Ein Denkmal für Mittenwald

keine ruhe 01.06.2009 17:33 Themen: Militarismus
Am Pfingstsamstag stellte der Arbeitskreis „Angreifbare Traditionspflege“ auf dem Bahnhofsvorplatz in Mittenwald ein Denkmal für die Opfer der Gebirgsjäger auf. Über 200 Menschen beteiligten sich an den Veranstaltungen und der Demonstration den ganzen Tag über.
Das Denkmal wurde in einem bewegenden Akt von Maurice Cling, Max Tzwangue, Marcella und Enzo de Negri enthüllt. Maurice Cling ist Auschwitzüberlebender, der nach dem Todesmarsch von Dachau von Alliierten in Mittenwald befreit wurde. Max Tzwangue war französischer Widerstandskämpfer. Marcella und Enzo de Negri sind die Kinder des auf der griechischen Insel Kephallonia von Gebirgsjägern ermordeten Hauptmann Cap. Francesco de Negri.Das Denkmal stellt die Trauer über die unzähligen Toten des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges in den Mittelpunkt. In der Glasvitrine auf der massiven Metallstele befinden sich Steine und Überbleibsel aus den Ruinen des von Gebirgsjägern am 27. Juni 1944 zerstörten italienischen Ortes Falzano di Cortona, die von der dortigen Gemeinde gestiftet wurden. Seit September vergangenen Jahres muss sich der ehemalige Offizier der Gebirgsjäger, Josef Scheungraber, für diesesVerbrechen vor dem Landgericht München verantworten.Die Vitrine trägt die Inschriften:„In Trauer um die Opfer der Kriegsverbrechen, die im 2. Weltkrieg von Gebirgsjägern der deutschen Wehrmacht in ganz Europa begangen wurden.In Gedenken an die unter Beteilung der Gebirgstruppe deportierten und ermordeten Jüdinnen und Juden.In Erinnerung an den Todesmarsch aus dem KZ Dachau, der am 1. Mai 1945 in Mittenwald befreit wurde.Der Gemeinde Mittenwald gestiftet am 30. Mai 2009 vom AK „Angreifbare Traditionspflege“.Die verwendeten Steine stammen aus dem Ort Falzano di Cortona. Der Ort wurde am 27. Juni 1944 von deutschen Gebirgsjägern zerstört.Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus.“Vor der Enthüllung des Denkamls fand auf dem Bahnhofsvorplatz in Mittenwald eine Zeitzeugenveranstaltung statt (Das Programm). Im Anschluss an die Enthüllung folgte eine Demonstration, bei der auf die Verbrechen der Gebirgsjäger aufmerksam gemacht wurde. Die Demonstranten forderten die Verurteilung der Täter und die Entschädigung der Opfer. Sprecher des AK Angreifbare Traditionspflege erhoben die Forderung nach Auflösung des Kameradenkreises der Gebirgstruppe.Zum Abschluss der Veranstaltung gaben Esther und Edna Bejarano (Coincidence) geinsam mit der HipHop-Band Microphone Mafia ein mitreißendes Konzert am Ort des neuen Denkmals.Das Denkmal ist eine Schenkung des AK Angreifbare Traditionspflege, der seit sieben Jahren gegen die Traditionsfeier der Gebirgstruppe protestiert.Mehr Infos zu den Protesten, Bilder bei keine-ruhe.org/mittenwald
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Ergänzungen

Turm der verleugneten Schuld

keine ruhe 01.06.2009 - 21:48
Nicht zu vergessen ist auch der "Turm der verleugneten Schuld", der zeitgleich in der Mittenwalder Innenstadt "Am Obermarkt" gebaut wurde. Dort zog die Demonstration vorbei und es gab Redebeiträge. Der Arbeitskreis angreifbare Traditionspflege hat der Gemeinde Mittenwald in ihrem Zentrum außerdem dieses 4,26 Meter hohe Bauwerk aus Karton geschenkt.

Mittenwald ist nämlich ein Ort in dem bislang quer durch fast die gesamte Geschichte Militarismus erfolgreich gelebt wurde. Das geht nur, wenn man aktiv verleugnet. Dagegen läuft der Turm spitz in den Horizont, er markiert ein scharfes Gegenzeichen. An allen Seiten dieses Turms befinden sich die Namen einer Vielzahl von Gebirgsjägereinheiten zerstörten Orten aus ganz Europa, sowie die Zahl der Opfer ihrer bislang bekannt gewordenen Massaker.

Das Denkmal auf dem Bahnhofsvorplatz ist nur zusammen mit dem Turm der verleugneten Schuld denkbar (gewesen). Der Turm war jedoch am nächsten Morgen bereits verschwunden. Das Denkmal am Bahnhofsvorplatz steht und die Gemeinde wird es nicht wagen, es zu entfernen.

Pressespiegel

(muss ausgefüllt werden) 01.06.2009 - 23:53
Einige Pressemeldungen zu Mittenwald:

Turm d. verleugneten Schuld. Werkstattbericht

Pappkarton-Frischhaltefolie-BaubrigadistInnen 03.06.2009 - 17:06
Im Zentrum der diesjährigen Kampagne gegen die Traditionspflege der Gebirgsjäger in Mittenwald stand seitens autonomer und antifaschistischer AktivistInnen die praktische Umsetzung der Idee: "Ein Denkmal für Mittenwald"

Dafür wurde aus den Reihen des AK angreifbare Traditionspflege ein Denkmalsbeauftragter ernannt, der zusammen mit ein paar anderen Aktivistinnen die weitere Planung in die Hand nahm. Die Grundfrage lautete: Wie lässt sich ein markantes Gegendenkmal in einem Raum placieren, der durch die Todeskultur des Militarismus geprägt ist?

In ihren weiteren Planungen knüpften die Denkmalsaktivistinnen an die gelungene Kartonaktion während der Proteste gegen das Gebirgsjägertreffen Pfingsten 2005 an. Dort waren im Gemeindenzentrum schon einmal etwa 60 Pappkartons in Form einer Mauer errichtet worden. Auf den einzelnen Kartons waren Tatorte von Gebirgsjägermassakern notiert sowie die dazu gehörigen Militäreinheiten und die Zahl der von ihnen Liquidierten angegeben.

Siehe Foto:  http://media.de.indymedia.org/images/2005/05/116902.jpg
Siehe Foto:  http://media.de.indymedia.org/images/2005/05/116903.jpg

Die Aufgabe bestand nun darin, diese historisch bereits einmal erfolgreich realisierte Aktions- und Denkmalsidee auszuarbeiten und sowohl von Form und Inhalt her weiter zuzuspitzen. Neue Grundidee hier: Anstelle einer wackelig- flüchtigen Mauer die Errichtung eines stabilen hohen Turmes im Stadtzentrum Mittenwalds. Wesentliches Konstruktionsproblem: Wie lässt sich der Aufbau und die Stabilität dieses Bauwerkes gegen Wind und Wetter gewährleisten?

Erste spontane Überlegungen eine Vielzahl einzelner leerer Kartons einfach so übereinander so hoch wie möglich zu stapeln, wurden verworfen. Allein der Wind hätte einem derartigen Bauwerk schon ab dem vierten gestapelten Karton schnell den Garaus gemacht. Und dann weiter: Wie kann man überhaupt ab dem vierten Karton überhaupt ohne Leiter weiter stapeln?

Wie ist der zu großen Leichtgewichtigkeit der Kartons beizukommen, die diese zur schnellen Beute von Wind werden lassen? Die Antwort auf die letzte Frage wurde mit dem Befüllen einer Schaufel Sand in einen Müllbeutel pro Behältnis gefunden. Darüber hinaus ließ sich die Anfälligkeit der Kartons für Wind, Regen und dem gravierenden Statikproblemen mit der großzügigen Verwendung von Frischhaltefolie entgegentreten: Anders formuliert. Mehrfach mit Frischhaltefolie umwickelte Kartons weisen nicht nur den Regen ab - zumindest für's erste, sondern stabilisieren sich gegenseitig. Ein paar Holzlatten besorgten das ihre, um die Stabilität vor allem im oberen Turmbereich zu gewährleisten.

In der Begründung für dieses Bauwerk entschieden wir uns gegen die Benennung des Turmes als der einer "vergessenen" oder gar "verdrängten Schuld". Nein, so schlicht oder so sozialpsychologisch subtil wie es die Begriffe "vergessen oder "verdrängen" nahe legen, geht es in dem Ort Mittenwald und dessen dort praktizierter bedrohlicher militaristischer Traditionspflege nicht zu. Uns hat für diesen Ort und seiner besonderen Geschichte ab dem 9. Mai 1945 vielmehr der Begriff des Verleugnens eingeleuchtet. Dafür steht auch der bis auf den heutigen Tag unvoreingenommen durch die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium unterstützte Kameradenkreis der Gebirgsjäger, der alleine in der Ortskameradschaft Mittenwald über mehr als 400 Mitglieder verfügt.

So lautet der Begründungstext für den Turm für die Weltöffentlichkeit wie folgt:
"Der Arbeitskreis angreifbare Traditionspflege schenkt der Gemeinde Mittenwald in ihrem Zentrum Am Obermarkt einen Turm der verleugneten Schuld.
Mittenwald ist ein Ort in dem bislang quer durch fast die gesamte deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts Militarismus erfolgreich gelebt wurde. Das geht nur, wenn man aktiv verleugnet. Dagegen läuft dieses Denkmal spitz in den Horizont, es markiert ein scharfes Gegenzeichen zu dem interessierten Verleugnen. An allen Seiten dieses Turmes befinden sich die Namen einer Vielzahl von Gebirgsjägereinheiten zerstörten Orten aus ganz Europa, sowie die Zahl der Opfer ihrer bislang bekannt gewordenen Massaker. AK angreifbare Traditionspflege Pfingsten 2009"

Die Aktion wurde beim Ordnungsamt der Stadt Mittenwald als Mahnwache unter dem Motto: "Ein Denkmal für Mittenwald" angemeldet. Unmittelbar zuvor haben wir den Bürgermeister der Gemeinde mit einem Brief zu der Denkmalseröffnung auf das herzlichste eingeladen. Uns war es durch diese vertrauensbildenden Maßnahmen wichtig, Planungssicherheit für alle Beteiligten und hier vor allem für die Polizei zu schaffen. So wurde der Turm am 30. Mai in ca. zwei Stunden rühriger Bastelarbeit durch ein geschicktes Arrangement von 32 Kartons in der Größe von ca. 600 x 330 x 340 mm in der Zeit von 14.23 bis 16.17 Uhr zusammen gesetzt und gemeinsam mit der Demonstration errichtet.

Auf eine direkte Ansprache während der Bastelarbeiten an die Adresse der Mittenwalder Bevölkerung haben wir verzichtet, sie wurde lediglich mit dem Hinweis: "Bitte verhalten sie sich würdig: Hier wird der Turm der verleugneten Schuld errichtet" informiert. Nach der Fertigstellung des Turmes wurde dieser sowohl von Touristen wie von Teilen der Mittenwalder Bevölkerung aufmerksam gemustert. Nicht wenigen davon stand in seinem Angesicht Feindseligkeit ins Gesicht geschrieben, erste Bemühungen reflektierten auf den Wunsch den Turm sofort umzustürzen, was sich in einem baulogistischen Sinne jedoch nicht sofort und ohne weiteres umsetzen ließ.

Uns war zuvor bekannt gemacht worden, dass unser Denkmal eines von zwei aus den Reihen des AK angreifbare Traditionspflege geplanten sein würde. Wir sollten das nicht als gegen unsere Initiative gerichtet empfinden, wurde uns gesagt. So haben wir diese bedeutende Entscheidung sofort begriffen, und auch das hat uns dazu angespornt mit dem Turm der verleugneten Schuld die Betrachterinnen noch mehr zu beeindrucken.

Zeitgleich zu der Errichtung des in unmittelbarer Nähe des Bahnhofes geplanten Denkmales haben wir den Turmaufbau unermüdlich vorangetrieben, und uns dabei frei von Angst und Demut dem verbalen Widerwillen und dem Hohn der Mittenwalder Bevölkerung ausgesetzt. Und doch haben wir trotz dieses außerordentlichen Engagements den Wettlauf gegen den von dem Auschwitz Überlebenden Maurice Cling und dem Resistancekämpfer Max Tzwangue enthüllten Stein des Anstoßes in Punkto Ästhetik, Noblesse, Schwerkraft und Tiefe deutlich verloren. Nein, die "Aura der Unantastbarkeit", von der eine Überlebende des NS-Terrors noch an Ort und Stelle im Angesicht des "Stein des Anstoßes" zu Recht sprach, können und wollen wir mit dem Turm der verleugneten Schuld nicht beanspruchen.

Es ist aber ein völliges Missverständnis, wenn der "Turm der verleugneten Schuld" - so geschehen vom Lokalredakteur des Garmisch-Partenkichner-Tagblattes in seinem Bericht vom 2. Juni 09 - lediglich zu einem "Ablenkungsmanöver" für den Bau des Steines des Anstosses auf dem Bahnhofvorplatz erklärt wird. Das sehen wir in fundamentaler Weise anders. Mit unserer - so ein guter Genosse - "Trashkiste" in der nichts gutes nicht zufällig mit Frischhaltefolie "gut verpackt" worden ist, sind auch wir da und dort auf Anerkennung gestoßen: Denn sowohl bedeutende tiefe Substanz wie auch flirrende Oberflächlichkeit in Material und Form in eins haben noch stets die großartige antifaschistisch profilierte autonome Bewegung in allen ihren ganz wunderbaren Facetten ausgezeichnet. Dem Zusammenhang dieses Gedankens haben wir gedient.