrt gewesen, zehntausende Polizisten waren vor Ort, die
Großdemonstration war in ein abgelegenes Hafenviertel verlegt worden und
wurde dort mit Tränengas z.T. aus Hubschraubern angegriffen. Als die
Zollstation und das Hotel brannten, dauerte es jedoch 4 Stunden, ehe
Polizei und Feuerwehr einschritten, was viele Fragen offen lässt, die
von Seiten der Verantwortlichen nicht beantwortet werden konnten.

Im Oktober finden noch weitere Prozesse im Zusammenhang mit dem
NATO-Gipfel statt: Am 9.10. steht ein Aktivist in Strasbourg vor
Gericht, der ein "Anarchie-A" an eine Wand gesprüht haben soll, und am
20.10. in Freiburg ein Mensch, dem sogenannte "passive Bewaffnung"
vorgeworfen wird.


Zum Weiterlesen:

+Ein Statement einiger Gefangener aus dem Strasbourger Knast, einen Monat nach dem NATO-Gipfel:
 http://breakout.blogsport.de/2009/05/08/ein-statement-aus-dem-knast/

+Wie es sich im Knast anfühlt:
 http://breakout.blogsport.de/2009/07/16/ich-will-selbst-die-kontrolle-ueber-mich-und-mein-leben-haben-eindruecke-aus-dem-knast-3/#more-119

+Zu den Haftbedingungen:
 http://breakout.blogsport.de/2009/07/30/haftbedingungen-im-gefaengnis-von-strasbourg-brief-einiger-gefangener/

Viele weitere Hintergründe und ein paar Ideen was ihr tun könnt:
 http://breakout.blogsport.de
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Ergänzungen