Solidarität - mehr als eine Phrase?

lesender arbeiter 14.06.2009 18:01 Themen: Antifa Freiräume Repression
Drei Knastkundgebungen innerhalb von einer Woche dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Solidarität mit den 21 Gefangenen, die seit den ersten Mai im Zusammenhang mit politischen Aktionen inhaftiert worden ind, katastrophal ist – eine kritische Nachbetrachtung.

Die Repressionswelle hat in den letzten Wochen in Berlin einen neuen Höhepunkt erreicht. Die politische und wirtschaftliche Krise führt zu wütenderen Protesten auf Demonstrationen, aber auch in den vielfältigen Formen des Alltagswiderstands.
Der Staat reagiert darauf mit verstärkter Repression: 19 Menschen wurden am und um den 1. Mai verhaftet. Der Berliner Ermittlungsausschuss hat die Zahlen aufgeschlüsselt.
Zwei wurden bei den Walpurgisnachtfeiern am Vorabend des 1 Mai,
1 Person bei den Protesten gegen den NPD-Aufmarsch in Köpenick und 16 am Abend des 1. Mai in Kreuzberg festgenommen. Sieben der Festgenommenen fallen unter das Jugendstrafrecht und sind in Plötzensee inhaftiert, die anderen sitzen in Moabit.
Am 21.Mai wurde eine weitere Person mit einer Spontandemonstration gegen Gentrifizierung in Berlin-Prenzlauer Berg verhaftet. Auch er sitzt in Moabit.
Einer der Festgenommenen wird von dem Rechtsanwalt Sven Lindemann verteidigt Die Haftbedingungen seines Mandaten entsprechen der bei Untersuchungshäftlingen üblichen Norm, 23 Stunden Einschluss und eine Stunde Hofgang, erklärt er. Bei allen Gefangenen gibt es noch keine Anklageschriften, daher sind auch alle Spekulationen über juristische Vorwürfe, wie sie auch in Teilen der Berliner Linken verbreitet sind, nutzlos und kontraproduktiv.

Kuindgebungen ohne Mobilisierung

Die Solidaritätsgruppen brauchten in diesem Jahr länger als in den Vorjahren, bis es die ersten Knastkundgebungen gab. Am 5. Juni gab es die Kundgebung vor der JVA-Moabit, am 12.Juni vor der JVA Plötzensee. Beide Kundgebungen waren schwach besucht, besonders die letzte. Dadurch konnte die Polizei ihre Macht völlig ausspielen. So gehört in Berlin zu den Auflagen bei den Knastkundgebungen regelmäßig, dass es verboten ist, die Gefangenen via Lautsprecherwagen zu grüßen. Dass ist nicht nur eine weitere Einschränkung des Demonstrations- und Kundgebungsrechts, sondern auch eine weiterer Schritt zur Isolation der Gefangenen. Schließlich gehört zu den Zwecken der Kundgebungen, den Gefangenen zu vermitteln, dass sie nicht vergessen wurden.
Besonders bei der Kundgebung vor dem Jugendknast Plötzensee am 12.Mai wollte die Polizei sogar verbieten, dass vom Lautsprecherwagen durchgesagt wird, dass die Gefangenen „nicht“ gegrüßt werden. Ferner wurde ständig gedroht, die Kundgebung abzusprechen, weil die Musik zu laut war. D.h. die Gefangenen hätten tatsächlich davon etwas hätten mitbekommen können. Wegen ständiger Polizeischikane und um angesichts der wenigen TeilnehmerInnen Festnahmen zu vermeiden, wurde die Kundgebung nach ca. 1. Stunde aufgelöst.

Gefangene kein Thema?

Es waren ca. zehntausend Menschen auf der 1.Mai in diesem Jahr. 19 von ihnen sind inhaftiert. Es hätte aber jeden und jeder passieren können. Denn die 19 sind deshalb im Knast, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren und nicht schnell genug wegkamen. Deshalb ist es unverständlich, dass auch in Teilen der Linken die Frage der Gefangenen mit der Sinnhaftigkeit bestimmter Aktionen während der Demos verknüpft wird. Tatsächlich ist diese Debatte dringend notwenig, aber dafür sollten eigene Veranstaltungen genutzt werden. Das passiert aber nicht. Statt dessen wird so getan, als wären die Gefangenen für die Aktionen verantwortlich, die nicht optimal verlaufen sind. Aber für diese Annahmen gibt es überhaupt keinen Grund. Daher ist es auch unverständlich, warum die Mobilisierung zu den Knastkundgebungen auf Sparflamme lief. D.h. es gab weder Flyer noch Plakate, nur über Internet wurde etwas geworben. Es sollten zwar Flyer gemacht werden, die hat aber niemand je gesehen.

Solidarität mit Alexandra R.

Deutlich mehr Menschen beteiligten sich am 10. Juni an einer Solidaritätskundgebung mit Alexandra R., die im Frauenknast in Berlin-Pankow sitzt. Während der Kundgebung wurden die Gefangenen und speziell Alexandra gegrüßt und auch die Lautstärke von Musik und Redebeiträgen war so hoch, dass es auch im Knast gehört werden konnte.
Alexandra R. war am 18.05. mit dem Vorwurf der versuchten Brandstiftung in der Nähe eines Autos festgenommen und am nächsten Tag wegen "nicht-dringenden-Tatverdacht" wieder aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden. Am 20.5. wurde sie wegen des gleichen Tatverdachts erneut festgenommen und ist seitdem inhaftiert. Die Soligruppe „Freiheit für Alexandra“ sieht einen Zusammenhang zwischen einer medialen Hetzkampagne und der Inhaftierung. Mehrere Berliner Boulevardzeitungen und LokalpolitikerInnen von Union und FDP hatten nach der ersten Entlassung von einem Versagen der Politik gesprochen und dass hat scheinbar gewirkt. Mittlerweile gab es im Fall Alexandra R. eine mehrstündig Hausdurchsuchung in der Wohnung von Bekannten von Alexandra R. Es wird also weiter ermittelt.
Ein Haftprüfungstermin wurde am 12. Juni kurzfristig von der Verteidigerin von Alexandra R. der Rechtsanwältin Martina Arndt zurückgezogen, um nicht in die dreimonatige Sperrfrist zu fallen. So kann jederzeit ein neuer Termin anberaumt werden. Jetzt bleibt Alexandra aber erst einmal weiter im Gefängnis.


Solidarität nur für gut vernetzte?

Das Fazit der drei Knastkundgebungen ist nicht sehr erfreulich. Wenn von den mehr als Zehntausend Menschen, die auf die Mai-Demo gegangen nicht mal ein Prozent zu einer Knastdemo für die Personen kommen, die auf dieser Demonstration eingeknastet wurden, ist Solidarität nur eine Phrase. Wenn nicht mal der bürgerliche Grundsatz gilt, dass jede Person so lange unschuldig ist, bis sie verurteilt wurde, dann muss man sich fragen, wie weit es it einerRechts- und Staatskritik in Teilen der Linken her. Ein weiteres Fazit stellt sich auch. Mensch muss schon draußen gut vernetzt sein, wenn er/sie im Knast Solidarität will. Hier stellen sich natürlich auch Fragen, an die Demovorbereitungen. Wenn mehr Menschen Vollmachten bei einem Anwalt, einer Anwältin seiner/ihrer Wahl hinterlassen würden, könnte es nicht so leicht passieren, dass die Eltern einigen inhaftierten Kindern unter 18 Jahren einen Anwalt vorsetzten könnten, der keine Kooperation mit dem Ermittlungsausschuss will.

Demos keine Castingshows!

Und noch ein besonders wunder Punkt beim Demoverhalten, der Umgang mit Fotos, Filmen und Videos, muss auf aktuellen Anlass hier angesprochen werden. Mensch manchmal den Eindruck hat, dass Demos Castingshows sind, weil so viel gefilmt und fotografiert wird. Kaum jeamnd fragt noch, wie mit dem Material umgegangen wird. Nun wurde bekannt, dass von einer Freiraum-Demo im März in Friedrichshain ungepixelte Fotos auf You-Tube gestellt wurden. Sie dienten prompt als Grundlage für die Verurteilung eines Mannes zu einer Haftstrafe von 15 Monaten ohne Bewährung, weil auf dem Fotos zu sehen sein soll, wie er an einer Polizeiwanne gerüttelt hat. Dazu kann man nur sagen: Wer auf You Tube angeben, soll Privatfotos ins Netz stellen und sich blamieren so viel er oder sie will, aber nicht Fotos von Demos und politischen Aktionen.
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Solidarität mit Ansage? — ich und du

deutschland sucht den — superantifa

Radfahren = Abstimmung mit den Füssen? — Roland Ionas Bialke

warum mit Anton solidarisch sein? — Praktische Solidarität

Solidarität! — Hans

@Deluze — PraktischeSolidarität