ERFURT: Reclaim your Campus an der FH

Campuscrew 18.06.2009 17:40 Themen: Bildung
[Bildungsstreik2009] ERFURT: Reclaim your Campus an der FH

„Komm wir gehen Eis essen“ hätte mensch sich anhand der Resonanz denken können, die der Vorbereitungscrew der „Reclaim your Campus“-Aktion an der FH Erfurt entgegenschlug. Denn die Idee den Campus als Raum der Diskussion und Auseinandersetzung mit den Forderungen des Bildungsstreik2009 zu nutzen, ist von den 4.500 Studierenden der FH nur wenig angenommen worden. So blieb die Vorbereitungsgruppe der Aktion weitgehend unter sich und wurde nur von wenigen streikwilligen Studierenden unterstützt.
Der Campus wurde in der Nacht zum Mittwoch verfremdet. Es wurden die Türen mit Ketten verschlossen, Stricke und ähnliches gespannt, die Zufahrten verhängt und mit kreativen Aktionen versucht auf die Thematik aufmerksam zu machen. Die „Küche für alle“ vom ehemaligen besetzten Haus in Erfurt hat sich um ein gemeinsames Frühstück gekümmert. Ebenso war das lokale Radio F.R.E.I. mit einer Liveberichterstattung vom Campus vor Ort. Beteiligungsaktionen, wie die Jagd nach Creditpoints oder das Glücksrad peppten den frühen Vormittag auf.
Tiefergehend wurden in 4 Workshops zu den Hauptforderungen des Bildungsstreiks2009 (soziale Öffnung der Hochschulen, Abschaffung von BA/MA in der jetzigen Form, Demokratisierung des Bildungssystems, Verbesserung der Lehr- und Lernbedingungen) konkrete Forderungen für die FH Erfurt entwickelt und diskutiert. Diese wurden später im Präsidialamt übergeben und Verabredungen zur Umsetzung getroffen.
Fraglich bleibt nach dem Tag inwieweit er zu dem geführt hat, was die Erwartungen waren. Innerhalb der Vorbereitungsgruppe kam es zu Diskussionen über das Zuschließen der Türen und inwieweit es legitim ist Studierende mit dem Verschließen zum Streik zu „zwingen“. In Folge dessen kam es dann zu einer Öffnung der Türen durch Teile der Vorbereitungsgruppe auf Druck der FH-Leitung, insbesondere des Kanzlers. Viele Studierende haben auch das Angebot, sich am Streik zu beteiligen, nicht genutzt und sind lieber in ihre Veranstaltungen gegangen. Gründe hierfür könnten der auch gestern vorhandene Druck des Studiums gewesen sein, oder auch Desinteresse an der Aktionsform. Lediglich einige Professor_innen zeigten sich solidarisch mit den Streikenden und ließen ihre Veranstaltungen ausfallen.
Später am Tag fanden noch zwei Demonstrationen durch die Erfurter Innenstadt statt. Eine organisierte das lokale Bündnis für die Mittagsstunden, auf der es zu einer Schulstürmung und beinahe zu einer Besetzung des Schulamtes kam. Dies wurde jedoch von der Polizei mit aggressiven Verhalten und dem Einsatz von Pfefferspray verhindert.
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Ergänzungen

Fotos

campuscrew 18.06.2009 - 18:05
hier einige Eindrücke aus Erfurt

Redebeitrag der FH auf Demo

campuscrew 18.06.2009 - 18:20
hier der Redebeitrag im Namen der Studierenden der FH Erfurt auf der Erfurter Bündnisdemo von 10.00 Uhr:

Redebeitrag der Studierenden der FH Erfurt
zum Bildungsstreik 2009

4.500 Studierende – 150 Professor_innen – 56 Mitarbeiter_innen in der Lehre
keine Stimme im Hochschulrat
nur 3 Stimmen im Senat
nur je 3 Stimmen in den Fakultätsräten

Das ist die Demokratie die sich die Bildungsindustrie in der wir zugerichtet werden vorstellt.

Eine Demokratie und Mitsprache, die von Studierenden in den 68ern erkämpft wurde. Sie wollten keinen „Muff aus 1000 Jahren unter den Talaren“, so ein Ausspruch auf einem Transparent aus dieser Zeit. Damals wurden nach den Protesten die Entscheidungsgremien an den Hochschulen paritätisch, also zu gleichen Anteilen aus Studierenden, Professor_innen und Mitarbeiter_innen, besetzt. Wir Studierenden sahen uns an unserem Ziel - endlich ernst genommen werden. Dies bezog sich nicht nur auf die Mitsprache bezüglich struktureller und finanzieller Entscheidungen, sondern die Lehre begann zunehmends in einer anderen Form stattzufinden. Das Modell des „Nürnberger Trichters“, mit dem Lehrende ihren Schüler_innen Wissen implantierten, wurde abgelöst von einer kooperativen Lehre, diskutierenden Seminargruppen und offenen kritischen Gesprächskreisen, in denen sich Lehrende und Lernende auf einer Augenhöhe begegnen.

Was kann es schöneres geben als kritische Wissenschaft ohne Zeitdruck mit anderen Menschen zu diskutieren und Denkhorizonte zu erweitern? Warum denken wir dann eigentlich, dass diese Demokratie des Bildungssystems uns zurichtet?

Seit den 68ern gab es eine Entwicklung, die auf Abbau von Mitbestimmungs-rechten setzt. Der Zustand der erkämpft wurde konnte nicht gehalten werden. Die Gremien der Hochschulen in denen Entscheidungen getroffen werden sind längst nicht mehr paritätisch besetzt, sondern die Professor_innen haben eine im Hochschulgesetz verankerte Stimmen-Mehrheit zugesprochen bekommen.

Und die Neuausrichtung auf ein Bachelor- und Mastersystem, welches uns Studierenden mit dem Modulsystem mehr Flexibilität bringen sollte, war mit der Forderung nach einer Selbstverantwortung eng verknüpft. Wenn wir jetzt nicht in der Regelstudienzeit bleiben, unser Studium finanziert bekommen oder eine vielzahl von Prüfungen bestehen, sind wir selbst dafür verantwortlich. Diese Struktur soll für uns das Bestmögliche erreichen, alle Eventualitäten absichern und Ressourcen die wir haben eröffnen.
Doch genau das tut dieses demokratische Bildungssystem nicht. Sondern es verlangt von uns eine Unterwerfung unter eine neoliberale Selbstvermark-tungslogik. Nur wer sich Selbst am besten verkauft, am besten anpreist und die Erfordernisse einer marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaft umsetzt kann im Bildungssystem durchkommen. All das wurde erst möglich, indem der Staat die Hochschulen, mit der Begründung des neoliberalen Credos der Selbstver-antwortlichkeit, der marktwirtschaftlichen Logik preisgegeben und sich aus der Verantwortung für Bildung zurückgezogen hat. In dieser von wirtschaftlichen Interessen bestimmten Welt hat studentische Mitbestimmung und die ehemals erkämpfte demokratische Hochschule keinen Platz.

Wenn die Demokratie die sie jetzt meinen ist, dass von 4.500 Studierende eine Handvoll Menschen ein Stimmrecht haben, dann wollen wir keine! An dieser Stelle sind wir uns einig – KEINE Demokratie! Sie machen keine und wir wollen keine!

Um aus dieser Falle herauszukommen, bleibt uns als einziger Weg die Erkämp-fung von freien Räumen. Deshalb fordern wir freie, selbstbestimmte und emanzipatorische Räume an den Hochschulen, Schulen und überall zur Gestal-tung des Lernens, Lehrens und Lebens. Des Weiteren fordern wir eine kritische Wissenschaft, die nicht von der Wirtschaft gelenkt und bestimmt ist und eine Bildung, in der sich jede und jeder selbst verwirklichen kann. Eine Bildung, die zur Autonomie führt und nicht für irgendwen oder für irgendwas konstruiert wird, um in dieser Gesellschaft zu funktionieren. An dieser Stelle senden wir solidarische Grüße an alle Menschen, die sich gegen diese herrschenden Ver-hältnisse auflehnen, konkret vor Ort an die Menschen des ehemals Besetzten Hauses, ihr sollt wissen, ihr seid nicht allein, wir bleiben immer noch ALLE!
An alle, die sich bundesweit am Bildungsstreik beteiligen, lasst uns gemeinsam für ein besseres Bildungssystem kämpfen, für Solidarität und eine Bildung die in unserer Hand liegt!

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Grüße — BesetzerInnenkollektiv Jena