Was für ein »Mordstheater«!

Assoziation AK Angreifbare Traditionspflege 02.08.2009 23:42 Themen: Antifa Militarismus
Am 11. August wird die Strafkammer des Landgerichtes München I das
Urteil gegen den Ehrennadelträger des Kameradenkreises der Gebirgsjäger, Josef Eduard Scheungraber aus Ottobrunn sprechen. Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten das am 27. Juni 1944 in der toskanischen Ortschaft Falzano di Cortona verübte Massaker zur Last gelegt, bei dem nach der Tötung zweier Wehrmachtssoldaten auf seinen Befehl als "Vergeltungsschlag" 14 italienische ZivilistInnen ermordet worden sind.
Staatsanwaltschaft und die anwaltliche Vertretung der NebenklägerInnen
(Hinterbliebnene und Nachkommen der Ermordeten) aus Falzano haben auf
schuldig plädiert, die Verteidigung hat Freispruch beantragt.
Zur Prozesseröffnung am 15. September 2008 haben AktivistInnen des AK
angreifbare Traditionspflege vor dem Landgericht die Namen der in
Falzano di Cortona ermordeten Einwohner laut ausgerufen:
Antonio Grezzi - Angiolo Lescai - Luca Cascini - Lorenzo Donati -
Agostino Paludini - Agostino Petrini - Domenico Trasenni - Guido
Trasenni - Domenico Sassini - Edoardo Zampagni - Ferdinando Cannicci -
Santi Lescai - Francesca Bistarelli - Angiolo Donati

Was hat der Verlauf des über 40 Verhandlungstage andauernden
Strafprozesses gezeigt?

Die Verhandlung hat zweifellos ergeben, dass es die von dem damals
25-jährigen Leutnant Josef Scheungraber befehligte 1. Kompanie des
Gebirgspionierbatallion 818 war, die das Massaker in Falzano di Cortona
begangen hat. Damit konnte der Versuch der Verteidiger des Delinquenten,
die Verantwortlichkeit des Massakers italienischen Faschisten in die
Schuhe zu schieben, vereitelt werden.
Gino Masetti, der einzige Überlebende des Massakers, berichtete am 7.
Oktober 2008 darüber, wie die BewohnerInnen von den Gebirgsjägern
zunächst an einer Mauer aufgereiht wurden und sie zunächst einige
Sprengungen von Häusern ihres Ortes miterleben mussten. Nachdem
Sprengstoffkisten in das Haus deponiert worden waren, wurden die
Bewohner der Ortschaft in das Haus getrieben. Als dessen Tür von außen
mit Draht zugesperrt wurde, ahnten sie, dass sie jetzt sterben würden.
Die Todgeweihten hörten, wie jemand die Treppe zum ersten Stock hinauf
ging, wohl um die Sprengung zu zünden, kurze Zeit später hörten sie die
Schritte wieder nach unten gehen und erwarteten den Tod. Nichts geschah.
Offenbar war der erste Versuch fehlgeschlagen und erneut hörten sie die
Tritte ihres Henkers auf der Holzstiege nach oben und wieder hinunter.
Dann die Explosion. In das Wimmern unter den Trümmern schossen die
Deutschen noch ein, zwei Salven aus einer MP und entfernten sich dann.
Gino Masetti wäre fast erstickt und musste noch eine Weile dem Sterben
des Mannes zuhören, der von der Druckwelle auf seinen Körper
geschleudert worden war.
Mit diesem umsichtig durchgeführten Massaker realisierten die Soldaten
des Gebirgsjägerpionierbataillons 818 das was 10 Tage zuvor vom
Oberbefehlshaber der Italien-Front Generalfeldmarschall Albert
Kesselring nach Partisanenüberfällen angeordnet worden war: Es seien
alle männlichen Einwohner der betreffenden Ortschaften zu töten; über
Exzesse dabei, so versprach er, werde er hinwegsehen. Das ließen sich
die Wehrmachtsverbände nicht zweimal sagen: Auf ihrem Rückzug vor den
Alliierten zogen Wehrmacht und andere deutsche Mordverbände eine
Blutspur durch das Land; bei "Vergeltungsmaßnahmen" wie der in Falzano
wurden bis zu 10.000 italienische ZivilistInnen von deutschen Soldaten
massakriert. Die Exzesse nahmen derartige Ausmaße an, dass Kesselring
seinen Freibrief zum Morden wenige Wochen später ausdrücklich widerrief.
Mehr als begründet ist zu vermuten, dass Leutnant Scheungraber die
Intention des Kesselringschen Mordbefehls deshalb in besonderer Weise
verstanden haben dürfte, da er 1943 bei diesem als Ordonnanzoffizier
dienen durfte.
Durch den Strafprozess kann ein ziemlich eindeutiges Bild des
Tatherganges gezeichnet werden: Die Angehörigen der 1. Kompanie des
Gebirgs-Pionier-Batallions 818 unter dem Befehl Scheungrabers waren von
dem Tod ihrer beiden Kameraden »aufgebracht«. Es kam, so schilderten es
sogar die vor Gericht begriffsstutzig auftretenden Zeugen, zu einem
»Racheakt« (Johann F.) oder einer »Vergeltungsaktion« (verstorbener
Zeuge), »Säuberungsaktionen« und »Partisaneneinsätzen«, die, so sagte
einer der Zeugen aus, »immer unmittelbar« nach Angriffen auf deutsche
Soldaten stattfanden. Ein »Mordstheater« sei das gewesen, sagte ein
Zeuge in einer Formulierung, die ihm wahrlich in ihrer grauenhaften
Mehrdeutigkeit gar nicht bewusst war. Die von Scheungraber gegenüber
LKA-Beamten im Jahr 2005 gemachte Aussage, er sei damals doch gar nicht
am fraglichen Ort gewesen hat der Überprüfung nicht standgehalten:
Fotografien aus seinem eigenen Kriegsalbum zeigen ihn in einem Ort in
der Nähe bei der Beerdigung der beiden getöteten Wehrmachtsoldaten,
deren Tod Anlass für das Massaker war.
Im Verlauf des Strafprozesses schien es, als hätten so gut wie alle
Zeugen aus der Gebirgsjägereinheit Scheungrabers an jenem 27. Juni 1944
rein gar nichts Substantielles mitbekommen. Auch wer die Befehle gegeben
hat, ließen sie im Dunkeln. Wahlweise haben sie sich in ihren
Zeugenaussagen auf ihr Alter, auf die lange Zeit, die seit damals
verstrichen ist, oder darauf berufen, dass man sie doch wohl nach 64
Jahren nicht mehr länger quälen dürfe. Immer dann, wenn es ernst wurde,
versagte ihr Gedächtnis, man war wahlweise nicht dabei, anderweitig
eingesetzt oder »ganz weit draußen am rechten Flügel«. Die alten
Gebirgsjäger haben je nach Frage den Trottel oder die verfolgte Unschuld
gemimt. Die Pose des braven Landsers, der für die "da oben" hat den Kopf
hinhalten müssen, schien ihnen dafür am geeignetsten. Und wenn es einem
dahinter verschanzten Gebirgsjägerpioniers vom Schlage des Zeugen Georg
H. dann doch einmal mit der ganzen Fragerei zuviel wurde, dann platzte
es auch schon mal wörtlich in empörter Abwehr heraus: »Ich kann mich
nicht an einen jeden Dreck erinnern!«
Im Gerichtssaal waren böse alte Männer als Kameraden von Scheungraber zu
erleben. Sie haben sich niemals selbst danach befragt, was damals durch
Deutsche in ganz Europa angerichtet worden ist, welches Leid sie als
Gebirgsjäger aus Mittenwald nach Falzano gebracht haben. Als Zeugen
haben sie sich hinter ihr Selbstbild der Verführten und machtlosen
Befehlsempfänger versteckt, deren prinzipiell gutes Erinnerungs- und
Gedächtnisvermögen beim Falzano-Komplex mit Regelmäßigkeit aussetzte.
Die Verteidigung Scheungrabers wurde von vier bekannten Rechtsanwälten
wahrgenommen, die man getrost als ein schwarz-braun profiliertes
Gruselkabinett bezeichnen kann: In deren politischem Engagement,
angefangen in der einflussreichen Neonazihilfsorganisation Stille Hilfe,
dem Reservistenverband der Bundeswehr, dem Kameradenkreis der
Gebirgsjäger, einer schlagende Burschenschaftsverbindung und als
Beiträger der neurechten Postille "Junge Freiheit" reichen sich der
Neofaschismus und Militarismus die Hand.

Was deprimierend ist ...

Der Strafprozess gegen den Ehrenkommandanten der Feuerwehr und Träger
der Ottobrunner Bürgermedaille, für den sein CSU-Bürgermeister Thomas
Loderer noch im Juni 2008 eine Ehrenerklärung abgegeben hat, hat einiges
an das Tageslicht gebracht, was zutiefst deprimierend ist. Der vom
Kameradenkreis der Gebirgstruppe (KK) vorbehaltlos unterstützte
"Ehrenmann" Scheungraber hat zusammen mit so gut wie allen Zeugen aus
der von ihm befehligten Gebirgsjägereinheit alles genau so gemacht, wie
es der KK schon immer seit seiner Gründung 1951 praktiziert hat:
vertuschen, bagatellisieren, lügen immer fort. Nachdem man kreuz und
quer durch ganz Europa gebrandschatzt und gemordet hat, wird heute nicht
auch nur für irgendetwas die Verantwortung übernommen. Ob nun mit oder
ohne Verurteilung Scheungrabers durch ein Strafgericht in der
Bundesrepublik: Genau das ist eine Bedingung dafür, das viele in der
Traditionspflege des KK stehende Gebirgssoldaten heute in der Bundeswehr
einfach so weiter machen können, als wäre niemals etwas geschehen. Und
deutsche Soldaten, nicht nur Gebirgsjäger, stehen heute weltweit im
Kriegseinsatz: Beim Gedanken an die Traditionen, welche sie im Tornister
und im Komisskopf mit sich schleppen, dreht sich einem der Magen um.
Und an der Heimatfront? Die Gemeinde Mittenwald unterstützt genau dieses
aktive Verdrängen, indem sie am 4. Juni 2009 das Denkmal für die Opfer
der NS-Gebirgsjäger in ganz Europa abräumen ließ, das aus Steinen der
von der Gebirgstruppe ausgelöschten Gemeinde Falzano di Cortona
zusammengesetzt ist.
Dass zu Prozessende Mitte Juli doch noch ein Zeuge den Mut dazu fand zu
bekunden, dass Scheungraber in den 1970er Jahren in geselliger Runde auf
Betriebsfeiern mit dem Massaker geprahlt zu haben, nach dem Motto: "Mir
war halt noch richtige Kerle", fügt sich ins Bild eines bis in die
Gegenwart reichenden, ungebrochenen Militarismus'. Er feiert sich selbst
mit Bundeswehrunterstützung jedes Jahr zu Pfingsten auf dem Hohen
Brendten. Da findet wirklich ein "Mordstheater" in bedrohlichster Art
und Weise statt. Dort log sich im Jahre 2005 in öffentlicher Ansprache
der amtierende Präsident des Kameradenkreises, Ex-Bundeswehr-Oberst
Benkel frech an der historischen Wahrheit vorbei, als er erklärte, dass
"kein Mitglied unseres Kameradenkreises wegen Kriegsverbrechen angeklagt
oder verurteilt" worden ist. Nach dem Schuldspruch gegen Scheungraber
vor dem Militärgericht in La Spezia wird sich mit der Urteilsverkündung
zeigen, ob sie für die Geschichte der Bundesrepublik einen
beunruhigenden Bestand haben wird, Wie auch immer das Urteil über Josef
Eduard Scheungraber ausfallen wird, unsere Forderungen bleiben:
- Anklageerhebung gegen alle in Italien wegen Kriegsverbrechen zu
lebenslanger Haft verurteilten deutschen Ex-Soldaten!
- Einstellung jeder finanziellen oder sonstigen Unterstützung des
"Kameradenkreises der Gebirgstruppe e.V." durch die Bundeswehr und das
Verteidigungsministerium!
- Entzug der Gemeinnützigkeit des "Kameradenkreises der Gebirgstruppe e.V."

Für den Dienstag, den 11. August 2009 soll es ab 8.00 Uhr vor dem Landgericht München I im
Justizzentrum in der Nymphenburger Straße 16. (U-Bahn-Haltestelle
Stiglmaierplatz) eine Kundgebung anlässlich
der Urteilsverkündung geben. Achtet auf Ankündigungen

Freie Assoziation AK Angreifbare Traditionspflege, (Dortmund, Wuppertal,
Hamburg, Bremen, Göttingen, Berlin, Köln, Augsburg, München) den 1.
August 2009


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Ergänzungen