Knast und Kriminalitätsfurcht

Thomas Meyer-Falk 10.07.2009 08:52 Themen: Repression
Knast und Kriminalitätsfurcht

Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsfurcht beherrschen vielfach die Diskussion, wenn über den Strafvollzug und die dort einsitzenden Gefangenen die Rede ist. Medien und Politik tun das ihre, um bestehende Vorurteile zu verstärken und tendenziell Stimmung gegen Gefangene zu machen.
Knast und Kriminalitätsfurcht

Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsfurcht beherrschen vielfach die Diskussion, wenn über den Strafvollzug und die dort einsitzenden Gefangenen die Rede ist. Medien und Politik tun das ihre, um bestehende Vorurteile zu verstärken und tendenziell Stimmung gegen Gefangene zu machen.

Schaut man sich die einschlägigen Statistiken, von welchen im Folgenden die Rede sein soll an, so wird deutlich, wie sehr die Stimmungsmache Wirkung zeigt.

A.) Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS)

In der PKS veröffentlicht das Bundesministerium des Inneren alljährlich die der Polizei bekannt gewordenen Straftaten, bietet also einen Einblick in das Hellfeld der Kriminalitätsentwicklung in Deutschland (das Dunkelfeld, also jene Delikte, die nicht zur Anzeige gebracht werden, wird nicht erfasst).
Erfasste die PKS 1993 circa 6,75 Millionen Fälle, so waren es für 2008 nur noch 6,11 Millionen. Davon waren über 55 % der Delikte Diebstahl oder Betrug.
Wichtig zum Verständnis ist, die Zahl der Delikte in Bezug zur Einwohnerzahl zu setzen, denn es macht einen Unterschied, ob wenige Menschen viele Taten oder viele Menschen wenige Straftaten begehen. Vor 16 Jahren, also 1993 zählte das Statistische Bundesamt circa 80,9 Millionen Einwohner, 2008 waren es schon 82,2 Millionen.

Das bedeutet, im Vergleich der Jahre 1993 und 2008 stellen wir einerseits einen Rückgang der erfassten Delikte um etwa 636 000, zugleich aber eine Zunahme der Bevölkerungszahl um 1,2 Millionen fest.

Der subjektive Eindruck vieler Bürgerinnen und Bürger, es würden immer mehr und immer schwerere Straftaten begangen, lässt sich statistisch nicht belegen. Vielmehr ist das Gegenteil richtig.

Sexualdelikte, die immer gerne von Politik und Medien heran gezogen werden, um Gesetzesverschärfungen zu begründen (aktuell die Bestrebungen der Bundesministerin von der Leyen, auf dem Rücken missbrauchter Kinder eine umfassende Internetzensur – erfolgreich – durchzusetzen), werden in ihrer Zahl, so schockierend und traurig jeder Einzelfall ist, überschätzt. Wie hoch schätzen Sie den Anteil von Sexualtaten an der Gesamtkriminalität? 5 %? 10 %? 20 %? 30 %?.
Es sind exakt 0,9 %! Wobei man natürlich berücksichtigen muss, dass es sich dabei um die zur Anzeige gebrachten Fälle handelt (vgl. obige Bemerkung zum Dunkelfeld).
Die Zahl der Tötungsdelikte sinkt ebenso wie die Zahl der Raubüberfälle.

Während somit trotz steigender Bevölkerungszahl (1993 – 2008) die Zahl der erfassten Straftaten, wie auch die Anzahl der schweren Gewalttaten sank, stieg die Zahl der Gefangenen und Sicherungsverwahrten.

B.) Gefangenenstatistik

Die Zahl der Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten sank von 1965 bis 1995 auf 46.516 (1965: 49.573), um seitdem wieder zu steigen, auf zwischenzeitlich 62.348 (für 2008).
Befanden sich 1995 ungefähr 0,057 % der Bevölkerung in Strafhaft oder Sicherungsverwahrung, waren es 2008 schon 0,076 %, was immerhin einer Steigerung von 33,38 % entspricht (im selben Zeitraum 1995 – 2008 sank die in der PKS erfasste Zahl der Fälle um 8,32 %!).

Noch frappierender ist die Situation für in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Menschen. Die SV ist nach dem Gesetz als Maßregel der Besserung und Sicherung für die (angeblich) schwersten Fälle von „Gewohnheitsverbrechern“ gedacht, wobei die SV – nach diversen „Reformen“ - mittlerweile auch gegen Ersttäter und nach Jugendstrafrecht Verurteilte (dann auch nachträglich) verhängt werden darf.

Deren Zahl, d.h. der in SV Untergebrachte, sank von 1965, als 1430 in SV saßen, auf 183 im Jahr 1995. Seinerzeit wurde sogar die Abschaffung der SV diskutiert und es gab entsprechende parlamentarische Initiativen, unter anderem von den GRÜNEN.
Aber zwischenzeitlich stieg die Belegung der SV um sage und schreibe 152 %! Zum Stichtag 30.11.2008 waren in Deutschland 461 in Sicherungsverwahrung untergebracht, so viele, wie seit Anfang der 70'er Jahre nicht mehr. Und auch für Frauen wird das Klima härter: Waren über, man kann sagen Jahrzehnte, keine Frauen in Sicherungsverwahrung oder nahezu keine (von 1980 – 1990 je 1; bis 2006 keine) sind zum Stichtag 30.11.2008 drei Frauen in SV.

Auch die Lockerung des Vollzugs, um dadurch Gefangenen eine Reintegration in die Gesellschaft zu ermöglichen, etwa in Form des „Offenen Vollzugs“ (dabei kann der/die Gefangene tagsüber in Freiheit arbeiten, muss aber abends und am Wochenende ins Gefängnis) nimmt sukzessive ab; trotz steigender Gefangenenzahl nimmt die Zahl derer, die im Offenen Vollzug untergebracht sind, ab. Wer übrigens in der SV sitzt, hat so gut wie keine Chance auf den Offenen Vollzug. Waren es 2004 noch 8 von 334 Verwahrten, ging die Zahl auf 7 im Jahr 2008 zurück, bei nunmehr jedoch 461 Verwahrten (ein Rückgang von 36 %).

C.) Resümee

Strafvollzug, Verbrechen im Allgemeinen eignen sich als Projektionsfläche für Ängste und als Instrument „Sicherheitspolitik“ zu betreiben und Auflage, bzw. Einschaltquote zu steigern. Objektiv rechtfertigen lassen sich die Steigerungen der Zahl der Gefangenen und Verwahrten ebenso wenig, wie der Rückgang der Vollzugslockerungen. Letztlich sind Gefangene auch nur Spielball von Politik, Justiz und Medien. Angesichts der aufgezeigten irrationalen Entwicklungen sollte über Alternativen zu Knast mehr denn je nachgedacht werden.

Quellen:
PKS 2008, Hrsg. Bundesministerium des Inneren;
Statistisches Jahrbuch 2008, Hrsg. Bundesministerium für Arbeit und Soziales;
Bestand der Gefangenen und Verwahrten, Fachserie 10 des Statistischen Bundesamtes,  http://www.destatis.de

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA – 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
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Ergänzungen

Neues Gesetz : Kronzeugenregelung XXL

News 10.07.2009 - 11:59
Der Bundesrat hat die umstrittene neue Kronzeugenregelung gebilligt. Die Länderkammer, in der die Große Koalition keine eigene Mehrheit hat, verzichtete am Freitag darauf, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Dies hätte die Verabschiedung verzögern, aber nicht verhindern können, da das Gesetz nicht zustimmungspflichtig war.

Bei der Abstimmung im Bundestag hatten sich FDP, Grüne und Linke gegen die Wiedereinführung der 1999 ausgelaufenen Regelung gestellt. Auch zwischen Union und SPD war die neue Kronzeugenregelung jahrelang strittig.

Die mit dem neuen Paragrafen 46b in das Strafgesetzbuch eingefügte Kronzeugenregelung unterscheidet sich in einigen Punkten von dem früheren Verfahren. Der Strafrabatt für die Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten ist beschränkt. Ein Kronzeuge, dem eine lebenslange Freiheitsstrafe droht, kann sein Strafmaß allenfalls auf zehn Jahre verringern. Anders als früher kann die neue "allgemeine Strafzumessungsregelung" unabhängig vom Delikt des Kronzeugen auf alle schweren Straftaten angewandt werden. Das heißt, ein wegen eines Drogendelikts Angeklagter kann auch gegen einen Terrorverdächtigen als Kronzeuge auftreten. Die Regelung ist nur anwendbar auf Fälle mittelschwerer und schwerster Kriminalität.

finde ich eine sehr wichtige Sichtweise.

Willensfreiheit 11.07.2009 - 11:58


Aushebelung der Willensfreiheit



Das Strafrecht setzt normalerweise voraus, dass die Menschen einen freien Willen besitzen, also die Möglichkeiten besitzen, sich für oder zumindest gegen etwas zu entscheiden, weswegen sie auch für die Folgen ihrer Handlungen zur Verantwortung gezogen werden können. Das ist zwar schon ein altes religiöses, philosophisches und wissenschaftliches Thema, das aber hierzulande wieder größere Wellen geschlagen hat, nachdem einige Hirnforscher aufgrund neuer Erkenntnisse mit bildgebenden Verfahren behauptet hatten, dass Willensfreiheit eine Illusion sei.

Hirnforscher Wolf Singer erklärte in diesem Sinne die neurobiologische Sichtweise, die "der trivialen Erkenntnis Rechnung (trüge), dass eine Person tat, was sie tat, weil sie im fraglichen Augenblick nicht anders konnte - denn sonst hätte sie anders gehandelt." Für die Beurteilung des Verhaltens habe dies erhebliche Folgen, was er so ausführt:

"Eine Person begeht eine Tat, offenbar bei klarem Bewußtsein, und wird für voll verantwortlich erklärt. Zufällig entdeckt man aber einen Tumor in Strukturen des Frontalhirns, die benötigt werden, um erlernte soziale Regeln abzurufen und für Entscheidungsprozesse verfügbar zu machen. Der Person würde Nachsicht zuteil. Der gleiche „Defekt” kann aber auch unsichtbare neuronale Ursachen haben. Genetische Dispositionen können Verschaltungen hervorgebracht haben, die das Speichern oder Abrufen sozialer Regeln erschweren, oder die sozialen Regeln wurden nicht rechtzeitig und tief genug eingeprägt, oder es wurden von der Norm abweichende Regeln erlernt, oder die Fähigkeit zur rationalen Abwägung wurde wegen fehlgeleiteter Prägung ungenügend ausdifferenziert. Diese Liste ließe sich nahezu beliebig verlängern.


"Keiner kann anders als er ist. "

Ist doch Witzig oder???? Weil es den Schluss zu lässt, das diese Gesellschaftsform für Ihre "Kriminölles Milieu" selbst verantwortlich gemacht werden kann, quasi der wissenschaftliche Beweis, der unsichtbare Faden.

Dieses System produziert ihre eigenen "DEFEKTE" ;OP!!! ein Produkt dieser Gesellschaft!!!
habs immer gewusst.....

ein Interessanter Ansatz, beim Gericht die Beweiskette zu schließen.
(persönliche Meinung)


 http://www.heise.de/tp/blogs/6/141868

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