Task Force in Neukölln - Vergiß Stasi

der Unterschied der Klassen 08.07.2009 19:30 Themen: Blogwire Soziale Kämpfe
In Berlin-Neukölln, im südlichen Kiez an der Hermannstraße, leben Menschen unterschiedlichster, oft migrantischer Herkunft, nebeneinander und miteinander
Im Schillerkiez, mit verträumten schattigen Plätzen unter den Platanen, fleckigen Altbauten, treffen sich im Sommer Frauen, die ihre Kinder von der Kita abgeholt haben, Wanderarbeiter und Erwerbslose, um an Bänken ihr Bier zu trinken, Roma-Familien verweilen in der Sonne, Leute auf dem Weg zum Freitagsgebet in der Mukarram-Moschee gehen an Hell`s Angel-Typen mit Zöpfchentracht vorüber. Der Fluch der Arbeitsgesellschaft lautet erstens Arbeit, zweitens Flexibility, während es scheint, als könnten die Billigarbeiter_innen der Gesellschaft in diesem Kiez zumindest noch ihren unterschiedlichen Lebensformen nachgehen, um Atem zu gewinnen. Doch der Bürgermeister von Neukölln Heinz Buschkowsky sieht diese Vielfalt nicht gerne. Vermehrt sind Ordnungsamts- und Polizeistreifen unterwegs, und das Quartiersmanagement hat ein "Strategiekonzept Task Force Okerstraße" erdacht, das eine Vielzahl von Kontrollvorgaben für "Sicherheit und Sauberkeit" bereithält.
In dem Papier einer Frau Schmiedeknecht vom März 2009 wird der Kiez auf fast allen Ebenen als ein großes Problem dargestellt, und es wird Zusammenarbeit von Polizei, Ämtern und "engagierten Anwohnern" gefordert, um hier, sozusagen, gründlich aufzuräumen. Das Konzept sorgt sich um vermeintliche Kriminalität, die eben mal mit zugezogenen Ostarbeitern an diesem Ort in Verbindung gebracht wird. Es ist deutlich daraus zu ersehen, dass sich Bürgermeister Buschkowsky durchsetzt, der vor einem Jahr im Tagesspiegel-Interview die Gefahr von "Parallelgesellschaften" beschwor und mehr Zusammenarbeit von Polizei, Schulen und Bürgerämtern forderte.
 http://www.tagesspiegel.de/berlin/Heinz-Buschkowsky-Neukoelln;art270,2562833

Buschkowsky, der auch schon mal ein Interview für die rechte "Junge Freiheit" gab, erklärt die "Multi-Kulti-Gesellschaft als gescheitert". Seine Sichtweise ist deutlich von hinter dem Mond, durchzogen mit Rassismen. Zum Problem gehört für ihn, wenn ihm Frauen in Ganzkörperverhüllung auf der Straße begegnen. "Schwarze" und "Dealer" sind für ihn ein und dasselbe. Es ist klar, die Menschen, die in der Wirtschaft als billige Arbeitskräfte ihr Überleben fristen, sprich Arme, möchten bitte mit ihrer Lebenskultur lieber unsichtbar bleiben, selbst in dem Bezirk Neukölln mit mehr als 40 Prozent migrantischen Einwohner_innen. Warum ist Buschkowsky noch nicht zu Stammtischen und Schreibtischen bayrischer Dörfer emigriert? In Neukölln aktivierte er die Schreibtischtäter_innen, zu allergrößtem Anteil deutscher Weißer Herkunft, wie an den Namen Mitarbeitender im Konzept des Quartiermanagements zu lesen ist, Schul-Senats-und Migrationsbeauftragter gemeinsam mit der Polizei.
"Lärm und Ruhestörung durch Trinker" sind nun ein Task-Force-Objekt ("Sie da! Mal strammstehn!"- "Najut, aba mein Sterni hab ´ch bezahlt!"), ebenso wie das Verhalten der Roma und Sinti-Familien und die Schulversäumnisse von Kindern.
Es geht um "präventive Maßnahmen", die "Beseitigung von lärmverursachenden und konfliktträchtigen Faktoren im öffentlichen Raum", die "Erkennung von Auffälligkeiten". Da erinnert vieles an Stasimethoden in der DDR, und zeigt: der Neoliberalismus kann und will genauso. Der nimmt sich sogar noch, anders als die DDR-Regierung, Kameras und EU-weite zentrale Datenbanken zur Hilfe, also was ist das kleinere Übel (die Frage am Rande)? Beispiel Wohnen: da soll die Bausubstanz gecheckt werden, und Vermieter_in solle doch künftig mal genauer drauf achten, ob hier illegal untervermietet oder andere "Straftaten" begangen werden, auch Überbelegung von Wohnungen zählt dazu, denn Misere war schon immer strafbar für die Herrschenden. Es wird zur "Schaffung einer übersichtlichen Mieterstruktur/ Einrichtung von Hauswartswohnungen" geraten, ebenso zur "Schaffung einer neuen Beteiligungskultur/ Aktivierung und Unterstützung engagierter Anwohner". Die Schaffer_innen sind natürlich jenseits des Schreibtisches, machen zu schaffen, mahnen und drohen mit Knast, Schulknast oder Abschiebeknast, sollte etwas vom "Auffälligen" zum Straffälligen geraten, denn Team Green ist immer mit dabei. Erwogen wird auch, in bestimmten Fällen Hausbesuche zu machen. Haben wir also grade erst die Jobcenter-Schnüffler_innen rausgeschmissen, steht die Ordnungsamtstante samt Bulle vor der Tür? So siehst du aus (Art. 13 GG, Foto-Shooting für jeden Gast und ein angeregtes Trinkgelage im größeren Kreis sind anzuwenden).

Besonders ungut sind die rassistischen Anklänge in dem "Strategiekonzept" Hausmarke Kaserne Deutschland: Die Okerstraße im Kiez wird geehrt, ein "wachsendes globales Problem" zu sein – wann kommt die Nato?- aber übel geht es gegen "die Osteuropäer" her, die unter diesem "Problem" genannt werden: "Seit der EU-Osterweiterung in 2007 hat die Zahl der vorwiegend aus Osteuropa stammenden "Saisonarbeiterfamilien" stetig zugenommen.(...) " Ein Lagebericht habe ergeben, "dass ab April 2009 mit einem erneuten starken Zuzug von rumänischen Saisonarbeitern zu rechnen ist"- (100 von ihnen ist Berlin ja eben erst losgeworden!)- "in den dann kommenden Sommermonaten werden sich die Problemfelder des Jahres 2008 erneut wiederholen, wenn nicht sogar verschärfen. Dazu gehören Betteln, Beschaffungskriminalität, Prostitution, Schwarzarbeit, Scheinselbständigkeit, illegale Untervermietung und Überbelegung von Wohnraum, Ordnungswidrigkeiten sowie Verstöße gegen das Ausländergesetz". Die Autorin des Papiers rät darum in fast flehendem Tonfall zu "schnellstmöglichen Lösungsansätzen" ,durch Landes- und Bundesregierung. Die Frage ist nur, wenn sie sich in Neukölln so unsicher fühlt, warum arbeitet sie dann nicht sagen wir, in Zehlendorf oder in Stuttgart?

Neben der üblichen Liebe fürs Technokratensprech, bei dem für Neukölln schweißtreibende "Zielführungen", rätselhafte "Indikatoren", "operationale" Dingenskirchens aufgewendet werden, müht sich hie und da drollig stockbiederes deutsches Amtsorgan, noch irgendwie menschlich für einen "sauberen und schönen" Kiez eine Bresche zu schlagen. Das riecht nach Wurststulle und schlecht getrocknetem Nagellack, dieses Strategiepapier, soweit es menschlich ist. Wir können uns auch vorstellen, dass später im "gesicherten" Stadtviertel Polizei an der Seite der engagierten Anwohner_innen durch die leeren Straßen patroullieren und hier und da Stiefmütterchen in Kästen pflanzen wird.
Bemerkenswert, dass die Autorin die Erteilung von Informationen durch das Jugendamt und das Schulamt an das Quartiersmanagement noch bemängelt. Letzteres, in unbefangener Verbindung zur Polizei stehend, möchte doch so gern "Vernetzungs-" stelle sein! "Die Situationsbeschreibung aus dem Jugendamt blieb in weiten teilen vage und unverbindlich" (sitzen da noch denkende Personen?!), "auch das Schulamt hielt sich deutlich zurück und gab erst nach mehrmaligen Nachfragen Teilinformationen heraus" (nein wirklich? wie mühselig, auch noch mehrmals nachfragen zu müssen um Dinge, die einen nichts angehen!). Eine Sache ist mal klarzustellen, wenn es am Beginn des Strategiekonzepts heißt: "Seit 2005 gibt es vermehrt Anwohnerbeschwerden über Trinker und von ihnen ausgehende Belästigungen. Neben der Trinkerproblematik werden (…) zunehmend Nachbarschaftskonflikte durch unbeaufsichtigte, teilweise vernachlässigte Kinder und Jugendliche vorwiegend aus Roma-Familien sowie auch hier anzutreffende Trinkergruppen (upps, überall anzutreffen) festgestellt."
Bei Kinder- und Jugendlichenproblemen, die sozial und pädagogisch zu lösen sind, hat die Volksgruppenzuordnung nichts zu suchen, es ist in dieser Weise antiziganistische Stimmungsmache! Dass Ursachen für Kinder- Schulprobleme etc. bei den schwierigen Lebensverhältnissen der Niedriglohnbevölkerung und bei migrantenfeindlicher Politikausübung zu suchen sind, könnte sich Frau Schmiedeknecht von den Nachbar_innen selbst, wie auch von Soziolog_innen, Pädagog_innen erzählen lassen. Aber wer ein Herr_in-Knecht_in-Denken draufhat wie Frau Schmiedeknecht und das QM, löst Nachbarschaftskonflikte mit Polizei und Datenerhebung. Wie es scheint, damit die Beschwerden über Lärmbelästigung endlich ausgeräumt sind ( Ruhe im Karton). Das ist Militärstaat und noch dazu mit Nachtmütze! ( für eine Lächerlichkeit sind die Autoritäten dieses Landes auch manchmal zu haben). Nachbarschaftskonflikte durch Polizei und totale Datenerfassung "lösen" zu wollen, ist natürlich sehr deutsch, aber hier geht es wohl eher um systematische Verdrängung als um die vorgeschobene Behauptung, den ruhigen Schlaf von Frau X und Herrn Y aus der Okerstraße militärisch sichern zu wollen. Es ist militaristische Politik und Sicherheitspolitik verbunden mit dem Vorgang der Gentrifizierung (ahoi Cerberus, und Tempelhof liegt noch weiter brach). Wir wollen gerne die "Präventionslücke" und die Schlafstörung des Quartiersmanagements sein! Aktiv gegen Aktivierung! Bullen, Rassist_innen und Spitzel raus aus dem Kiez! Nie wieder Deutschland!

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Ergänzungen

Wie, wie den Stasi vergessen?

Und immer wieder in Deutschland 09.07.2009 - 08:24



20 Jahre nach dem Mauerfall sind nach dpa-Informationen noch hunderte frühere Stasi-Mitarbeiter im Polizeidienst der ostdeutschen Länder, dass im Landeskriminalamt (LKA) Brandenburg rund 100 ehemalige Offiziere der früheren DDR-Staatssicherheit arbeiten, das Innenministerium in Potsdam bestätigte nur 58 Fälle, am Mittwoch hatte auch das Bundeskriminalamt (BKA) bestätigt, dass nach der Wiedervereinigung einige ehemalige Stasi-Leute übernommen worden sind - 23 arbeiten dort heute noch,das Problem ist, in welchen Positionen sie da landen, wenn sie wie beim LKA Brandenburg in Leitungspositionen landen.

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums begründete die Übernahme von früheren Stasi-Mitarbeitern durch das BKA wie folgt: "Aufgrund des Einigungsvertrages sind sowohl vom Innenministerium der DDR als auch in wenigen Einzelfällen aus dem Bereich der Staatssicherheit Mitarbeiter übernommen worden." Einer von ihnen gehört auch zum Personenschutzkommando von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

"Es ist ein Schlag ins Gesicht der Stasi-Opfer, dass ausgerechnet die Täter von einst in sensible Bereiche übernommen wurden", sagte der Sprecher der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), Ronald Lässig. Es dränge sich der Verdacht auf, dass der öffentliche Dienst von Stasi-Kadern durchsetzt sei. Die Bundesregierung müsse dringend für Aufklärung sorgen, forderte die Opfervereinigung.

frage

xyz 09.07.2009 - 11:49
halloechen,

am 7.7. war doch eine besprechung im buero des quartiersmanagments. war jemand da? sollte doch um diese "task force" gehen und um die einrichtung von den ca. 3 sozialarbeiterInnen stellen usw gehen.

war zumindest in dem indy bericht von vor ca 2 wochen zu lesen, der dann aber versteckt wurde. wahrscheinlich ob der publikation der papiere des quartiersmanagements....haett dann wohl eher auf wikileaks gepostet werden sollen ;)

nk 44

harris 09.07.2009 - 21:58
die ana hat ihre doch recht interessante veranstaltung der "beat up your brain" reihe veröffentlicht. ist ziemlich spannend für leute aus dem kiez.

 http://neukoelln.antifa.net/files/vortrag_deutsch_rassistische_diskurse.pdf

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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