›Traumberuf Terrorist‹ und V-Mann ›123‹

Wolf Wetzel 09.07.2009 16:41 Themen: Blogwire Repression
Nach über zwei Stunden ging der Prozess gegen Überwachungsmaßnahmen des BfV vor dem Verwaltungsgericht in Berlin am 8.7.2009 zuende. Seitdem liegt der V-Mann 123, der das Gespräch seines Lebens geführt haben will,in der Notaufnahme des Bundesamt für Verfassungschutz/BfA
›Traumberuf Terrorist‹ und V-Mann ›123‹ nach Koma auf der Intensivstation des Bundessamt für Verfassungsschutz/BfA …. Überlebenschancen äußerst gering


Im Wissen darum, wie schwierig und grotesk zugleich es ist, die Nicht-Existenz eines V-Mannes, dessen ›Identität‹ vom BfV mit allen Mitteln geschützt wird, zu beweisen, ist das gestern mündlich verkündigte Urteil eine Sensation und Ermutigung zugleich: Der Klage, die zahlreichen Schwärzungen und die selektive Herausgabe von Akten rückgängig zu machen, wurde stattgegeben. Weder Deutschland, noch ein V-Mann sollen geschützt werden, sondern die gezielte und vorsätzliche Manipulation des G-10-Ausschusses des Bundestages, der schwere Eingriffe in Grundrechte zu genehmigen hat.

Im Folgenden ein Bericht der Frankfurter Rundschau vom 9.7.2009:


Verfassungsschutz in Erklärungsnot
Traumberuf Terrorist
VON JÖRG SCHINDLER
Berlin. Vor dem Verwaltungsgericht Berlin ging es an diesem Mittwoch um einen Spion, der womöglich nie lebte. Die Beklagte war die Bundesrepublik Deutschland, der Kläger ein Künstler und Politaktivist - der Fall ein Lehrstück darüber, wie schnell man bisweilen zum ›Terroristen‹ werden kann.
Am 7. Dezember 2006 erhält Wolf Wetzel einen Brief vom Bundesamt für Verfassungsschutz. 1998, heißt es darin, sei er rund sechs Monate lang abgehört worden, auch seinen gesamten Briefverkehr habe man kontrolliert.
Ein schwer wiegender Grundrechtseingriff. Der Anlass: Der Frankfurter wurde verdächtigt, Mitglied einer Terrorgruppe namens ›Autonome Rhein-Main-Koordination‹ (ARMK) zu sein. Entsprechende Ermittlungen verliefen jedoch im Sand. Wetzel ist erstaunt.
Der 54-Jährige macht keinen Hehl daraus, dem Staat kritisch gegenüberzustehen. Er war bei Aktionen gegen die Startbahn West, Castor-Transporte und anderen linken Vollversammlungen dabei. Auch wurde er 1996 im Frankfurter Szenetreff Café Exzess festgenommen und sofort wieder freigelassen, nachdem er sich als Journalist ausweisen konnte. Aber mit Brandstiftern und Saboteuren, beteuert er, habe er nichts zu tun. Angeklagt oder gar verurteilt wurde er nie. Von der ARMK wisse er nichts. Wolf Wetzel nimmt sich einen Anwalt.
›Das gibt's nicht mal bei James Bond‹
Die Schriftsätze, die seither hin und her fliegen und der FR in Auszügen vorliegen, zeigen einen bemerkenswerten Umgang staatlicher Stellen mit Mutmaßungen und Fakten. Um die Überwachung Wetzels zu rechtfertigen, stützen sich die Ermittler im wesentlichen auf ein Gespräch, das er am 27.2.1998 mit dem ›V-Mann 123‹ geführt haben soll.
Folgt man dem Verfassungsschutz, beichtete Wetzel darin nicht nur psychische und arbeitsrechtliche Probleme, verriet Anschlagspläne und -ziele, plauderte gar über mögliche Mitstreiter. Auch soll er - angeblicher Mitgründer einer angeblich hoch konspirativen Bande - dem nicht zur Gruppe gehörenden Mann anvertraut haben, sein ›Traumberuf‹ sei ›Berufsrevolutionär‹. ›Das gibt's nicht mal bei James Bond‹, sagt Wetzel.
Auch die Verwaltungsrichter zeigten sich am Mittwoch erstaunt: Von derartiger Zutraulichkeit, so der Vorsitzende Hans-Peter Rueß, ›träumt ja jeder Verfassungsschutz‹. Wer so rede, könne ›nur unter erheblichem Alkoholeinfluss gestanden haben‹. Da sich der Verfassungsschutz weigert, den genauen Ort und die Zeit der Terror-Beichte preiszugeben, und Wetzel schwört, das Gespräch habe nie stattgefunden, sagt sein Anwalt Thomas Kieseritzky: ›Den V-Mann gibt es nicht.‹ Wie so oft hätten Ermittler einen Terrorverdacht konstruiert, um in Ruhe die linke Szene auszuforschen.
Merkwürdig auch, dass die damalige Rundum-Überwachung von Wetzel nach drei Monaten vor allem deshalb weiter genehmigt wurde, weil er ›intensive Kontakte‹ zu einer Person unterhielt, deren Name in den Akten geschwärzt ist. Dummerweise übersah das Amt an einer Stelle den Namen, Wetzel weiß daher, dass es sich um Barbara B. (Name der Red. bekannt) handelte. Sie war damals Sozialarbeiterin in einem kirchlichen Jugendtreff in Frankfurt-Griesheim, den Wetzel leitete. ›Intensive Kontakte‹ mit ihr bestreitet er naturgemäß nicht. Eine ARMK-Zugehörigkeit konnte auch der Frau nie nachgewiesen werden. Dass der G10-Ausschuss des Bundestages, der weitreichende Überwachungen genehmigen muss, Grundrechtseingriffe auf derart dünner Beweislage durchwinkt, hält Kieseritzky für erstaunlich: ›Dem Ausschuss kann man offenbar einiges zumuten, ohne dass kritisch nachgefragt wird.‹
Das Gericht erklärte die gesamte Abhöraktion nun für rechtswidrig. Der Verfassungsschutz habe nur behauptet, aber nie bewiesen, dass es tatsächliche Anhaltspunkte für sein Vorgehen gebe. Zu den ›erheblich geschwärzten‹ Akten sagte Richter Rueß: ›Das erschließt sich uns nicht.‹ Das wiederum fand der Prozessvertreter der Bundesrepublik unfair: ›Im Vergleich zu anderen Fällen ist das hier ein sehr transparentes und faires Vorgehen.‹ Das heißt wohl nichts Gutes für andere Fälle.
Quelle: Frankfurter Rundschau vom 9.7.2009
Kurze Anmerkung und freudige Vorankündigung
Abgesehen von einigen nicht gemachten Äußerungen zu meinem (Nicht-)Tun, gibt der Bericht recht eindrucksvoll den wirklich überraschenden Verlauf der Verhandlung wieder.
Da im Laufe der Verhandlung noch brisantere Aussagen von Seiten des Vertreters des Bundesamt für Verfassungsschutz/BfA, Professor Wolff und des Vorsitzenden Richters fielen, die für alles Weitere erhebliche und erfreuliche Konsequenzen haben werden, folgt als nächstes eine sehr detaillierte Zusammenfassung und Einordnung.
In diesem Zusammenhang möchte ich mich für die große Unterstützung bedanken. Obwohl ich im Vorfeld dieses Prozesses vielen Zeitungen einen Betrag angeboten hatte, antworteten die allermeisten ›großen‹ Zeitungen mit apathischem Schweigen. Um so mehr freut mich, dass das ›Twittern und Zwitschern‹ auch hier das Schweigen durchbrochen hat.
9.7.2009 Wolf Wetzel
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