Moorburgtrasse: Vattenfall bekommt Kaperbrief

elchtest 08.09.2009 09:01 Themen: Atom Biopolitik Repression Soziale Kämpfe Ökologie
Und zwar von grüner Umweltsenatorin....

Die lt. Vattenfall 240 Mio. € teure und 12,5 km lange Fernwärmeleitung wurde nunmehr genehmigt. Das von der hamburger Handelskammer als „Halsschlagader“ für das Steinkohlekraftwerk Moorburg bezeichnete Vorhaben nimmt jetzt mit massiven Auswirkungen Anlauf auf St.Pauli und Altona. St.Pauli wird von Vattenfall mit einem gigantischen Tunnel von 4,4m Durchmesser unterbuddelt werden. In Altona sollen ganze Parks stillgelegt und über 300 Bäume gefällt werden, sowie große Teile des Bezirks über 4 Jahre zur Großbaustelle und danach „neu gestaltet“ werden – so der Plan.
Hierfür haben Hamburgs Grüne dem Pannenkonzern Vattenfall das vereinfachte Genehmigungsverfahren - ohne jede Anwohnerinformation / Beteiligung und auch ohne Umweltprüfung illegaler weise ermöglicht.

Und – auch das ist mittlerweile klar: Es wird Proteste und Widerstand gegen die Auswirkungen der Trasse aber auch grundsätzlich gegen Moorburg, Vattenfall und die schwarzgrüne Energiepolitik an diesem Punkt geben. Die aktive Mobilisierung hat begonnen.

Die Genehmigung für die Moorburgtrasse

wurde bereits im Juni von der Hamburger Umweltbehörde still und heimlich erteilt. Hierbei handelt es sich um eine sog. Plangenehmigung, die lediglich ein vereinfachtes Verfahren erfordert. Dieses ist aber nur dann rechtlich möglich, wenn ganz eindeutig weder Anwohnerinteressen, noch der Naturschutz überhaupt betroffen sind. Zur Begründung, dass dies so eindeutig der Fall sei und es auch keiner genauen Prüfung bedarf wurden schlicht falsche Zahlen und Fakten angegeben. Z.B. 20m zerstörte Grünfläche, statt reale 1780m! Die falschen Zahlen dürften von der ursprünglichen Trassenführung unter der 4-6 spurigen Holstenstraße entlang entstanden sein. Diesen „verkehrspolitischen Wahnsinn“ hat aber die CDU verhindert, stattdessen geht’s jetzt mitten durchs Quartier und die Parks mit Genehmigung von der GAL. Das genehmigungsrechtliche „Greenwashing“ in der sog. Anlage „UVP (Umweltverträglichkeitsprüfung) – screening“ wurde schlicht beibehalten bei der Trassen-Umplanung in 2008.



Also ein klarer verfahrensrechtlicher Verstoß?

Eigentlich ja, aber über die juristische Erfolgsaussicht gibs bisher keine eindeutige Einschätzung. Gut möglich: Vattenfall klagt sich weiter durchs Konzernleben und zwar mit großen finanziellen Ressourcen, sowie guter „Einbindung“ in die hamburger Behörden und somit weiterhin auch erfolgreich - trotz gröbster Verstöße und Ignoranz von gesellschaftlichem Interesse.



Und was sagen die Grünen dazu?

So gut es geht: Tauchstation und auch die Genehmigungsunterlagen insbesondere die brisante Anlage wurden so lang es irgendwie ging geheim gehalten. Anders als im Wahlprogramm versprochen wird Vattenfall derweil ganz realpolitisch in Sachen Moorbug der Weg geebnet. Schließlich dürfte das Kraftwerk gem. Genehmigungsbescheid ohne die Fernwärmeauskopplung definitiv nicht ans Netz und außerdem hieß es doch nach der Moorburggenehmigung von der GAL: Jetzt kommen die Stadtwerke und kaufen Vattenfall die Netze ab, um danach auch die Fernwärme an „klimafreundliche Erzeuger anzuschließen“. Nix is.... stattdessen heißt es aus der Umweltbehörde auf parlamentarische Nachfrage zur Anwohnerbeteiligung „Hierzu wird ein Kommunikationskonzept erarbeitet, das die unterschiedlichen Informationsbedürfnisse berücksichtigt“. Im Stile einer sozialtherapeutischen Supervision soll wohl mal „reingehört werden“ in „so die Bedürfnisse und Ängste“.



Wenn man sich aber im Stadtteil umhört,

dann kocht es reichlich. Nicht nur wegen der Moorburgtrasse, sondern auch wegen der der sog. Grünzugplanung, sowie der absurden monströsen Ikeaplanung im Altonaer Zentrum und dann auch noch wegen der bewusst eskalierten Polizeigewalt auf dem Schanzenfest und natürlich wegen der massiven Gentrifizierung.
Die GAL-Altona sitzt derweil im feinen Blankenese ohne jede politische oder soziale Anbindung ins eigentliche Altona oder gar Schanzenviertel hinein. Die Bezirkspolitik – pragmatisch zwar eingeprobt hat es auf einmal und das nach Jahren „relativer Ruhe“ mit div. sozialen und gesellschaftspolitischen Brandherden zu tun. Der uneingeschränkte CDU-Chef des Bezirks – Uwe Szczesny gilt zwar als „ehrliche Haut“ und „tolerant gegenüber Minderheiten“, jedoch regiert er den Bezirk in einer Mischung aus Provinzfürst und mittelständischem Manager:....keine wichtige Sitzung wird ausgelassen, die Tagesordnung bestimmt er, kein Detail ist ihm unbekannt, jede wichtige Formulierung oder Tendenz in den relevanten Ausschüssen bestimmt er direkt mit.
Die GAL –Bezirks- Vorsitzende Boehlich nimmt derweil, scheinbar dankbar den „Lieblingsnichten“ – Posten ein, ohne jeden lauten Dissens zum „großen Vorsitzenden“. Diese Spitze der Bezirksstruktur wird von oben nach unten durchdekliniert, sie entpolitisiert und verfestigt die für Investoren und auch für Vattenfall, sowie Ikea günstigen Verhältnisse.
Nun sind aber weder St.Pauli und Altona, noch das Schanzenviertel provinzielle Vororte, sondern die Bewohner haben eine ganz andere Identität und Interessen.



Vattenfall jedenfalls kann definitiv nicht zurück – anders als z.B. Ikea.

Die Moorburgtrasse ist aus Konzernsicht unverzichtbar, alles läuft auf einen unüberbrückbaren Interessenskonflikt hinaus. Für den Konzern geht es um Milliarden im Kontext mit dem Kerngeschäft (Energiemonopolist im Großraum Norddeutschland / Berlin). Für die Gegner geht es um Alltagsgrundlagen im Stadtteil, einen echten Neuanfang in Sachen Energiepolitik, sowie um soziale Fragen. Eine „win-win“- Konstellation ist ausgeschlossen.



Vattenfalls aktuelle und nächsten Schritte....

werden der Einsatz des „Kampfmittelräumdienstes“ sein, alleine dafür sind viele Millionen vorgesehen und erfahrungsgemäß dauert das Ganze Monate. Jedes Metallteil im Boden muss aufgespürt werden. Parallel werden überall kleinere Umverlegungs- Baustellen beginnen, um die Trasse frei von Leitungen zu bekommen. Dafür sind schon einzelne Fällungen von Bäumen nötig. Vattenfall selber kündigt das Roden der Bäume in Altona für den „Spätherbst“ an. Am 30.9. läuft die Baumschonzeit ab und ab dann darf offiziell losgeholzt werden.
Im Freihafen hat die Baustelle in Nähe des Kraftwerks bereits angefangen, zum einen die ersten verlegten Rohre an der Straße „am Blumensand“. Zum anderen wird gerade großflächig das Pflaster bei Bohm & Voss aufgenommen für den Norderelbe- Tunnel. Damit wird auch dieser Schwerpunkt angefangen (siehe Fotos).



Was heißt das für die Leute vor Ort und die Mobilisierung?

Zunächst einmal muss jede/r für sich selber feststellen, ob es überhaupt persönlich Raum und eigene Motivation für eine Mitarbeit in einem Bündnis gegen die oben beschriebenen Strukturen in Hamburg und im Bezirk gibt. Denn nur eine ernsthafte, von Vielen langfristig mitgetragene Polarisierung genau gegen diese Strukturen und stattdessen für ein „Klima der Solidarität“ dürfte wirklich helfen.
Die „Latte“ für die Aktivisten ist hoch, andererseits attraktiv gehängt: Ohne „unkontrollierten Widerstand“ wird man sich letztlich weder gegen die Gentrifizierung, noch gegen den Energiekonzern Vattenfall durchsetzen können.



Es riecht nach Polizeieinsatz und Repression.

Schon die vom Bernstorffstraßenfest ausgegangene und angemeldete Fahrraddemo gegen die Trasse (250-300 TeilnehmerInnen) blockierte die Kreuzung vorm Holstenbahnhof für 25 Min und stand am Rande der polizeilichen Auflösung (siehe http://video.google.de/videosearch?hl=de&rlz=1B3GGGL_deDE277DE277&resnum=0&q=Fahrraddemo%20Moorburg%20Trasse&um=1&ie=UTF-8&sa=N&tab=wv#
Ansonsten wird die im Freihafen bereits begonnene Baustelle rund um die Uhr von schwarzen Scherriffs überwacht. Der Grünzug wird hingegen ständig neu von Aktivisten begangen und die betroffenen Bäume werden gekennzeichnet. Der „Ordnungsdienst“ bzw. Vattenfalls 1€-Kräfte sind ständig im Einsatz um die Kennzeichnungen, Plakate, Transparente ect. zu entfernen (Fotos)
Für Altona und Hafenrand dürfte demnächst dann wohl ein „stabiler“ Bauzaun vorgesehen sein.Sehr wahrscheinlich: Das „große Besteck“ wird von der Polizei eher früher als später aufgefahren bzw. von Vattenfall „bestellt“ werden. In der Presse äußert sich auch schon der Staatsschutz „Man sei (zur Moorburgtrasse...) ständig mit dem Energiekonzern im Gespräch....(siehe http://www.welt.de/die-welt/vermischtes/hamburg/article4173382/Wie-die-Hafenstrasse-sich-selbst-tunnelt.html).



Aus der Erfahrung heraus

sind mit die besten Antworten darauf: Ein Vertrauensverhältnis auf Grundlage von Respekt unter möglichst vielen MitstreiterInnen aufbauen, niemanden von vorneherein ausgrenzen und sich von der Aktionsform und politischen Ausrichtung her von moralischen und nicht vom Staat vorgegebenen Regeln bestimmen lassen.
Genau dann hat es in Hamburg bisher Erfolge für Bewegungen gegeben, wenn es nämlich ein lebendiges und breites Bündnis gab, sich die Leute auch persönlich gut kannten und die Aktionsformen, sowie verschiedenen authentischen Standpunkte solidarisch ineinander griffen –siehe z.B. den Kampf um den Erhalt der Hafenstraße. Aber auch ganz aktuell ist ein erneutes ernsthaftes Ringen um solche positive Strukturen für viele spürbar und drückt sich z.B. in der Mobilisierung gegen das Verbot und die Polizeiübergriffe beim Schanzenfest aus.
Genauso gibt der Widerstand gegen das atomare Endlager in Gorleben ein gutes Beispiel. Dort geht es letztlich auch um die gleichen Aggressoren – die Energiekonzerne, sowie die Ignoranz und Lügen der herrschenden Politik. Und vom Prinzip her gleich kommen jetzt die Energiekonzerne nach Altona und St.Pauli, gefährden, zerstören und verwerten für ihre Profitinteressen die Stadtteile – über viele Jahre hinweg. Der Widerstand der bäuerlichen Notgemeinschaft dort hat zivilen Ungehorsam und direkte Aktionen immer mit einbezogen und - so sieht es im Moment jedenfalls aus kann die scheinbar übermächtige Atomlobby sogar bezwingen.



Der Widerstand gegen die Moorburgtrasse steht erst am Anfang

Aber schon die ersten Anfänge zeigen das Potenzial des Protestes. Dieser ist auch insofern im Vorteil, als dass Vattenfall vor Ort völlig isoliert da steht – von den guten Beziehungen in die hamburger Politik und Handelskammer mal abgesehen. Schon jetzt wissen Viele um was es geht, stellen sich auf die Baustelle ein. Und angesichts der von der GAL gedeckten genehmigungsrechtlichen Posse hat der Widerstand auch jede gesellschaftliche Legitimation.


Denn: „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“

Hamburg, 7.9.09 - Gruppe Elchtest
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Ergänzungen

Frühere Artikel der Gruppe Elchtest

Mirco 08.09.2009 - 11:01

1)  http://de.indymedia.org/2009/03/243172.shtml - hier sind auch die Pläne für die Trassenführung verlinkt
2)  http://de.indymedia.org/2009/04/248626.shtml - die 10 am häufigsten gestellten Fragen. Wobei folgendes korrigiert werden muss unter 4) Hybrid - Kühlturm: Dieser soll 200 und nicht 80 Mio. € kosten. Außerdem wird die Elbe dadurch real keineswegs geschont, sondern der Kühlturm soll dann erst hinzu geschaltet werden, wenn die max. Elberwärmung gem. Auflagen erreicht wird. Dann müsste normalerweise gedrosselt werden. Der Kühlturm ermöglicht nun aber einen durchgängigen Volllast-Betrieb mit entsprechendem CO2-Ausstoß.

Video über Fahrraddemo

Ella 08.09.2009 - 15:16