HU-Berlin: Nach dem Bildungsstreik

hu-studi 23.06.2009 21:45 Themen: Bildung Soziale Kämpfe
+++ Vollversammlung mit 500 Studierenden zur Auswertung, weiterem Vorgehen und Perspektiven
+++ Berliner Hochschulhaushalt weiter unsicher - Kürzungen drohen
+++ Sitzung des akademischen Senats - Veränderung in Trippelschritten
+++ 4. Etage der Dorotheenstr. weiterhin besetzt - Unterstützung notwendig
Am Montag fand, zeitgleich zu einer Vollversammlung (VV) an der TU, auch an der HU eine
VV unter dem Titel "Bildungsstreik und nun?" statt. Anwesend waren ca. 500 Teilnehmer_innen.
Diese zeigt, das auch weiterhin Interesse und Drang nach Veränderung besteht und viele
Leute durch die Bildungsstreikwoche politisiert wurden und weiter machen wollen.
Es wurde zunächst über die Streikwoche berichtet und diese ausgewertet. Dann wurde das
weitere Vorgehen besprochen. Als erster Schritt wurden 4 Anträge an den heute tagenden
akademischen Senat beschlossen. Darüber hinaus wurde aber deutlich gemacht, dass die
Proteste weitergehen müssen um weiter Druck zu machen. Es wurden erste Überlegungen
angestellt, wie es weitergehen könnte.


Heute fanden die Sitzungen des Konzils und des Akademischen Senats statt. In der Konzilssitzung
ging es um den Rechenschaftsbericht des Präsidiums; spannend wurde es dann aber erst richtig im
Akademischen Senat, dem über 100 Studierende beiwohnten. Durch bloße Anwesenheit, durch
klatschen und klopfen bei Anträgen und Redebeiträgen schufen die UnterstützerInnen eine
eindrucksvolle Kulisse.

In einer kurzen aktuellen Stunde berichtete HU-Präsident Markschies über den aktuellen
Stand der Hochschulvertragsverhandlungen. Der Tagesspiegel hatte heute morgen berichtet,
das der Senat den Hochschulen in de nächsten zwei Jahren 35 Mio. Euro zusätzlich bewilligen
will. Dies wäre zwar schon mehr als die zuvor angekündigte 1%ige Erhöhung des Etats aber
noch unter der Forderung der Hochschulen, die 180 Mio. Euro für 4 Jahre, bzw. 45 Mio. Euro
pro Jahr gefordert hatten, nur um den derzeitigen status quo der Lehre halten zu können [1].
Auch wenn diese Summe eine höhere ist als die ursprüngliche Ankündigung einer 1%igen
Erhöhung der Hochschulhaushalte, so würde sie vermutlich trotzdem eine weitere Kürzungs-
runde bedeuten. Markschies betonte, auch diese Summe stehe, entgegen dem, in den
Medien erzeuten Bild, noch nicht fest, bzw. könne noch verändert werden und er wolle
dafür kämpfen das finanzille Bedarf der Hochschulen gedeckt sei.

Erster ordentlicher Tagesordnungspunkt waren dann die Forderungen des bundesweiten
Bildungsstreiks mit den 4 Überpunkten soziale Öffnung der Hochschulen, Abschaffung des
BA/MA-Systems in seiner bisherigen Form, Demokratisierung der Hochschulen und
Verbesserung der Lehr- und Lernbedingungen sowie die auf der Vollversammlung
beschlossenen Forderungen für die HU. Beiden umfangeichenen Forderungskatalogen
wollte die Professorenmehrheit des AS nicht pauschal zustimmen. Mathematik-Professor
Griewank sagte dazu treffenderweise: „Eine Zustimmung wäre heuchlerisch, weil wir damit
unsere gesamte bisherige Politik umkehren müssten.“ Nichtsdestotrotz wurde danach eine
Erklärung beschlossen, die besagte, dass der AS die Kernforderungen der Studierenden im
Rahmen des Bildungsstreiks unterstützte. Diese wurde später durch einen ausführlicheren
Antrag ersetzt, in dem es heißt, dass sich alle Statusgruppen der Universität mit dem Ziel
zusammensetzen sollen, die Studiensituation in den Bachelor und Master-Studiengängen
zu verbessern.

Anschließend wurde es konkreter; es ging um 4 formulierte Anträge der Studierenden, die am
Montag auf der VV beschlossen wurden.

1. „Die Abschaffung von Funktionsstörungsattesten“ wurde einstimmig angenommen! Hier geht
es um die Praxis das Studierende Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbinden sollen, damit diese
bei Versäumen einer Prüfung dem Prüfungsamt genaue Symptome mitteilen können.

2. „Der Akademische Senat findet es wünschenswert Anwesenheitslisten abzuschaffen. Dies soll
in einer verfassungs- und geschäftsordnungskonformen Form bis zum Wintersemester 2009/10
geschehen.“ Der Antrag musste in dieser Weise umformuliert werden, weil der Senat es nicht
direkt beschließen kann, da hierfür die Allgemeinen Studien- und Prüfungsordnungen umformuliert
werden müssen. Auch dieser Antrag wurde angenommen, mit 12 Ja-Stimmen, 7 Nein-Stimmen und
3 Enthaltungen

3. „Der Akademische Senat beschließt die Überarbeitung aller BA/MA-Studiengänge bis zum WS
2010/11, bei denen dies rechtlich möglich ist und drängt bei jenen, wo dies nicht der Fall ist auf
Veränderung (z.B. Lehramt). Die Überarbeitung geschieht unter folgenden Maßgaben: - Reduzierung
des Workloads (bei 2 Enthaltungen) - verbesserte Studierbarkeit (einstimmig) - Einführung eines
Moduls (10 SP) „Wahlfreiheit“ (Studium genarale) in allen Studienfächern (9 Ja-, 6 Nein-Stimmen,
6 Enthaltungen). Umgesetzt werden soll dies in Kommissionen in den Instituten, die zur Hälfte mit
Studierenden besetzt sind, sofern solche entsprechenden Gremien noch nicht vorhanden sind. -
Überprüfung der Prüfungsmodalitäten (einstimmig)

4. Der einzig negativ beschiedene Antrag sah das Vorhalten von 50 Master-Plätzen für 50 Bachelor-
Plätze vor, also die Garantie eines sicheren Masterplatzes für alle BachelorabsolventInnen. Es
wurde argumentiert, dass dafür weniger Bachelor-Plätze angeboten werden müssten, daher ist
der Antrag bei Zustimmung der 3 Stimmen durch die StudierendenverteterInnen abgelehnt worden.
[2]

Insgesamt ist heute ein kleiner Erfolg gelungen. Der Streik hat Eindruck hinterlassen und die Form
konkrete Anträge durch die studentischen VertreterInnen in die Gremien zu tragen (mit dem
Rückhalt der VV-Beschlüsse und der Anwesenheit so vieler Studierender) ist vorerst aufgegangen.
Nun geht es darum dran zu bleiben und bei der nächsten Sitzung wieder dabei zu sein, schließlich
wird es dann um die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeitsgruppe der Statusgruppen zur
verbesserten Studiensituation gehen.

Und noch ein konkretes Ergebnis hat der Bildungsstreik gebracht:
Die 4. Etage des Seminargebäudes am Hegelplatz in der Dorotheenstr. 24 ist weiterhin besetzt [3].
In den Seminarräumen stehen Sofas, vom (nun offenen) Balkon hängen Transparente, in den
zur S-Bahn gerichteten Räumen verkünden große Buchstabenlettern, die frohe Kunde vom
neuen universitären Freiraum. Ebenfalls wurde ein kleines Cafe eingerichtet, manchmal gibt es
Vokü und der neue Freiraum steht für von euch organisierte Veranstaltungen offen.

Folgende Bitte richteten die Besetzer_innen heute an Studierende und sonstige Unterstützer_innen:

"Das Präsidium wird morgen mit den Besetzer_Innen darüber sprechen, wie es mit der Etage weiter
geht. Sie werden vorher im Senat die heute beschlossenen Forderungen vorgelegt bekommen. Wir
gehen davon aus, dass wir morgen sehr klare Aussagen von Seiten der Uni bekommen werden,
dass wir die Räume verlassen sollen bzw. welche Räume sie uns ersatzweise anbieten können. Die
Diplomatie-AG wird keine Zusagen machen oder Beschlüsse annehmen/ablehnen. Wir laden euch
daher dazu ein, am Mittwoch um 18 Uhr zum offenen Plenum zu kommen, in dem über die Inhalte
des Gesprächs mit der Leitung und wie damit umgegangen wird, diskutiert werden soll. Die
Diplomatie-AG kann der Uni nur weitertragen, was ihr entscheidet."

nächster Termin also: Mittwoch, 24.06.09 18 Uhr in der besetzten Etage am Hegelplatz/Dorotheen-
str. 24, Berlin Mitte/S-Friedrichstr.

[1]  http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/Hochschulen-Juergen-Zoellner;art304,2830749
[2]  http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/art304,2830751
[3]  http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/Bildungsstreik%3bart304,2829951
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Ergänzungen

Bildungsstreik

Clipper 24.06.2009 - 11:12
hier ein genial gemachter Clip zu den Protesten:

 http://www.youtube.com/watch?v=jgsQE2NCVrc (normale Qualität)

 http://www.youtube.com/watch?v=jgsQE2NCVrc&fmt=18 (gute Qualität)

 http://www.youtube.com/watch?v=jgsQE2NCVrc&fmt=22 (HD - hervorragende Qualität)

Video

:-: 24.06.2009 - 13:21
noch ein "genial" gemachter clip. spiegel tv hetzt wie immer - trotzdem interessant:

pressemitteilung

studi 25.06.2009 - 00:22
Die HU beugt sich dem Druck der Studierenden – Streik zeigt erste Wirkung

Im heutigen Akademischen Senat lagen mehrere Anträge der Studierenden vor,
die kurz zuvor von der Vollversammlung (VV) im Rahmen des Bildungsstreiks
beschlossen wurden. Der Einladung der studentischen Vertreter_innen
folgten heute mehr als einhundert Studierende. Nicht ganz unbeeindruckt
vom zahlreichen Erscheinen der Studierenden beschloss der AS einige
weitreichende Änderungen.

HU-weite Abschaffung der Funktionstörungsatteste
Ein einstimmiges Votum gab es bei der Abschaffung der
Funktionsstörungsatteste. In diesen mussten Studierende in der
Vergangenheit den Arzt von der Schweigepflicht entbinden, sobald sie sich
zu einer Prüfung krank meldeten. Viele Studierende hatten sich in den
vergangenen Monaten mit Diskussionen, Unterschriftenlisten und zuletzt in
der Vollversammlung vehement gegen eine derartige Praxis ausgesprochen.
Tobias Roßmann, Referent für Lehre und Studium des ReferentInnenrates:
„Zum Glück ist diesem datenschutzrechtlich bedenklichen Vorgang nun ein
Riegel vorgeschoben. Die HU scheint damit die erste Universität zu sein,
die diesen Humbug wieder abschafft. Dies ist ein großer Erfolg für die
Studierenden und hat hoffentlich bundesweite Signalwirkung!“

Überarbeitung der Studienordnungen
Weiterhin hat der akademische Senat in der heutigen Sitzung positiv
darüber entschieden, alle Bachelor- und Masterstudiengänge zu
überarbeiten. Ziele sind die Reduktion des Workloads, die Verbesserung der
Studierbarkeit sowie die Anpassung der Prüfungsmodalitäten an die realen
Lebensumstände der Studierenden. Dies soll bis zum Wintersemester
2010/2011 beendet sein.

Darüber hinaus ist es den Studierenden gelungen die Einführung eines
Wahlfreimoduls im Umfang von mindestens 10 Studienpunkten durchzusetzen.
Dieses Modul wird aus dem kompletten Angebot der HU frei wählbar sein.
Auch selbstorganisierte Seminare und Projekttutorien fallen darunter, ohne
dass eine Modulabschlussprüfung erforderlich ist. "Mit der Überarbeitung
der Studiengänge und der Einführung des „Wahlfrei-Moduls“ können wir die
Studiensituation kostenneutral erheblich verbessern", sagt Lena Müller.
"Endlich wurde das Recht der Studierenden wieder anerkannt, ihr Studium
zumindest in einem kleinen Teil selbst zu gestalten. Es gibt jetzt endlich
wieder Zeit für eigene Schwerpunktsetzung. Die Studienbedingungen in den
neuen Studiengängen sind bisher oft entmündigend und gehen an der
Lebensrealität der Studierenden vorbei. Wir erwarten gespannt die
Ergebnisse."

Abschaffung der Anwesenheitskontrolle eingeleitet
Weiterhin leitete der AS ein Verfahren zur Abschaffung der
Anwesenheitskontrollen an der HU ein. In der nächsten Sitzung steht damit
die Änderung der Allgemeinen Satzung für Studien- und
Prüfungsangelegenheiten auf dem Plan. Ziel ist es, die sozial selektiv
wirkenden Anwesenheitskontrollen (z. B. Anwesenheitslisten usw.)
abzuschaffen.
Tobias Roßmann dazu: „Es ist eines der großen Mißverständnisse des
Bologna-Prozesses, dass die Anwesenheit per Liste nachgewiesen werden
muss. Die Modulabschlussprüfung ist das einzige Kriterium für den
erfolgreichen Abschluss. Das gilt es in der nächsten Sitzung
durchzusetzen.“

Unterstützung der allgemeinen Streikforderungen
Keine Unterstützung fanden hingegen die allgemeinen Forderungen aus dem
bundesweiten Bildungsstreik 2009 (www.bildungsstreik2009.de) sowie der
Forderungskatalog der HU Studierenden (www.refrat.de), welcher in der
Vollversammlung vom 10. Juni 2009 verabschiedet wurde. Vieles davon könne
man unterstützen, so eine Mehrheit im AS. Unter anderem fand die Forderung
"Einheit von Forschung und Lehre statt der Exzellenzinitiative" auch auf
Professor_innenseite breite Zustimmung. Da die Anträge allerdings erst
sehr kurzfristig eingereicht wurden, sei eine abschließende Diskussion
über die Forderung nicht möglich gewesen, so der einhellige Tenor.

Es wird zur kommenden Sitzung des Akademischen Senats in zwei Wochen eine
neue Vorlage aller Statusgruppen erarbeitet, welche dann Unterstützung
finden soll. "An dieser Stelle zeigt sich, dass eine aktive
Auseinandersetzung mit dem Bildungsstreik 2009 nicht stattgefunden hat",
sagt Silvia Gruß, Vertreterin im Akademischen Senat der HU und
Mitorganisatorin des Streiks. Sie ergänzt: "Wer sich mit uns und unseren
Forderungen für ein demokratisches und soziales Bildungssystem
auseinandersetzen will, braucht nur einen Blick auf unsere Homepage zu
werfen."

Master-Zulassung für alle
Ein weiterer Punkt war der inner-universitäre Übergang vom BA zum MA. In
dieser Forderung der Vollversammlung drückte sich vor allem die Angst der
Studierenden aus, keinen Master-Platz zu bekommen. Lena Müller, Mitglied
im Akademischen Senat: „In der Lehramtsausbildung herrscht ein Verhältnis
von drei BA-Studienplätzen zu einem Masterplatz, HU weit gibt es nur etwa
halb so viele Masterplätze wie Bachelorplätze. Folglich wird nicht jedeR
einen Studienplatz bekommen. Das ist hochproblematisch, weil der BA in den
meisten Fällen nicht berufsqualifizierend ist.
Leider fand sich im akademischen Senat keine Mehrheit für dieses Anliegen.
Lena Müller: „Es ist schade, dass eine der Kernforderungen nicht erfüllt
wurde. Das heißt wir werden weiter Druck machen müssen!“


Das Ergebnis der heutigen Sitzung ist ein wichtiges Signal für unsere
Studierenden. Es macht deutlich, dass es sich lohnt für politische
Veränderung zu kämpfen. Silvia Gruß: „Natürlich sind damit nicht all
unsere (Bildungs-)politischen Forderungen erfüllt. Aber dieser Erfolg
motiviert uns weiter zu kämpfen!“

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Grüße — Mensch

Realistischer Bericht — Schmidti