Urantransport: Freispruch für luftigen Protest

eichhoernchen 06.06.2009 12:38 Themen: Atom Repression Ökologie
Am 4. Juni 2009 wurde vor dem Steinfurter Amtsgericht gegen eine Umweltaktivistin verhandelt.
Gegenstand der Verhandlung war eine spektakuläre Kletteraktion oberhalb der Bahnlinie bei Steinfurt (NRW) am 16.-17. Januar 2008 gegen den Export von Atommüll von der Urananreicherungsanlage Gronau nach Russland. Der 1000 Tonnen schwere Zug kam damals für beinahe sieben Stunden zum stehen. Die Polizei blieb lange planlos und wusste nicht, wie mit der Situation umzugehen. Erst gegen Mittenacht rückte eine speziale Klettereinheit der Bundespolizei per Hubschrauber an, um die Kletterin aus den Seilen zu holen. Die Aktion sorgte damals für große mediale Aufmerksamkeit und trug dazu bei, die Betreiber-Firma Urenco unter Druck zu setzen. Diese hat inzwischen das Ende dieser Transporten nach Russland angekündigt.
Die Staatsanwaltschaft, die auf Nötigung plädierte, ist nun vor dem steinfurter Amtsgericht mit ihrem Versuch, diese effektive und kreative Art des Protestes zu unterbinden und zu kriminalisieren gescheitert. Freispruch, lautete das Urteil nach einer zwei stündigen Verhandlung. Der Protest oberhalb der Schiene ist freie Meinungsäußerung, so der Amtsrichter.
Bereits seit anderthalb Jahr arbeiten Polizei und Staatsanwaltschaft eifrig an der Kriminalisierung. Wohl auf Grund der Effektivität solcher Aktionen gegen die Atommafia und aus Angst vor Nachahmung? Wo kämen wir denn hin, wenn dutzende von AktivistInnen bei jedem Transport den Luftraum über die Schiene besetzen würden? Der Atomtransport selbst käme sicherlich nicht ans Ziel an, oder zumindest nicht pünktlich. Kein Wunder, dass der Atomstaat die politischen luftakrobatischen Übungen zu unterbinden versucht.

Die Polizei setzt zu einem bei jedem Urantransport alles darauf hin, einen erneuten Presse-CAU – aus ihrer Sicht - zu verhindern. Eine Spezialeinheit, die in der Lage ist, Aktivisten rasch aus den Bäumen zu holen fährt nun immer mit und die Presse wird so weit es geht vertrieben. Cécile, die Kletteraktivistin, die am Donnerstag vor Gericht stand, hat die Fähigkeiten der Odnungshüttern nämlich bereits zwei weitere male ausgetestet. Am vierten Juni letztes Jahr bei einem Urantransport nach Russland und am 27. April dieses Jahre bei einem Transport nach Frankreich – die Urenco ist nämlich unbelehrbar, es werden ab 2010 keine Transporte nach Russland mehr erfolgen, dafür aber nach Frankreich... Anderthalb bis zwei Stunden, brauchen nun die Herren - nö, da gibt es keine Frauen - der Spezialeinheit um ihr das Recht auf freie Meinungsäußerung über der Schiene zu nehmen.

Andererseits wird, wie zuvor erwähnt, akribisch an der Kriminalisierung gearbeitet. Im Falle Luftakrobatik gegen den Urantransport von Januar 2008 gab es vor der Hauptverhandlung am vergangenen Donnerstag viel hin und her zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte.

Die Polizei ermittelte zunächst wegen gemeinschaftlicher Nötigung. Gemeinschaftlich, heißt Mittäter. Am Tattag konnte der Polizeihubschrauber jedoch keine Mittäter feststellen. Aber um in der Schublade „gemeinschaftlich“ hinein zu passen, mussten welche ge- oder erfunden werden. Die Auswertung der Telekomunikationsdaten des beschlagnahmten Handys – bis ins Sommer des Vorjahres zurück- brach keine verwertbaren Hinweise. Dafür tauschte plötzlich ein Drahtseil - obwohl in der Asservatenliste der beschlagnahmten Gegenstände keins zu finden war - auf, dass sicherlich mit einem nicht näher bezeichneten Spanngerät gespannt wurde, was MittäterInnen ohne Spuren zu hinterlassen verschwinden ließen. Das Drahtseil tauchte zumindest in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vor Gericht auf. In der Zeit wendete sich die Beschuldigte immer wieder an das Gericht, um die Herausgabe der ihr beschlagnahmten Gegenstände zu fordern, mit dem Hinweis auf Freisprüche in ähnlich gelagerten Fällen.

Die Staatsanwaltschaft beantragte dann im Frühjahr 2008 bei Gericht den Erlass eines Strafbefehls von 30 Tagesätzen wegen Nötigung, auf die gemeinschaftlich begangene Nötigung hatte sie wohl bereits verzichtet. Mit ihrem Antrag ging die Staatsanwaltschaft an die Presse, die Betroffene erfuhr von dem Antrag über einen Bericht im Rundfunk. Sie selbst erhielt aber keinen Strafbefehl. Stattdessen wurde ihr ein Beschluss vom Gericht zugestellt: das Gericht lehnte den Erlass eines Strafbefehls ab und hielt die Aktion für nicht strafbar. Der Amtsrichter hatte wohl die Akte gründlich studiert und die Einwände der Beschuldigten überprüft – jeder Richter ist eigentlich dazu verpflichtet, es kommt aber sehr selten vor, dass die Richter ihre Arbeit gründlich machen, meist unterschreiben sie das was die Staatsanwaltschaft haben will, ohne in die Akte überhaupt herein zu schauen. Solch ein politischer Fall kommt in einer Kleinstadt wie Steinfurt selten vor, dem Amtsrichter schien der Fall zu interessieren. Etwas Abwechslung also zu den üblichen „Dorf-Fällen“. Daraufhin legte die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel ein. Das Landgericht verwies in Januar 2009 das Verfahren an das Amtsgericht zurück. Es verneinte zwar eine Strafbarkeit wegen Nötigung, ein Verstoss gegen die Eisenbahn- und Betriebsordnung (Ordnungswidrigkeit) sei jedoch aus Sicht des Landgerichtes möglicherweise vorhanden. Die Staatsanwaltschaft beharrte ihrerseits auf eine Anklage wegen Nötigung und kündigte an, im Falle eines Freispruchs bis vor dem Oberlandesgericht zu ziehen – ob sie dies tatsächlich tun wird, ist zur Stunde nicht bestätigt.

Termin zur Hauptverhandlung wurde infolgedessen für den 4. Juni 2009 anberaumt. Im Vorfeld riefen bereits zahlreiche Antiatominitiativen zu Solidarität mit Cécile auf. Gut eine halbe Stunde vor Beginn der Verhandlung versammelte sich ein Duzend UnterstützerInnen und etwa genauso viel Pressevertreter (Rundfunk, Fotografen, Fernsehen). Das Dach des Amtsgerichts wurde erklommen, sowie zwei Fahnenmasten. Die AktivistInnen breiteten ihren Protestbotschaften gegen Atomtransporten und gegen die Atomernergie auf. „ Kriminell ist die Atomindustrie“, stand auf ein Transparent. Das andere war ein Kunstwerk, was eine Luftblockade über die Schiene humorvoll darstellte. Die AktivistInnen konnten in aller ruhe demonstrieren, weit und breit war keine Polizei zu sehen. Dafür war der Medienansturm mehr als beeindruckend, bis ins Gerichtssaal verfolgten die Journalisten die Angeklagte mit ihren Fotoapparaten. Das Steinfurter Gericht hat solch eine Aufmerksamkeit sicherlich selten erlebt. Die Eingangskontrollen mit Metalldetektor wurden zu einer Farce, UnterstützerInnen hatten ihre Taschen und Schuhen dermaßen mit Mettalteilen wie schrauben zugestopft, dass die Justizbeamten eine gründliche Kontrolle nicht mehr durchführten. Die Stimmung war zu Prozessbeginn fröhlich.

Vor Gericht wurde es nicht besonders spannend. Die Angeklagte erklärte sie stehe zudem was sie gemacht habe und über das Geschehen in sich waren sich Verteidigung, Richter, Zeugen und Staatsanwaltschaft überwiegend einig. Die Angeklagte hat sich weit über den Regellichtraum (weit über 4Meter80) in den Seilen gehängt, sie ist erfahrene Kletterin, die sich sehr selbstbewusst und sicher in luftiger Höhe fortbewegt. Im Gerichtssaal wurde ein WDR-Fernsehbericht über die Aktion hoch in den Bäumen gezeigt. Was das Publikum besonders freute. Immer wieder kamen Kommentare aus dem Publikum oder es wurde geklatscht. Der Richter reagierte überwiegend gelassen darauf. Eine Journalisten griff das Verhalten des lebendigen Publikums als respektlos auf. Immerhin hat sie die Botschaft verstanden. Respekt vor der Obrigkeit ist ja bei anarchistisch denkenden Menschen nicht besonders gewünscht...

Über die juristische Bewertung der Tat wurde dagegen mehr als über die Tatsachen in sich gestritten. Die Staatsanwaltschaft plädierte auf Nötigung und beantragte 30 Tagesätze. Sie machte keine sicheren Eindruck und führte jedes Argument mit einem „ich weiß, dass es strittig ist“ ein. Für sie sei der Tatbestand der Nötigung erfüllt, weil die Angeklagte den Zug zwar nicht gesehen hat – er wurde 3 Kilometer vorm Tatort durch die Polizei gestoppt -, sie ihn jedoch mit ihrer Aktion anhalten wollte. Damit sei der Merkmal der Verwerflichkeit, ein Bestandteil der Nötigung, erfüllt. Die Staatsanwaltschaft argumentierte zudem mit der so genannten Nötigung zweiter Reihe und sah die vollendete der Nötigung darin, dass der Urantransport zwar auf Anordnung der Polizei angehalten habe, dies habe aber zu Folge gehabt, dass andere Züge Kilometer davor ebenfalls anhalten musste. Der stehende Urantransport sei somit als unüberwindbares Hindernis für die nachkommenden Zügen das für den Tatbestand der Nötigung notwendige Merkmal der Gewaltanwendung nicht nur psychischer Natur gewesen.
In seinem Plädoyer wies der Plichtverteidiger der Angeklagten den Vorwurf der Nötigung entschieden zurück. Einen Verstoß gegen die Eisenbahn- und Betriebsordnung sah er auch nicht als erwiesen, denn es gebe ja kein Gesetz für den Luftraum über der Schiene. „unseres Strafrecht ist zweidimensional ausgelegt“, so der Verteidiger. „die Aktion fand aber in der dritten Dimension statt“.
Die Angeklagte nutzte ihr letztes Wort für einen halbstündigen Vortrag über ihre Beweggründe und über die Gefahren der Atomindustrie Sie legte Wert darauf, die Behauptung der Staatsanwaltschaft, sie sei ja neutral und könne die Beweggründe der Betroffenen nicht berücksichtigen, scharf zu kritisieren. Denn die selbe Staatsanwaltschaft, die auf einer Kriminalisierung friedlicher Protest drängt, weigert sich gegen die Urenco wegen illegaler Atommüllexport zu ermitteln, wenn russischen Aktivisten nach Deutschland kommen und Strafanzeige gegen die Urenco stellen. Das Gesetz erlaubt den Export von Wertstoff, nicht aber den Export von Atommüll. Daher wir der abgereicherte Uran, der nach Russland verschifft wird, als Wertstoff deklariert. In der Tat verrosten aber die Behälter unter freiem Himmel in Siberien und die Umwelt wird chemisch und radioaktiv verseucht.
Cécile erklärte zudem, sie habe niemanden nötigen wollen. Sie fühle sich dagegen von dem Betreiber der Urananreicherungsanlage Urenco genötigt. Genötigt, Gefahren gegen ihren Willen ausgesetzt zu werden. Gefahren durch Transporten, aber auch gefahren durch den Betrieb von Atomanlagen, von Atomkraftwerken, die mit dem angereicherten Uran aus der Gronauer Anlage beliefert werden.

Zum Schluss kam das Urteil: Freispruch, das war erlaubte Meinungsäußerung. Der Richter erklärte, der Tatbestand der Nötigung sei keineswegs erfüllt, weiles keinen genötigten Opfer gegeben habe und die Polizei ja den Zug – möglicherweise zur Gefahrenabwehr- angehalten habe. Dem Zug wäre aber sicherlich nichts passiert, hätte die Polizei ihm nicht angehalten.

Für eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit sah der Amtsrichter auch keine Anhaltspunkte. Ein Betreten der Bahnanlage sei nicht bewiesen, der Richter könne sich gut vorstellen, dass es eine Möglichkeit gebe, von Baum zu Baum über den Luftweg zu gehen. Er habe jedenfalls keine Bewiese dafür, dass die Angeklagte die Schiene betreten habe. Vielmehr stünde ja fest, dass die Betroffene Gebrauch von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung gemacht habe, dass sie sich außerhalb des Regellichtraums, also der Bahnanlage aufgehalten habe. Das Hoheitsgebiet zur Anwendung der Einsenbahn- und Betriebsordnung sei aber die Bahnanlage selbst. Für den Luftraum über 4 Meter 80 gebe es schlicht kein Gesetz und es sei nicht die Rolle des Gerichts ein solches zu verfassen. Grundrechte dürfen nur durch Gesetze eingeschränkt werden und in diesem Fall gab es kein solches Gesetz, so dass die Angeklagte frei zu sprechen war.

Cécile freute sich darüber, das ihre ungewöhnliche Art und Weise sich gegen die Atomindustrie zur Wehr zu setzen vom Gericht anerkannt wurde – auch wenn sie ihre Aktionen nicht danach richtet, was ein Gericht für zulässig hält oder nicht, sondern danach was sie selbst für richtig hält. Ziviler Ungehorsam schließt sie nicht aus, wenn es nötig ist. Fantasie ist jedenfalls eine Waffe, die sowohl den Atomlobyisten, als auch den OrdnungshütterInnen und der Verfolgungsbehörden Probleme bereitet.

Von großer Bedeutung ist diesen Freispruch aber auch im Hinblick auf die willkürliche Verhaftung von Cécile vor dem letzten Castortransport ins Wendland. 3 Tage vor dem Transport wurde sie auf Antrag vom Lüneburger Polizeipräsidenten Brauer in Langzeitgewahrsam zur Gefahrenabwehr genommen. Sie musste 3,5 Tage in einer Ausnüchterungszelle ausharren. Ziel war, sie von den Protesten fern zu halten, weil sie am Tag X in Bäumen über der Schiene klettern könnte. Die Lüneburger Gerichte spielten mit und gaben dem Antrag der Polizei grünes Licht. In der Begründung wurde unter anderem die Aktion von Januar 2008 gegen den Urantransport ausgeführt, zudem sei die Betroffene ja renitent (spricht man kann anarchistisch denkenden Menschen ihrer Freiheit auf Grund ihrer Einstellung berauben). Cécile wurde Tagelang eingesperrt, um eine nicht strafbare Handlung zu verhindern... Wenn dies keine politische Verhaftung war....

Nach der Verhandlung war nicht nur die Freigesprochene guter Dinge, sondern auch ihre FreundInnen und die örtlichen Antiatominitiativen, die sich auf die Berichterstattung in den Medien freuten: Die unbelehrbare Staatsanwaltschaft hat es möglich gemacht, das mal wieder über Urantransporten berichtet wurde.

Wir sehen uns beim nächsten Atomtransport in der Luft?

Infos:
Aktion von Januar 2008:  http://www.anti-atom-aktuell.de/fotos/2008-01-16_uranzugstop/index.html
Bilder dazu:  http://www.anti-atom-aktuell.de/fotos/2008-01-16_uranzugstop/index_11.html
Aktion von Juni 2008:  http://de.indymedia.org/2008/06/219279.shtml
Bilder dazu:  http://www.anti-atom-aktuell.de/fotos/2008-06-04_uranzugstop/index.html
Aktion von April 2009:  http://de.indymedia.org/2009/04/248604.shtml
Bilder dazu:  http://www.anti-atom-aktuell.de/fotos/2009-04-27_uranzugstopp-haeger/index.html

Berichte zu „Luftakrobatik gegen Atomtransporten“ auf der Homepage der Betroffenen:  http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/deutsch/anti-atom/Luftakrobatik-Atomtransporte.html
Einzelheiten zum willkürlichen Langzeitgewahrsam beim Castor 2008:  http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/deutsch/repression/langzeitgewahrsam.html
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Ergänzungen