Lügenmärchen im Prozess gegen Christian P.

Roland Ionas Bialke 23.08.2009 12:47 Themen: Repression
Im Berliner Amtsgericht findet seit einigen Tagen der Prozess gegen Christian P. statt. Christian, der aus Rom kommt und nur italienisch spricht, wurde am 1. Mai 2009 festgenommen, weil er am selben Tag angeblich Flaschen auf Polizisten geworfen hat. Zeugen der angeblichen Tat sind zwei Polizisten des Berliner LKA 6 (Abteilung für Operative Dienste), die am 1. Mai in ziviler Kleidung unterwegs waren und inzwischen degradiert wurden.
1. Mai 2009 in Berlin - Es ist schon dunkel geworden. Dort wo das MyFest stattfand brennen nun vereinzelt Maifeuer. Aus einem Hinterhof am Kottbusser Tor rennen etwa 20 gepanzerte PolizistInnen. Sie wollen aus der Dunkelheit heraus Menschen greifen, die am Feuer auf der Strasse stehen und feiern. Auch im Bereich Adalbertstrasse / Oranienstrasse ergreifen gepanzerte Berliner PolizistInnen mit der Rückennummer 14 feiernde Personen. PolizistInnen mit der Rückennummer 1412 (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der 4. Einsatzhundertschaft der 1. Bereitschaftspolizeiabteilung) stürzen sich auf eine Person und versprühen Pfefferspray. Die festgenommene Person verletzt sich an den auf dem Boden liegenden Glasscherben. Doch anstatt die verwundete festgenommene Person geordnet zu einem Krankenwagen zu bringen, umzingeln die martialisch aussehenden PolizistInnen die Person, würgen sie und schlagen mit Protektorenhandschuhe auf die fixierte Person ein. Umstehende Personen wollen mit Worten die PolizistInnen besänftigen, doch diese lassen nicht von ihrem Opfer ab und schlagen weiter.

Die Situation ist hier auf Video dokumentiert:  http://www.youtube.com/watch?v=qpcFj2erIgo

Zur selben Zeit sind in der unmittelbaren Nähe PolizistInnen des Berliner LKA 6 als verdeckte ErmittlerInnen (in ziviler Kleidung, nicht als PolizistInnen zu erkennen) unterwegs. Zwei von ihnen sind der 32-jährige Sven Ströbele und der 34-jährige Maik Berg. Ströbele will schon vorher eine Person bemerkt haben, die Flaschen geworfen haben soll. Doch nun will auch sein Partner Berg gesehen haben wie die selbe Person Flaschen auf die "14. Ehu" wirft. Die beiden sind "angepasst gekleidet" und stehen an diesem Tag oft nur eine Armlänge neben Personen die Flaschen oder Steine auf behelmte und gepanzerte PolizistInnen werfen. Die beiden gehen der ausgesuchten Person hinterher und kommunizieren mit einer uniformierten Festnahmeeinheit der Bundespolizei. Als der Hundertschaftsführer Ritter den Festnahmeauftrag erteilt, nehmen die uniformierten BundespolizistInnen Christian P. fest und zerren ihn 5 Minuten lang zu einem Bearbeitungsfahrzeug. Erst dort will der festnehmende Beamte Mike Fröhlich (33, Bundespolizist aus Blankensee) bemerkt haben, dass Christian kein deutsch spricht. Seitdem ist Christian in Gefangenschaft.

Am ersten Prozesstag gegen Christian P. musste sich die vorsitzende Richterin im Amtsgericht Tiergarten aber erstmal mit etwas anderes befassen. Ohne von der Richterin dazu beauftragt worden zu sein hatten nämlich mehrere mit Schusswaffen bewaffnete PolizistInnen den Gerichtssaal belagert, vier von ihnen setzten sich in den Gerichtssaal u.a. um die ProzessbeobachterInnen einzuschüchtern. Auch an den Eingängen des Gerichts hatten sich uniformierte PolizistInnen und JustizbeamtInnen postiert um die ProzessbeobachterInnen einzuschüchtern. Am 12. August 2009, der 2. Prozesstag gegen Christian, kamen die PolizistInnen aber nicht mehr uniformiert. Etwa 18 HundertschaftspolizistInnen beobachteten in ziviler Kleidung den Prozess und sorgten somit dafür, dass andere ProzessbeobachterInnen aus Platzmangel nicht mehr in den Saal konnten. Während des Einlasses kam es zu leichten Rangelleien und wechselseitigen Beschimpfungen zwischen Prozessbeobachtern und den vielen PolizistInnen in ziviler Kleidung.

Doch wer sind diese PolizistInnen? Am 3. Prozesstag sagte der Zeuge Maik Berg aus, dass er und sein Kollege Ströbele zwischenzeitlich vom LKA 6 (sehr beliebte Dienststelle) zur Direktion 6 (sehr unbeliebte Dienststelle) versetzt wurde. Tatsächlich benutzten auch die an diesem Tag zahlreich anwesenden ProzessbeobachterInnen Polizeifahrzeuge an dem der Buchstabe F (F steht für die Berliner Direktion 6) klebte. Danach befragt, sagte Berg aus, dass die KollegInnen seiner neuen Dienststelle diesen Prozess beobachten würden.

Berg und Ströbele widersprachen sich etliche Male. Wie Christian sich maskiert haben soll, wie er geworfen haben soll, welche Kleidung und Gegenstände die verdeckten Ermittler trugen, wie sie sich untereinander absprachen, wie die verdeckten Vermittler untereinander kommunizierten - All das sagten die Beamten widersprüchlich aus. Beispielsweise trug Christian keine Tasche bei sich. Berg, der ununterbrochen Christian beobachtet haben will, will Christian erst werfen, dann ein Getränk trinken und dann wieder werfen gesehen haben. Zu der Frage, woher Christian denn plötzlich zwischendurch das Getränk her hatte, konnte Berg nichts sagen. Und auch dass Polizisten durch Christians angebliche Würfe getroffen wurden, wusste Berg zu berichten. Auch wo die geworfenen Flaschen trafen, wusste Berg. Mit Kopfschütteln beantwortete er aber dann die Frage, wie sich die getroffenen Polizisten nach dem Treffer verhielten.

Die beiden Zeugen logen, das war auffällig. Wenn es aber zu auffällig wurde, dann schritt Oberstaatsanwalt Michael von Hagen (Berliner Staatsanwaltschaft, Abteilung 81 - u.a. für politisch motivierte Delikte zuständig) ein und legte den Zeugen eine Relativierung ihrer Aussagen in den Mund. Von Hagen, das fiel auch auf, schien ziemlich "mediengeil" zu sein. War er während die Presse den Prozess beobachtete noch der Staatsanwalt im Gerichtssaal, vertrat ihn am 3. Prozesstag, wo keinE PressevertreterIn mehr anwesend war, ein Kollege. Dieser war aber stellenweise noch dreister, fragte beispielsweise den Zeugen suggestiv: "Er war zwar vor kurzem beim Friseur, aber können Sie den Täter vielleicht heute hier identifizieren?". (sinngemäss - Bei der Frage deutete er zusätzlich in Christians Richtung) Und auch der Protokollant schien nur dann etwas zu notieren, wenn es "passend" war. Immer dann, wenn sich der Zeuge extrem widersprach und hervorstach, dass er log, notierte der Protokollant nichts. Aber immer dann, wenn einer der Zeugen beispielsweise sagte "Christian warf x Flaschen auf Polizisten", notierte der Protokollant das fleissig mit. Und auch die Dolmetscherin konnte nicht immer, und ganz wahrscheinlich nicht ausreichend, für Christian ins Deutsche übersetzen. (Obwohl sie sich sichtlich anstrengte, das so gut wie möglich zu machen.)

Der nächste Prozesstag gegen Christian ist am 26. August 2009 (Mittwoch) und beginnt um 13 Uhr 15. Wahrscheinlich im Saal 769 - Schaut aber besser am Haupteingang des Amtsgerichts Tiergarten nach! Da sollte der Raum unter "Christian P." zu finden sein. Macht Euch Eurer eigenes Bild und lasst Euch nicht den Raum für Aktionen von der Polizei nehmen!
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Ergänzungen

Zum Video

Anarcho 23.08.2009 - 17:42
Der Festgenommene wird von zwei Bullen je an einem Arm festgehalten und mit dem Oberkorper nach vorne gebeugt (gehebelt). Es handelt sich dabei um eine typische Fixiertechnik, wie sie bei Festnahmen oft zu sehen ist - sie bricht etwaigen Widerstand. Ungefähr ab Sekunde 30 des Videos, ist zu sehen, wie ein Bulle von hinten an den so fixierten heran tritt und ihm mehrere heftige Schläge in die Rippen versetzt. Eine eindeutige Körperverletzung im Amt, die jedoch nie zur Aufklärung kommen wird, da Bullen nicht gegeneinander Aussagen (die KV sogar gemeinschaftlich begangen haben) und eine Identifizierung durch Außenstehende aufgrund fehlender Kennzeichnungspflicht unmöglich ist.

Gute Nacht RechtSStaat.

peinliche Verschwörungstheorien

Flaschenträger 24.08.2009 - 14:10
"Beispielsweise trug Christian keine Tasche bei sich. Berg, der ununterbrochen Christian beobachtet haben will, will Christian erst werfen, dann ein Getränk trinken und dann wieder werfen gesehen haben."

Meine Güte Roland, naiver gehts nicht? Noch nie während einer Demo ein Getränk von nebenstehenden Genossen gereicht bekommen? Noch nie eine 0,5er Wasserflasche in der Hosen- oder Jackentasche mitgeführt?

@ Flaschenträger

Roland Ionas Bialke 24.08.2009 - 20:07
Das geht jetzt ein bisschen zu weit ins Detail. Es sieht nämlich so aus, dass noch andere ZeugInnen aussagen (können) und es dann für Christian nicht vorteilhaft ist, wenn hier detailiert die Aussagen dokumentiert sind. Das ist ein Nachteil von mehrtägigen Prozessen: Eventuelle ZeugInnen können sich dann besser absprechen bzw. vorbereiten. Darum werde ich auch nicht auf den Vorwurf der "peinlichen Verschwörungstheorien" eingehen. Übrigens, nette in Fragen gepackte Erklärungsversuche. Will ich hören, dass das eineR im Prozess gegen Christian aussagt! (-;

englische Ueberzetsung...

muss ausgefüllt werden 29.08.2009 - 11:15

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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danke — feuer und schüsse der repression

Video — Universal Pictures

@ danke — Roland Ionas Bialke