Hamburg vor der Gentrification-Demo

petra parker 12.06.2009 14:24
Am heutigen Freitag vormittag wurde in der Bartelstraße vor dem Spekulationsobjekt ehemalige Montblanc-Fabrik ein gut sichtbares Transparent (geschätzt 7 x 3 m) angebracht. Diese Aktion ist nur eine von vielen gegen die Umstrukturierung im Schanzenviertel in den letzten Wochen und Monaten. Umgestaltung von Fensterscheiben und Hotelfassaden, Proteste gegen Kameraüberwachung und immer neue immer dämlichere Events beschäftigen konstant die lokalen Medien (vom Wirbel um das nicht angemeldete Straßenfest – dieses Jahr am 4.Juli! – mal ganz abgesehen).
In einem heute verteilten offenen Brief heißt es:

„Es gibt Leute, die wollen aus der Schanze einen Vergnügungspark machen. So was wie den Dom, oder einen Disney-Park. Mitten in der Stadt, das ganze Jahr und rund um die Uhr geöffnet, auch für Kinder unter sechs Jahren geeignet, Pinkeln und Krakeelen inklusive. Das Tempo, mit dem die Schanze in einen Vergnügungspark verwandelt wird, nimmt zu.
Die Susannenstraße soll nach Plänen des Bezirks Altona eine Kneipenmeile werden. Aus den Parkbuchten werden gastronomische Flächen. Das bedeutet noch mehr Gäste, noch mehr Außengastronomie, also mehr Geld für die Gastronomen. Aber noch mehr Lärm, noch weniger Schlaf für uns.
Das Kaufhaus „1000 Töpfe“ am Schulterblatt ist geschlossen, die „Absinth-Bar“ an der Schanzenstraße auch. In den S-Bahnhof Sternschanze will eine Filiale von McDonalds ziehen. Aus dem Traditionsgeschäft „Wiko-Lederwaren“ wird „Adidas“.“Asia around“ ist ausgezogen. Dafür kam „Fräuleinwunder“. Die Bekleidungsketten „H & M“ und „Zara“ wollen Filialen eröffnen, die Kaffeehausketten „Balzac“ und „Starbucks“ auch, und so weiter und so fort. Die Nobelgeschäfte, in denen keiner von uns einkauft, verdrängen die Läden, die für unsere Versorgung wichtig sind. Es wird Zeit, dass wir bremsen.
Einige Leute glauben, dass in der Schanze der große Reibach zu machen ist. Dass hier über kurz oder lang nur noch reiche Leute wohnen, die jeden Preis zahlen können. Egal ob für Miete, Lebensmittel oder Klamotten. Die wirtschaftlichen Interessen schieben uns langsam aber sicher aus dem Quartier. Die wirtschaftlichen Interessen sind zugleich politische. Auf diese Weise wird man die politisch unbequemen Leute in der Schanze los. „Adidas“ und „Fräuleinwunder“ bereiten alles vor. Den Rest erledigt CDU-Innensenator Christoph Ahlhaus mit seinen Wasserwerfern.
Das geht immer so weiter, wenn wir nichts dagegen tun. Deshalb tun wir jetzt was!
Anwohnerinnen und Anwohner“

Gleichzeitig wurde in einem Flugblatt nochmals auf die Demonstration am Samstag, den 13. Juni hingewiesen und am konkreten Beispiel Montblanc-Komplex das Demo-Motto: Gegen Mieterhöhung, Privatisierung & Vertreibung! illustriert:

„Heraus zur Demo am 13.06.: Die Stadt gehört allen!

Gegen Mieterhöhung,…
Die Mieterinnen im ehemaligen Montblanc-Haus – kleine Gewerbebetriebe und soziale Einrichtungen – haben aktuell saftige Mieterhöhungen von 35% am Hals. Die neue Besitzerin mit dem trendigen Namen Schanze 75 schickte Vertreter_innen der Inhaber Jensen und Stephan mit schleimigen Bemerkungen wie „Wir finden das ja alles so toll hier, aber wir sind auch Kaufleute“ - hanseatischer Dünkel gepaart mit anbiedernder Schanzigkeit soll ordinäre Profitgier legitimieren. Einige Betriebe können Mieten in dieser Größenordnung ohnehin nicht mehr bezahlen und denken ans Aufhören. Andere beißen die Zähne zusammen und stimmen zu. Und, Überraschung: zusätzlich zu den 35% steht noch eine mehrjährige Staffelmiete im Vertrag!

…Privatisierung…
Letztlich geht das Debakel – wie so vieles - auf die Hamburger Senatspolitik zurück. Im Rahmen der aufgeblasenen Entschuldungskampagne des Rechtssenats wurde versucht, einen ausgeglichenen Haushalt nicht nur durch Kürzungen, sondern vor allem durch das Verscherbeln von Sahne-Immobilien zu erreichen. (Bekanntlich wird das eingesparte Geld jetzt der Not leidenden HSH Nordbank hinterher geschmissen!) Mehrere Wechsel der Besitzer_innen schlossen sich an, von denen wohl alle ihren Profit bei der Transaktion realisieren konnten. Und jetzt muss natürlich, auch krisenbedingt, die Rendite erstmal ordentlich gesteigert werden.

…& Vertreibung!
Ein Knackpunkt der so genannten Aufwertung im Schanzenviertel war die Schließung der Drogenhilfeeinrichtung FixStern Ende 2003. Musste der Senat dies damals noch selbst erledigen, ist nun mit der „Palette“ die letzte Hilfeeinrichtung für Drogenkonsumierende im Viertel durch die oben skizzierten ganz normalen Marktprozesse betroffen. So sollen nicht nur Räume für Gastro und Klamottenläden sowie Büros für Werbeagenturen frei werden, vor allem verschwindet mit den Unterstützungsangeboten auch deren unerwünschte Klientel aus dem Stadtbild.

That’s Gentrification!!
(= Umstrukturierung innenstadtnaher Viertel, die bis dahin durch niedrige Mieten und Bewohner_innen mit niedrigem Einkommen gekennzeichnet waren. Eingeleitet durch gezielte öffentliche und private Investitionstätigkeit und flankiert durch Maßnahmen der Stadtentwicklungs- und sonstiger Politik führt dies letztendlich zu einem Austausch der Anwohnerschaft.)
Immer mehr Menschen in den betroffenen Vierteln leisten Widerstand gegen diesen Prozess. Viele größere und kleinere Aktionen machen das Thema zum Dauerbrenner in den Medien. Zahlreiche Initiativen und Arbeitskreise, künstlerische Projekte und Netzwerke bekämpfen die Ausdrucksformen dieser Entwicklung vor Ort, zuweilen sogar mit Erfolg. Jetzt haben sich einige dieser Gruppen zusammengetan und veranstalten eine Demonstration: Die Stadt gehört allen - gegen Mieterhöhung, Privatisierung & Vertreibung! Am Samstag, 13. Juni um 14 Uhr Ballindamm Ecke Jungfernstieg“
(kompletter Aufruf, Unterstützer_innen und Demoroute: www.rechtaufstadt.net)

Und das Transpi? Hängt immer noch. Kann man sich in der Bartelstraße anschauen! Noch besser ist aber: selbst den Arsch hochkriegen und was unternehmen gegen MieteistRaub, Verwertung öffentlicher Räume, Repression, Kameraüberwachung und und und…
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Ergänzungen

schanzenfest zur demo

stöbernd 12.06.2009 - 17:34
Es ist eine richtige Entwicklung, dass sich der Bezirk Altona entgegen seiner anfänglichen Haltung für eine Duldung des nicht angemeldeten Schanzenfestes ausgesprochen hat. Das Straßenfest im Schanzenviertel wird so oder so am 4. Juli 2009 stattfinden, hierzu hätte es weder der Sprachregelung einer Duldung noch einer besonderen Qualifizierung durch Behörden bedurft. Allen beteiligten Initiativen und Anwohner_innen ist schon immer an organisatorischen Dingen wie Rettungswegen oder der Sicherheit von Bühnen und Aufbauten gelegen. Das Schanzenfest kann in dieser Hinsicht auf die Erfahrung von 21 Jahren ohne Zwischenfälle bauen. Wir sehen die Einsicht des Bezirkes vor allem als Konsequenz der vielfältigen Proteste von Anwohner_innen gegen die aktuellen Entwicklungen im Stadtteil. Innerhalb kurzer Zeit hat es die Aufwertungspolitik des Bezirkes fertiggebracht, breite Schichten von Anwohner_innen auf die Barrikaden zu bringen.
Zwei Jahre Altonaer Politik bieten im Schanzenviertel eine solchermaßen desaströse Bilanz, dass der Bezirk sich mangels Rückhalt und Popularität nun gezwungen sieht, von der repressiven Konfrontationslinie der Innenbehörde abzuweichen. Wir begrüßen dies zwar, sehen darüber hinaus allerdings nicht, dass sich über eine solche "taktische" Entscheidung hinaus etwas Wesentliches in der politischen Grundhaltung des Bezirkes geändert hätte. Nach wie vor wird auf Gentrifizierung und Aufwertung als standortpolitische Vorgabe gesetzt, werden öffentliche Räume privatisiert und repressiv verwaltet. Die Proteste gegen diese Politik gehen weiter und das Schanzenfest versteht sich als ein Fokus und Forum für diese!

Wir sehen die Entscheidung des Bezirkes zur Duldung als eine Anerkennung des "Status Quo" und der Praxis der letzten Jahre. Das Abweichen von einer Senatslinie, die weiterhin auf eine polizeiliche Eskalation am 4. Juli setzt, isoliert deren Wortführer Alhaus politisch. Das ungewohnte Schweigen aus dieser Richtung dürfte in den letzten Wochen kein Zufall sein.

Ein Innensenator, der sich persönlich in Sachen Schanzenfest derart aus dem Fenster hängt, dessen realpolitische Zukunft scheint ungewiss. Bereits im letzten Jahr wurde durch ihn öffentlich erklärt, eine "Duldung ohne Anmeldung" werde es mit ihm nicht mehr geben. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht hat Alhaus das Straßenfest von Anwohner_innen als einen "rechtsfreien Raum" bezeichnet und seine Absicht bekräftigt, die Veranstaltung angreifen zu wollen. Solche rechtskonservativen "Law and Order" Parolen stehen nicht nur für einen nun angeschlagenen Innensenator, sondern auch für eine schwarz/grüne Senatspolitik, die ihren Frieden im Bau von Kohlekraftwerken, Elbphilharmonien, einer Zunahme der staatlichen Kontrolle und einer Verschärfung der sozialen Situation gefunden hat. Diesen Frieden wollen wir stören!

Einen "rechtsfreien Raum" bilden für uns die alltäglichen Folgen des kapitalistischen Normalzustandes. Die Privatisierung des öffentlichen Raumes, die Vertreibung von so genannten Randgruppen oder die Abschiebung von Migrant_innen.

Räume wie das Schanzenfest sind hingegen notwendige Orte der politischen und kulturellen Selbstorganisation. Solche Formen von Protest und Widerspruch sind unabdingbare Bestandteile auf dem Weg zu einer emanzipierten Gesellschaft. Die radikale Kritik an autoritären Machtphantasien, patriarchalen Normen und ökonomischen Zwängen zwischen Standortpolitik und kreativer Selbstverwertung, steht im Zentrum dieser Auseinandersetzung.

Wir fühlen uns im Gegensatz zu Alhaus weder isoliert noch unter Zugzwang. Wir sehen uns im Aufbruch und in Bewegung und rufen daher dazu auf, an der von zahlreichen Stadtteilinitiativen vorbereiteten DEMONSTRATION GEGEN MIETERHÖHUNG, PRIVATISIERUNG & VERTREIBUNG am Samstag den 13. JUNI 2009 um 14 UHR ab Jungfernstieg Ecke Ballindamm teilzunehmen. Die Stadt sind wir alle und zum Ausdruck kommt dies, wo wir unsere Widersprüche im öffentlichen Raum sichtbar werden lassen. Wir demonstrieren, feiern und schwärmen durch die Nacht gegen die herrschende Ordnung der Welt und deren ökonomische Sachzwänge.

Kapitalismus abschaffen - Gentrifizierung angreifen!
Gegen Repression und staatliche Kontrolle!

 http://de.indymedia.org/2009/06/252843.shtml

Centrification

gibts auch 12.06.2009 - 20:19
..genau wegen diesen Veränderungen gibts ja seit letztem Jahr das CentroSociale, ein unkommerziell und ehrenamtlich organisierter Ort des Miteinanders und der Vernetzung durch vielfältige Veranstaltungen und Angebote, die in dem Haus sattfinden. Nach der Demo (18h) eröffnet dort das St Pauli Archiv eine Ausstellung zum Thema Umstrukturierung, danach (ab 20h) Musik von Nachbarn für Nachbarn im erweiterten Wohnzimmer mit den CentroAllstars und am Sonntag das Centro Hoffest mit Info, Musik, Zauberei, Lesung, Flohmarkt, (ua veganem) Essen, Hüpfburg undundund...
..nächste Woche dann "Recht auf Stadt" (19.21.06.)

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Straßenfest — blubb

Midlife Crisis von Riot Queer — dont feed the troll

egal — kopiert