Eine Auswertung no border Lesbos 09

Autonome Reisegruppe Thylla 05.09.2009 22:25 Themen: Antirassismus Weltweit
Dieser Text wurde von einigen Autonomen aus unterschiedlichen Orten in Deutschland verfasst und soll eine Anregung zur weiteren Diskussion geben.
Es ist viel von Erfolgen die Rede in den Berichten vom No Border Camp in Lesbos
2009. Wir sehen das nicht ganz so.
Schon die Entstehungsgeschichte des Camps warf einige Ungereimtheiten auf, die wir erst jetzt etwas genauer bewerten koennen. In Deutschland hatten Teile der AntiRa Zusammenhaenge geladen und die reisefreudigen Aktivist_innen aus unterschiedlichen Szenen machten sich startklar. In Griechenland war das Diktio Netzwerk (Netzwerk fuer politische und soziale Rechte) beteiligt, mobilisierte allerdings erst nur in eigenen Kreisen. Griechische Anarchistinnen hatten bis zum Dezember keine Kenntnis von den Planungen, obwohl die anarchistische Bewegung ein wichtiger Akteur in der politischen Arbeit mit MigrantInnen ist. Nur einzelne griechische Anarchist_innen wussten von dem bevorstehenden Camp, sie wurden von befreundeten deutschen Autonomen darauf hingewiesen.

Im Dezember wurden dann lokale Strukturen in Mytilini (Lesbos) eingeladen. Die wenigen AnarchistInnen auf der Insel waren sich nicht einig, ob sie sich in die Vorbereitung einbringen sollten. Einige sahen ein No Boder Camp als Chance, die politischen Aktivitaeten in Bezug auf MigrantInnen auf der Insel voranzubringen, andere lehnten es aus grundsaetzlichen politischen Gruenden komplett ab, mit Diktio zusammenzuarbeiten. Auch die anarchistischen Gruppen aus Thessaloniki und Athen entschieden sich dann aus politischen Gruenden gegen eine Zusammenarbeit mit Diktio und gegen eine Beteiligung am No Border Camp. Das ist nicht verwunderlich, denn bis auf wenige Ausnahmen gibt es keine Zusammenarbeit zwischen anarchistischen Gruppen und Diktio, besonders dann nicht, wenn eine der beiden Gruppen die anderen nur informiert statt gemeinsam vorzubereiten. Daher waren auch auf dem Camp in Lesbos keine festen anarchistischen Grupppenzusammenhaenge aus Griechenland vertreten.

Nur wenige Internationals hatten jedoch im Vorfeld die politische Entscheidung der anarchistischen Gruppen, nicht am Camp teilzunehmen, mitbekommen. Die Vorbereitungsgruppen aus Deutschland und Griechenland haben diese Tatsache nicht offen kommuniziert. Die Erwartungshaltung vieler Internationals, dass sie, wie auf anderen Grenzcamps, etc., auf viele unterschiedliche Spektren treffen, hat sich somit nur zum Teil erfuellt. Es waren autonome Gruppen und Einzelpersonen aus vielen Laendern da, aber eben nicht aus Griechenland, was zu Verwirrung und Unsicherheit fuehrte. Unserer Meinung nach haette eine Einfuehrungsveranstaltung zur griechischen Protestgeschichte einige Unklarheiten von Anfang an beseitigt. Ebenfalls haben wir eine Vorstellung der Organisator_innen des No Border Camps vermisst, denn dort waere vielen Teilnehmenden die politischen Richtungen der beteiligten Gruppen klarer geworden.

Einige AktivistInnen aus Deutschland waren sich aber vor der Anreise sehr wohl der Problematik bewusst, dass kaum Anarchistinnen aus Griechenland beim Camp dabei sein werden, sind aber trotzdem gefahren. Dies war eine bewusste politische Entscheidung, weil sich oft auf Camps eine eigene Dynamik entwickelt, und sich dann auch linksradikale Inhalte und Aktionsformen umsetzen lassen.

Das war leider nicht so. Im Verlauf der Woche hatten immer mehr TeilnehmerInnen das Gefuehl von Teilen der Campvorbereitung funktionalisiert und kontrolliert zu werden. Direkte Aktionen und eigene Inhalte wurden geblockt und mit den immer gleichen Hauptargumenten verworfen:
a) die zukuenftige politische Arbeit der lokalen AktivistInnen wuerde gefaehrdet, wenn es zu konfrontativen Aktionen auf Lesbos kommen wuerde, denn bislang haette man durch Verhandlungen mit der oertlichen Praefektur und den Menschenrechtsorganisationen vor Ort erste politische Erfolge erzielt
b) direkte Aktionen wuerden den MigrantInnen schaden, die eigentlich nur auf ihr Papier zur Weiterreise nach Athen warten
c) direkte Aktionen auf Lesbos seien der Bevoelkerung nicht vermittelbar

und ueber allem schwebte unserer Erachtes eine mehr oder weniger offene "Gefahrenanalyse", der "Black Block" wuerde Mitilini in Schutt und Asche legen.

Die Moeglichkeit, dass sich Menschenrechtspolitik und direkte Aktionen auch verbinden lassen und erganzen koennen, wurde in diesem Zusammenhang nicht gesehen.

Schon vor dem offiziellen Anreisetag zum No Border Camp zeigte sich, dass viele autonome und anarchistische Internationals teilnehmen werden. Dementsprechend gab es neben der wichtigen direkten Hilfe fuer freigelassene oder noch illegalisierte MigrantInnen auf dem Camp und am Infopunkt in Mytilini viele AktivistInnen, die verantwortungsvolle politische Zeichen anderer Art setzen wollten. Doch schnell zeigte sich bei Aktionsplena, dass die Angst vor grenzueberschreitenen Aktionen immens war und dass auch die politischen Vorstellungen ueber den Beat des Camps voellig auseinander gingen. Durchgesetzt hat sich platt gesagt eine hummanitaere Menschenrechtspoltitik mit all ihren Facetten wie Verhandlungen mit Behoerden, juristischen Spielchen. Vor diesem Hintergrund sehen wir die Angst, diese schon erarbeitete Machtposition koennte durch stoerende, nicht kontrollierbare direkte Aktionen von internationalen Autonomen und AnarchistInnen verloren gehen.

Diese Situation fuehrte von Tag zu Tag mehr dazu, dass immer mehr internationale Aktivistinnen unzufriedener wurden. Viele hatten aus internationalen Camps der vergangenen Jahre andere positive Erfahrungen gemacht und waren ueber die strikte Ablehnung jeglichen zivilen Ungehorsams oder eines blossen Farbeies enttaeuscht.

Um zu verdeutlichen wie Aktionsideen verworfen und Entscheidungen getroffen wurden, moechten wir als Beispiel die Diskussion um eine Aktionsidee am Detention-Center Pagani wiedergeben:

Nachdem sich die meisten von uns das Detention-Center angesehen haben, waren sie schockiert und wuetend. Ein ehemaliges Warenlager, in dem 1000 MigrantInnen in wenigen Raeumen a 180 Menschen eingesperrt sind. (Die urspruengliche Auslegung war fuer insgesamt 280 Leute angedacht). Die unzumutbaren Zustaende sind mittlerweile fuer alle als Video dokumentiert ( http://www.youtube.com/watch?v=lP2yT6EjBXo).

Der erste Impuls war, das ganze Ding gehoert abgewrackt, was leider nicht so einfach ist. Denn nach Gespraechen mit MigrantInnen, die im Knast waren, stellte sich heraus, dass die meisten Migrantinnen gar nicht ausbrechen wollen. Einige wuerden sicherlich den Weg in die Illegalitaet waehlen, doch eine gemeinsame Aufforderung der Migrant_innen, dass wir sie befreien sollen, gab es nicht. Vielmehr warten viele Inhaftierte auf ein Dokument zur Weiterreise nach Athen. Mit diesem Papier koennen sie zwar weiterreisen, werden aber gleichzeitig aufgefordert, Griechenland innerhalb von 30 Tagen zu verlassen. Das ist die einzige legale Moeglichkeit, die Insel zu verlassen. Durch die Drittstaatenregelung koennen MigrantInnen damit allerdings kein Asyl mehr in anderen europaeischen Laendern beantragen. Der Weg fuehrt daher entweder zum Asylverfahren in Athen (mit einer Annerkennungsquote von 0,1 Prozent) oder in die Illegalitaet. In Pagani werden regelmaessig MigrantInnen mit diesem Schein entlassen, machesmal mehrere Dutzend an einem Tag, was sicherlich damit zusammenhaengt, dass taeglich Illegalisierte von den Cops gefasst werden und nach Pagani gebracht werden.
Zudem gab es berechtigte Befuerchtungen, dass es bei einem Riot vor dem Knast auch zu Traenengaseinsatz (griechische Bullen lieben Traenengas) und unkontrollierbaren Paniksituationen innerhalb des Knastes kommen koennte. Gerade die Unberechenbarkeit eines Stuermungsversuches, die Gefahr fuer die Leute drinnen und die 200 extra eingeschifften Riot-Cops aus Athen, waren fuer uns der Anlass nach einer cleveren Aktion zu suchen.

Mit einem kleinen Kreis von Aktivistinnen haben wir dann eine Aktion entwickelt und vorgeschlagen. Als Idee sollte das Detention-Center "umgewidmet" werden in eine Art offenen Transitraum, ohne Zellengitter und Gefaegnistore, denn auf die Papiere zur Weiterreise koennen die Migrantinnen auch auf dem Hof, vor dem Hof oder sonst wo auf Lesbos warten. Die Aktion konnte nur verantwortungsvoll geschehen, indem moeglichst wenig Oeffentlichkeit und Bullen vor Ort waeren, sondern nur die sechs Sicherheitsleute, die staendig im Knast sind. Eine Ablenkungsaktion in der Stadt, die Besetzung der Praefektur und Tamtam vor der Praefektur, sollte die Bullen binden, waehrend ein "Technikteam" die Tore und Gitter in Pagani klammheimlich oeffnet. Durch die Verteilung von Flugis in der Stadt wollten wir die Bevoelkerung und TouristInnen von der Umwidmung und der Besetzung informieren und auch unsere generellen politischen Forderungen vermitteln. Natuerlich wollten wir auch per Fax unsere Forderungen an Instutionen und politisch Verantwortliche uebermitteln. Die Aktion sollte ueberraschend einen Tag vor der offen angekuendigten Demo in Pagani stattfinden.

Dieser Vorschlag wurde dann einem groesseren Teil von Delgierten praesentiert, darunter auch Menschen aus dem Vorbereitungskreis. Unser Vorschlag wurde dann in einer langen Diskussion von unterschiedlichen Gruppen (insbesondere aus den Vorbereitungskreisen) mit den oben genannten Argumenten blockiert. Stattdessen wurde entschieden, die lange vorher angekuendigte Demo nach Pagani zu machen und am Tag vorher 'ueberraschend' die Praefektur zu besetzen. Mit der Entscheidung fuer die Demo zum Knast am angekuendigten Tag wurde wissentlich in Kauf genommen, dass oertliche und Athener Bullen vor Ort sind, die nichts dagegen gehabt haetten, die Situation eskalieren zu lassen. Bei der ganzen Diskussion um unseren Vorschlag hatten wir das Gefuehl, dass uns, als internationale Autonome/Anarchist_innen und somit als vermeintlicher Black Block nicht zugetraut wurde, verantwortvoll mit Aktionen umzugehen. Vielmehr wurde immer klarer, dass einige Leute aus dem Vorbereitungskreis die Kontrolle behalten wollen. Von einigen OrganisatorInnen stand immer die Menschenrechtspolitik als die einzige Politik im Vordergrund, der Wille und die Dynamik der Campteilnehmerinnen wurde negiert und direkte Aktion strikt abgelehnt und notfalls blockiert, anstatt beide Aktionsformen gleichberechtigt und respektvoll nebeneinander laufen zu lassen. Uns ging es aber bei der Aktionsidee weder um eine 'Befreiung' noch um einen Riot, sondern schlicht darum, das Detention-Center umzuwidmen, denn es gibt keinen einzigen Grund - ausser Abschreckung und Schikane -, MigrantInnen in dermassen menschenunwuerdigen Umstaenden einzusperren. Auch ging es nie darum, Leute zu 'befreien', die lieber auf ihre Papiere warten, auch wenn sicher der ein oder andere die Moeglichkeit genutzt haette, zu gehen, aber das kann dann ja jede/jeder fuer sich entscheiden.

Von unserem Vorschlag blieb dann nur noch die Praefektur Besetzung uebrig. Die wurde zwar nicht voellig offen angekuendigt, scheiterte jedoch leider an - unserer - schlechten Vorbereitung. Auf dem anschliessenden spontanen Plenum war es dann noch nicht mal moeglich eine spontane Demo zu machen, weil dies der Bevoelkerung nicht vermittelbar sei und mal wieder Angst vor durchgeknallten Autonomen und AnarchistInnen, die Mytilini zerstoeren wollen, im Vordergrund stand.

Das ist nur ein Beispiel, das verdeutlichen soll, wie Aktionsideen auf diesem Camp geblockt wurden. Immer wieder wurden durch nicht nachvollziehbare Macht-Spielchen Ideen zerredet. Sicher gab es auch bei anderen Aktionscamps immer eine Auseinandersetzung ueber Aktionen und Inhalte, doch viele hatten das Gefuehl, in diesem Camp war der Kontrollwahn einzelner Fraktionen besonders ausgepraegt.

Die Machtstrukturen innerhalb des Camps waren leider fuer fast alle zu undurchsichtig. Wir haben uns viel zu lange an diesen Diskussionen abgearbeitet, statt uns selbst zu organisieren. Das verbinden wir auch mit einer Kritik an den wenigen oertlichen AnarchistInnen, die sich an der Campvorbereitung beteiligt haben. Diese haben sich nicht eindeutig positioniert und teilweise, als Teil der Mytilini-Vorbereitungsgruppe, die Blockadehaltung mitgetragen. Wie erst spaeter klar wurde, hatten sie nicht damit gerechnet, dass so viele autonome/anarchistische Internationals teilnehmen werden, die mehr wollten als einen rein humanitaeren Ansatz. Auch fuer die oertlichen AnarchistInnen war es schwierig herauszufinden, wer wer ist und wer was will. So haben wir erst am Ende gemeinsam festgestellt, dass es ein autonomes/ anarchistisches Plenum haette geben muessen. Hierzu hatte es zwar bereits zu Beginn einen Aufruf gegeben, zu dem Zeitpunkt hatten die meisten von uns jedoch noch die Einschaetzung, dass die Dynamik des Camps nicht so blockiert werden wuerde.

Auch deutsche AntiRa-Aktivistinnen haben zu einigen Tiefpunkten des Camps ordentlich beigetragen. Nach einer Demonstration in Mytilini hatten einige AktivistInnen Farbeier vorbereitet. Ziel sollte die Fassade eines Gebaeudes am Hafen sein, in dem sich ein Frontexbuero befindet und auch die Hafenbullen ihre Bueros haben. Die Demo endete ca. 100 Meter vor dem Gebaeude, offensichlich wollte eine Gruppe von Leuten mit einem Transpi weiter in Richtung des Gebaeudes und versuchte Leute mitzuziehen. Einer aus der deutschen Vorbereitungsgruppe stellte sich konfrontativ vor die Gruppe und drohte Pruegel an, wenn hier andere Aktionen durchgefuehrt wuerden, denn es gaebe ja einen Konsens auf dem Camp, dass nichts konfrontatives passieren duerfe. Spannend auch die Einschaetzung der griechischen Anarchistinnen aus dem Camp, die meinten, selbst bei einem Farbei-Wurf wuerde die Situation von den Athner Fascho-Bullen eskaliert werden, wir Internationals sind nicht auf Kaempfe mit Ather/Riot/Cops eingestellt, daher lehnten sie die Aktion ab.

Den Vogel haben allerdings die griechischen AnarchistInnen abgeschossen, die sich bis dahin aus politischen Gruenden nicht beteiligt hatten. Die tauchten naemlich mit 50 vermummten und bewaffneten Leuten inklusive Fronttranspi und griechischen Parolen just zu dem Zeitpunkt auf, als sich mehrere Internationals der Farbeigruppe anschliessen wollten. Die hatten allerdings ihr eigenes Ding geplant, aber niemanden vorher ueber ihre Ziele was gesagt. Ca. 300 Leute haben sich dann dem kraftvollen Auftritt der griechischen AnarchistInnen angeschlossen, ohne zu wissen wohin es ging und mit welchem Ziel. Nach endlosem Gelatsche durch stockfinstere Mytilini-Gassen, stellte sich raus, dass wir auf dem Weg zu einem traditionellen griechischen Konzert sind, dort einige Leute auf die Buehne wollten, ein Transpi hochhalten und politische Forderungen gegen die unsaegliche griechische Migrationspolitik verlesen wollten. Keine schlechte Aktion, aber auch hier hat sich gezeigt, dass die Kommunikation untereinander gleich null war.

Und was ist sonst noch so passiert?

Wichtig und gut war der Infopunkt mitten in Mytilini. Dieser war nicht geplant, wurde dann aber spontan aufgebaut und hat die fatale Migrationspolitik im Ort sichtbar gemacht. Erst kritisch von Einheimischen beaeugt, sind von Tag zu Tag mehr Leute aus Mytilini und Umgebung gekommen, haben Essen gebracht oder ihre Hauszelte zur Verfuegung gestellt. Hier gab es Flyer und Infos und hier wurde ganz praktisch Illegalisierten geholfen. Als positives Beispiel sehen wir die Hilfe fuer eine afghanische Grossfamilie, die nicht nach Pagani geschickt wurde, sondern sofort auf den offenen Campplatz beim Flughafen auf ihr Weiterreise-Papier warten durfte. Mit vielen Tipps und Tricks konnte einzelnen MigrantInnen geholfen werden und durch den permanenten politischen Druck ging auch die Ausstellung der Weiterreisepapiere zeitweise etwas schneller. Allerdings hat sich fuer Viele der poltitische Aktionismus rein auf den Infopunkt beschraenkt, was bei vielen mit Ueberforderung und Erschoepfung einher ging. Alle Energie und Dynamik ging in die direkte Hilfe, fuer mehr blieb kaum noch Zeit.

Auch auf dem Camp entwickelte sich nach und nach eine Dynamik, die unserer Meinung nach fatal war. Durch die Zusammenarbeit mit den lokalen SozialarbeiterInnen im Knast, den Menschenrechtsanwaelten und den Leuten aus unterschiedlichen NGOs, nahm der Anteil der Menschrechtsarbeit immer weiter zu und politische Forderungen und Zusammenhaenge wurden immer weiter vernachlaessigt. So wurde das Ausreisepapier und die Anzahl von freigelassenen MigrantInnen aus Pagani zum einzigen politischen Schwerpunkt. Taeglich wurden Erfolgsmeldungen berichtet wieviele Menschen rausgelassen wurden, ohne die Anzahl den regelmaessigen Entlassungszahlen gegenueber zu stellen, ohne zu skandalisieren, dass das Ausreisepapier fuer die 140 Leute, die am Samstag entlassen wurden, schon am 21. August ausgestellt wurde, also schon eine Woche vor der Entlassung aus Pagani. Welche Dynamik eine so einseitig, also auf Verhandlungungen und juristisch ausgerichtete Politik, haben kann, hat sich am Samstag vor und im Detention-Center gezeigt. Hier wurden die Ansaetze der MigrantInnen selbst blockiert.

Am Samstagmorgen hatten die Leute in Pagani so lange rebelliert, dass die Tore zum ersten Mal geoeffnet wurden und sie sich frei auf dem Innenhof des Detention-Centers bewegen konnten. Einige Leute vom Camp sind nach Pagani gefahren, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Vor Ort stellte sich raus, dass wegen der Frontex-Aktion im Hafen nur die ueblichen Bullen im Knast sind und die Situation als gut eingeschaetzt wurde, wenn mehr Leute zur Unterstuetzung kommen wuerden. Dies wurde aber durch Leute auf dem Camp verhindert, die immer wieder betonten, in Pagani waere alles ok, mensch brauche da nicht hinfahren. Wahrscheinlich wieder mit der Angst, die Situation koennte nicht mehr kontrollierbar sein. Also sind die meisten in den Hafen gefahren um bei der hervorragenden Bootaktion mitzumachen.

Vor Ort in Pagani nahm die Situation waerenddessen groteske Zuege an. Eine Frau, die im Knast arbeitet (wir wissen nicht ob NGO, Anwaeltin oder sonst was) hat die MigrantInnen aufgefordert wieder zurueck in den Zellen zu gehen, da sie fuer 140 Leute Ausreisepapiere (die schon eine Woche zuvor ausgestellt worden waren) haette. Auf unsere Frage, warum das nicht im Hof geschehen konnte, sagte sie, die Situation waere zu unuebersichtlich und drinnen in den Zellen koennten die Namen besser verlesen werden. Unsere Proteste haben nicht viel genuetzt, die Leute sind unter diesem Druck dann wieder "freiwillig" in die ueberfuellten Raeume gegangen. Durch einen gluecklichen Zufall sind eine Stunde spaeter circa 50 AktivistInnen auf den Seitenhof des Gelaendes gekommen, einige setzten sich, andere fingen an mit den Leuten in den Zellen zu sprechen und wieder andere versuchten das offene Eingangstor unbrauchbar zu machen. Die wenigen Sicherheitsleute waren ueberfordert, ihre Athener Verstaerkung hatte allerdings im Hafen zu tun... ideale Vorraussetzungen... bis, ja bis mal wieder die MenschenrechtsaktivistInnen weitergehende Aktionen zunichte machten. Einer von ihnen hatte im Alleingang und ohne Absprache mit irgendwem, den Bullen die Zusage gemacht, wir gehen, dafuer greifen uns die Bullen nicht an. Als Druckmittel gegenueber uns sagte er, wenn wir nicht gingen, wuerden die restlichen Frauen und Kinder nicht entlassen. In bester Bullen-Manier hat er als eifriger Hilfspolizist diese Aktion sabotiert. Kurz gesagt, die Zusammenarbeit von SozialarbeiterInnen, NGOs und Teilen der Campvorbereitung haben jede noch so kleine Aktion im Keim erstickt. Hingegen wurde jede - zum Teil eh geplante - Entlassung zum politischen Erfolg gekroent.

Zusammenhaenge konnten auch an anderer Stelle nicht hergestellt werden. Nach einer spontanen kurzen Blockade einer Militaerparade, die in Mitilini jeden Sonntag stattfindet, hagelte es Kritik. In Griechenland gibt es leider auch unter Linksradikalen wenig bis keine Auseinandersetzung ueber das Militaer. (In weiten Teilen der Bevoelkerung noch viel weniger. Die Militaerparade am zweiten Sonntag des Camps wurde nicht nur von riot-cops begleitet, sondern auch von einem nationalistischen Block unter ihnen einige bekannte Faschisten, der mit Unterstuetzung der Bullen den Infopunkt in der Stadt verbal angriff.) Auch die Teilnahme des griechischen Militaers am Krieg in Afghanistan wird nicht thematisiert. Zusammenhaenge, also beispielsweise Fluchtursachen wie Krieg und Vertreibung wurden nicht gesehen bzw. ignoriert. So wurde auch von vielen im Camp diese spontane Aktion kritisiert, weil sie konfrontativ und damit unnoetig war. Auch hier wurde die Chance verpasst, sich politisch auseinanderzusetzen. Stattdessen ging es in diesem Camp immer nur darum, die illegale Praxis der Internierung abzuschaffen und die Verhandlungsposition der oertlichen SozialarbeiterInnen zu staerken.

Trotz unserer grundsaetzlichen Kritik gab es unserer Meinung nach auch einige wenige gelungene Aktionen, wie die Hafenblockade mit Booten oder die Dachbesetzung am letzten Camptag. Da diese gut dokumentiert sind, wollen wir hier jedoch nicht weiter darauf eingehen, denn jede und jeder kann sich die Berichte dazu ja selber anschauen. Diesen Bericht geben wir in erster Linie, weil die bisherigen Darstellungen und Nachrichten aus Lesbos ueberwiegend als Erfolgsmeldungen daherkommen. Das sehen wir nicht so. Wir sehen uns keineswegs in der Rolle, die Hilfspolizei zur Durchsetzung der Genfer Konvention zu spielen und als Spielball der oertlichen Sozialarbeit eingesetzt zu werden. Wir kritisieren nachdruecklich die Machtpolitik einzelner Vorbereitungsgruppen, die Dynamik des Camps und direkte Aktionen zu blockieren. Und natuerlich wuenschen wir uns eine solidarische Diskussion ueber unsere Kritik.

Am Ende senden wir soidarische Gruesse an die GenossInnen aus Rotterdamm, weiter so!




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Ergänzungen

Noch mehr Kritik

muss ausgefüllt werden 06.09.2009 - 09:57
Das Noborder Camp auf Lesbos aus anarchistischer Sicht.  https://at.indymedia.org/node/15494

pagani wird nicht so schnell geschlossen werden....  https://at.indymedia.org/node/15518


Angemerkt sei, dass sich die Kritiken in einzelnen Punkten widersprechen, was wohl damit zu tun hat, dass der Informationsfluss unter den verschiedenen Gruppen bis zuletzt nicht funktionierte.

Interessanter Bericht

Anarchist 06.09.2009 - 10:11
Danke für den sehr informativen Hintergrundbericht.

Fakten, die mir bisher leider vorenthalten wurden.

Schade über die genauen Hintergründe und Aktionsideen erst jetzt hier, viel zu spät auf Indymedia erfahren zu müssen. Wobei ich hier zwischen rein symbolischen und meiner Meinung nach eher überflüssigen Farbbeutelaktionen und einer konkreten Verbesserung der Lebensbedingungen in Pagani bewusst unterscheiden möchte.

Warum wurde dann, wo ihr doch untereinander vernetzt seit, von euch kein anarchistisches bzw. autonomes Plenum initiiert als Grundvorrausetzung von gemeinsamen Aktionen? Es war doch früh klar, dass es keine basisdemokratische Organisationststruktur gab. Ist es dann nicht ein Fehler sich den Hierarchien unterzuordnen? Am Infobrett hing die ganze Zeit der Aufruf für solche eine Versammlung.

Vieles wäre möglich gewesen auf Lesbos, tatsächlich auch in Zusammenarbeit mit lokalen (griechischen) AnarchistInnen. Hier verbesserte sich Kontakte zum Ende hin. Diese haben sicherlich nicht "den Vogel abgeschossen" mit ihrer eher langweiligen Latschdemo zu einem bürgerlichen Konzert. Diesen Schützenpreis gestehe ich anderen Gruppierungen und Individuen zu z.B. No-Violence Aktivisten, die Mitdemonstrierenden Schläge androhen.

Schön aber das Bild, dass die Internationlen die ganze Zeit in großer Erwartungshaltung den zum Selbstschutz bewaffneten AnarchisInnen, wie eine Schafsherde, hinterhertrotten. Ohne zu wissen, wohin die Reise geht.

Dieses Bild einer passiven Teilnahme passt sehr gut zu den Eindrücken, die ich beim diesjährigen No-Border-Camp gewonnen habe.

No Border Proteste auf Lesbos

antifa.sozialbetrug 06.09.2009 - 13:01

frage

frager_in 06.09.2009 - 13:24
und wo waren migrant_innen- und illegalisierten-selbstorganisationen in der vorbereitung?
wurden diese wie so oft vergessen, übersehen, übergangen?

hier ein artikel von »The Voice«-Sprecher Osaren Igbinoba über die zusammenarbeit mit antirassistischen Gruppen:

 http://thecaravan.org/node/2115

Englisch!!!!

Informationsfluss???? 06.09.2009 - 18:00
Wenn hier wirklich der anspruch da ist, das ganze ernsthaft zu diskutieren sollten die verfasser_innen des artikels, diesem moeglichst schon am tag der veroeffentlichung auf englisch posten. Ausserdem ist es unverzichtbar auf der griechischen indy seite, einen hinweiss zu posten dass dieser artikel existiert.

Fragen im Vorfeld ignoriert

ergänzung 06.09.2009 - 21:08
Bereits im Vorfeld zum Noborder-Camp wurden einige Fragen bezüglich der Organisierung,
des Verhältnisses zwischen AnarchistInnen und Nicht-ANARCHISTiNNEN VON
"EINIGEN AUTONOMEN UND aNARCHISTiNNEN" gestellt. Diese Fragen wurden sowohl auf auf dem Buko-Kongreß im Frühjahr 2009 als auch auf einem Vorbereitsungstreffen zum NOBORDER-Camp in Hamburg angesprochen.
Auch intern war dies über email -listen bekannt. Doch leider gab es bis auf zwei Antworten von Einzelpersonen keine nennenswerten Debatten und Diskussionen darüber. Es wurde zwar zur Kenntnis genommen aber im Grunde genommen wurden die Bedenken und Fragen vonden OrganisatorInnne weitgehends ignoriert. Insofern bestätigt der obige Bericht die Notwendgkeit, sich den aufgeworfenenen Fragen zu stellen.

Die folgenden Fragen wurden bereits im Mai 2009 von einigen AktivistInnen verfasst.


Einiger Fragen – zum Noborder - Camp in Lesvos im August 2009

Wir begrüßen ausdrücklich die Initiative, ein No-Border Camp auf der Insel Lesbos (Greece) vom 25.-31.August 2009 gegen die rassistische EU-Abschottungspolitik zu organisieren. Wir selbst begreifen uns als AnarchistInnen und Autonome, die in Erwägung ziehen, nach Lesbos zu fahren und Anarchistinnen, Autonome, wesentliche Träger der Revolte in Griechenland, sind demzufolge logischerweise auch unsere ersten politischen Bezugspunkte dort.
Unklar erscheint uns zur Zeit jedoch die Frage, inwieweit griech. Anarchistinnen an der Vorbereitung beteiligt sind und in welchem Ausmaße sie an dem Camp überhaupt teilnehmen werden. Für uns wäre die Teilnahme griech. Anarchistinnen schon sehr wichtig, nicht nur weil sie unser eigener Bezugspunkt sind, sondern auch, weil sei auch ein wichtiger Faktor anti-rassistischer Kämpfe, Konflikte und Auseinandersetzungen sind. Beginnend mit der hauptsächlich von AnarchistInnen organisierten Demo (4000 Leute) zu Migration während des EU-Gipfels in Thessaloniki 2003 zählen insbesondere nach/in der Revolte die Mobilisierungen und Aktionen gegen Oikomet und ISAP (Fall Kouneva), die Besetzung des UNO-Büros für Flüchtlinge 2009, die Schaffung eines gemeinsamen Plenums von AnarchistInnen und Refugees sowie Mobilisierungen zur Ausländerbehörde in Petrou Ralli (Athen) usw. dazu. Interessanterweise gab es von Anarchistinnen selbst vor 1,5 Jahren die Idee, ein No-Border in Lesvos zu organisieren.
Nicht unbedeutend sind allerdings die Grundvorraussetzungen der Zusammenarbeit zwischen einerseits den sog. „Lefties“ (wie z.B. Diktio, die eng verwoben mit dem parlamentarischen Linksbündnis Syriza und in der Camp-Orga sind) und andererseits den AnarchistInnen. Grundsätzlich, und das ist anders als in der BRD, wird bis auf wenige Ausnahmen nicht bzw. kaum zuammengearbeitet. Die Trennung ist strikter, die Übergänge weniger fließend als in der BRD - die Bündnispolitik ist aus sehr vielen unterschiedliechen Gründen sehr anders als hier in der BRD. Das es manchmal allerdings gemeinsame Aktionen gibt, wie auf Demos oder auch z.B. die Besetzung der Athener ISAP-Zentrale im Dezember 2008, widerspricht nicht der grundsätzlichen Problematik der Bündnispolitik. Wohlwissend um diese Schwierigkeit stellen sich deshalb für uns einige ganz generelle Fragen.

1. Gab es einen gemeinsamen Prozeß der Planung und war das so auch angestrebt ? (mit den AnarchistInnen von Anfang an und gemeinsam und wenn nicht) – warum nicht ? Was sind evt. Bewegunggründe ? Gibt es noch einen offenen Prozeß ?
2. Ist denn ein gemeinsames Camp ihrer Einschätzung nach überhaupt möglich oder eher nicht und was könnten denn die Vorraussetzungen oder Absprachen dafür sein ?
3. War den Organisatorinnen bewußt, daß es aus dem anarchistischen Spektrum vor 1,5 Jahren auch die Idee gab, dort in Mitilini ein Noborder zu veranstalten ? Sind diese Gruppen von Anfang an miteingeladen und einbezogen worden ?
4. Ist den OrganisatorInnen, insbesondere den nicht-griechischen, die Problematik der Bündnispolitik, bewußt ?
5. Was bedeutet unter Umständen keine Teilnahme von griech. AnarchistInnen, die ein wichtiger Träger der Revolte und antirassistischer Kämpfe sind, und das in einer Situation, in der es in Griechenland eine starke Bewegung gibt ?
6. Mit welchen Ziel und Zweck wird dann in anderen Ländern auch – nicht explizit, aber auch - das autonome auch anarchistische Spektrum dort eingeladen ? Was könnte dies u.U. auch für die Politik und Aktionsformen bedeuten ?
7. Ist den OrganisatorInnen dann auch bewußt, daß die Zusammensetzung eines Grenzcamps in der BRD sich unter Umständen von dem in Lesbos unterscheiden könnte ? Was heißt das für das Camp ?
8. Wie wird ungefähr das Verhältnis griech- nicht griech. Teilnehmerinnen sein ?? Wie läuft die Mobilisierung in Greece ?

Wir hoffen, es fühlt sich niemand auf den Schlips getreten. Es geht es uns in erster Linie darum zu begreifen, warum evt. eine größe Gruppe, die unserer Meinung keinen unwichtigen Faktor in den derzeitigen Konflikten und Auseinandersetzungen in Greece spielt, evt. nicht teilnehmen wird. Auch geht es darum zu verstehen und transparent zu machen, daß Bündnispolitik in Greece aus ganz vielen unterschiedlichen scheinbar Gründen ganz anders funktioniert als in der BRD. Daran schließt sich dann die Frage an, was das konkret bedeutet und wie bzw. ob eine gemeinsames Camp in diesem Kontext noch vorstellbar erscheint ?? Für eine offene, angeregte und solidarische Diskussion.

AnarchistInnen und Autonome

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