Berlin - 4. Prozesstag gegen Christian P.

Roland Ionas Bialke 27.08.2009 18:57 Themen: Repression
Gestern, am 26. August 2009, fand im Berliner Amtsgericht Tiergarten der vierte Prozesstag gegen Christian P. statt. Christian wurde in der Nacht zum 2. Mai 2009 von Bundespolizisten in Berlin-Kreuzberg festgenommen, weil zwei verdeckte Ermittler vom LKA 6 (Abteilung des Berliner Landeskriminalamts für operative Dienste) ihn zuvor beobachtet haben wollen, wie er Flaschen auf Polizisten warf. Gestern sagten zwei Bundespolizisten aus, die die Festnahme beobachteten bzw. für "Folgemassnahmen" zuständig waren.
Überraschenderweise beobachtete diesmal kein Polizist und keine Polizistin den Prozess. In den vergangenen drei Prozesstagen beobachteten nämlich bis zu 18 PolizistInnen in ziviler Kleidung bzw. am ersten und zweitens Prozesstag noch teilweise in Uniform den Prozess. Während des Prozesses stellte sich heraus, dass die meisten dieser "zivilen BeobachterInnen" die KollegInnen der beiden ehemaligen LKAler waren. Ehemalig, weil die beiden zwischenzeitlich vom beliebten LKA-Dienst zu einer Direktionshundertschaft versetzt wurden. Faktisch eine Degradierung.

Doch der Prozess sollte gestern noch mehr Überraschungen bereithalten. So stellte sich heraus, dass der Zeuge Polizeimeister Jan Müller, der gestern aussagte, den Prozess an mindestens einen der vorigen Prozesstage als Zuschauer beobachtete. Eine weitere Überraschung: Die vorsitzende Richterin verliess während der laufenden Verhandlung plötzlich den Gerichtssaal ohne die Hauptverhandlung zu unterbrechen. Aber alles der Reihe nach:

"Ich versuche Leute vorzuschicken."

Der erste Zeuge war der Polizeihauptmeister Uwe Stahnke (33) aus Bad Doberan. Er war der Truppführer der Bundespolizei-Einheit die Christian festnahm. Stahnke sagte aus, dass er die Festnahme nicht direkt gesehen hat, da er als Truppführer sich aus solchen Situationen raushält um nicht gebunden zu werden. Er sicherte nur kurzzeitig die Festnahme und kurz vorher sei er ganz hinten gelaufen und etwa 10 andere BundespolizistInnen wären vor ihm gewesen. Stahnke meinte, dass er als Truppführer seinen Trupp koordinieren musste und vom Hundertschaftsführer EPHK Ritter den Auftrag erhalten hatte eine Person zu finden und zum Bearbeitungsfahrzeug zu bringen. Von Ritter erhielt er auch die Personenbeschreibung (Sportsachen, 1,70 m gross, dunkle Haare), sagte Stahnke aus. Doch das war nicht ganz richtig, denn daraufhin wurde Stahnke von der Richterin nach den "Zivilpolizisten" gefragt, die Christian für die Festnahme "markiert" hätten. Daraufhin versuchte sich Stahnke herauszureden indem er meinte, dass seine fehlende Aussagegenehmigung das Beantworten der Frage nicht erlaubt. Christian erkannte er im Gerichtssaal nicht wieder. Jedoch will er sich an eine Freundin von Christian erinnert haben, die nach Christian nach der Festnahmesituation am Bearbeitungsfahrzeug fragte. Stanhnke meinte, dass sie am ersten Prozesstag als Prozessbeobachterin anwesend war.

Am 1. Mai 2009 und in der Nacht zum 2. Mai 2009 war Stahnke mit einer Gruppe von etwa 40 uniformierten BundespolizistInnen unterwegs. Er war derjehnige der "am Funkgerät erreichbar sein" musste und koordinierte die Massnahmen. So bemerkte er gestern, dass beispielsweise die beiden Festnehmenden Polizisten nicht zum selben Trupp gehörten. Auf weitere Nachfrage sagte Stahnke schliesslich: "Ich wusste, dass da Zivile eingesetzt sind und wir mit denen zusammenarbeiten." Und auch, dass Stahnke trotz Panzerung, die er detailiert beschrieb, Angst hatte, berichtete er. "Wir wurden ständig aus der Entfernung heraus mit Flaschen, Steinen und Farbbeuteln beworfen." Er gab auch etwas über seinen "Zustand an, als er gefragt wurde, ob Plastikflaschen oder Glasflaschen geworfen wurden: "Bei den Adrenalinspiegel würde ich Plastikflaschen garnicht merken. Aber Glasflaschen merkt man, da sie zu Boden fallen, splittern, und das geht bis zum Visier."

Falsche Kurzberichte und verschwundene Videoaufzeichnung

Auf dem Durchsuchungsprotokoll tauchte auch Stahnkes Name auf. Doch der wollte nun plötzlich nichts mit Christians Durchsuchung zu tun haben. Und auch an die Kleidung, die in diesem Fall wichtig ist, konnte sich Stahnke nicht erinnern. Dann wurde Stahnke nach der Videoaufzeichnung der Festnahme gefragt. "Fast jede Massnahme die Wir treffen wird gefilmt. Um Uns abzusichern!", antwortet Stahnke. "Aber einige Kameras sind auch kaputt gegangen", fügte er hinzu, nachdem er auf das verschwundene Video angesprochen wurde. "Wir haben nach Filmmaterial zur Festnahme gefragt, das gab es aber nicht." Komisch wurde es als Stahnke über den diesjährigen Berliner 1. Mai behauptete: "Die letzten Jahre war weniger los, als dieses Jahr. So 2001 war war weniger los. Es war dieses Jahr mehr geschlossen, nicht so vereinzelt." Darum hätte er auch immer eine sichere Seite gesucht, also darum oft im Rücken eine Wand gewollt.

Erst Prozessbeobachter, dann Zeuge

Als zweiter Zeuge an diesem Tag wurde anschliessend der Bundespolizist PM Jan Müller (30) aus Berlin befragt. Müller sass im Bearbeitungsfahrzeug und war nicht direkt an der Festnahme Christians beteiligt. Er sei nur in seiner Hundertschaft für Folgemassnahmen zuständig, so Müller. Er sagte, dass er von Stahnke zuerst mitgeteilt bekam, was Christian getan haben soll. Daraufhin wurde Stahnke, der nach seiner Vernehmung auf der ZuschauerInnenbank platz nehmen durfte, wieder rausgebeten um nochmals vernommen zu werden. (Stahnke hatte nämlich zuvor ausgesagt, dass er in dieser Nacht nicht wusste, was Christian genau worgeworfen wurde.)

Als die Richterin nach den "Zivilbeamten" fragte, berief sich Müller auch auf seine ihm vorliegende eingeschränkte Aussagegenehmigung. Er dürfe zu (Einsatz-)Taktik nichts sagen. Darauf meinte die Richterin nur "ok", und bewies einmal mehr, dass sie sich von der Polizei die Karten aus der Hand nehmen liess. Christians Rechtsanwältin blieb aber hartnäckig und so musste Müller später mit seinem Vorgesetzten telefonieren. Zuvor fragte die Richterin aber nach dem Video von Christians Festnahme. Müller meinte nur: "Wir haben ihn abgefilmt, dass der Festgenommene nicht verletzt ist. Die EG-Video übernahm die Auswertung" (Die EG-Video ist eine Berliner "Spezialeinheit", die die Videoaufnahmen der Hundertschaften und Fernsehvideos zu den jeweiligen Ereignissen auswertet und "zurechtschneidet".)

Müller wurde nun gefragt, ob er nicht schon an den vorigen Prozesstagen den Prozess als Zuschauer beobachtet hätte. Daraufhin gab er zu, dass er am 1. Prozesstag den Prozess beobachtet hätte. "Da wo der Befangenheitsantrag gestellt wurde.", relativierte er seine Aussage, denn er beobachtete tatsächlich am 2. Prozesstag den Prozess. Mit seiner Notlüge wollte Müller nämlich vermeiden zuzugeben, dass er etwas von der Beweisaufnahme mitgekriegt hatte. Müller gab zu erst in der Turmstrasse diesen Prozess und dann in der Kirchstrasse einen anderen Prozess beobachtet zu haben. Der andere für ihn interessante Prozess fand aber nicht, wie er behauptete, am 1. Prozesstag statt. (Den anderen Prozess habe ich nämlich auch beobachtet - und das war am 2. Prozesstag.) Er meinte, dass er die Prozesse aus Eigeninitiative beobachten würde, wegen der "Aus- und Fortbildung". Er wusste, dass er als Zeuge für den Prozess geladen werden konnte, am 1. Prozesstag war er noch nicht geladen, gab das aber nicht zu. "Drei Kollegen in zivil" haben nach seiner Aussage ebenfalls den Prozess beobachtet und er bekam auch mit, dass weiter PolizistInnen in ziviler Kleidung den Prozess beobachteten. (15 weitere, um genau zu sein.) Nun wurde Stahnke wieder reingelassen und er relativierte seine Aussage. Nun hätte er doch etwas vom Tatgeschehen mitbekommen, seine Kollegen hätte ihn mitgeteilt was Christian gemacht haben soll und er habe das dann weitergegeben.

Eine längere Pause wurde gemacht, Staatsanwalt, Rechtsanwältin, Richterin und die beiden Schöffinnen diskutierten wahrscheinlich im Saal ohne ZuschauerInnen über die Aussagegenehmigung. Letztendlich konnte Christians Anwältin aushandeln, dass Müller fünf Fragen aufgeschrieben wurden und er ins Hinterzimmmer gehen musste, um die Fragen mit seinen Vorgesetzten telefonisch abzusprechen. Sein Vorgesetzter war Polizeidirektor Schenk aus der "Bundespolizeiabteilung Blumberg". Ich hielt das erst aus zweierlei Gründen für einen Scherz, aber tatsächlich gibt es diese Abteilung und Müllers Abteilung (er lebt in Berlin) liegt in Baden.

Ohne Richterin verhandelt

Bevor Müllers Vorgesetzter telefonisch erreicht werden konnte, wurde aber Stahnke weiter von Christians Anwältin befragt. Draussen wartete Müller auf sein Telefonat mit dem Vorgesetzten. Das Telefon befindet sich in einem Raum hinter der Richterin ausserhalb des Gerichtssaals. Während die Rechtsanwältin eine Frage an Stahnke stellte, spring ganz plötzlich die vorsitzende Richterin auf und verlässt den Saal in dem noch verhandelt wird. Es wird kurzzeitig ohne die vorsitzende Richterin verhandelt. Die ZuschauerInnen im Saal wundern sich.

Eigentlich kein Drama, Wir brauchen keine RichterInnen. In § 338 Nr. 5 StPO heisst es jedoch "wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat", dann ist das Gesetz verletzt. Beruht das Urteil aber auf eine Verletztung des Gesetzes, dann kann die Revision darauf gestützt werden. (§ 337 StPO)

Als Stahnke dann wieder gehen durfte und Müller mit dem Telefonieren im Hinterzimmer fertig war, durfte er drei der fünf Fragen nicht beantworten. Die beiden beantworteten Fragen bezogen sich nur darauf, dass er mit den beiden verdeckten Ermittlern (die Christian markiert hatten) nach der Festnahme gesprochen hatte. Zudem merkte er an, dass er in seinen Kurzbericht nicht von seinen eigenen Erfahrungen geschrieben hatte. Er nahm das was die verdeckten Ermittler gesehen hatten und hat das dann in seinem Bericht "addiert". Auch die Festnahmezeiten im Bericht waren nicht von ihm sondern hatte er von seiner Befehlsstelle - "das ist der Hundertschaftsführer und sein Gefolge", der Kontakt zur Landespolizei hatte -und übernahm diese nur.

Die nächten Prozesstage gegen Christian P.:

7. September 2009 - 14 Uhr 30 im Raum 862
9. September 2009 - 13 Uhr 15 im Raum 862

Das Kriminalgericht Berlin (Amtsgericht) erreicht Ihr mit dem Bus 187, mit der U9 (U-Bahnhof Turmstrasse) oder mit der S7 (S-Bahnhof Bellevue). Am Besten Ihr nehmt den Eingang Turmstrasse (Haupteingang). Kommt zahlreich und unterstützt Christian!

 http://antiknastabend.blogsport.de/1-mai-2009/Christian
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Ergänzungen

Weitere Prozessberichte

Roland der Vergessliche 27.08.2009 - 19:11
Hintergünde:

 http://de.indymedia.org/2009/07/256578.shtml - Prozess gegen einen Gefangenen des 1. Mai 09

1. Prozesstag:

 http://de.indymedia.org/2009/07/257189.shtml - 1. Mai-Prozess gegen Italiener in Berlin

2. Prozesstag:

Dazu gibt es auch einen kurzen Indymedia-Artikel, den ich aber leider nicht finde. Inhaltlich bezog er sich auf die 18 PolizistInnen die in ziviler Kleidung den Prozess beobachteten und UnterstützerInnen Christians vorm Gerichtssaal bedrängten.

3. Prozesstag:

 http://de.indymedia.org/2009/08/258849.shtml - Lügenmärchen im Prozess gegen Christian P.

Weiterer 1. Mai-Prozess wegen "Mordversuch"

Roland Ionas Bialke 29.08.2009 - 19:49
Ein weiterer Prozess wegen "Mordversuch" am 1. Mai 2009 findet diesen Dienstag statt. Einen Jugendlichen und einen jungen Erwachsenen wird vorgeworfen, am 1. Mai 2009 einen Brandsatz auf PolizistInnen geworfen zu haben. Dabei soll eine Frau verletzt worden sein.

1. September 2009 - 9 Uhr - Landgericht Berlin (U9 Turmstrasse, S7 Bellevue)

Der genau Gerichtssaal ist mir nicht bekannt, allerdings müsste sehr viel Presse unterwegs sein. Also kommt einfach 15 Minuten früher und schaut wo die ganzen Leute hingehen.

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