Fotos: Tarnac Verfahren - Aussage verweigert

Umbruch Bildarchiv 16.07.2009 18:13 Themen: Atom Repression
Zwei Autonome waren heute in Berlin als Zeuge in Ermittlungsverfahren in Frankreich geladen. Anlaß waren Hakenkrallenanschläge anläßlich des Castors-Transports im Herbst letzten Jahres. Schon im Vorfeld hatten sie angekündigt, die Aussage zu verweigern und riefen für heute zu einer Protestkundgebung vor der französischen Botschaft auf.
Einige Fotos und ein Bericht unter:
 http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/160709aussage_verweigert.html
Die Vernehmungen der beiden Zeugen vor dem Gericht am Tempelhofer Damm dauerten Stunden. Das Gericht wollte das Aussageverweigerungsrecht (§ 55) zunächst nicht akzeptieren. Nach 2 1/2 Stunden schließlich wurde der erste Zeuge entlassen, hingegen dauert die Vernehmung der zweiten Zeugin zur Zeit noch an.

Vor der Botschaft wurde auf die 30 jährige Tradition der atomaren Zusammenarbeit zwischen französischen und deutschen Konzernen und Regierungen hingewiesen. Mit ungeheurer krimineller Energie beschleunigen derzeit französische und deutsche Konzerne den Neubau von Atomkraftwerken in Frankreich, China, Finnland und Bulgarien. Egal ob in Deutschland gerade die Asse absäuft, egal ob das bulgarische Akw in einem hochgradigen Erdbebengebiet gebaut wird, den Konzernen wie EON, EDF oder RWE geht es nur um Profit.
Gegen diese menschenverachtende Politik gibt es seit Jahrzehnten vielfältigen Widerstand. Am 8. November 2008 standen wegen Signalsabotage und Hakenkrallenanschläge über tausend Züge in Frankreich und in Deutschland still. Drei Tage später kam es im französischen Dorf Tarnac zu einer groß angelegten Razzia. Zehn Leute wurden unter Terrorismusverdacht festgenommen, mittlerweile sind alle unter strengen Auflagen wieder draußen. Sie sollen als "Unsichtbare Zelle" Hakenkrallen in die Oberleitungen von mehreren TGV-Strecken gehängt haben. Nahezu zeitgleich hatte es auch in Deutschland zahlreiche Brandanschläge auf Signalanlagen der Bahn AG gegeben.

In einem auf deutsch verfassten Kommuniqué, das u.a. bei der taz einging, wurden die Aktionen in beiden Ländern in Zusammenhang mit dem seinerzeit rollenden Castor-Transport nach Gorleben gestellt: "Weil wir es satt haben, haben wir heute in den Morgenstunden unseren Zorn gegen das Transportnetz für Atommüll gerichtet." In französischen Veröffentlichungen hingegen nehmen weder Polizei, noch Medien oder die Beschuldigten selbst Bezug auf den Widerstand gegen Atomtransporte. Statt dessen werden die Aktionen im Lichte der sich zuspitzenden sozialen Auseinandersetzungen gesehen. Immer wieder ist die Rede von einem Buch, das einer der Beschuldigten mit verfasst haben soll. "Der kommende Aufstand" spricht vom Aufbegehren gegen die trostlos unwirkliche Gegenwart und ruft dazu auf, sich für die unweigerlich losbrechende Revolte konkret vorzubereiten. Die nervöse Reaktion auf die Sabotageakte, das inflationäre Gerede vom Terror und der unmittelbar einsetzende Medienhype spricht dafür, dass sich auch Staatsschutzorgane und die politische Klasse dieser These anschließen – und folglich schon ein wenig um ihre Ruhe fürchten...

So, und wie kommen nun die beiden ZeugInnen ins Spiel? Die beiden jetzt als ZeugInnen geladenen Personen wurden bereits Anfang des Jahres in einem Report der französischen Ermittlungsbehörden zum Tarnac-Verfahren erwähnt. Im entsprechenden Abschnitt geht es um die in Deutschland zeitweise weit verbreitete Praxis, Atomtransporte mit Hakenkrallen zu sabotieren sowie um ein vor zehn Jahren unter dem Arbeitstitel "Goldene Hakenkralle" bekannt gewordenes (und unterdessen eingestelltes) Ermittlungsverfahren, das sich u.a. gegen die beiden Vorgeladenen richtete.
Nach der Kundgebung sind 50 Leute gemeinsam zum Amtsgericht an den T-Damm gefahren.
Beide ZeugInnen haben vor dem Gericht die Aussage verweigert. Der Vernehmungsrichter wollte sich bei dem ersten Zeugen auf das Aussageverweigerungsrecht nach § 55 nicht recht einlassen. Erst nach längerem juristischen Disput mit dem Rechtsbeistand des Zeugen und Rücksprache mit seiner vorgesetzten Behörde in der Senatsjustizverwaltung hat er von einem Ordnungsgeld abgesehen. Das Ergebnis der zweiten Zeuginbefragung steht noch aus.

Am Freitag, den 17. Juli ist eine weitere Zeugenvernehmung in Hamburg angesetzt. Auch hier soll es eine Kundgebung geben. Ort: Sievekingplatz ab 12 Uhr
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Ergänzungen

Redebeitrag auf Kundgebung und Grußadresse

Solü 16.07.2009 - 19:21
Deutsch-Französische Atom-Mafia:
Die Verbindung kappen!!!


Die ständigen Pannen im Atomkraftwerk Krümmel bringen es in die Tagespresse, was für die deutsche und die französische Anti-Atom-Bewegung seit Jahrzehnten klar ist: Atomkraft ist nicht beherrschbar! Der Kampf gegen die Nutzung von Atomenergie, gegen den Bau von Atomkraftwerken und den Uranabbau (z.B. in Kanada), der auf vielen Ebenen und mit verschiedenen Mitteln geführt wird, ist der Kampf gegen eine lebensgefährliche Technologie.

Atomenergiepolitik auf internationaler Ebene

Die deutsch-französische Zusammenarbeit in der Atomenergiepolitik hat eine sehr lange Tradition. Seit den 70er Jahren wird in der Wiederaufbereitungsanlage La Hague deutscher Atommüll wiederaufbereitet und die Castoren für Gorleben gefüllt. Ebenfalls seit 30 Jahren arbeitet der Siemenskonzern mit französischen Konzernen bei Entwicklung und Bau von Atomkraftwerken eng zusammen. Die staatliche französische EdF ist Großaktionär beim süddeutschen AkW-Betreiber EnBW.
Trotz aller Pannen und Unfälle in französischen Atommeilern wie Tricastin im letzten Jahr oder aktuell in Krümmel bei Hamburg halten die Konzerne und die Regierungen am Weiterbetrieb und Ausbau der lebensgefährlichen Atomkraft fest. So baut der französische Atomkonzern Areva neue AkW's in Frankreich und China, der deutsche Energiekonzern EON in Finnland und die RWE einen russischen Bautyp in Bulgarien. Fragen der Sicherheit für die Bevölkerung sind dabei nachrangig. Vorrangig geht des den Kapitalisten um die Sicherung ihrer Profite: Die Deutschen bauen in Bulgarien den Atommeiler in einer stark erdbebengefährdeten Region. Seit Jahrzehnten werden im sogenannten Endlager Asse alle möglichen radioaktiven und giftigen Stoffe weggekippt, obwohl bekannt ist, dass es durch Wassereinläufe als Endlager völlig ungeeignet ist.
Es ist im Fall Bulgarien und auch bei der Asse klar wie Kloßbrühe, dass PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen von der Atomindustrie gekauft wurden. Und das Geschäft lohnt sich für die deutsch-französische Atommafia: Allein für den Weiterbetrieb der 17 deutschen Atomkraftwerke erwarten die vier deutschen Energiekonzerne einen Profit von mehr als 200 Milliarden Euro. Die Atomindustrie geht dafür weltweit über Leichen. Doch es ist nicht diese kriminelle Energie der Konzerne, die von der deutsch-französischen Justiz verfolgt wird. Nein, stattdessen werden Menschen kriminalisiert, weil ein paar Hakenkrallen auf Oberleitungen von Zügen geworfen worden sind, um diesen Wahnsinn der Atommafia endlich zu stoppen.

Internationaler Widerstand bringt Behörden auf den Plan

Im letzten November gab es sowohl in Frankreich als auch in Deutschland Protest- und Widerstandsaktionen, als deutscher Atommüll in Castor-Behältern von Frankreich aus ins niedersächsische Gorleben gebracht wurde. Zahlreiche Demonstrationen, Kundgebungen, Gleisblockaden und Sabotage-Aktionen an Zuglinien in Deutschland und Frankreich führten zu Millionenschäden und über tausend Zugverspätungen: der Castorzug erreichte nach einem horrend teuren Polizeieinsatz damals erst mehr als 20 Stunden später als geplant das Zwischenlager Gorleben - ein Zwischenlager, das nichts anderes ist als eine gut durchlüftete Kartoffelscheune...
Auf deutscher Seite waren Signalanlagen außer Betrieb gesetzt worden, in Frankreich sorgten Sabotageaktionen auf einigen Hochgeschwindigkeits-Trassen für großes Chaos im Wochenend-verkehr der französischen Bahn. Dabei kommen mehrere Züge zum Halten, über tausend verspäten sich. Grund sind zwei in die Oberleitung gehängte Hakenkrallen, die bei der Durchfahrt die Stromabnehmer von der Versorgung trennen.
In einem auf deutsch verfassten Kommuniqué, das u.a. bei der taz einging, werden die Aktionen in beiden Ländern erklärt: »Weil wir es satt haben, haben wir heute in den Morgenstunden unseren Zorn gegen das Transportnetz für Atommüll gerichtet.«
Kurz danach kommt es im kleinen französischen Dörfchen Tarnac und an anderen Orten zu einer großen Durchsuchungs- und Festnahmewelle. Neun Menschen werden festgenommen und zum Teil monatelang in Untersuchungshaft gesteckt.
Die französischen Behörden und Teile der Medien sprechen in geradezu inflationärer Manier von Terrorismus und knüpfen damit an die Ermittlungen gegen eine sogenannten "Anarcho-Autonome Bewegung" an, unter deren Label es bereits seit Januar 2008 zahlreiche Festnahmen in Frankreich gegeben hatte. Grund waren Aktionen gegen Abschiebegefängnisse, Teilnahme an den in Frankreich sehr starken Bildungsprotesten und Demonstrationen während der Präsidentschaftswahlen. Auch ein kleines Büchlein, das einer der Beschuldigten mit verfasst haben soll, sorgt in diesem Zusammenhang für Wirbel: Die Schrift mit dem Titel: "Der kommende Aufstand" spricht vom Aufbegehren gegen die trostlos unwirkliche Gegenwart und ruft dazu auf, sich für eine losbrechende Revolte konkret vorzubereiten. Die Behörden reagieren nervös auf dieses Buch. Sie schlagen Alarm, wenn sich Menschen international vernetzen, um dem atomaren, klimapolitischen und kapitalistischen Wahnsinn mit all seinen Zumutungen etwas entgegenzusetzen. Was wir als pure Notwendigkeit ansehen, nennt die Gegenseite wahlweise Terrorismus, "Aufständische Internationale" oder Aktionen von brutalen Chaoten.
Auch in Italien wurden kurz vor dem dortigen G8-Gipfel derjenigen Machthaber, die die Weltpolitik bestimmen wollen, zwei GenossInnen verhaftet, wegen versuchter Sabotage mit Hakenkrallen an Bahnlinien. Auch sie sollen mit weiteren 35 Personen einer »Aufständischen Internationale« angehören - wir grüßen sie und alle anderen, die keine Ruhe geben wollen!

Die Ermittlungen in Frankreich halten noch an. Alle Betroffenen sind inzwischen - unter sehr strengen Auflagen wie Kontaktverbote, Residenzpflicht etc. - wieder freigelassen, oder sie hatten sich der Festnahme entzogen. Prozesstermine sind bisher nicht in Sicht.

Deutsch-Französische Freundschaft gegen deutsch-französische Ermittlungen

Was die Tarnac-Affäre und die Sabotage-Aktionen gegen Zuglinien während des Castor-Transports angeht, wollen französische Ermittlungsbehörden offensichtlich nun auch in Deutschland ermitteln.
Für den heutigen Donnerstag sind zwei Autonome aus Berlin im Rahmen eines Amtshilfeersuchens aus Frankreich hier vor einen Richter geladen worden, um als ZeugInnen befragt zu werden. Die beiden wurden bereits Anfang des Jahres in einem Report der französischen Anti-Terror-Polizei zum Tarnac-Verfahren erwähnt. Im entsprechenden Abschnitt geht es darin um die in Deutschland zeitweise weit verbreitete Praxis, Atomtransporte mit Hakenkrallen zu sabotieren. Deutsche Behörden informierten ihre französischen KollegInnen über ein inzwischen längst eingestelltes Ermittlungsverfahren unter dem Arbeitstitel »Goldene Hakenkralle«, das sich u.a. gegen die beiden heute Vorgeladenen richtete. Auch in Hamburg gibt es demnächst eine Vorladung.
Die beiden Anti-Atom-AktivistInnen aus Berlin werden keine Aussagen machen. Sie möchten den Behörden keinerlei Informationen für deren Ermittlungen gegen den Anti-Atom-Widerstand oder gegen diejenigen liefern, die gerade als eine kriminelle Bewegung hochstilisiert werden, weil sie gegen kriminelle Politik aktiv sind. Stattdessen laden wir alle ein, nach dieser Kundgebung die beiden zum Gericht am Tempelhofer Damm zu begleiten.
Wir nutzen die uns nicht ganz freiwillig gegebene Gelegenheit, um am Tage der richterlichen Vorladung solidarische Botschaften aus dem noch viel zu ruhigen Berlin an die GenossInnen in Tarnac zu senden.

Dem System die Krallen zeigen – hier und da und dort: Sie kommen nicht durch!
Unsere Solidarität gegen Repression!
Unsere Kämpfe gegen ihre Politik!
Solidarité!


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außerdem wurde folgende "Grußadresse" verlesen:

Solidarische Grüße an die kriminalisierten Companeros und Companeras in
Berlin und Frankreich!!!

Wir, das sind die TeilnehmerInnen eines Wochenend-Seminars über
"Repression gegen soziale Bewegungen in Europa und Lateinamerika" vom
letzten Wochenende in Hessen, hörten von euren Vorladungen als ZeugInnen
für den 16.7., wo ihr gegen die sogenannten Tarnac9 in Frankreich
aussagen sollt.
Wir finden es gut und richtig, dass ihr euch nicht einschüchtern lasst
und eine Kundgebung vor der französischen Botschaft abhaltet.
Wir wünschen euch und den GenossInnen in Frankreich viel Kraft und
Durchhaltevermögen!

Hier und den kämfenden sozialen Bewegungen weltweit sagen wir:
La Lucha sigue - Der Kampf geht weiter!
Und:
No pasaran - Sie werden nicht durchkommen!
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Interview bei den Freien Radios

RadioAktiv 16.07.2009 - 22:38
Wir sprachen mit einem der Betroffenen über seine Vorladung und die Hintergründe der Repression. Zum Zeitpunkt des Interviews war noch nicht klar, was mit der zweiten Vorladung ist, da diese noch nicht zu Ende war (!). Kurz nach Ende der Sendung wurde klar, dass sie mit der Verhängung eines Ordnungsgeldes endete. Siehe vorangegangenes Posting.

Am Anfang des Interviews ist eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse in Frankreich, am Ende eine Soli-Erklärung und der Hinweis auf die Zeug_innenvorladung in Hamburg am Freitag 17.7. und die Kundgebung aus diesem Anlass.

Was der Affe sagte,

bevor sie festgenommen wurde 17.07.2009 - 10:04
„'Ich bin was ich bin' – Das letzte Angebot der Werbung an die Welt. Jahrzehnte der Entwicklung, um anzukommen, wo wir sind. Pure Tautologie. 'Ich bin was ich bin'. Mein Körper gehört mir. Ich bin ich, und du bist du, und irgendetwas stimmt nicht.

Die Gegenwart bietet keinen Ausweg, aus welcher Perspektive auch immer du es betrachtest. Alle sind sich einig, dass die Dinge nur noch schlimmer werden können. 'Die Zukunft hat keine Zukunft' lautet die Weisheit einer Zeit, die in ihrer perfekten Normalität den Bewusstseinsstand der ersten Punks erreicht.“

- Endlich! -

Wir stehen hier an der Seite unserer FreundInnen, denen der französische Staat unter dem Label „anarcho-autonome Bewegung“ ans Leder will – und zwei von uns sollen ihnen dabei helfen? Als ZeugInnen? Die sind wohl nicht ganz dicht! Never! Wir stehen hier vor der Botschaft, weil wir eine Botschaft haben: Nicht an den Staat, nicht an die Justiz - an unsere FreundInnen und alle, die sich mit ihnen verbunden fühlen. Uns verbindet, dass wir uns nicht an die herrschende Politik wenden, sie nicht kritisieren, ihr in keinster Weise helfen wollen besser zu werden. Wir wollen sie abschaffen, die gesamte zerstörerische Verwaltung dieser Welt, weil es unser Leben ist, und wir es zurückerobern werden.

Wie unsere FreundInnen setzen wir bei dem an, was alle wissen, worüber aber keiner wirklich reden will – dass es so nicht weitergehen WIRD, dass diese seit 500 Jahren auf Mord und Plünderung von Mensch und Natur gründende Weltordnung frontal auf die Wand zubrettert: ökonomisch, ökologisch, sozial, mental, so ziemlich in allen Belangen.

Es kann nicht mehr darum gehen aufzurütteln, den Beweis zu führen. Das wiederholte Beweisen selbst ist längst zur Ware, zum systemerhaltenden Selbstzweck geworden, zur Vermeidungsstrategie jeder logischen ethischen Konsequenz. Mit Medien, die immer wieder die gleichen schrecklichen Schicksale aufdecken und einem Publikum, das immer wieder so tun kann, als sei ihnen das Grauen der ertrinkenden Flüchtlinge, zerbombter Städte, der Klimakatastrophe neu – um kurz zu erschrecken, sich der fatalen Situation und der eigenen Ohnmacht zu versichern, und danach in aller Seelenruhe weiter den Geschäften nachzugehen – dass dies nicht mehr allzu lange so möglich sein wird bezweifelt ernsthaft keiner mehr. Es wird krachen!

Ca va peter!

Und plötzlich gibt es wieder gefährliche Bücher. Eines davon, „Der kommen-de Aufstand“ wird zur Zeit von den französischen Sicherheitsbehörden mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen - und sorgt auch in den reaktionären Sümpfen der USA für vorzügliche Empörung. Diese Bücher sprechen davon aus der alltäglichen Endzeitstimmung der endenden Moderne aufzubrechen und um unser Leben zu kämpfen. Den ewig hinterherhastenden Aktivismus der traditionellen Linken zu verwerfen und noch heute mit der Revolte anzufangen.

„Der kommende Aufstand“ beginnt bei den Kastrationen, die uns im Chor derjenigen halten, die umso schriller den Psalm „There is no alternative“ schmettern, je unüberhörbarer der ganze sinnentleerte Verwertungsquatsch zusammenkracht, und auf der Strasse endlich wieder vollere Stimmen laut werden. Aber er verharrt nicht in der Darstellung des Elends, sondern beschreibt es vielmehr, damit wir uns selbst, unsere eigenen Erfahrungen und Verlorenheit darin wiedererkennen. Nicht um Aufklärung geht es dabei, sondern um Resonanz. Darum sich zu finden und eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, die nicht länger kompatibel ist mit dem Kommando. Wer immer sich in der beschriebenen Leere, Zerissenheit und Trostlosigkeit wiederfindet und darauf keinen Bock mehr hat, ist eingeladen weiter mit darüber nachzudenken, wie der Misere beizukommen ist.

„Der kommende Aufstand“ ist ein praktischer Strategievorschlag. Er zielt auf die mit aller Macht verborgene innere Zerbrechlichkeit des Regimes, das aller scheinbaren Stabilität zum Trotz nach wie vor abhängig ist von der Motivation der ArbeiterInnen und davon, dass kein Schraubenschlüssel ins Getriebe rutscht. Die Angreifbarkeit ist an dieser Stelle in den letzten Jahren noch gewachsen, verbirgt sich in den dicht getakteten Abläufen der Just-In Time-Produktion, der Energie- und Transportnetze, der Informationsströme.

Es geht darum, in den Schwächen des Gegners die eigene Kraft zu erkennen, darüber nachzudenken, wie wir uns den freidrehenden Apparaten entziehen können, um gemeinsam für etwas Besseres einzutreten. Für das Knüpfen kämpferischer Bande, die nicht die alten Fehler machen: Die bei der Planung von Sabotageakten um die Notwendigkeit des Aufbaus eigener Strukturen wissen. Weil Supermärkte nur geplündert werden können, solange noch was drinne ist, braucht es neben der Faust auch die Karotte, muss der Kampf gegen das Bestehende mit der praktischen Suche nach dem ganz anderen Ganzen zusammengehen. Kämpferische Bande, die in der Freiheit der Einzelnen das Rückgrat der Gruppen erkennen – und andersrum.

Miteinander sich verbindende Gruppen, die alles das unbedingt zur gleichen Zeit wollen und jeder Vereinseitigung, jeder Vertröstung auf morgen eine klare Absage erteilen. Die als Bedingung anerkennen, dass wir mittendrin leben in einem Globalen Sozialen Krieg, in dem wir so oder so Stellung beziehen müssen. Warum also nicht einen neuen Anlauf wagen, unser Zusammenleben auf diesem Planeten so zu gestalten, dass alle was davon haben? Mal ernsthaft: Gibt es überhaupt noch irgendein Argument, das für das Beibehalten des gescheiterten Experiments Kapitalismus spricht?

Verglichen mit der Entschlossenheit, mit der indianischen Communities die kommerziellen Rohstoffräuber in Peru blockieren, verglichen mit der nüchternen Androhung französischer ArbeiterInnen, ihre bankrotte Firma zu sprengen, wenn sie nicht wenigstens ein paar Kröten fürs weitere Leben abbekommen, verglichen mit dem Realismus forderungsloser Riots nicht nur der armen Jugend in der Metropole, verglichen mit all diesen Aufbrüchen muten die KrisenmanagerInnen des Empire mit ihren dürren Durchhalteparolen schon heute so überholt an wie die gepuderten ZopfträgerInnen des Ancient Regime - schade nur, dass sie ziemlich gut bewaffnet sind.

Vielleicht ist der kommende Aufstand dennoch die Unblutigste aller denkbaren Möglichkeiten...




Der Anfang des Textes ist frei aus dem Buch „Der kommende Aufstand“ übersetzt, das es leider bisher nur auf französisch und englisch gibt. Ihr findet es bei den Materialen auf  http://tarnac9.noblogs.org. Die beste Buchrezension ever, die aus den reaktionären Sümpfen:  http://www.youtube.com/watch?v=ZKyi2qNskJc und auf der englischen Soli-Seite findet ihr das Skript:  http://tarnac9.wordpress.com

Weiterer Bericht: Wie es weiter ging

Linker 17.07.2009 - 14:26
Hier gibt es noch einen weiteren Bericht, sozusagen ein Anschlussbericht über die Zeugenvernehmung in Tempelhof:  http://www.info.libertad.de/blogs/7/193

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UND — Jeton