A. Bonanno in Griechenland festgenommen

umpaumpa 02.10.2009 22:12
Alfredo Bonanno und ein bisher nicht genannter Mann griechischer Herkunft wurden in Trikala - Griechenland festgenommen. Ihnen wird ein Bankueberfall vorgeworfen.
Der italienische Anarchist Alfredo Maria Bonanno wurde gestern gemeinsam mit einer anderen Person aus Griechenland verhaftet. Ihnen wird ein bewaffneter Raubueberfall in einem Bankinstitut der Stadt Trikala vorgeworfen.

Die genaueren Informationen sind bisher zu vage um diese hier zu berichten.
Soweit nur die Basics. Laut seiner Lebensgefaehrtin geht es Bonanno gut soweit.

A. Bonanno ist bekannt fuer seine provokative Form des Schreibens. 1977 wurde er fuer seinen Text "Die bewaffnete Freude" deswegen 1 1/2 Jahre eingesperrt.

Er ist Autor vieler Texte, unter anderen, "Die anarchistische Spannung," "Lasst uns die Arbeit zerstoeren," "Vom Zentrum zur Peripherie," "Distruggiamo la religione," etc.

1997 wurde er vom italienischen Staatsanwalt Marini und den italienischen Behoerden als Fuehrer einer fiktiven anarchistischen Bande (ORAI-Revolutionaere Anarchistische Insurrektionalistische Organisation) bezeichnet und zu 6 Jahren Knast verurteilt.
Damals schon wurden Reden die er im Hoersaal der Uni von Thessaloniki - Griechenland hielt, als "Geheimtreffen" bezeichnet und gegen ihn im italienischen Verfahren verwendet.
2003 musste er dafuer 2 Jahre in Triest absitzen und weiters in Hausarrest.
Nach letzten Infos wird er am Montag dem Richter vorgefuehrt.

Ueber die zweite Person ist nur das Alter offiziell bekanntgegeben: 46 Jahre.
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Ergänzungen

Das Werk des Revolutionärs / der Revolutionär

Bonanno 02.10.2009 - 22:46
Il lavoro del rivolutzionario von Alfredo Bonanno
erschienen in "Anarchismo", Januar 1988, Nr. 59. S. 45-52



Das Werk des Revolutionärs / der Revolutionärin


Die unterschiedlichen Aspekte der revolutionären Aktivitäten zu erfassen, ist keine einfache Sache. Sie alle zusammen in einem komplexen Vorschlag auf den Begriff zu bringen, der über eine eigene innere Logik und eine gültige, brauchbare Gliederung verfügt, ist noch viel schwieriger.
Das ist es, was ich unter dem Werk des Revolutionärs/ der Revolutionärin verstehe.
Was die Identifizierung unserer FeindInnen betrifft, sind wir uns fast alle einig. In die Undeutlichkeit der Definition bringen wir die Elemente ein, die aus unseren eigenen Leid - und freudvollen Erfahrungen sowie unserer sozialen und kulturellen Lage stammen. JedeR von uns glaubt, über die passenden Bestandteile zu verfügen, um mit ihnen einen Plan des feindlichen Territoriums aufstellen und dadurch Ziele und Verantwortliche festlegen zu können.
Selbstverständlich bleibt nichts so wie es ist. Aber wir scheren uns nicht weiter darum. Gelegentlich nehmen wir die notwendigen Änderungen vor und schreiten voran.
Im Dunkeln bleibt dabei unsere Vorgehensweise, im Dunkeln die Dinge, die uns umgeben; erleuchtet sind wir nur von dem armseligen Licht der Ideologie - wir tun aber so, als würden wir im sicheren Lichtkegel eines Scheinwerfers stehen und schreiten voran.
Tragisch dabei ist, dass die Dinge von denen wir umgeben sind, sich zumeist sehr schnell verändern. In einer sich widersprechenden Situation weiten und verengen sich fortwährend die von den Klassenverhältnissen bestimmten Zustände. Sie zeigen sich heute, um sich gleich morgen wieder zu verstecken. Damit fallen die gestrigen Gewissheiten unter die Finsternis der Gegenwart.
Diejenigen, die sich einen konstanten, wenn auch beweglichen Leitstern bewahrt haben, werden nicht als das erkannt, was sie tatsächlich sind - ehrliche SeefahrerInnen nämlich in den Meeren einer klassenübergreifenden Unschlüssigkeit - sondern sie werden oft mit starrsinnigen Wiederkäuern überholter Schemen und abstrakter ideologischer Metaphern verwechselt. Wer weiterhin darauf besteht, den Feind hinter einer Uniform zu sehen - in der Fabrik, im Ministerium, in der Schule, in der Kirche u.s.w. - wird der Selbstgefälligkeit geziehen. Anstelle der allzu harschen, wirklich vorhandenen Dinge will man die abstrakten Verhältnisse, den Schein und die Relativität der Standpunkte setzen. Damit gerät der Staat zu einer Ansichtssache und ist nicht mehr länger eine materielle Tatsache, die aus Menschen und Dingen besteht. Den Staatsgedanken kann aber nur bekämpfen, wer auch die DienerInnen und Mittel des Staates angreift. Es ist eine tragische Illusion, ihn allein ideell in der Hoffnung darauf bekämpfen zu wollen, dass die von ihm abhängige materielle Realität im Abgrund logischer Widersprüche zerschellen wird. Doch in Zeiten abgeflauter Kämpfe und Initiativen stellt sich im allgemeinen genau diese Illusion ein.
Kein Mensch mit etwas Selbstachtung wird dem Staat irgend eine positive Funktion zugestehen wollen. Daraus ergibt sich die logische Folgerung, dass diese Funktion - da sie nicht positiv ist - negativ sein, also jemanden - zum Nutzen von jemand anderen - Schaden zufügen muss. Aber der Staat ist nicht nur Idee allein, er hat auch eine materielle Seite. Diese "Seite" besteht aus PolizistInnen und Kasernen, aus MinisterInnen und Ministerien, aus Priestern und der Kirche (auch aus denn jeweiligen Kirchengebäuden, in dem sich der Kult des Betruges und der Lüge abspielt), aus dem/der BankierIn und der Bank, aus den SpekulantInnen und ihren Büros - bis hinunter zu dem/der einzelnen SpitzelIn mit seinem mehr oder weniger komfortablen Vorstadtapartment. Entweder ist der Staat diese deutlich bestimmbare Gliederung oder er ist gar nichts: eine eitle Abstraktion - ein theoretisches Modell, das schlechterdings nicht angegriffen und zerschlagen werden kann.
Natürlich ist der Staat auch in uns und anderen vorhanden. Er ist somit auch eine Idee. Aber als Idee ist er von den physischen Orten und Körpern abhängig, die ihn realisieren. Es ist nur dann möglich, einen Angriff auf die Idee des Staates - die wir auch, meist ohne sie wahrzunehmen, in uns tragen - zu unternehmen, wenn wir seine geschichtliche Materialisierung - wie sie uns, in Fleisch und Blut verkörpert und in Ziegelsteinen und Mörtel aufgeführt, gegenübertritt - in der Absicht, sie zu zerschlagen, körperlich attackieren.
Wie soll dieser Angriff aussehen? Die Dinge sind zäh. Die Menschen verteidigen und schützen sich. Die Wahl der Angriffsmittel gibt ebenfalls Anlass zu Missverständnissen, die sich mit den bereits genannten messen können.
Wir können, wir müssen sogar beim Angreifen die Ideen solchermassen zum Einsatz bringen, dass wir die Kritik der Kritik, die Logik der Logik, die Analyse der Analyse gegenüberstellen. Dies wäre jedoch ein müssiges Unterfangen, wenn es auf isolierte Weise stattfinden und vom direkten Zugriff auf Menschen und Mittel des Staates - und des Kapitals natürlich - absehen würde. Daher führe ich, in Verbindung mit dem vorher gesagten, meinen Angriff nicht nur mit Ideen, sondern auch mit Waffen. Ich sehe keine andere Wahl. Die Beschränkung auf einen ideologischen Wettstreit verschafft dem/der FeindIn nur eine stärkere Grundlage.
Also, gleichzeitig Vertiefung der Theorie parallel zum praktischen Angriff.
Mehr noch, es ist gerade durch den Angriff, dass sich die Theorie in Praxis umsetzt und die Praxis dadurch ihre theoretische Begründung erfährt. Sich auf die Theorie zu beschränken, bedeutet auf dem Feld des Idealismus zu verbleiben - einer typisch bürgerlichen Philosophie, die seit Jahrhunderten die Tresore der herrschenden Klasse und die Vernichtungslager der Rechten oder Linken füllt. Es ist belanglos, ob dieser Idealismus ab und zu als (geschichtlicher) Materialismus verkleidet ist. Es handelt sich dabei immer um den gleichen menschenfressenden Idealismus. Ein libertärer Materialismus muss unbedingt die Trennung zwischen Idee und Tat aufheben. Sobald der/die FeindIn feststeht, muss er/sie getroffen werden - und zwar mit den dazu geeigneten Mitteln. Die nicht unbedingt allein nach dem Höchstschaden zu bemessen sind, den sie anrichten - eine Bewertung, die dem Angreifer überlassen bleibt - sondern nach der generellen Situation, die einer, nicht unerheblichen Teil der Verteidigungs - und Überlebenschancen des Feindes oder der Feindin und dadurch einen steten Quell seiner Gefährlichkeit bildet. Soll er/sie getroffen werden, so muss das in einer Weise geschehen, dass ein Teil seiner Struktur zerstört wird, um damit deren Funktion insgesamt zu behindern. Isoliert betrachtet, läuft sonst das ganze Unterfangen Gefahr, einen unbedeutenden Schaden zu verursachen, der sich nirgendwo real niederschlägt. Um eine solche Transformation zu erreichen, ist es nötig, dass der Angriff von einer kritischen Analyse der feindlichen Ideen begleitet wird - den Ideen also, die Teil seiner repressiven Handlungen des Unterdrückers sind.
Aber diese wechselseitige Umsetzung der Praxis in Theorie und der Theorie in die Praxis kann nichts künstlich Aufgesetztes an sich haben - wie etwa nach einer ausgeführten Aktion, der ein danach veröffentlichtes Bekennerschreiben folgt. Solchermassen werden die Ideen des Feindes weder kritisiert noch analysiert. Sie kristallisieren sich innerhalb eines ideologischen Prozesses und erscheinen als massiver Gegensatz zu den Ideen des angreifenden Menschen, die ebenfalls in massiv ideologischer Gestalt aufscheinen. Ich glaube, für mich gibt es nichts widerlicheres als so eine Vorgehensweise.
Doch gibt es überhaupt eine andere Vorgehensweise?
Das Projekt ist der Ort, an dem sich Theorie in die Praxis und umgekehrt Praxis in Theorie verwandelt. Und erst das Projekt, in der Summe seiner Glieder, weist der praktischen Aktion und der Kritik der Staatsideen ihre jeweilige Bedeutung zu.
Daraus ergibt sich, dass das Werk der RevolutionärInnen im wesentlichen in der Ausarbeitung und die Realisierung eines Projektes besteht.
Doch noch bevor man herausfindet, wie so ein revolutionäres Projekt beschaffen sein könnte, ist es nötig, sich darauf zu einigen, worüber Revolutionäre verfügen müssen, um ihr Projekt ausarbeiten zu können. An erster Stelle steht der Mut. Nicht der banale Mut zur körperlichen Auseinandersetzung und zum Angriff auf die feindlichen Stellungen, sondern der viel schwierigere Mut, sich nach den eigenen Ideen zu richten. Wer/Die in einer bestimmten Weise denkt, wer/die eine bestimmte Beurteilung der Dinge und der Menschen, der Welt und ihrer Angelegenheiten hat, muss den Mut aufbringen, alles aufs Spiel zu setzen - ohne Kompromisse, ohne Halbheiten, ohne Jammern, ohne Illusionen.
Auf halben Weg anzuhalten, ist verbrecherisch oder - wenn man so will - absolut normal. RevolutionärInnen sind jedoch nicht "normal". Sie müssen weiter gehen - über die Normalität hinaus, aber auch über die Exklusivität als die aristokratische Form, den Unterschied zu achten. Jenseits von Gut und Böse, wie mal jemand gesagt hat.
EinE RevolutionärIn kann nicht darauf warten, dass andere tun, was getan werden muss. Sie kann nicht an andere delegieren, wozu ihr ihr Bewusstsein rät. Er/Sie kann nicht in Ruhe akzeptieren, dass anderswo, andere mit demselben leidenschaftlichen Verlangen ausgestattete Menschen zerstören, was sie unterdrückt, wo er/sie doch nur aus seiner/ihrer Trägheit erwachen und von den Heucheleien, dem Geschwätz und der Verwirrung Abstand zu nehmen braucht.
Er/Sie muss arbeiten und zwar hart daran arbeiten, sich mit den nötigen Mitteln auszustatten, die den eigenen Überzeugungen eine geeignete Grundlage verschaffen werden.
Und damit kommen wir zur Beständigkeit als einer zweiten Eigenschaft - zur Kraft, beständig und ausdauernd zu sein und vorwärts zu gehen, auch wenn die anderen uns entmutigen und uns alles sehr schwierig vorkommen will.
Es ist unmöglich, sich das erforderliche Vermögen ohne beharrliche Arbeit anzueignen. RevolutionärInnen brauchen ein kulturelles Vermögen, d.h. ständig zu überprüfende Analysen, ein allgemeines Grundwissen. Auch Studien, die sehr entfernt von der revolutionären Praxis scheinen, sind für die Aktion unentbehrlich. Die Sprachen, die Wirtschaft, die Philosophie, die Mathematik, die Naturwissenschaften, die Chemie, die Sozialwissenschaften u.s.w. All diese Kenntnisse dürfen jedoch weder mit einer fachbezogenen Spezialisierung, noch mit dilettantischen Studien - verwechselt werden, die einem sonderbaren Geist entspringen, der mal hier und mal da etwas aufgreift und der, obwohl wissensbegierig, immer ignorant bleibt, da er nicht über eine Methode verfügt, die ihn zum Lernen befähigt. Alsdann kommen die Techniken: eine korrekte Schreibweise (d.h. auch eine dem zu erreichenden Zweck entsprechende), die Redegabe (inklusive aller Sprachtechniken, die zwar nicht einfach, aber sehr wichtig sind); das Studium (das eine Technik ist, die auch erlernt werden muss - nicht als sich selbst genügende Spezialisierung, sondern um sich damit den Lernprozess zu erleichtern), das Gedächtnis (das sich verbessern kann, wenn man es nicht immer auf den mehr oder weniger natürlichen Veranlagungen unserer Kindheit beruhen lässt); die Fertigkeit, Dinge handzuhaben (die von vielen als eine Art geheimnisvolle Naturgabe interpretiert wird, aber nichts weiter ist als eine Technik, die erlernt und perfektioniert werden kann) und noch mancherlei mehr.
Die Erforschung dieser Mittel erheischt unaufhörliches, stetes Bemühen. Ihre Vervollständigung und Erweiterung auf unterschiedliche Bereiche ist eine beständige Verpflichtung der RevolutionärInnen.
Es gibt jedoch noch ein Drittes: die Kreativität. Zweifellos wäre ein so entstehendes Ensemble der Mittel und Vermögen nicht produktiv - es würde sich vielmehr im Spezialistentum als Selbstzweck erschöpfen - wenn damit nicht von Anfang an - oder zumindest so bald wie möglich - neue, den/die EinzelneN zutiefst verändernde Erfahrungen hervorgerufen würden, die sich ihrerseits wiederum unablässig verändernd auf das Ensemble der Mittel und seine Einsatzmöglichkeiten auswirken. Hieran lässt sich die Kraft der Kreativität als die gesammelte Frucht der vorhergehenden Bemühungen ermessen. Die logischen Prozesse lagern sich ab, sie werden zu einem grundlegenden Tatbestand, zu einem gesicherten Bestandteil, den man weiter nicht zu berücksichtigen braucht, während hingegen ein neues, umfassendes und anderes Element hervortritt - die Intuition.
Das Problem stellt sich nun aus einer anderen Sicht dar. Nichts ist mehr so, wie es vorher war. Zahllose Verbindungen und Vergleiche, Folgerungen und Ableitungen ergeben sich, ohne dass wir dessen gewahr werden. Alle Mittel und Vermögen, die wir uns angeeignet haben, vibrieren in uns und werden lebendig. Erinnerungen und neue Erkenntnisse, alte Fragen, die wie vorher nicht verstanden haben, werden uns jetzt klar und entwickeln sich zu Ideen und Spannungen. Eine unglaubliche, selbst schöpferische Mischung, die der Disziplin der Methodik und der Herrschaft der Techniken ausgesetzt werden muss, damit sie etwas, wenn man so will, durchaus beschränktes, doch sofort spürbares und fruchtbares schaffen kann. Leider ist es das Schicksal der Kreativität, dass ihre anfänglich grosse explosive Potentialität (die sich ohne die vorher erwähnten Mittel als erbärmliche Sache herausstellt) in die Schranken der Technik im engeren Sinn zurückgeführt werden muss, um zu Wort, Seite, Figur, Klang, Form und Objekt zu werden. Andernfalls - ausserhalb der Schemen dieses kleinen Kommunikationsgefängnisses - bleibt sie - verwahrlost und zersprengt - eine armselige Sache in einem Meer der Unermesslichkeit.
Und zuletzt noch etwas: die Materialität. Das Vermögen, die materiellen und realen Grundlagen zu erkennen, in die wir eingebettet sind. Es ist beispielsweise nicht immer einfach, das Verständnis dafür aufzubringen, dass taugliche Mittel erforderlich sind, um zu handeln. Die Angelegenheit der Mittel scheint zwar sehr klar, provoziert jedoch oft Missverständnisse. Nehmen wir den Fall des Geldes. Es steht ausser Zweifel, dass wir Geld brauchen, um das, was wir tun wollen, auch auszuführen. Auch besteht kein Zweifel daran, dass RevolutionärInnen für ihr Vorhaben, ihn zu zerstören, vom Staat keine Geldmittel fordern können. Sie können sie schon einmal aus ethischen Gründen nicht verlangen und dazu noch aus einem ganz logischen Grund - der Staat würde sie nämlich nicht finanzieren. Sie können nicht einmal ernsthaft davon ausgehen, dass sie durch Spenden (die in der Regel sehr gering sind) dazu in den Stand gesetzt werden, das tun zu können, was sie sich wünschen (und was sie notwendig finden ). Sie können aber auch nicht bis in alle Ewigkeit über den Geldmangel jammern oder vor seiner Tatsache resignieren und ihre Projekte aufgeben. Sie können auch nicht auf Dauer den Standpunkt vertreten, dass sie es durchaus mit sich selbst vereinbaren können, unter dem Vorwand des Geldmangels, die anderen das tun zu lassen, was sie eigentlich selber tun sollten. Es ist sicher klar, dass von einem Genossen oder einer Genossin ohne Geld nicht verlangt werden kann, für etwas aufzukommen, das er/sie sich nicht leisten kann. Aber entspricht es eigentlich der Wahrheit, dass er/sie alles dazu unternommen hat, sich Geld zu verschaffen? Oder gibt es nur eine Möglichkeit, zu Geld zu kommen: die Möglichkeit, es zu erbetteln, indem man sich von den Chefs ausbeuten lässt? Das glaube ich wahrhaftig nicht.
Im aufgefächerten Bogen denkbarer Lebensweisen, persönlicher Neigungen und kultureller Errungenschaften schälen sich zwei entgegengesetzte Verhaltensweisen heraus, die beide einschränkend und nachteilig sind.
Einerseits diejenige, die dem theoretischen Moment den Vorzug gibt, andererseits diejenige, die sich auf den ausschliesslich praktischen Moment verlässt. Selten lassen sich diese beiden Polarisierungen im Reinzustand finden, doch meist als hinreichend genug entwickelte Eigenschaften, um hinderlich zu sein.
Die grossen Gelegenheiten, die sich dem/der RevolutionärIn durch das theoretische Studium eröffnen können, bleiben leere Worte, heben sich im Gegensätzlichen auf und werden sogar zum Hindernis, wenn sie bis in die Unendlichkeit ausgereizt werden. Es gibt Leute, die nichts anderes tun können, als sich das Leben in theoretischer Form zu denken. Dabei muss es sich nicht einmal um jemand Gebildeten oder Studierten handeln (für solche Leute ist so etwas nahezu normal), sondern das kann durchaus irgend ein ausgestossener Proletarier sein, der unter Schlägen auf der Strasse aufgewachsen ist. Diese Suche nach einer hypothetischen Lösung mittels einer geschliffenen Beweisführung verwandelt sich in eine die Übersicht verlierenlassende Beklemmung, in einen ungestümen Wunsch, verstehen zu wollen, der sich dann immer mehr in reine Verwirrung auswächst und zuletzt den Vorrang des Verstandes schwinden lässt, den man doch um jeden Preis aufrecht erhalten möchte. Diese Verbissenheit reduziert die kritische Befähigung, die eigenen Gedanken zu ordnen, sie hebt zwar die kreativen Möglichkeiten des Individuums an, aber nur auf die Höhe eines reinen, man möchte sagen ungezähmten Zustands, indem sie Bilder und Begriffe liefert, die vollkommen bar jeder - sie erst brauchbar machenden - organisierenden Methodik sind. Das Subjekt lebt nahezu ständig in einer Art von "Trance", es isst schlecht, hat ein schlechtes Verhältnis zu seinem Körper und gestörte Beziehungen zu anderen. Es wird leicht misstrauisch und ist dauernd darum besorgt, von den anderen "verstanden" zu werden. Es stellt daher ein immer unglaublicheres Sammelsurium widersprüchlichster Argumente zusammen, ohne dafür einen Leitfaden finden zu können. Die Lösung, diesem Labyrinth zu entkommen, bietet dann die Aktion. Doch nach dem Modell der Polarisierung, das wir hier untersuchen, müsste die Aktion als solche erst einmal der Herrschaft des Verstandes, der Logik der Vernunft unterworfen werden. Solcherart wird die Aktion getötet oder verschoben, oder sie wird als schlecht empfunden, da sie ja nicht "verstanden" und somit dem Primat des Verstandes zurückgeführt wurde.
Anderseits das unablässige Tun, das Aufgehen des eigenen Lebens in den Dingen, die wir zu Ende bringen wollen. Heute, morgen. Tag für Tag. Vielleicht in der Erwartung eines besonderen Tages, der diesem unaufhörlichen Vertagen endlich ein Ende setzt. In der Zwischenzeit jedoch gibt es nahezu keinen Augenblick der Reflexion, der sich nicht ausschliesslich auf das bezöge, was ansteht. Die Priorität des Tuns tötet, genauso wie die Priorität des Denkens. In der sich selbst genügenden Aktion heben sich die Gegensätze, aus denen der Einzelne besteht, lange nicht auf. Für Revolutionäre stehen die Dinge sogar noch schlimmer. Die klassischen Beschwichtigungen, die das Individuum entwickelt, um sich selbst von der Nützlichkeit und Vollständigkeit der zu unternehmenden Aktion zu überzeugen, reichen den RevolutionärInnen nicht aus. Der einzige Notbehelf, auf den sie zurückgreifen können, ist die Vertagung auf bessere Zeiten, in denen man sich nicht "ausschliesslich" auf das Tun konzentrieren muss und auch zum Nachdenken kommt. Wie aber kann man denken, ohne die Mittel, die einen dazu befähigen? Ist das Denken vielleicht eine automatische Aktivität des Menschen, die dann einsetzt, sobald er zum Handeln aufhört? Sicherlich nicht. Genauso wenig, wie das Handeln keine automatische Aktivität des Menschen ist, die dann einsetzt, sobald er aufhört, zu denken.
Da die RevolutionärInnen also im Besitz einiger weniger Dinge wie Mut, Beharrlichkeit, Kreativität und Materialismus sind, können sie dieses Vermögen nun dazu nutzen, ihr Projekt damit aufzubauen. Dieses muss die analytischen wie praktischen Aspekte gleichermassen berücksichtigen. Noch einmal stellt sich eine Trennung ein, zu deren Aufhebung es erst einmal erforderlich ist, ihre tiefe Unhaltbarkeit als eigentlichen Gemeinplatz der herrschenden Logik zu erkennen. Ein Projekt ist zugleich Analyse (politische, soziale, wirtschaftliche, philosophische usw.) und organisatorischer Vorschlag (technisch, psychologisch).
Kein Projekt kann ausschliesslich entweder das eine oder das andere sein. Jede Analyse gewinnt, in Abhängigkeit von dem jeweiligen organisatorischen Vorschlag, einen jeweils unterschiedlichen Standpunkt und nimmt einen anderen Verlauf. Und umgekehrt erhält ein organisatorischer Vorschlag nur dann eine Berechtigung, wenn er von einer tauglichen Analyse begleitet ist.
Die Revolutionäre, die nicht fähig sind, den analytischen und den organisatorischen Vorschlag ihres Projektes auf die Reihe zu bringen, werden immer der Willkür der Ereignisse ausgesetzt und niemals zu früh, sondern immer zu spät zur Stelle sein.
Der Zweck des Projektes besteht nämlich darin, sehen zu können, um vorhersehen zu können. Das Projekt ist, wie jede andere intellektuelle Absonderung des Menschen, eine Prothese, um die Aktion zu ermöglichen, damit sie nicht in unnötigen improvisierten Debatten erstickt wird. Es ist aber nicht der "Anlass" zur Aktion, dazu hat es nicht die geringste Berechtigung. Korrekt aufgefasst, ist das Projekt selbst die Aktion und umgekehrt ist die Aktion vollberechtigter Bestandteil des Projekts. Sie verhilft ihm zu seiner Ausdehnung, verleiht im seinen Wert und transformiert es.
Das Unverständnis dieser wesentlichen Vorbedingungen revolutionärer Anstrengung führt oft zu Verwirrung und Frustration. Viele Genossinnen, die bei den reaktiven, reflexartigen Interventionen stehenbleiben, erhalten oft Gegenschläge, die leicht demotivierend wirken und den Mut verlieren lassen können. Ein Umstand von ausserhalb - die Repression zumeist - liefert den Anlass, einzugreifen. Sobald dieser Umstand aber abhanden gekommen ist, hat so ein Eingriff keine Berechtigung mehr. Daher die (frustrierende) Feststellung, dass man dazu gezwungen ist, auf den vorherigen Ausgangspunkt zurückkehren zu müssen. Es kommt einem so vor, als müsse man einen Berg mit einem Löffel abtragen. Die Leute behalten nichts in Erinnerung, sie vergessen sehr schnell. Man bleibt ohne Anschluss. Meist bleibt man zu wenigen. Meist sind es immer die selben. Bis das nächste stimulierende Ereignis von aussen kommt. Die Genossen, die nur im "Reflex" agieren, überleben, indem sie von der radikalen Verweigerung zur Verschlossenheit mit sich selbst, vom hartnäckigen Schweigen bis zu den phantastischen Ausmalungen einer Zerstörung der Welt - und der Menschen in ihr - hin und her pendeln.
Viele andere GenossInnen bleiben bei solchen Interventionen stecken, die wir mit dem Begriff Routine charakterisieren können. Bei Aktivitäten also, unter denen wir uns das Erstellen von Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, das Abhalten von Kongressen, Plenen, usw. vorstellen können. Auch hier wird die menschliche Tragik nicht ausbleiben. Meist handelt es sich gar nicht so sehr um die persönliche Frustration - die auch vorhanden ist und sich ablesen lässt - sondern hauptsächlich um die Verwandlung der Genossinnen in KongressbürokratInnen oder in RedakteurInnen einer mehr oder weniger lesbaren Schrift, die bemüht sind, die Unhaltbarkeit ihrer eigenen Vorschläge zu verbergen, indem sie den alltäglichen Vorfällen hinterherhecheln, um diese sogleich im kritischen Licht ihrer eigenen Ansichten zu interpretieren. Wie man sehen kann, ist die Tragödie immer dieselbe.
Das Projekt muss also notwendigerweise auf ein Ziel hin ausgerichtet sein. Es kann nicht umhin, Initiativen zu umreissen. Als erstes, die Handlungsinitiative - das, was einer klaren Anschauung gemäss, getan werden muss. Als zweites, die organisatorische Initiative - das Wie, womit schliesslich das, was getan werden muss, auch realisiert wird.
Vielen ist nicht bewusst, dass der das Handeln bestimmende Klassengegensatz nicht ein für allemal festgelegt ist, sondern im Verlauf der Zeit und im Wandel der sozialen Verhältnisse jeweils unterschiedliche Bedeutungen annimmt. Dies führt zur Notwendigkeit der theoretischen Überprüfung dessen, was zu tun ist. Der Umstand, dass einiges etwas länger Bestand hat und daher den Anschein der Immobilität erweckt, bedeutet nicht, dass es unverrückbar ist. Da es beispielsweise erforderlich ist, sich zu organisieren, um den/die KlassenfeindIn zu zerschlagen, ist eine zeitliche Dauer der in frage kommenden Organisation wohl unumgänglich. Mittel und Form der Organisierung neigen dazu, zu versteinern. Und in gewisser Hinsicht ist das auch gut so. Es ist unnötig, mit allem noch einmal von vorn anzufangen, sobald man sich etwa, nachdem die Repression zugeschlagen hat, erneut organisieren muss. Das wiederum muss aber nicht unbedingt heissen, dass die "Wiederaufnahme" die Anzeichen absoluter Wiederholung tragen muss. Die vorhergehenden Modelle können, auch wenn sie im wesentlichen gültig bleiben und somit einen nicht unbedeutenden Anhaltspunkt bieten können, kritisiert werden. Auf diesem Gebiet sieht man sich ja häufig der Kritik ausgesetzt - wenn diese auch meist von Unwissenheit oder Vorurteilen geprägt ist - und man will um jeden Preis den Vorwurf der Unbeugsamkeit vermeiden, obwohl sich dieser meist sogar - um ehrlich zu sein - wie eine Auszeichnung anhört, aber zum nicht geringen Teil doch auch wie ein Merkmal der Unfähigkeit, die Evolution der sozialen Bedingungen in ihrem gesamten Umfang verstehen zu können.
Es besteht also die Möglichkeit die alten Organisationsmodelle zu benutzen, sofern diese einer radikalen Kritik unterzogen werden. Aber worin mag diese Kritik bestehen? Hauptsächlich darin: im Aufzeigen der Nutzlosigkeit und Gefährlichkeit zentralisierter, bürokratischer Planstrukturen, im Aufzeigen der Geisteshaltung, die dem Delegationsprinzip zugrunde liegt, im Aufzeigen des Mythos von der grossen Zahl, in der Entblössung des Symbolischen und Grandiosen, in der Demaskierung des Mythos um den Gebrauch der grossen Informationstechnologien usw. Wie man seht, handelt es sich dabei um Kritiken, die den anderen, den anarchistischen und libertären Aspekt des revolutionären Himmels betonen. Die zentralisierten Strukturen, die bürokratischen Anweisungen, das Delegieren, den Wert der Quantität, die Symbolik, das Sicheinlassen auf die Informatik usw. abzulehnen, bedeutet, zu einer durchwegs anarchistischen Verfahrensweise zu greifen. Und eine anarchistische Zielsetzung erfordert einige Vorbemerkungen.
Denjenigen, die sich zum erstenmal mit dieser Methode auseinandersetzen, vor allem denjenigen, die von ihrer Stichhaltigkeit und ihrer Notwendigkeit nicht völlig überzeugt sind, scheint sie womöglich wenig wirkungsvoll zu sein - und in bestimmter Hinsicht ist sie dies auch. Die Erfolge sind bescheidener, weniger augenfällig, sie scheinen vereinzelt zu sein und sie lassen sich nicht auf den Nenner eines Einheitsprojekts bringen - verstreute, einzelne Resultate also hier und dort, die sich von Mindestzielen herleiten und daher nicht sogleich auf einen zentralen Feind schliessen lassen - zumindest kann dies aus den deskriptiven, von der Macht selbst besorgten Ikonographien so abgelesen werden. Oft ist der Macht daran gelegen, ihre peripheren Veränderungen und die sie erhaltenden Strukturen positiv erscheinen zu lassen, so als würden durch dieses Netz lebensnotwendige soziale Aufgaben erfüllt. Sie verbirgt jedoch sehr gut und - gemessen an unserer Unfähigkeit, die Zusammenhänge aufzudecken - auf sehr eine einfache Weise, die Beziehungen, die zwischen diesen peripheren Strukturen einerseits und - je nach dem - der Repression oder der Herstellung des Konsens andererseits bestehen. Daher die beträchtliche, auf die Revolutionäre zukommende Aufgabe, die bei ihrem Angriff damit rechnen müssen, dass ihre Aktion anfänglich nicht verstanden wird, woraus sich folglich die Notwendigkeit ihrer "Erklärung" ergibt. Und dabei tut sich eine weitere Falle auf. Diese Erklärung in eine ideologische Begrifflichkeit zu kleiden, bedeutet, die exakte Terminologie der Konzentration und des Zentralismus innerhalb der Sphäre der Diffusion und Peripherie wieder auftauchen zu lassen. Die anarchistische Methode kann niemals durch einen ideologischen Filter hindurch erklärt werden. Sobald dergleichen geschieht, stellt man damit einfach nur unsere Methode solchen Praktiken und Vorhaben gleich, die wenig libertäres an sich haben.
Kommen wir zur Kenntlichmachung der Delegation als einer nicht nur schädlichen, sondern auch autoritären Praxis (der zweite Aspekt mag den Genossen, die nicht seit jeher Anarchisten sind, unverständlich sein), die zum erweiterten Ausbau aggregativer Prozesse führen kann. Die Kritik der Delegation verschafft uns die Gelegenheit, indirekte Aggregate *) als eine Art organisatorischen Anhaltspunkt zu konstruieren, der nicht auf einem planmässig aufgebauten vertikalen Organisationsgefüge beruht - unabhängige Gruppen also, die durch die gleiche Methode und nicht durch hierarchische Beziehungen miteinander verbunden sind. Gemeinsame Ziele, gemeinsame aber mittelbare Entscheidungen, willentlich vermittels der Objektivität der gemeinsamen Entscheidungen, Analysen und Absichten gefällt. Jedes Individuum verfolgt seine eigenen Absichten und empfindet kein Verlangen nach direkten aggregativen Beziehungen, die früher oder später nur dazu führen, hierarchische Organigramme aufzubauen (auch wenn diese - da hier selbstredend bei der anarchistischen Methode verblieben wird - horizontal sein mögen), die sich dann letztendlich bei jedem aufkommenden repressiven Sturm doch als zerstörbar erweisen. Es ist der Mythos der Quantität, der fallen muss. Der Mythos der Zahlen, die den Feind "beeindrucken", der Mythos der "Kräfte", die ins Feld geführt werden, der Mythos der "Befreiungsarmee" und ähnliche Geschichten mehr.
So verwandelt sich Altes, beinahe ohne es zu wollen, in Neues. Die Modelle der Vergangenheit, ihre Ziele und Praktiken revolutionieren sich selbst. Im Vordergrund steht zweifelsfrei die endgültige Krise der "politischen" Methode. Jeglichen Anspruch, die ideologischen Modelle wieder neu aufzulegen, um sie der subversiven Praxis aufzuzwingen, halten wir für definitiv überholt.
Recht betrachtet, verhält es sich so, dass sich die Welt insgesamt dem politischen Modell verweigert. Die Krise des Politischen ist eine alltägliche Erscheinung. Die traditionellen politischen Strukturen mit all ihren "starken" Merkmalen sind im Niedergang. Die linken Parteien gleichen sich denen der Mitte an und die von rechts rücken, um nicht isoliert zu bleiben, immer mehr in die Mitte. Die Demokratie des Westens gleicht sich annähernd den Diktaturen des Ostens an. Dem Nachgeben des politischen Korsetts entspricht eine tiefe Modifikation des wirtschaftlichen und sozialen Gefüges. An diejenigen, die um die Verwaltung der potentiellen Subversivität der grossen Masse bemüht sind, werden neue Anforderungen gestellt. Die Mythen der Vergangenheit, auch die vom "kontrollierten Klassenkampf sind vorbei. Die grosse Masse der Ausgebeuteten ist von Mechanismen vereinnahmt worden, die den eindeutigen, aber oberflächlichen politischen Ideologien von gestern zuwiderlaufen. Dass die Ursache, warum sich die linken Parteien den Stellungen der Mitte nähern, was im Grunde einer Auslöschung der politischen Unterschiede und in der Realität einer ermöglichten Steuerung des Konsens, zumindest in verwaltungstechnischer Hinsicht, gleichkommt. Jetzt sind es die kurzfristig anliegenden Dinge in der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten, in denen die Unterschiede klar hervortreten. Die idealen und somit ideologischen politischen Projekte sind untergegangen. Keinmensch oder kaum jemand ist wohl noch dazu bereit, für eine kommunistische Gesellschaft zu kämpfen, kann sich aber durchaus noch einmal in Strukturen einreihen, die vorgeben, seine unmittelbaren Interessen zu schützen. Daher rührt der zunehmende Einfluss lokaler Kämpfe und kommunaler politischer Lagerbildung gegenüber den weiter gespannten politischen Strukturen, wie etwa den nationalen oder übernationalen Parlamenten.
Der Untergang des Politischen ist für sich allein genommen noch kein Faktor, der an eine "anarchistische" Wandlung in der zivilen Gesellschaft denken liesse, die sich nun, ihres eigenen Rangs bewusst, gegen die Versuche indirekter politischer Steuerung stellen würde. Nichts dergleichen triff, zu. Bei diesem Vorgang handelt es sich um tiefgehende Anpassungen der modernen Kapitalstruktur, die sich auch auf internationaler Ebene angleicht - gerade wegen den zunehmenden gegenseitigen Abhängigkeiten, die heute zwischen den verschiedenen peripheren Bereichen vorhanden sind. Diese Modifikationen bestimmen ihrerseits wiederum die Unmöglichkeit einer durch die politischen Mythen der Vergangenheit kontrollierten Konsensbildung und sie geben den Ausschlag für den Übergang zu angepassteren Kontrollmethoden, die dieser Zeit mehr entsprechen. Das Angebot besserer Lebensbedingungen auf kurze Sicht: gehobenere Befriedigung der primären Bedürfnisse im Osten, Arbeit für alle im Westen, das sind die Ziele des neuen Kurses.
Wie seltsam diese Krise des Politischen jedenfalls scheinen mag , als generalisiertes Phänomen führt sie gezwungenermassen zu einer Krise der hierarchischen Beziehungen, des Delegationsprinzips usw., all jener Beziehungen also, die bestrebt sind, den wirklichen Zustand der Klassengegensätze in eine mythische Dimension zu verlagern. Dies kann auf Dauer nicht folgenlos bleiben und wird sich auch auf das Vermögen der Leute auswirken, zu begreifen, dass der Kampf nicht durch die Mythen des Politischen gefiltert werden, sondern die konkrete Dimension der unmittelbaren Zerstörung des Feindes erreichen muss.
Es gibt auch Leute, die nicht verstehen wollen, was das Werk der RevolutionärInnen im wesentlichen ausmacht. Angesichts der oben erwähnten sozialen Modifikationen machen sie sich zu Verfechtern "sanfter" Widerstandsmethoden, die angeblich die Ausbreitung der neuen Herrschaftsformen durch passiven Widerstand, "Delegitimation" der Macht und ähnlichem behindern sollen. Es handelt sich dabei, meiner Ansicht nach, um ein Missverständnis, das sich dem Umstand verdankt, dass gedacht wird, die moderne Macht - gerade weil sie permissiver ist und sich mehr auf den Konsens stützt - sei weniger "stark" als die Macht der Vergangenheit, die auf absoluter Hierarchie und Zentralisierung fusste. Das ist ein Fehler wie viele andere auch, und der rührt daher, dass wir uns die Überreste einer Macht - Stärke - Gleichsetzung bewahrt haben, die von den herrschenden modernen Strukturen nach und nach demontiert wird. Eine schwache, aber dennoch wirkungsvolle Macht ist vielleicht sogar schlimmer als eine starke und grobe Macht. Die erste dringt in das psychologische Gewebe der Gesellschaft ein, dringt bis ins Individuum vor, das dadurch in sie verwickelt ist; die zweite bleibt ausserhalb, hat ein grosses Maul und beisst, baut aber im Grunde nur Gefängnismauern auf, die man früher oder später überwinden kann.
Die Vielfalt der Aspekte des Projektes verleiht dem Werk der Revolutionäre eine Perspektive, die ebenso vielfältig ist.
Kein denkbares Betätigungsfeld kann von vornherein ausgeschlossen werden. Eben deshalb kann es auch keine bevorzugten Aktionsgebiete geben, die womöglich dem Einzelnen jeweils besonders gelegen sind. Ich kenne GenossInnen, die manche Interventionsbereiche - den nationalen Befreiungskampf etwa - oder manche revolutionären Praktiken - die speziell in einem minoritären Kreis zu erledigenden Aktivitäten etwa - nicht anziehend finden. Die Einwände, die diese Ablehnung gegenüber manchen Interventionen abstützen, sind zwar sehr unterschiedlich, lassen sich aber alle auf die (abwegige) Idee zurückführen, dass jedeR das tun sollte, wozu er/sie die meiste Lust hat. Diese Vorstellung ist nicht deshalb abwegig, weil es etwa unwahr wäre, dass Lust und persönliche Befriedigung eine der Triebfedern für die Aktion darstellten, sondern weil die Suche nach dem individuellen Beweggrund auch ein Hemmschuh für eine weit grössere und bedeutendere Suche sein kann - nämlich eine, die auf die Totalität der Intervention abzielt. Von Vorurteilen über bestimmte Praktiken und Theorien auszugehen, bedeutet, sich ausschliesslich aus "Angst" hinter dem - meist eingebildeten - Umstand zu verschanzen, dass uns diese Praktiken und Theorien nicht "behagen". Doch jede vorgefasste Ablehnung basiert immer auf der mangelnden Kenntnis dessen, was abgelehnt wird, sowie auf der kaum oder gar nicht vorhandenen Bereitschaft, der Sache, die man ablehnt, nahezukommen. Die Befriedigung und die Lust von heute werden sozusagen zum endgültigen Zweck erhoben; mit ihrer Unmittelbarkeit verschliessen sie uns die Perspektiven von morgen. Somit werden wir, meist ohne es zu wollen, ängstlich und dogmatisch, wir beneiden diejenigen, denen es gelingt, diese Hindernisse zu überwinden und wir sind jedem und jeder gegenüber misstrauisch, unzufrieden, unglücklich.
Die einzige annehmbare Grenze ist die unserer (begrenzten) Möglichkeiten. Aber auch diese Grenze sollte immer am konkreten Fall erfahren und nicht als bereits gegeben hingenommen werden. Ich bin immer von der offenbar phantastischen, aber real gültigen Vorstellung ausgegangen, dass mir keine Schranken gesetzt und dafür unendliche Möglichkeiten und Fähigkeiten gegeben sind. Darauf hat nur die alltägliche Praxis meine objektiven Grenzen sowie die meiner Handlungen aufgezeigt. Diese Grenzen haben mich dennoch niemals von vornherein aufgehalten, sie haben sich erst im nachhinein als unvermeidliches Hindernis herausgestellt. Kein bisheriges Unterfangen, egal wie wahrscheinlich oder gigantisch sich dies auch dargestellt haben mag, hat mich bereits im Vorfeld von seiner Ausführung abgehalten. Erst nachher, im Verlauf der diesbezüglichen praktischen Erfahrung, kam die Geringfügigkeit meiner Mittel und meiner Fähigkeiten zum Vorschein, doch hat mich deren unüberwindbare Präsenz nicht daran hindern können, zumindest Teilresultate zu erreichen, die als solche der Mensch wohl einzig nur erreichen kann.
Aber auch dieser Umstand ist eine Frage der "Mentalität" oder der Art und Weise, die Dinge aufzufassen. Oft bleibt man zu sehr an dem unmittelbar zu Erfassenden hängen, am "sozialistischen" Realismus des Stadtteils, der Stadt, des Landes usw. Man ist Internationalist am Biertisch, konkret aber zieht man das bereits Bekannte vor. Solchermassen schliesst man sich nach innen und nach aussen ab. Die tatsächlichen internationalen Beziehungen werden abgelehnt, da es sich um Beziehungen handelt, die ein gegenseitiges Verständnis verlangen, die danach verlangen, die Barrieren (auch die sprachlichen) zu überwinden und die Kooperation im gegenseitigen Austausch erheischen. Doch die besonderen lokalen Verhältnisse mit ihren Eigenschaften, ihren internen Widersprüchen, ihren Mythen und ihren Schwierigkeiten werden genauso abgelehnt. Die Komik daran ist, dass erstere im Namen der zweiten, und die zweiten im Namen der ersteren abgelehnt werden.
Das Gleiche geschieht auch mit den speziell der Vorbereitung dienenden Aktivitäten, die auf die Beschaffung der revolutionären Mittel angelegt sind. Auch hier ist das Delegieren an andere Genossen ein von vornherein feststehender Tatbestand. Dabei stützt man sich auf Bedenken und Ängste die, genau betrachtet, weiter nichts bedeuten. Der Professionalismus, der anderswo zur Schau gestellt wird, hat zwar mit der anarchistischen Vorgehensweise überhaupt nichts zu tun, doch genausowenig die a priori gefasste Ablehnung und die vorgefertigten Urteile. Dasselbe gilt auch für die Begierde, Erfahrungen zum Selbstzweck zu sammeln und trifft auch im Hinblick auf den Drang zu "handeln" zu, womit man sich die "Kicks" zur Selbstbefriedigung verschafft. Beide Extreme berühren und durchdringen sich gegenseitig.
Das Projekt räumt all diese Probleme vom Tisch, da es mit ihm gelingt, die Dinge in ihrer Globalität zu sehen. Aus dem selben Grund ist das Werk der Revolutionäre unabdingbar mit dem Projekt verknüpft, mit ihm identisch und kann nicht auf Teilaspekte beschränkt werden. Ein Teilprojekt ist seinerseits kein revolutionäres Projekt. Es kann ein hervorragendes Projekt sein und Genossen wie Ressourcen auch über längere Zeiträume hinweg in Anspruch nehmen, aber, früher oder später, wird es gegenüber der Wirklichkeit des Klassenkampfs ins Hintertreffen geraten.

Die Fülle des Illegalitätsbegriffs

Bonanno 02.10.2009 - 22:47
Die Fülle des Illegalitätsbegriffs

Originaltitel
Considerazioni sull’ illegalitá von Alfredo Bonanno-
Erschienen in “Anarchismo”, Dezember 1986, Nr. 55., S. 15 ff.


Selbst die einfache Verbreitung einer Nachricht, die vom etablierten Informationssystem verzerrt oder verschwiegen wird, stellt einen "illegalen" Tatbestand dar. Keinen Tatbestand, der gegen ein bestimmtes Gesetz verstösst - mit Ausnahme der besonderen Massnahmen unterliegenden Nachrichten, den "Staatsgeheimnissen", die wohl mehr so eine Art offenes Geheimnis sind -, sondern einen, der sich gegen die Steuerung der sozialen Kontrolle richtet, die es dem Staat eigentlich erst ermöglicht, seinerseits dem Gesetz Achtung zu verschaffen.
Es gibt also ein umfangreiches Bündel von Verhaltensweisen, das für die repressiven Staatsorgane ebenso interessant, wenn nicht sogar interessanter ist als ein Verhalten, das sich in bestimmten Gesetzesverstössen äussert.
In einem bestimmten Augenblick eine Nachricht zu verbreiten, kann für die staatlichen Kontrollvorhaben schädlich sein, es kann zumindest genauso schädlich, wenn nicht sogar schädlicher sein als eine Aktion, die vor dem Gesetz ausdrücklich als Straftat erscheint. Folglich besteht zwischen der "formalen" Linie der Legalität und der "realen" ein Unterschied, der je nach dem Grad der jeweiligen Repressions- und Kontrollvorhaben mehr oder weniger gross ist.
In Verbindung mit dem sich intern wie international darstellenden Verhältnis zwischen Staat und Kapital, lässt sich so jeweils eine Ebene der Illegalität ermitteln - oder wenn man es bevorzugt, eine Grenze der "Legalität - die nicht unbedingt im Rückgriff auf bestimmte Gesetze festgelegt wird - das Strafgesetzbuch kommt nur in bestimmten Fällen zur Anwendung -, sondern als eingehende Praxis von Kontrolle und Abschreckung, die sich nur gelegentlich zu echter Repression auswächst.

Das Verhältnis von Politik und Illegalität

Im Grunde hat sich jede politische Kritik der Legalität verschrieben. Sie verfestigt das Institutionsgefüge und ermöglicht es, die Defekte und Verzögerungen zu beheben, die durch die Widersprüche entstehen, die sich zwischen den Erfordernissen des Kapitals und den übermässig rigiden Aspekten des Staates auftun. Keine politische Kritik darf jedoch bis zur absoluten Verneinung von Staat und Kapital gelangen. Falls sie dies dennoch tut - wie das bei den Anarchisten der Fall ist -, handelt es sich bei ihr wohl um eine soziale Kritik, die nicht mehr als konstruktiver Beitrag zum Institutionsgefüge angesehen werden kann. Folglich wird sie tatsächlich "illegal".
Es kann durchaus institutionelle und soziale Umstände, Gleichgewichte und Gegensätze politischer und wirtschaftlicher Kräfte geben, die zu einer mehr oder weniger starken Aneignung einer radikal im anarchistischen Sinn aufgefassten sozialen Kritik führen können. Dies beseitigt aber noch lange nicht den substantiell "illegalen" Gehalt einer solchen Kritik.
Unter einem anderen Gesichtspunkt, im Lichte eines politischen Zusammenhangs nämlich, können auch solche Verhaltensweisen, die unter die Bestimmungen des Strafgesetzbuches fallen, eine ganz andere Bedeutung annehmen. Der bewaffnete Kampf eines Partito combattente* ist zum Beispiel ganz bestimmt ein im formalen Wortsinne illegales Verhalten, aber zu einem gegebenen Zeitpunkt kann eine solche Politik den Vorhaben der Rekuperation und der Restrukturierung von Staat und Kapital zweckdienlich sein. Daher ist es nicht auszuschliessen, dass eine mögliche Einigung zwischen der kämpfenden Partei und dem Staat - letzterer in Gestalt eines Garanten vorteilhafter Bedingungen für das Kapital - zustande kommt.
Eine solche Einigung ist keineswegs absurd, da sich die kämpfende Partei in der Logik der Destabilisierung der im Amt befindlichen Macht bewegt, um später eine neue Macht aufzubauen, die zwar in der Form verändert ist, aber nicht in der Substanz. Mit einem solchen Vorhaben kann, sobald man sich bewusst geworden ist, dass ein militärischer Weg nicht mehr weiterzuverfolgen ist, zu einer Einigung gekommen werden. Die Amnestie, die in der Szene diskutiert wird, ist eine jener möglichen Einigungen. Andere Möglichkeiten können jedoch genauso in Betracht gezogen werden, wie man am Wiederaufschwung sozialdemokratischer Gesellschaftsmodelle sieht, die nach der militärischen Niederlage jetzt denen als einzig verbliebene Lösung erscheinen, die sich noch gestern eingebildet haben, sich an die Stelle der alte Macht setzen und sie vollkommen verwalten zu können. Wie man sieht, während die einfache anarchistische Kritik - die ihrem Gehalt nach radikal und absolut ist - immer "illegal" bleibt, kann sich der bewaffnete Kampf der partiti combattenti* an einem gewissen Punkt in den Herrschaftsbereich der "Legalität" zurückbegeben. Dies zeigt einmal mehr den "schwankenden" Legalitätsbegriff und die Absicht des Staates, dieses Niveau den Bedingungen der Kontrolle anzupassen.

Die Ausübung der Kontrolle

Das repressive Arsenal beruht nur in geringem Ausmass auf der rohen Ausübung der Repression. Zum grössten Teil ist es vorbeugend zur Kontrolle wirksam.
Es wirkt dabei mit einer Reihe von Vorkehrungen auf alle Formen der potentiellen Illegalität ein - und auch auf alle Formen abweichender Verhaltensweisen. Die potentiellen Formen der Illegalität fallen heute zwar wieder dem Strafmass der Gesetze anheim, doch dem weitblickenden Auge des Zensors ist es gestattet, ihren möglichen Ausgang abzuschätzen. Das gleiche gilt auch für die abweichenden Haltungen, die heute noch als mögliches Studienobjekt sogar für Überraschungen gut sind - modische Abweichungen, die von den Produktionszentren des Konsenses auferlegt werden -, aber morgen schon die konkrete Gefahr sozialer Subversion in sich bergen können.
Nun, die Ausübung der Kontrolle beruht auf der Kenntnis von Daten: Verhaltensweisen, Abweichungen, Geschmack, Ideologien, Aktionen, usw. Die grösstmögliche Anzahl gesammelter Daten und deren Verarbeitung legen den Grundstein für die Ausübung einer breiten Kontrolle. Ohne diese Grundbausteine ist eine direkte Kontrolle nicht möglich, so eingeschränkt und unzuverlässig letztere in der Perspektive einer ausgedehnten Kontrolle, etwa des partizipativen Typs, auch scheinen mag.

Die Bereiche des Geheimnisses

Im Gegensatz zur Auffassung einiger Leute - die sehr vordergründig die Vergeblichkeit bzw. die Undurchführbarkeit der Geheimhaltung propagieren - halte ich das Geheimnis für ein Wesen revolutionärer Aktion.
Dieses Konzept bedarf jedoch einer näheren Erläuterung.
Zunächst ist die Überlegung, dass an Geheimhaltung nur im Zusammenhang klandestiner Aktionen zu denken ist, zu einfach. Auch bei Aktionen der Gegeninformation, bei Aktivitäten, die Übergangskämpfe einleiten, ist Geheimhaltung unverzichtbar. Übergangskämpfe, etwa eine Besetzung, sind nämlich an sich nicht das "wahre" Ziel der Anarchisten, das kommt erst nachher, als eine Folgerung, die sich aus dem Kampf ergeben mag. Derartige Folgerungen können nicht im Verlauf der Gegeninformationsarbeit mitgeteilt werden, sie sind strenggenommen nicht Teil der Übergangsaktion, sondern gehören erst dem darauf folgenden Abschnitt an und können wohl nur sehr schwer von jemanden begriffen werden, der in der Teilnahme an einer solchen Besetzung erst einmal nur die Befriedigung seiner nächstliegenden Bedürfnisse sieht. Weiterhin spricht nichts dagegen, eine Methode anzuwenden, die dem Feind so wenig Informationen wie möglich liefert - auch wenn wir davon ausgehen können, dass die Repressionsorgane jeden Aspekt unseres Kampfes mitbekommen können - angefangen bei der Phase der Gegeninformation bis hin zu allen darauffolgenden Phasen. Dinge vor aller Welt zu machen, bedeutet noch lange nicht, Verlautbarungen von sich zu geben, die der Polizei von Nutzen sein können. Man denke dabei etwa an verschiedene Aktionen, die sich an mehreren Orten zugleich abspielen. Indem man auf die einzelnen Aspekte der Kommunikation (Flugblätter, Plakate, Zeitungen usw.) acht gibt, kann man es der Polizei erschweren, die Verbindungen, die zwischen solchen Aktionen bestehen, zu durchschauen. Es handelt sich dabei um eine normale Vorsichtsmassnahme, die hilft, die repressive Aktion zu verzögern.
Gleich welche Aktion sie auch immer durchführen wollen, die Erziehung zu Vorsicht und Umsicht ist daher für alle Revolutionäre wesentlich. Schon eine geringfügiges Überdenken dieses Argumentes führt uns dazu, die Techniken des Selbstschutzes zu verstehen, die auch dann eingesetzt werden müssen, wenn nur ein einfaches Flugblatt geschrieben wird, um so manchen Aspekten der Repression zu entgehen. Und in anderer Hinsicht gestattet uns die Kenntnis jener Techniken noch, im rechten Moment, zu den Mitteln der Denunziation, sowie der Schmähung und Beleidigung zu greifen und diese, wann immer wir es für nötig erachten, mit einem berechenbaren Risiko einzusetzen, so dass wir nicht gleich wieder zu bereuen brauchen, was sich später lediglich als einfacher Denk - oder Schreibfehler herausstellen könnte.
Wie man also sieht, sind die Bereiche der Geheimhaltung sehr umfangreich und lassen sich nicht nur auf die Untergrundarbeit einengen.

Die anarchistische Bewegung und das Geheimnis

Zu sagen, dass die anarchistische Bewegung, ihrem Naturell nach, keine Untergrundbewegung sei, bedeutet, gar nichts gesagt zu haben. Eine revolutionäre Bewegung, die so vielfältige und reichhaltige Bestandteile zur radikalen Umwandlung der Gesellschaft enthält, kann man sich gar nicht anders vorstellen, als von äusseren Einflüssen abhängig und für alle Welt offen, damit alle ihre Thesen in Erwägung ziehen und kritisch beurteilen können.
Der Umstand, dass die anarchistische Bewegung manchmal auf die Klandestinität "reduziert" worden ist, liegt ausschliesslich an geschichtlichen und politischen Veränderungen in den jeweils davon betroffenen Länden
Das schliesst jedoch nicht aus, dass die anarchistische Bewegung, trotz des Umstands, dass sie ihre politischen und revolutionären Aktivitäten ganz offen - unter Berücksichtigung der erwähnten Vorsichtsmassnahmen - an den Tag legt, nicht auch gleichzeitig eine spezifischere Aktivität entfaltet, die nicht auf die Propaganda und auf die Beteiligung an den sozialen Kämpfen abzielt, sondern sich andere, selbstverständlich nicht gegen ersteres gerichtete Ziele vornimmt. Unter diesen Zielen befindet sich an erster Stelle das Problem der Beschaffung der Geräte und Mittel, die in diesem Kampf benötigt werden. An zweiter Stelle stehen die Angriffe gegen Einrichtungen und Personen, die die Ausbeutung umsetzen, usw.
Dieser zweite Teil der Aktivitäten der Bewegung, kann in seinem ganzen Umfang nicht als etwas "anderes", als etwas von ihr "getrenntes", betrachtet werden. Die Notwendigkeit der Geheimhaltung, die unter diesen Gesichtspunkten unbestritten scheint, bringt die Leugner des Mittels der Geheimhaltung
zum Schluss, dass man von jeder derartigen Aktivität die Finger lassen sollte. Damit opfern diese Leugner einen ganzen Bestand an Möglichkeiten, die in der Bewegung fortwährend zum Ausdruck kommen, und reduzieren alles auf die einfachen Prinzipienerklärungen und auf die triste und kümmerliche Unangemessenheit der Mittel, die in unserem Besitz sind.

Technologie und Geheimnis

Aber erlauben die mächtigen technologischen Mittel, mit denen der Feind ausgestattet ist, überhaupt eine Geheimhaltung?
Diese Frage gehört in das Umfeld jener Verwirrung, die während der letzten Jahre durch eine abwegige Wahrnehmung der Technologie sowie der phantastischen und übertriebenen Einschätzung ihrer Anwendungsmöglichkeiten angerichtet worden ist.
Wie alle Dinge, die man kaum oder gar nicht kennt, hat die Technologie der letzten Jahre mit all ihren Computern, ihren Abhörmethoden, ihren Lasern und Radars viele Genossen fasziniert, die in der Vergangenheit meist leidenschaftliche Leser von Science-fiction Romanen gewesen sind. Nun finden sie - ohne dabei über das dazu nötige Grundwissen zu verfügen -, die Freude, die sie vorher an dieser Lektüre hatten, in der Berichterstattung der meist "skandalösen" Fachzeitungen, in denen von den heutigen grossen technologischen Möglichkeiten die Rede ist.
Hier sollen die leistungsfähigen repressiven Mittel, die heute die technischen Neuerungen der Macht zur Verfügung stellen, überhaupt nicht unterschätzt werden. Wir wollen nur sagen, dass manche Behauptungen etwas mit Vorsicht zu geniessen sind. Allein schon deswegen, um den subversiven Elan der Leute nicht herabzusetzen und um nicht ausgerechnet selbst noch mit dazu beizutragen, die Nägel in den Sarg zu schlagen, in den man uns einsperren will.
Der Traum von der totalen Kontrolle ist der Herrschaft schon aus den Zeiten des Leviathan überliefert. In der Praxis ist er nicht zu verwirklichen. Das prinzipielle Hindernis besteht dabei nicht so sehr in der geringen technischen Effizienz der Kontrollmechanismen und im Grunde auch nicht in der naturgegebenen Unzulänglichkeit der Menschen, die dafür Sorge zu tragen haben, dass diese Mechanismen auch funktionieren. Die Grenzen der Kontrolle erwachsen aus dem Umstand, dass diese, um sich überhaupt einmal verbreiten zu können, zuerst in die Mentalität des Kontrollierten eindringen muss. Die echten Kontrolleure sind also nicht nur die Polizisten, Richter und Gefängniswärter allein, sondern die Kontrollierten selbst.
Diejenigen, die die Kontrolle umsetzen, haben vor, in die Kultur der Kontrollierten einzudringen, um dann eine Reihe von Widerständen gegen die Freiheit zu errichten und um darin Hindernisse gegen den subversiven Kampf und Sperren gegen den freien Gedanken aufzubauen. Ist dies einmal erreicht, so wird der Kontrollierte selbst seine Aktionen und Gedanken zensieren. In einer dritten Phase wird der Kontrollierte letztlich dafür sorgen, die Kontrolle auszuweiten und zu perfektionieren, indem er sich am Aufbau der technologischen Zentren zur Datensammlung und - Verwaltung beteiligt. Jene Beteiligung, die zuletzt das höchste anzunehmende Niveau der Kontrolle darstellt, wird erst dann möglich, wenn die beiden vorhergehenden Stufen - der Kontrolle, die als Feind betrachtet wird, sowie der Kontrolle, die bereits als Gedankengang in uns selbst eingegangen ist - verinnerlicht worden sind. Die dritte Stufe darf nicht als Beteiligung an der "Maschine" gesehen werden, sondern eher als ein beständiger Beitrag zur Vermehrung des informatischen Kapitals, das die Basis für die kapitalistische Akkumulation von morgen bilden wird.
In einer solchen Perspektive wird deutlich, dass jeder der Kontrolle entzogene oder vor der Ausweitung der kulturellen Integrationsprozesse geschützte Sektor mit allen Mitteln verteidigt werden muss. Dabei sollten auch Techniken der dépistage, die auf der Geheimhaltung aufbaut, zur Anwendung kommen.
Wer diese Techniken von vornherein ablehnt, macht dies, weil er sie kurzsichtig als romantische Ränkespiele aus vergangenen Zeiten ansieht.
Das entspricht nicht der Wahrheit.
Natürlich wäre es absurd, Botschaften mit einem chiffrierten Code zu versehen. Nicht nur mit einem solchen, den schon Bakunin oder Malatesta benutzt haben, sondern mit einer jeden Art von Code. Das aus dem einfachen Grund, weil eine Botschaft, die länger als zwei bis drei Zeilen ist, mit Leichtigkeit von jedem Computer entziffert werden kann. Derselbe Code jedoch, den Bakunin und Malatesta benutzten, taugt immer noch für Botschaften, die sehr kurz sind und aus nur wenigen Worten bestehen. Er kann von keinem Computer entschlüsselt werden, da die benötigten Zahlen fehlen, um die einzelnen Buchstaben bestimmen zu können.
Ich will hier nicht darüber diskutieren, inwieweit es sinnvoll ist, chiffrierte Botschaften zu senden. Ich behaupte nur, dass niemand im voraus ausschliessen kann, dass sich Revolutionäre zu einem gewissen Zeitpunkt dazu gezwungen sehen, sich einer Verständigungsform zu bedienen, die ihnen erlaubt, dass der Feind sie nicht verstehen kann.
Es ist wirklich angebracht, zu wissen, dass so etwas möglich ist - sofern nur die Botschaft sehr kurz ist -, und dass es keine Technologie der Welt gibt, die den banalsten aller Codes aufzudecken imstande ist.

Warum der Repression den Weg erleichtern?

Die Verfechter der Unmöglichkeit der Geheimhaltung behaupten, dass die gesamte Logik der anarchistischen und revolutionären Aktion so weit wie möglich offengelegt werden soll. Es wäre etwa gar nichts befremdliches dabei, würden - mit der FAl* angefangen - die Mitgliedslisten aller anarchistischen Organisationen veröffentlicht.
Auf einer rein abstrakten Ebene wäre daran auch wirklich nichts befremdlich. In der Praxis gibt es jedoch viel gegen eine solche Hypothese einzuwenden. Zunächst, warum sollte man der Repression den Weg erleichtern? Zum anderen, wenn die Anarchisten heute unter einem bestimmten Gesichtspunkt der Repression toleriert werden sind, kann sich das morgen schon zum Schlechteren wenden und die Unterdrücker hätten dann schon alle Namenslisten treulich parat und könnten ihre Aufgabe schnell erledigen. Und warum sollten wir ihnen bei ihrem Polizistenjob helfen? Sicher, viele Namen der Genossen sind bekannt, viele sind aber noch unbekannt und die Polizei nimmt viele Anstrengungen im Kauf, diese zu erfahren. Manche naive Seele könnte sich fragen, warum sie das überhaupt macht, wenn doch die Bewegung grösstenteils bereits in aller Offenheit ans Werk geht. Das wäre jedoch eine dumme Frage. Auch die Polizei arbeitet mit Perspektive. Heute schon die Daten zu sammeln, hilft dabei, sie morgen zur Unterdrückung einsetzen zu können.

Die Aufgabe des Geheimnisses

Nachdem klar geworden ist, dass die Kontrolle nicht nur ein repressiver Tatbestand ist, sondern in ihrem Kern meist schon eine Beteiligung miteinschliesst, kann die Frage nach dem Geheimnis zu einer ganz anderen Einschätzung führen.
Im Grunde können erst wir als "sich Beteiligende" die eigentliche, definitive Kontrolle legitimieren. Sobald wir die Kooperation verweigern, sobald wir mit allen Mitteln die Schaffung einer Ghettokultur verhindern, sobald wir eine reduzierte Sprache verhindern, die ausschliesslich für den Gebrauch durch diejenigen geschaffen ist, die von der technologischen Leitung der Produktion und damit der Macht ausgeschlossen sind und sein werden, erst dann wird eine totale Kontrolle nicht mehr möglich sein.
Das Problem liegt nicht so sehr darin, zu erwägen, wie gross die Spanne ist, die sich der Staat für die sogenannte "nicht angewendete Kontrolle" vorbehält, also wie gross die Kapazität ist, die er - auch zur Prävention - zur Anwendung bringen könnte, die er jedoch nicht anwendet, um den Eindruck zu gewährleisten, dass es zumindest noch eine unkontrollierte Zone gibt. Ob diese Zone nun existiert oder nicht, das ist im Grunde unerheblich. Es ist die soziale Kontrolle als Ganzes, die unvollständig ist. Auch dort, wo die Kontrolle eindeutig zu Tage tritt - in den Gefängnissen etwa - ist sie immer unvollständig, da die "Akzeptanz" seitens derer fehlt, die der Kontrolle unterliegen. Folglich geht es nicht um eine Frage der Ausdehnung der Kontrollzone, sondern um eine Frage der Qualität der Kontrolle an sich.
Die Aufgabe des Geheimnisses im subversiven Verhalten könnte also sein, jene Beteiligung zu verweigern und der Verinnerlichung der Werte und der Sprache zu entgehen, die der Staat vermittelt, um damit nicht etwa deren Ausweitung, sondern gerade die Perfektionierung der Kontrolle zu bezwecken.

Aus Anarchismo, dicembre 1986, n.55

* Partito combattente - kämpfende Partei - Selbstbezeichnung der leninistischen Guerillaformationen, etwa der Brigate Rosse, die einen Partito Comunista Combattente aufbauen wollten.

* FAI - Federazione Anarchica Italiana. Der Vorschlag die Mitgliedslisten öffentlich zu machen, kam seinerzeit gerade von Genossen dieser Organisation.

Affinität und informelle Organisation

Bonanno 02.10.2009 - 22:48
Affinität und informelle Organisation

Affinitá e organizzazione informale von Alfredo Bonanno
Erschienen in “Anarchismo”, März 1985, Nr. 45. S. 12-14



In der Organisationsfrage verhalten sich die anarchistischen Genossen zweideutig. Ein extremer Pol nimmt die Billigung einer ständigen Struktur mit einem klar umrissenen Programm in Kauf, mit geringen zur Verfügung stehenden Mitteln versehen und in Ausschüsse gegliedert; der andere besteht auf der totalen Ablehnung aller festen Beziehungen, auch wenn diese nur über einen kurzen Zeitraum bestehen mögen.
Die klassischen anarchistischen Föderationen (alten und neuen Typs) sowie die Individualisten stellen jedenfalls beide die äussersten Formen eines Versuchs dar, sich nicht der Wirklichkeit des Kampfes zu stellen. Die Genossen, die sich mit einem Organisationsaufbau identifizieren, hoffen, dass sich über das quantitative Wachstum eines solchen Gefüges eine revolutionäre Veränderung der Wirklichkeit einstellen wird und geben sich der billigen Illusion hin, alles soweit unter Kontrolle zu haben, dass sich dabei unter der Hand auch kein Autoritätsverhalten und keine parteiähnliche Strukturen einschleichen können. Die individualistischen Genossen wachen eifersüchtig über ihr "Ich" und fürchten jede Art von Kontamination, jedes Zugeständnis und jede aktive Zusammenarbeit, da sie dergleichen als Nachgeben und als Kompromiss empfinden.
Auch die Genossen, die der Frage der anarchistischen Organisation und der individualistischen Isolation kritisch gegenüber stehen, gehen damit ausschliesslich in der Begrifflichkeit der klassischen Organisation befangen um und tun sich mit der Vorstellung alternativer Formen dauerhafter Beziehungen schwer.
Die Basisgruppe wird als unabdingbarer Bestandteil der spezifischen Organisation angesehen und die Föderation von Gruppen auf der Grundlage einer ideologischen Klärung als die daraus entstehende natürliche Folgerung akzeptiert.
Dergestalt entsteht die Organisation noch vor den Kämpfen und sie gerät schliesslich dazu, sich einer ganz bestimmten Kampfperspektive anzugleichen, die - davon wird zumindest ausgegangen - die Organisation selbst quantitativ anwachsen lässt. Somit folgt die Struktur als botmässiger Erfüllungsgehilfe den von der Macht getroffenen strategischen Entscheidungen, die aus den unterschiedlichen Beweggründen die Bühne der Klassenauseinandersetzung beherrschen.
Der Widerstand und die Selbstorganisation der Ausgebeuteten werden wie Moleküle angesehen, die man zwar hier und da aufgreifen kann, die aber erst dann bedeutsam werden, wenn sie entweder in die spezifische Struktur eingehen oder sich zumindest dem Einfluss von Massenorganismen unterziehen, die unter der (mehr oder weniger erklärten) Führung der spezifischen Struktur stehen.
Dergestalt ist man immer zum Abwarten verurteilt. Wie im Zustand der Bewährung befinden wir uns alle in einer Art Freiheit auf Widerruf. Wir beäugen das Verhalten der Macht und halten uns dazu bereit (immer im Rahmen des Möglichen), auf die über uns herfallende Repression zu reagieren. Fast nie entwickeln wir Eigeninitiative, leiten selbst Aktionen in die Wege, stürzen die Logik der Verlierer um.
Wer sich mit einer strukturierten Organisation identifiziert, erwartet einen unwahrscheinlichen quantitativen Zuwachs. Wer innerhalb von Massenstrukturen arbeitet (z.B. aus der Sicht des Anarchosyndikalismus) harrt darauf, dass die kleinen Verteidigungsergebnisse von heute in die grossen revolutionären Erfolge von morgen übergehen. Wer all das ablehnt, harrt trotzdem. Er weiss zwar nicht sehr genau worauf, zumeist einem Groll gegen alles und gegen alle verhaftet, und bemerkt dabei in der Gewissheit seiner Ideen nicht, dass diese nicht mehr sind als die leere und negative Kehrseite der organisatorischen und programmatischen Behauptungen der anderen:
Wir denken allerdings, dass es ganz andere Dinge zu tun gibt.
Sprechen wir zunächst davon, dass es, um zur Aktion übergehen zu können, nötig ist, Verbindungen unter den Genossen herzustellen. Alleine schafft man es nicht, zu agieren, ausser man beschränkt sich auf einen platonischen Protest, der so blutig und hart sein kann wie er will, aber doch immer platonisch bleibt. Um einschneidend auf die Wirklichkeit einwirken zu können, muss man zu vielen sein.
Auf welcher Basis diese Genossen finden? Wenn wir die Hypothese der vorab beschlossenen Programme und Plattformen verwerfen, was bleibt uns dann ?

Uns bleibt die Affinität.

Unter anarchistischen Genossen gibt es Berührungspunkte und Meinungsverschiedenheiten. Ich rede nicht von der Affinität, die vom Charakter oder der Persönlichkeit beistimmt ist, also von den gefühlsbetonten Aspekten, die oft Genossen miteinander verbinden (an erster Stelle die Liebe, die Freundschaft, die Sympathie usw.). Ich rede von einer wechselseitigen Vertiefung der Kenntnis des jeweils anderen. Um so mehr sich diese Kenntnis vertieft, um so mehr Berührungspunkte (Affinität) können sich ergeben. Andernfalls können die Meinungsunterschiede so schwerwiegend sein, dass sie jegliche Zusammenarbeit ausschliessen.
Die Lösung besteht also in einem immer tieferen Kennenlernen, das sich zusammen mit der Untersuchung der unterschiedlichen sozialen Probleme, die sich aus dem Klassenkampf ergeben, entwickelt.
Es existiert ein ganzer Fächer Fragen, der in der Regel nicht in seiner Gesamtheit erfasst wird. Oft begnügen wir uns mit den naheliegenden, da uns diese am ehesten berühren (vorwiegend sind das die mit der Repression, mit dem Gefängnis usw. zusammenhängenden Fragen).
Aber gerade im Vermögen, diesen Fächer der sozialen Fragen auszuweiten, liegt das am meisten geeignete Mittel, die Umstände gemeinsamer Affinitäten feststellen zu können. Diese können nie absolut und total (ausser in wenigen Ausnahmefällen), aber ausreichend genug sein, um geeignete Beziehungen für die Aktion zu stabilisieren.
Wenn wir unsere Eingriffe auf wenige Probleme begrenzen, die wir als drängend und wesentlich einstufen, werden wir nie die Gelegenheit haben, die uns betreffenden Berührungspunkte (Affinitäten) zu entdecken und wir werden ständig den unerwarteten und unverhofften Widersprüchen preisgegeben sein, die letztlich jedes Vorhaben, in die Wirklichkeit einzugreifen, zum Scheitern bringen können.
Ich will noch einmal unterstreichen, dass die Affinität nicht mit den Gefühlen zu verwechseln ist. Es kann durchaus Genossen geben, zu denen wir zwar eine gemeinsame Affinität haben, die uns aber persönlich nicht besonders sympathisch sind und umgekehrt kann es Genossen geben, zu denen wir keine gemeinsame Affinität haben, die uns jedoch aus tausend anderen Gründen sympathisch sind. Man sollte sich allerdings von so falsch gestellten Fragen wie bspw. der einer vorgeblichen Differenzierung zwischen Gefühl und politischer Motivation nicht von der Aktion abhalten lassen. Nach dem vorher Gesagten mag es so scheinen, als wären die Gefühle etwas, das von der politischen Analyse getrennt werden sollte und wir könnten deshalb jemand durchaus lieben, der in Wahrheit unsere Anschauungen überhaupt nicht teilt. Oder anders herum. Dergleichen mag zwar im Grossen und Ganzen möglich sein, ist aber wohl ziemlich aufreibend. Dennoch sollte in die oben erwähnte Vorstellung des aufgefächerten Problemkreises auch der persönliche oder, wenn man so will, der Gefühlsaspekt miteinbezogen werden, da der Umstand, der Willkür unserer Triebe ausgeliefert zu sein, oft einem Mangel an Reflexion und Analyse geschuldet ist. Ansonsten müssten wir wohl eingestehen, einfach nur besessen zu sein.
Aus dem bisher erwähnten, schält sich also eine erste, wenn auch verschwommene Ahnung davon heraus, wie wir uns eine informelle Organisation zu denken haben: als eine Zusammengehörigkeit von Genossen, die durch gemeinsame Affinität miteinander verbunden sind.
Je aufgefächerter der Problemkreis ist, den diese Genossen zusammen meistern, um so mehr wachsen auch ihre Berührungspunkte (ihre Affinität). Daraus folgt, dass die reale Organisation, also das gemeinsame Handlungsvermögen, das in der Tat vorhandene und keineswegs das nur vorgebliche, und somit die zweckgeachtete Begegnung in der Absicht, eine Analyse zu erstellen, um damit zur Aktion über zu gehen, im Zusammenhang mit der erreichten Affinität stehen und nichts mit Abzeichen, Programmen, Plattformen, Fahnen und mit mehr oder weniger verdeckten Parteien zu schaffen haben.
Die informelle anarchistische Organisation ist also eine spezifische Organisation, die sich aus gemeinsamen Affinitäten heraus entfaltet. Diese Berührungspunkte können nicht für alle identisch sein, die Verschiedenheit der Genossen bringt unendliche Schattierungen ihrer Affinität mit sich. Je unterschiedlicher diese sind, um so mehr Sachverhalte wird die dadurch erzielte Kraft der Analyse durchdringen und abdecken können.
Daraus ergibt sich ebenfalls, dass das Harmonieren dieser Genossen als ein Ganzes einen, wenn auch eingeschränkten Zug zum quantitativen Wachstum begünstigen wird. Dergleichen macht allerdings nicht sogleich den Hauptzweck der Aktivitäten aus. Ein numerischer Zuwachs ist für die Aktion unabdingbar und zugleich ein Beweis für die Bandbreite der angestellten Untersuchung und des Vermögens, mit ihr nach und nach die Berührungspunkte mit einer weiteren Anzahl von Genossen festzustellen. Daraus ergibt sich weiterhin, dass der so zustande gekommene Organismus sich gemeinsame Mittel für die Intervention verschaffen wird. Zunächst einen Apparat für die Debatte zur nötigen analytischen Durchdringung, der zum einen imstande ist, anzuzeigen, wie gross der angegangene Problemkreis ist und der zugleich möglicherweise in der Lage ist, einen Anhaltspunkt sowohl zur Ermittlung der Affinitäten wie der Meinungsverschiedenheiten herzugeben, die sich allmählich- auf der persönlichen oder auf der Kleingruppenebene - einstellen werden.
Aus dieser Sicht ist es nur verschwenderisch, ständige Strukturen ins Leben zu rufen, um mit ihnen spezifische Probleme zu bewältigen. Diese müssen immer auf Grund des umfassenden Stands, den die Analyse erreicht hat, eingeschätzt und mit genau auf sie abgestimmten Interventionen angegangen werden, ein Ziel im Auge, das von den eigenen Möglichkeiten begrenzt und das nicht vage nach der Bandbreite des sich stellenden Problems zu bemessen ist. Es ist logisch, dass sich innerhalb dieser Eingriffe auch Strukturen bilden können, die aber nur von der Absicht getragen sein sollen, die Ausgebeuteten in ihrer Gesamtheit hineinzuziehen und keineswegs nur als Bestandteil, der für das Anwachsen der spezifischen Bewegung herhalten soll. Andernfalls macht man sich die Aussichten von Pilgern zu eigen, die sich einen Unterschlupf suchen.
Zuletzt bleibt noch zu sagen, dass das Element, das solch eine informelle Organisation zusammenhält, sicherlich die Affinität ist, aber was sie antreibt, ist die Aktion. Wer sich auf das erste Element verlegt und das zweite Element für gering achtet, wird erfahren, dass schliesslich jede Beziehung in dem spitzfindigen Perfektionismus derer versiegt, die nichts anderes vorhaben, als ihre Absicht, nichts tun zu wollen, zu verstecken. Die Fragen, die hier einfach nur angedeutet wurden, insbesondere die positiven einer informellen Organisation von Anarchisten, sind eine weitere Untersuchung und Debatte wert, zu denen wir alle daran interessierten Genossen einladen.

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