Sorge um die „Wassertürme Asiens“

Konicz Tomasz 19.08.2009 19:09 Themen: Blogwire Ökologie
China und Indien kooperierenden bei der Überwachung der Gletschersschmelze im Himalaja. Wasserversorgung und Landwirtschaft Südostasiens durch beschleunigten Klimawandel im Himalaja bedroht. FoE-Bericht geht von Milliarden von Menschen aus, die künftig unter katastrophalen Überschwemmungen, Wassermangel und Nahrungsmittelknappheit leiden könnten.
1962 führten China und Indien einen erbitterten Grenzkrieg im Himalaja, der die Beziehungen beider Staaten auf Jahrzehnte vergiftete - doch inzwischen nötigt der rasant voranschreitende Klimawandel in diesem Hochgebirgssystem die einstweiligen Konkurrenten zur Kooperation. Der indische Umweltminister Jairam Ramesh erklärte am 3. August im Gespräch mit der Financial Times (nicht Financial Times Deutschland), dass Indien und China bei der Überwachung der verstärkt abschmelzenden Gletscher des Himalaja zusammenarbeiten werden, die eine entscheidende Rolle bei der Wasserversorgung beider Länder spielen.

Im Rahmen dieser bilateralen Untersuchung des Zustandes dieser „Wassertürme Asiens“, so Ramesh wörtlich, würden wissenschaftliche Institution beider Seiten in Informationsaustausch treten. Die indische Regierung sei auch offen gegenüber einen Dialog über die Wasserressourcen der Region mit Peking, beteuerte der Umweltminister. Zugleich verteidigte Ramesh die offizielle Position der indischen Regierung, die bislang Wissenschaftliche Untersuchungen zurückweist, denen zufolge die Gletscher des Himalaja binnen weniger Jahrzehnte aufgrund des Klimawandel verschwinden würden. „Es ist eine sehr emotionale Sache und man muss ein bisschen vorsichtig sein, bevor wir die Grabinschrift für die Gletscher des Himalaja schreiben“, warnte Ramesh.

Tatsächlich deuten aber Untersuchungen des in Zürich beheimateten World Glacier Monitoring Service (WGMS, Welt-Gletscher-Beobachtungsdienst) aber auf eine weiterhin global fortschreitende Rückzug der Gletscher in nahezu allen Regionen der Welt. Achim Steiner, der Direktor des Umweltprogramms der vereinigten Nationen, verwies gegenüber der Financial Times darauf, dass weltweit Milliarden von Menschen von den Süßwasserzuflüssen der Gletschersysteme abhängig sind: Bei der Deckung ihres Trinkwasserbedarfs, zur Energieerzeugung und für die Landwirtschaft.

Hierbei spielen die Ausgedehnten Gletschersysteme des Himalaja eine zentrale Rolle. Nach den Polarregionen und Alaska befinden sich diesem Hochgebirgszug die weltweit größten in Gletschereis gespeicherten Süßwasservorkommen. Während die Alpen nur zu 2 % von Gletschern bedeckt sind, weist der Himalaja eine Eisschicht auf 17 % seiner Fläche auf. Der über das gesamte Jahr in variierender Geschwindigkeit fortschreitende Schmelzvorgang dieser Gletschersysteme speist acht der mächtigsten Flusssysteme Asiens. Besonders in den heißen, trockenen Jahresperioden nimmt die Eisschmelze im Himalaja zu. Durch den damit einhergehenden vermehrten Wasserabfluss in die Ebenen und um den Himalaja – die oftmals als wichtiger Agrargebiete intensiv bewirtschaftet werden - wurden bisher die Auswirkungen der Trockenzeiten in diesen Regionen gemildert.

Laut Nicolas Stern, den ehemaligen Chefökonom der Weltbank und Wirtschaftsberater der britischen Regierung, fungieren die Gletscher des Himalaja als eine Art „Schwamm“, der in Regenzeiten Wasser aufnimmt und dieses dann in heißen Trockenzeiten abgibt. Neben der Trockenheit drohen aufgrund des Klimawandels auch verstärkt Überflutungen in der Region, warnte Stern: „Die Gletscher im Himalaja befinden sich auf dem Rückzug, und sie sind der Schwamm, der das Wasser in der Regenzeit zurück hält. Wir sehen uns dem Risiko extremer Wasserabflüsse ausgesetzt, wo das Wasser direkt in die Bucht von Bengalen fließt und eine große Menge furchtbarer Erde mitreißt“. Die ungeheure Dimension dieser drohenden Klimakatastrophe wird vor allen an wissenschaftlichen Einschätzungen ersichtlich, denen zufolge 1,3 Milliarden Menschen in den Regionen Südostasiens leben, die von der verstärkten Gletscherschmelze im Himalaja – durch Wassermangel oder Überflutungen – schwer betroffen wären.

Als besonders verheerend werden die potentiellen Auswirkungen der Gletschersschmelze auf die Indischen Flusssysteme eingeschätzt. Flüsse wie der Ganges oder der Indu könnten künftig einen sehr schwankenden Wasserspiegel aufweisen, wichtige Zuflüsse würden hingegen sogar in der Trockenzeit gänzlich versiegen. „Die Präsenz von Gletschern ist von vitaler Bedeutung für das Flusssystem des Himalaja“, erklärte Anil Kulkarni von der Indischen Raumfahrtbehörde, die den Rückzug der Gletscher anhand von Satellitenbildern studiert: „Es ist wirklich alarmierend. Wir müssen sehr besorgt sein.“ Die Geschwindigkeit der Gletscherschmelze variiert diesen Erkenntnissen zufolge stark. Kleinere Gletscher schmelzen demnach schneller ab, als größere. Zudem ist generell beobachtet worden, dass die nach Süden ausgerichteten Gletscher sich stärker zurückziehen als die nordwärts fließendem.

Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der vereinigten Nationen warnte bereits im Mai, dass die Gletscher im höchsten Gebirgssystem der Welt sogar binnen drei Dekaden verschwunden sein könnten. „Die Gletscher des Himalaja ziehen sich schneller zurück als in irgendeiner anderen Region der Welt“, hieß es in dem Report, der zu der Einschätzung kam, dass – bei Beibehaltung der gegenwärtigen Erwärmungsrate - die heute 139.051 Quadratmeilen bedeckenden Gletscher des Himalaja im Jahr 2035 sich auf nur noch 38.600 Quadratmeile zurückziehen dürften.

Eine von Friends of the Earth (FoE), einer internationalen Allianz von Umweltschutzorganisation, am 11. August veröffentlichte Studie befasst sich mit den Auswirkungen dieses Szenarios. Demnach geht die Erwärmung in den höchsten Lagen des Himalaja – Ähnlich wie in den Polarregionen – viel schneller vonstatten als im globalen Durchschnitt. Der Report zitiert eine Einschätzung des Nepalesischen Hydrologischen Amtes, das von einer drei- bis vierfach stärkeren Erwärmung in dieser Region ausgeht. Bis zum Jahre 2050 dürfte circa 1 Milliarde Menschen in Zentral- und Südasien mit „signifikanten Wassermangel“ zu kämpfen haben, während die Landwirtschaftserträge in der Region um bis zu 30 Prozent zurückgehen dürften. Da das Schmelzwasser der himalajischen Gletscher an die 45 Prozent des Fließwassers der wichtigsten indischen und pakistanischen Flusssysteme ausmacht, würden die bislang zur Anwendung kommenden agrarischen Bewässerungssysteme in diesen Regionen stark beeinträchtigt. Bis zu 600 Millionen Menschen würden dem FoE-Bericht zufolge Hierdurch ihre Lebensgrundlage verlieren. Kurzfristig drohen zudem durch den massiven Schmelzvorgang katastrophale Überflutungen. Die Autoren des Berichts bezeichnen die potentielle Gletscherschmelze im Himalaja zusammenfassend als die „größte Auswirkung der globalen Erwärmung“ auf die menschliche Zivilisation.

Der Bericht ist frei zugänglich im Internet:
 http://www.thebigmelt.org/highstakesreport
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