Ratzeburg: Nazimission missglückt

Tante Rudi 07.07.2009 15:31 Themen: Antifa Antirassismus
Am 4. Juli versuchten in Ratzeburg rund 20 Akteure der „Nationalen Offensive Herzogtum Lauenburg“ erfolglos, ihre braune Propaganda unters Volk zu bringen. Für Anmelder Sven W. endete das Vorhaben sogar in einem persönlichen Desaster. Denn eine ansässige Bäckerin zeigte ihm kurzerhand, wie unbeliebt man in der Gesellschaft doch werden kann.
Ein kleiner Aluminium-Tisch auf dem Marktplatz war ab 11.00 Uhr der Stein des Anstoßes in Ratzeburg (Schleswig-Holstein). Etwa 20 meist jugendliche Neonazis haben sich rund um den „Info-Tisch“ aufgestellt. Die meisten von ihnen sind schwarz gekleidet. Zumindest rein äußerlich ist fast das gesamte neonazistische Spektrum vertreten. Ein Teilnehmer trägt ein Shirt mit dem Schriftzug „Anti-Antifa Reinfeld“. Ein anderer trägt, ganz klassisch, Glatze und dazu eine grüne Bomberjacke. Einige andere tragen schwarze Polo-Shirts mit dem Aufrduck „Widerstand Wittenburg-Waschow“. Ein Kundgebungsteilnehmer hat auf dem linken Ellenbogen ein stilisiertes Hakenkreuz tätowiert.



Auch das Spektrum der „Autonomen Nationalisten“ ist u.a. in Gestalt von Anmelder Sven W. vertreten. W. gilt, wenngleich er dies selbst abstreitet, unter Szene-Kennern als Anführer der „Nationalen Offensive Herzogtum Lauenburg“. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss junger Neonazis, der in seiner heutigen Form seit etwa einem Jahr besteht.

Die Stimmung am Stand ist familär, aber angespannt. Zunächst scheint sich niemand für die braune Propaganda zu interessieren. Stattdessen haben ca. 50 Antifas die Neonazis mit ihren bunten Transparenten förmlich eingekreist. Die wenigen anwesenden Polizeikräfte lassen sie gewähren. Das deeskalierende Einsatzkonzept der Beamten geht auf. Der Protest wird den ganzen Tag über weitestgehend friedlich verlaufen. Gegen Mittag erhalten die Demonstrierenden Unterstützung. Das neu gegründete Ratzeburger „Bündnis für ein Miteinander mit Respekt und Menschenwürde“ aus Parteien, Verbänden, Vereinen und Kirchengemeinden hatte sich zunächst zu einer kurzen Andacht in der nur einen Steinwurf entfernten St. Petri-Kirche versammelt, und bildet nun eine 200m lange Menschenkette rund um den Marktplatz. Einige BürgerInnen gehen direkt auf die Neonazis zu, versuchen sie in Gespräche zu verwickeln und hinterfragen deren neonazistische Positionen kritisch.



Andere bedienen sich an den Werbeflyern von NPD und „Nationaler Offensive“, um sie zu Konfetti zu verarbeiten. Die Neonazis wirken von dem Vorgehen der BürgerInnen überrascht, einige gar überfordert. Ein Versammlungsteilnehmer im AN-Outfit verweist eine Ratzeburgerin bei der Frage nach seinen politischen Zielen lediglich auf die Homepage der „Nationalen Offensive“: „Da können sie das alles nachlesen.“

Nur der Anmelder scheint sich über die ihm zu Teil werdende Aufmerksamkeit sichtlich zu freuen. Bereitwillig beantwortet Sven W. alle Fragen – und verfängt sich dabei immer wieder in Widersprüche. So betont er zunächst, seine Gruppe habe mit der NPD nichts zu tun. Mit dem am Tisch ausliegenden NPD-Flyern konfrontiert, räumt er dann doch ein, dass zwischen „Nationaler Offensive“ und Partei gewisse inhaltliche Übereinstimmungen bestünden. Witte betont, seine Gruppe stünde für Gewaltlosigkeit. Dass ein Teilnehmer ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Combat 18“ trägt, stört ihn allerdings nicht.



Die offen zur Schau gestellte Solidarität mit dem neonazistisch-terroristischen Arm des Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“ falle, so W., vielmehr unter das Recht auf freie Meinungsäußerung. Angesprochen auf sein T-Shirt, äußert der junge Träger keinerlei Bedenken bzgl. des Aufdrucks. Die Frage nach Alternativen zu politischen Gewalttaten verneint er deutlich: „In diesem Land gibt es keine Alternativen.“

Dass W.s Bekenntnis zum Gewaltverzicht bestenfalls als ein schlechtes Lippenbekenntnis gewertet werden kann, beweist ein Vorfall, der sich am Heiligabend 2007 auf dem Ratzeburger Marktlatz ereignete. Eine Gruppe Neonazis bepöbelte vor einer Cocktail-Bar eine Gruppe junger StudentInnen. Die Situation eskalierte, als die Rechten mit Holzlatten auf die jungen Leute losgingen. Dabei schlug der Neonazi Christian W. einer Person stark ins Gesicht. Das Opfer verlor bei dem Übergriff einen Großteil seines Sehvermögens auf dem linken Auge. Der Fall sorgte seinerzeit für mediales Interesse, weil die Betroffenen der Polizei Untätigkeit in der Tatnacht vorwarfen. W. wurde zwischenzeitlich erstinstanzlich zu einer Haftstrafe verurteilt. Gegen das Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt.

Anmelder Sven W. distanzierte sich am Samstag von dem mutmaßlichen Täter: „Der gehört nicht zu uns. Der ist eine Lusche, der bringt überhaupt nichts auf die Reihe.“ Auf der Homepage der „Nationalen Offensive“ gehen die Neonazis noch einen Schritt weiter. Sie dementieren W.’s (anhand von Bildmaterial erwiesene) Szene-Angehörigkeit und sprechen von einer „alkoholisch motivierten Tat“.



Leider können nicht alle AnhängerInnen der „Nationalen Offensive“ an der Veranstaltung teilnehmen. Während ihre Kameraden Flyer verteilen, verkauft Melanie W., einziges weibliches Mitglied der Kameradschaft, in Sichtweite zur Kundgebung in einem Bäckerei-Geschäft Brötchen und Kuchen. Anmelder Sven W. hat hier zum 1. August einen Job in Aussicht. Nicht zuletzt diese beiden Aspekte dürften den Ausschlag für seinen (unerfüllt gebliebenen) Wunsch gegeben haben, die Veranstaltung auf einem 300m entfernten Platz stattfinden zu lassen.

Offenbar in Sorge um Melanie W’s. Wohlbefinden, sorgen drei junge Männer vor dem Eingang dafür, das keine „alternativ“ aussehende Kundschaft den Laden betritt. Als ein Antifaschist sich von den „Bodyguards“ nicht abwimmeln lässt, kommt es zu einem kurzen Handgemenge. W. fühlt sich daraufhin so stark von den Linken vor der Tür bedroht, dass sie ihre Filialleiterin herbeiruft. Diese kommt, diskutiert zunächst mit ihrer Angestellten, dann den drei Männern vor der Tür und eröffnet anschließend ihrem künftigen Mitarbeiter Witte lautstark, er dürfe sich zum 1. August einen neuen Job suchen. Ob W. in naher Zukunft ebenfalls auf Jobsuche gehen darf, ist noch unklar.



Gegen 14.00 beenden die Neonazis ihre Veranstaltung und zogen sich in ihr „NS-Haus“, eine u.a. von Sven W. im Mai diesen Jahres geschaffene Anlaufstelle für neonazistisch orientierte RatzeburgerInnen, zurück. Zum Abschluss dürfen W. und Co. auf Geheiß des Ordnungsamtes unter Anfeuerungsrufen die Papierschnipsel vom Fußboden aufsammeln, die ihnen die engagierten Ratzeburger BürgerInnen hinterlassen haben. Die Neonazis werden diesen 4. Juli nicht in positiver Erinnerung behalten.

Den Aufruf zu einer weiteren Demonstration durch die Kreisstadt am 22. August hatte die „Nationale Offensive“ bereits am vergangenen Freitag aus dem Netz genommen. Die Hintergründe sind unklar. Insider mutmaßen bereits, dass ihm möglicherweise die Unterstützung von außen, z.B. wegen dem dann laufenden Bundestagswahlkampf durch die NPD, verwehrt worden ist.

Allerdings ist nach dem Reinfall fraglich, inwieweit die „Nationale Offensive“ überhaupt noch Unterstützung (sowohl personell als auch finanziell) durch die finanzschwache Partei erhalten wird. W. wollte am Samstag keine klare Stellungnahme abgeben. Aber er versichert: „Es wird in jedem Fall etwas stattfinden.“

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Ergänzungen

super

sache 07.07.2009 - 18:42
gutes beispiel dafür, dass "die Bürgerlichen" und "die Antifa" gemeinsam+erfolgreich agieren können.

Infos zu Hintergründen

Tante Rudi 07.07.2009 - 22:04
Zu der Frage wegen des NS-Hauses:
Das NS-Haus wird von Sven Witte, Robert Völker und Christian Wachholtz.
Das Haus dient nach Angaben der Nasen als "Anlaufstelle für alle national-gesinnten und wirklich sozialistischen Deutschen" und ist durchgehend "geöffnet", da der Großteil der dort wohnenden Nazis arbeitslos ist und daher den ganzen Tag im Haus hockt. Wachholtz selbst ist dabei bei Aktionen der Haushund, da er aufgrund seiner straftätlichen Vergangenheit sich nichts mehr "erlauben" darf.

Das Haus liegt in einer alten Seitenstraße, der Schmiedestraße, mitten im Stadtzentrum, etwa 500 Meter vom Marktplatz weg.

Das Gebäude selbst ist grau-blau und hat eine schwere Doppeltür im Eingangsbereich.
Außerdem ist es mit antifaschistischen Parolen beschmiert.
Kann man nich verfehlen. ;)



Zu dem Thema Antifa + Bürgerliche:
Ich will hier nich in Selbstprofilierungswahn verfallen, aber wir sind doch sehr froh darüber, dass sich aus unseren kontinuierlichen Minikundgebungen aufm Marktplatz RZ und Pressemitteilungen (auch über die Partei Linke) solch ein Bündnis formiert hat.
Dass die Leute nicht wegschauen und was dagegen machen, ist sehr begrüßenswert und bei der Entwicklung (NS-Haus, Vorfall Dez. 2007) dringend nötig gewesen.

In dem Artikel der Lübecker Nachrichten werden wir widerrum von Herrn Burmester (dem Autor des Zeitungsartikels) dermaßen verkürzt diffamiert, dass man beim Lesen nur den Kopf schütteln kann.
Da stellt dieser Hohlpfosten die Antifaschistische Aktion und solid-Gruppen auf eine Stufe mit den dort vertretenen Nasos, frei nach dem Motto: "Beide, Rechte wie Linke, brüllten sich ihre hohlen Parolen an den Kopf und begröhlten den gesamten Marktplatz" ...
Kein Kommentar.

Aber wie gesagt: Wir sind froh über das Bündnis, es waren locker 200 Leute, die gegen den Stand demonstriert haben und viele der bürgerlichen Gottesdienstgänger haben sich sogar zu uns "bösen Linksradikalen" dazugestellt und hatten eher weniger Berührungsängste.
Gebissen von uns hat keiner. ;)


Ach ja, bisher sind weder ['solid] noch Antifa in dem Bündnis drin, aber das ist so gewollt, da man sonst eher konservative oder weniger linke Bündnismitglieder verschreckt.
Aber es funktioniert auch so.

infos zum "ns-haus"

hörer 10.07.2009 - 14:05
gibts bei den beiträgen bei___

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Kritik — jon

arbeit arbeit..... — nasenfreddy

Super gemacht! — Kevin S.

Fotos — muss ausgefüllt werden