Leipzig: Rassismus mit System(-Bauweise)

Wissen-schafft-Wissen 23.06.2009 18:32 Themen: Antirassismus Soziale Kämpfe
Zusammenfassung der Situation rund um die Entscheidung der Stadt Leipzig zur Schließung zweier existenter Asylbewerberheime zugunsten des Bauvorhabens eines neuen in der Wodanstaße 17a. Das Ganze Projekt offenbart die grundlegende rassistische Politik im Zusammenhang mit den AsylbewerberInnen und Flüchtlingen anderer Herkunft.
Am 17. Juni hat der Leipziger Stadtrat, trotz massiver Kritik von Initiativen, Betroffenen und UnterstützerInnen beschlossen, dass die beiden bestehenden Asylbewerberheime zugunsten einer "Asylbewerberunterkunft in Systembauweise, am bereits 2000 - 2006 für den gleichen Zweck genutzten Standort, Wodanstraße 17a" geschlossen werden.

Derzeit bestehen in Leipzig zwei, zu etwa 60% bewohnte Flüchtlingsherbergen. Eines in der Liliensteinstraße 15a, in dem 109 Menschen „leben“, sowie ein weiteres in der Torgauer Straße 290, in dem 175 Menschen „leben“. Die Stadt Leipzig begründet die „Notwendigkeit“ der Auflösung der beiden bereits bestehenden Asylbewerberheime mit der Feststellung, dass das Führen zweier „nicht voll ausgelasteter Heime“ unwirtschaftlich sei.

Ursprünglich erschien der Stadt, die Schließung des Heimes in der Liliensteinstraße aus „diversen sozialpolitischen Gesichtspunkten“ für sinnvoll, so heisst es in der Begründung:
„Im Rahmen einer Analyse der beiden Heime Ende 2008 wurde als einzig möglicher Handlungsansatz die Schließung des Heimes in der Liliensteinstraße 15a […]“.( http://linke-bueros.de/linxx_dokumente/1245068655.pdf)
Diese finale Ansicht änderte sich schlagartig, als der Stadt bewusst wurde, dass sich das Heim in der Torgauer Straße auf einem Gewerbegebietskomplex befindet, der evtl. sogar das Interesse eines Investors genießt, so heißt es weiter:
„Das Grundstück Torgauer Straße 290, Flurstück 800/1 der Gemarkung Paunsdorf, liegt im Gebiet des Bebauungsplanentwurfs Gewerbegebiet Heiterblick und ist als Gewerbefläche ausgewiesen.“ und „Dem Dezernat Wirtschaft liegt eine Bedarfsmeldung eines Investors für eine Ansiedlungsfläche an diesem Standort vor. Ziel ist deshalb, das Asylbewerberheim Torgauer Straße 290 zu schließen, damit diese Fläche als Gewerbefläche für die Erweiterung ansässiger Firmen bzw. durch die Ansiedlung anderer Firmen veräußert werden kann und damit die Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen gesichert wird. Gleichzeitig sind bei der Flächenveräußerung Einnahmen in Höhe von ca. 500.000 € zu erzielen. Da die Schaffung von Arbeitsplätzen oberste Priorität für die Stadt Leipzig hat […]“ ( http://linke-bueros.de/linxx_dokumente/1245068655.pdf)
Diese grundlegende Einstellung bestätigt auch Martina Kador-Probst, Leiterin des Sozialamt der Stadt Leipzig, i.V. für OBM Burkhardt Jung: „Und Arbeitsplätze haben in Leipzig nunmal Priorität“. ( http://www.lvz-online.de/aktuell/content/100677.html)

Nicht nur diese äußerste Widersprüchlichkeit der Begründung, nein vielmehr die ökonomische Profitrationalität, die aus ihr spricht, machen das ganze Unternehmen von Grundauf zu einem Akt der Menschenfeindlichkeit. Die Tatsache, dass es sich bei den BewohnerInnen der Heime um Asylbewerber handelt, die in besonderem Maße unserer Hilfe bedürfen und die für selbige resultierenden Folgen, werden im Angesicht der Möglichen Schaffung von Arbeitsplätzen völlig ausgeblendet.

Bei der Suche um einen Alternativplatz standen diverse ähnlich fragwürdige Anforderungen im Vordergrund, so wurde das Liegenschafftsamt aufgefordert einen Ort zu ermitteln der nach Möglichkeit nicht in der Nähe von Schulen, Kindergärten oder Spielplätzen, trotzdem aber die gute Anbindung an das Konsumnetzwerks Leipzig hat.( http://linke-bueros.de/linxx_dokumente/1245068655.pdf)
Was genau die „vielfältigen sozialen Probleme, der Flüchtlinge oder mit dem Flüchtlingen sind, die die Stadt veranlassen sie derartig von der Gesellschafft der Leipziger BürgerInnen auszugrenzen, bleibt dabei durch abstrakte Begriffe völlig unzureichend erläutert. Fakt scheint zu sein, die AsylbewerberInnen sollen sich im Anliegenden Marktkauf ihre finanzielle „Habe“ entledigen aber sonst bloß nicht zu viel Spaß haben. So wird von den AntragstellerInnen eine mögliche Unterbringung „in der Nähe des Erholungsgebietes am Silbersee“, wegen eben dieser Nähe für ungeeignet erklärt.(  http://linke-bueros.de/linxx_dokumente/1245068655.pdf)
Die Entscheidung fiel dann endgültig auf die Wodanstraße. Besonders hervorgehoben wurde in der Begründung, die Akzeptanz durch das direkte Umfeld. Es ist schon sehr erfreulich, dass sich das Kreiswehrersatzamt sowie das THW nicht über die neuen – alten – Nachbarn ärgern werden.
(In den Jahren 2000-2006 gab es bereits eine Einrichtung zur Unterbringung von Asylbewerberinnen und Flüchtlingen. Diese wurde im Zusammenhang mit einer Verordnung geschlossen, die es zum Ziel hatte, die Massenhafte Unterbringung von Menschen als Unzeitgemäß zu beenden.)
Sicher gibt es auch andere Anwohner in der Wodanstraße, allerdings nicht in unmittelbarer Nähe und damit diese auf ihren Wegen nichts von der Anwesenheit mitbekommen, ist eine weitere Bedingung, dass der Gebäudekomplex zurückgesetzt – abseits von der Straße - angelegt werden kann.

Der Punkt das zur Unterbringung der AsylbewerberInnen „übergangsweise“ Container aufgestellt werden müssten wird dabei mit dem Argument „Es handelt sich nicht um Container sondern um Unterkünfte in Systembauweise", vom Sozialamt Leipzig völlig verharmlosend abgewehrt. Schulen seien nicht nötig, heißt es weiter, da die Untergebrachten eh zum größten Teil alleinstehende Männer seien.

Fakt ist, dass die Entscheidung deutlich macht, dass die Stadt NICHT das Wohlergehen der Menschen, die hier Asyl suchen im Sinn hat, sondern die reine Profitorientierte – am besten nur vorrübergehende – Unterbringung auf Kosten, der Menschenwürdigkeit des Lebens der Untergebrachten. Es zeigt sich ganz deutlich, dass das Recht auf Asyl in Deutschland nur noch eine Farce ist, mit der sich die Gesellschaft zuweilen schmückt, die aber ihren wahren Gehalt zum Vorschein bringt wenn die „wirklich wichtigen“ Ziele und Motivationen wieder an Relevanz gewinnen: Macht und Kapital im Sinne des eigenen Wohlergehens.
Es wird gezielt massive Desintegration betrieben. Die Stadt versteckt sich hinter Floskeln wie „zur Abwehr von vielfältigen sozialen Problemen“ oder hinter scheinbar unanfechtbaren Maßgaben des Freistaates Sachsen wie „[… es] sei eine Vorgabe des Freistaat Sachsen. Diese Vorgabe haben wir umzusetzen, nur dafür kriegen wir Geld.“(  http://www.lvz-online.de/aktuell/content/100677.html)
Die Stadt entzieht sich mit den pragmatisch erscheinenden Argumenten jeder Debatte, über die theoretische Basis ihres Vorgehens. Der Umgang mit den Flüchtlingen und AsylbewerberInnen ist über alle Maßen menschenunwürdig und zutiefst rassistisch. Die Schaffung des Flüchtlingsheimes in der Wodanstraße käme einer rassistischen Segregation gleich, die es zum Ziel hat die Menschen die unsere Hilfe und Unterstützung benötigen, einfach von der breiten Gesellschaft abzuspalten und ihnen das Leben als Teil der Gemeinschaft so unerreichbar wie möglich zu machen.
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Die Onlinepetition:

 http://www.ipetitions.com/petition/containerunterkunft/

Weiterführende Links:

 http://linke-bueros.de/text.php?textID=5517&naviID=451&openCont=
Hier findet ihr einen Text der als Flugblatt auf der Kundgebung, gegen die Errichtung des Flüchtlingsheims in der Wodanstraße, vorgelesen und verteilt wurde.
Sowie die Presseerklärung, 15.6.2009, Initiativkreis für die Integration von AsylbewerberInnen in Leipzig

Das Anliegen des Initiativkreises online unterstützen! ( http://linke-bueros.de/linxx_dokumente/1245068428.pdf)

Stellungnahme der Gesellschaft für Völkerverständigung ( http://linke-bueros.de/linxx_dokumente/1245068428.pdf)

Vorlage der Stadt Leipzig ( http://linke-bueros.de/linxx_dokumente/1245068655.pdf)

 http://leipzig.noblogs.org/post/2009/06/13/leipziger-asylpolitik-und-rassistische-einstellungsmuster

 http://www.lvz-online.de/aktuell/content/100677.html
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Ergänzungen

Burkhards Nächstenliebe, so so!

medienguerilla 23.06.2009 - 22:40
Die Geschichte wird umso skandalöser, je mehr man sie kontextualisiert:

--> Leipzig ist eine Stadt, die trotz massivem Rückbau (auch von denkmalgeschützem Altbau wie der Alten Funkenburg) über rund 60.000 leerstehende Wohnungen bzw. 20 Prozent Leerstand verfügt. Für "neue" Containerbaracken im Niemandsland an der Autobahn besteht daher wahrlich kein Bedarf. Es sei denn, die Poliker wollen befreundeten Unternehmern mal wieder lukrative Aufträge zuschachern - im "Sachsen-Sumpf" oft genug passiert.
--> Das Geburtshaus von Hanns Eisler nahe des Hauptbahnhofs steht seit vielen Jahren leer. Das wäre schon deshalb eine prima Lösung, weil Eisler wahrlich wusste, was es bedeutet, politischer Flüchtling zu sein.
--> Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung hat eine christliche Karriere hinter sich, von der evangelischen Volksschule über ein Theologiestudium bis zur Leitung des evangelischen Schulzentrums in Leipzig. Dennoch ist seine Nächstenliebe derart unterentwickelt, dass er Flüchtlinge an den Rand eines Industriegebiets in die Wodan(!)straße abschieben will, auf sechs Quadratmeter pro Person. Selbst Lenin hat jedem Sowjet acht Quadratmeter zugestanden. Burkhard, Du machst mich wütend!
--> In der selben Stadtratsitzung, in der die Containerbaracke beschlossen wurde, wurde auch beschlossen, das Klinger-Gemälde "Der pinkelnde Tod" zu kaufen. Als Preis werden 750.000 Euro genannt. Laut LVZ will die Stadt den Preis aber noch drücken. Das Bild wird von unbeteiligten Fachleuten auf 120.000 bis höchstens 250.000 Euro geschätzt. Dafür kann die Stadt es ja gern kaufen. Für die gesparten 500.000 Euro können sie das Haus in der Torgauer Straße behalten - da wohnen die Flüchtlinge nämlich ganz gern.

Situation in Leipzig

Radio Corax 24.06.2009 - 01:02
Am 17.06.2009 wurde im Stadtrat die Auflösung der beiden existierenden Asylbewerberheime in Leipzig beschlossen. Es soll ein neues Heim in "Systembauweise" entstehen in der Wodanstr. Dort gab es bis 2007 bereits ein Asylbewerberheim - einen Containerbau. Nun haben die Bewohner der beiden Heime Angst, dass sich die Zustände weiter verschlechtern. Deswegen gab es gestern eine Kundgebung vor dem Rathaus, die erstmal die Vertagung der überraschend gekommenen Beschlußfassung forderte und stattdessen ein völlig neues städtisches Konzept für die Unterbringung der Asybewerber_innen möchte.

Sina von Radio Blau hat dazu einen Beitrag erstellt und Radio Corax sprach mit Greks von Die.Linke.

 http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=28594

fraktionsstimmen

bushido 24.06.2009 - 03:01
die komplette linke sowohl als auch grüne fraktion stimmte gegen die "umsiedelung",
ansonsten stimmten cdu, fdp und spd dafür. es gab ein paar aussätzige bei der spd, die sich dagegen stellten, aber diese waren leider nicht mal an einer hand abzuzählen...

Warum überhaupt noch zentrale Unterbringung?

Rand-Leipziger 25.06.2009 - 22:28
Den eigentlichen Skandal finde ich nicht die Schließung der Asylbewerberheime, auch nicht den Umstand, dass eventuelle Gewerbeflächen verkauft werden sollen.
Der wirkliche Skandal besteht darin, dass diese Menschen unter miserablen Umständen zusammengepfercht werden und in unwürdigen Behausungen leben müssen, in denen es jede Menge Ungeziefer gibt und in denen Privatsphäre ein Fremdwort ist.
Ganz in der Nähe von Leipzig, in Grimma sind jetzt sogar vier Flüchtlingsfamilien in Kirchenasyl geflüchtet, weil sie es in ihrer unwürdigen Behausung in Bahren nicht mehr ausgehalten haben. Dort wimmelt es nur so von Kakerlaken und Mäusen. Aber die Staatsregierung nennt die Unterbringung immer noch "ganz gut". Wir haben doch jede Menge Leerstand und die dezentrale Unterbringung IST nunmal billiger und menschenwürdiger. Warum muss man die Menschen noch mehr schikanieren?

Einige Hintergründe zu den Flüchtlingen im Kirchenasyl:
 http://www.kerstin-koeditz.de/blog/2009/06/kirchenasyl-koditz-linke-fordert-%E2%80%9Eschutz-statt-schikane%E2%80%9C/

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Deutschland — Zerstören