VG Münster stärkt Demo-Rechte

SOFA Münster 21.08.2009 12:11 Themen: Atom Repression
Das Verwaltungsgericht Münster hat heute die polizeiliche Videobeobachtung einer Demonstration im Juni 2008 gegen Urantransporte für rechtswidrig erklärt. Schon die "bloße Aufnahme" des Demogeschehens sei ein rechtswidriger Grundrechtseingriff. Das gelte auch, wenn die Polizei-Kamera die Bilder - ohne Speicherung - "nur" auf einen Monitor übertrage, erklärte die Richterin in der mündlichen Verhandlung. Die Anti-Atom-Initiativen im Münsterland sind über das Urteil sehr erfreut, weil es die Rechte von Demonstrationsanmeldern und Versammlungsteilnehmern gegenüber der Polizei klar stärkt.
Zum Hintergrund: Am 4. Juni 2008 war wieder einmal ein 400 m langer Uranmüllzug mit 1000 Tonnen abgereichertem Uranhexafluorid von der Urananreicherungsanlage (UAA) Gronau quer durch das Münsterland zur Endlagerung in Russland gerollt. Dagegen demonstrierten am Hauptbahnhof Münster rund 70 Leute und zogen durch das Bahnhofsviertel zum Güterbahnhof, wo der Uranmüllzug seine Richtung wechselt.

Von Anfang an war die Polizei mit einem Kamerawagen vor Ort, filmte gleich zu Anfang die Kundgebungsredner und fuhr dann direkt vor der Demo mit ausgefahrener Kamera her. Zudem war die Polizei im Verhältnis 1:1 rund um die Demo verteilt. Trotz mehrfacher Beschwerden vom Demonstrationsanmelder und vom Versammlungsleiter beharrte die Einsatzleitung auf der Videoüberwachung. Daraufhin reichte der Demonstrationsanmelder Klage vor dem Verwaltungsgericht Münster ein.

In der mündlichen Verhandlung heute ließ die Richterin keinen Zweifel an der Rechtswidrigkeit der Polizeimaßnahme. Die Videoüberwachung während einer Demonstration beeinträchtige das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Der Einsatz einer Kamera eröffne technisch soviele Möglichkeiten, dass hier ein Grundrechtseingriff vorliege. Eine rechtliche Grundlage sei aber nicht erkennbar.
Auch fehlten "tatsächliche Anhaltspunkte" für "erhebliche Gefahren" - Ordnungswidrigkeiten reichten hier z. B. nicht. Auch eine "Lenkungs- und Leitungsfunktion" sei bei der Anzahl der Demoteilnehmer nicht erforderlich.

Die Polizei hingegen hatte genau das hervorgehoben. Die Videobeobachtung sei nur "eine vorbereitende Maßnahme", die "flüchtige Natur nicht-gespeicherter Aufnahmen" seien vom Eingriffscharakter nicht so schwerwiegend. Gleichzeitig gab die Polizei aber zu Protokoll, dass bei der Übertragung der Bilder von der Kamera auf den Monitor diese zunächst über einen Computer liefen. Dass dies mehr oder weniger automatisch zumindest zu einer "Zwischenspeicherung" führt, dürfte klar sein.

Der Fall hatte auch deshalb besondere Brisanz, weil die Polizei zuvor schriftlich gefordert hatte, dass "die Polizei ohne Abstriche berechtigt sein (muss), mit allein ihr zustehender Beurteilung über die aus ihrer Sicht als geboten, geeignet und verhältnismäßig angesehenen Einsatzmittel zu entscheiden." Konkret ging es offensichtlich darum, den anhaltenden und erfolgreichen Widerstand gegen den Uranmüllexport made in Gronau einzuschüchtern.

Diesem Ansinnen hat das Verwaltungsgericht Münster nun einen deutlichen Riegel vorgeschoben. Der Urteilsspruch erging sofort nach der mündlichen Verhandlung.

Und wo wir schon beim Thema sind: Auf dem Gelände der UAA Gronau steht schon wieder ein großer Uranmüllzug abfahrbereit in Dreierreihe. Die Initiativen im Münsterland rechnen mit einer Abfahrt in den nächsten Tagen.

Nachdem EON, RWE und Rosatom aufgrund des jahrelangen internationalen Widerstands gegen den Uranmüllexport nach Russland für das Jahresende ein Ende der Uranmülltransporte zum Ural angekündigt haben, steht nun Südfrankreich als Ziel im Visier der UAA-Betreiber. Aber: Laut EON soll dieses Jahr - quasi als "Abschiedsgeschenk" - noch ein Uranmüllzug nach Russland fahren.

Initiativen aus dem Münsterland, Norddeutschland und Russland haben dagegen bereits im Frühjahr Proteste angekündigt.

Und: Am 5. September geht es zur bundesweiten Anti-Atom-Demo nach Berlin (www.anti-atom-treck.de)!!
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Ergänzungen

Berlin Berlin, wir fahren nach Berlin

X 21.08.2009 - 14:14
Von Ahaus und Münster fährt ein Bus zur Demo am 5. September nach Berlin, Fahrkarten kosten ermäßigt 15, normal 30 und mit Soli-Zuschlag 40 Euro. Sie sind in der Frauenstraße 24, im AStA-Büro und im interkulturellen Zentrum Don Quichote sowie bei im Büro der BI-Ahaus erhältlich. Weitere Vorverkaufsstellein im Umland finden sich hier:  http://board.sofa-ms.de/thread.php?threadid=154&seite=1&#ende
Oder ihr reserviert einfach Fahrkarten unter der angegebenen Emailadresse...

Frage

Juristischer Laie 21.08.2009 - 14:57
Im Artikel ist die Rede von Videoüberwachung. Erstreckt sich das Urteil auch auf das routinemäßige Abfilmen von Demo-Teilnehmern durch die Polizei, oder ist das eine andere Baustelle?

@Laie

SOFA 21.08.2009 - 16:07
Genau das ist der Punkt. Ein "routinemäßiges" Abfilmen ist eben rechtswidrig. Die Polizei versucht das Filmen natürlich gerne als "Routine" darzustellen, aber deshalb war die Klärung heute vor dem Verwaltungsgericht Münster so wichtig.

Das VG hat klar gesagt, dass selbst Ordnungwidrigkeiten nicht das Abfilmen einer Demo rechtfertigen, sondern es müssten "tatsächliche Anhaltspunkte" für "erhebliche Gefahren" vorliegen.
Das Bundesverfassungsgericht hat Anfang des Jahres das reine Filmen - ohne Speicherung - in Zusammenhang mit dem Bayerischen Polizeigesetz nur erlaubt, wenn die Größe der Demo den Einsatz von Kameras für die "Lenkung und Leitung" einer Demo erforderlich macht (also zum Beispiel 100 000 Leute im Stadtzentrum von München).

Bei 70 Leuten ist dies definitiv quatsch. Wie sich das Urteil nun auf zukünftige Demos auswirkt, wird man - wie immer - sehen müssen. Aber der "routinemäßige" Einsatz von Kamerawagen und Filmtrupps dürfte in NRW nun schwerer durchzuwinken sein.

Apropos: Die Antifa-Demo in Dortmund am 5. September ist uns natürlich auch wichtig - und aus der Region werden sicher viele Leute dorthin fahren. Solidarische Grüße nach Dortmund!

Aktenzeichen

BB 21.08.2009 - 16:24
Berichterstattung über Urteile ist ohne AZ unvollständig... Kann sich ja so keiner drauf berufen...

Aktenzeichen

SOFA 21.08.2009 - 22:06
Sorry, das Aktenzeichen lautet 1 K 1403/08

Skepsis

Laie 22.08.2009 - 23:52
Ich sehe hier leider für die Zukunft - wie so oft - einen Unterschied zwischen Anspruch und Realität. Zitat: es müssten "tatsächliche Anhaltspunkte" für "erhebliche Gefahren" vorliegen. Zitat Ende um ein polizeiliches Abfilem zu rechtfertigen. Nur: Wer nimmt diese Lagebeurteilung vor? Im Zweifelsfall die Polizei, und die war und ist ja bekanntlich schon immer sehr kreativ im konstruieren von "Bedrohungen" gewesen, um Maßnahmen aller Art rechtfertigen zu können. Ich sehe schon Argumentationen wie "Da vorne sind zwei Kerle im schwarzen Pullover, auf der Demo gibt es einen schwarzen Block, also steht unzweifelhaft Krawall bevor. Wirf die Kameras an"

Kurzum: Das ganze sieht auf dem Papier momentan gut aus, aber ich will erst sehen, welche Auswirkungen das Urteil in der Realität hat. Ich lasse mich gerne positiv überraschen, erwarte persönlich aber nicht sehr viel.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke die folgenden 6 Kommentare

Suprer!

Löwe 21.08.2009 - 13:33
Finde ich echt vorbildlich! Das VG Münster gibt uns desöfteren Recht, wogegen es Fascho-Demos so gut wie immer verbietet bzw. das Verbot bestätigt. Dort sitzen anscheinend noch fähige Leute!

Dortmund wichtiger!

(muss ausgefüllt werden) 21.08.2009 - 14:57
Meint ihr nicht, dass es wichtiger wäre die Demo in Dortmund zu unterstützen? Ja genau, ich meine den sogenannten "Antikriegstag" der Neonazis bei dem mehr als 1000 Teilnehmer erwartet werden.
Die Demo findet übrigens auch am 5. September statt, so gegen 11h. als nichts wie hin. Alles andere stehen und legen lassen und Nazis blockieren!

@Löwe

ich 21.08.2009 - 17:19
das vorliegende urteil ist natürlich erfreulich. trotzdem solltest du es nochmal überdenken, richter deshalb als "fähig" zu bezeichnen, weil ihre urteile dir im effekt angenehm sind. ein urteil zulasten von nazis kann nämlich genauso auf falscher rechtsanwendung beruhen, wie andre urteile und nicht jedes urteil zugunsten von antifas ist automatisch richtig.

5.9: Dortmund!

afa 21.08.2009 - 17:52
Wirklich vernünftige Leute fahren nach Dortmund statt Berlin, schließlich steht einer der größten und zweifellos der wichtigste Naziaufmarsch dieses Jahr bevor - zumal gerade in Dortmund Handlungsbedarf besteht.
Also, anstatt stundenlang für ne 08/15 Demo im Bus/Zug zu sitzen, lieber in 45 Minuten mit dem Zug von Münster nach Dortmund, mit Deichkind und tausenden Antifas demonstrieren und danach den Naziaufmarsch sprengen!

Bash ´em!

(muss ausgefüllt werden)

(muss ausgefüllt werden) 21.08.2009 - 20:28
Wirklich vernünftige Leute fahren nach Berlin statt Dortmund, schließlich steht eine der größten und zweifellos wichtigste Anti-Atom-Demos seit Jahren bevor - zumal gerade weltweit in den Uranabbaugebieten und an Schrott-AKW´s Handlungsbedarf besteht.
Also, anstatt stundenlang auf ner 08/15 Demo rumzustehen, lieber mit längerer Anfahrt einen der ca. 90 Busse oder Sonderzüge nach Berlin nehmen, mit Rantanplan und Jupiter Jones und zehntausenden Menschen demonstrieren und danach alle Atomkraftwerke stilllegen!

Beide Demos haben zweifellos ihre Wichtigkeit, also keine Spaltereien bitte. Nützen keinem was. Danke!

Auch von mir solidarische Grüße nach Dortmund.

kurze anmerkung

muenger 22.08.2009 - 00:45
das wurd auch zeit, dass recht endlich mal ausgesprochen wird